Das österreichische Dilemma

„Geld allein macht nicht glücklich“ lautet die Entschuldigungsformel derer, die beides haben. Sie ist all jenen zugedacht, die weder das eine haben, noch das andere sind. Der Sinnspruch wurde vom oberösterreichischen Fernsehmoderator, Selbsthilfemotivator und Texter Josef „Joki“ Kirschner werbetauglich zusammengefasst: „Geld macht glücklich, wemma rechtzeitig drauf schaut, daß mas hat, wemmas braucht.“ Der Satz war von entwaffnender Schlichtheit und entsprach dem Zeitgeist der 80erjahre, jener Epoche, in der alles in die Welt gesetzt wurde, was uns heute Probleme bereitet.

Die legendäre Fernsehsendung „Tritsch Tratsch“, in der Kirschner als Rätselonkel der Nation landesweite Prominenz erfuhr, entzückte das Publikum mit dem sogenannten „Ladlspiel“. In die sechs Laden eines Küchenkästchens waren unsichtbar Preise unterschiedlicher Qualität eingelegt. Vom Hautpreis, einem Brilliantring bis zu wertlosen Petitessen, die sich hinter halblustigen Sprachspielen versteckten. Anrufende und vorgeführte Studiogäste durften einen Tipp abgeben. „Welches Kastl hätten sie gern?“, war dabei Joki Kirschners Standardfrage.

Niemals in der Geschichte der Sendung wagte jemand „das ganze Kastl!“ zu sagen. Das österreichische Glückspublikum war fest im Irren verfangen und setzte auschließlich auf das Dilemma der Einzelladenwahl. „Die Spiele des Lebens: Wer kämpft, hat schon verloren, frei und glücklich aus eigener Kraft“ hieß denn auch einer der Bestseller aus Joki Kirschners Berater-Manufaktur.

Das Dilemma der falschen Wahl zieht sich als vermeintliche Glücksspur durch Österreichs Geschichte.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 4. Jänner 2025.

Stille Nacht

Alle Krippen sind abgestaubt oder fertiggebastelt, die Heilige Familie, Ochs und Esel, Engel und Hirten aufgestellt. Alle Kekse sind gebacken, alle Christbäume besorgt. Die Christkindlmärkte wurden leergekauft, Punsch, Jagatee und Glühwein konsumiert, als gäbe es kein Kopfweh. Die letzten Unzerstörbaren taumeln aus Firmenweihnachtsfeiern und Jahresendsitzungen. Zeitiger noch als das Christkind (oder der profanere Weihnachtsmann) brachten Amazon-Boten und Postler Pakete. Manche sogar zur Tür. Weihnachten kann kommen. KTM-Mopeds werden wenige unter dem Christbaum liegen, auch Kika-Leiner-Küchen werden zum Lichterfest (und auch danach) keine mehr verbaut. Immerhin wurde die abgebrannte Kathedrale Notre Dame de Paris rechtzeitig fertig. Wir sind bescheiden geworden.

Was wünschen sich die Österreicher·innen zu Weihnachten? Weniger vom Alten. Bekommen werden sie mehr vom Gleichen und als Bonus: Ein Sparpaket. Die Autorin dieser Zeilen hat ungachtet dieser Aussichten eine kleine, sehr persönliche Wunschliste zusammengestellt. Wissend, dass die Hoffnung auf Erfüllung gering ist.

Hier sieben Wünsche: 1. Mehr Liebe und weniger Hass. 2. Die Wiedereinführung der Zukunft, 3. Die Umverteilung von Oben nach Unten. 4. Die Trennung von Religion und Staat. 5. Die Trennung von Staat und Bosheit. 6. Ein Musikgedudelverbot in Gaststätten, Geschäftslokalen und Wartesälen. 7. Das Längerwerden der Tage.

Wunsch Nummer Sieben der Liste erfüllt uns der heimatliche Wandelstern ab heute. Zumindest das Licht kommt langsam zurück. Wie gesagt, wir sind bescheiden geworden.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 21. Dezember 2024.

Eine Koaltion malen

Obwohl sie vor kurzem ihr Leuchten und Blinken eingestellt hat, galt die bundesdeutsche Ampel als Sinnbild einer funktionierenden Dreier-Koalition. Ihren Namen bezog sie aus den Parteifarben der beteiligten Akteure: Rot für die Sozialdemokraten, gelb für die liberalen Freien Demokraten, grün für das Bündnis 90/Die Grünen.

Wie antwortet Österreich auf Fehlversuche? Mit eigenen Ideen. Das gerade aus Sondierungsgesprächen ins Stadium der Verhandlungenen übergetretene Projekt einer österreichischen Ampel hängt nicht nur politisch an anderen Pfosten, auch die Farben entsprechen nicht der Straßenverkehrsordnung. Als herausfordernd darf die NEOS-Farbe Magenta/Pink/Rosa begriffen werden. Sie kommt, anders als Schwarz (ÖVP) und Rot (SPÖ) in keiner Nationalflagge vor. Auch andere Farbkombinationen aus der Dingwelt sind rar.

Ungeachtet der Verwirklichungs-Wahrscheinlichkeit einer österreichischen Dreier-Koalition wurden schon Bezeichnungen in Stellung gebracht. Der Kärntner Kopfnüsse-Knacker Christian Nusser schlug Ömpel vor. Aus dem Publikum erwuchsen die Vorschläge Cocktail-, Konfetti-, Punschkrapferl-, Schmetterlings-, Flamingo- und Dirndl-Koalition. Mit der Anzahl der Beteiligten spielten Austria 3, Dreko, Flotter Dreier, und in Anspielung auf die drei Spitzen der Beteiligten, der Vorschlag der Synchronsprecher maschek: Neptun-Koalition.

Das Volk selbst wurde gesamtheitlich noch nicht befragt, unlautere Geheimumfragen aber zeigen Tendenzen zu Süsssauer-Mundgerechtem: Eine knappe Mehrheit spricht sich für „Zuckerl-Koalition“ aus.

Die Zahnärzte warnen.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 7. Dezember 2024.

Österreich – Wo der Schuh drückt

In Österreich wird viel gegangen. Von der Haustüre zum Carport, vom Parkplatz zum Einkaufszentrum, dort dann noch mehr, auf der Suche nach Beratung. Diese geht ebenfalls viel, ja läuft nicht selten, immer auf der Flucht vor lästigen Fragenden. Auch am Amt wird viel gegangen, vor allem in die Irre. Eine täglich gelebte Floskel lautet „Wie geht’s?“. „Gut“ ist die trügerische Antwort, oder besser: „Es geht.“ Vor den Zeiten von MeToo und woken Korrektiven hieß es unter Stammtischsitzern gerne „a bissl was geht immer“.

Wie im Kleinen, so auch im Großen, liegt uns doch das Wandern im Blut. So lange wir kraxeln können, heißt es rauf auf den Berg, rein in die Hütte, runter vom Berg. Bundesheerabsolvent·innen erinnern sich gerne an den Gfechtler, die Gefechtsübung, und das grundwehrdienstliche Geherlebnis des Zigkilometermarsches, der Dislokation mit schwerem und schwerstem Gepäck. Das Schuhwerk für diese Körpererfahrung ist allen Ableistern als „Heeresfeldschuh leicht“ vulgo „Anserbock“ in Erinnerung. Glücklich schätzen sich jene, denen bei der Bekleidungsausgabe ein abgetragenes, weil gut eingegangenes Paar der eleganten Schnürstiefel zugeteilt wurde. Der Preis für die Eleganz eines ungetragenen Paars: Blutblasen und offene Füße, und die Lebenserfahrung vom Marschieren im Schmerz. Das Abenteuer des kilometerlangen Gehens mit Schwerstgepäck bestreitet die österreichische Frau, alleinstehend oder in der Familie, beim Wocheneinkauf mit Kleinkind.

Das Gehen ist den Österreicher·innen eingeschrieben. Der letzte Gang wird übrigens liegend absolviert, schmerzbefreit.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 23. November 2024.

Made Amerika Donald Again

Die Welt, wie wir sie kannten, ist untergegangen, sagen die einen, ganz im Gegenteil, die anderen, alles wird jetzt besser, richtiger, rechter, amerikanischer. Unzählbare Berichte, Analysen, Verstehensversuche zur Wiederwahl Donald Trumps fluten die Medien. Düstere Szenarien eines postdemokratischen Amerikas liegen längst vor. Hunderte Bücher haben Inneres und Äußeres des Mannes mit der seltsamen Frisur und dem orangen Teint beleuchtet. Der Autokrat aus Mar-a-Lago wurde so vehement befürchtet, wie er herbeigesehnt wurde. Wer je in Kentucky, Kansas, South Dakota war, in einem der tiefrepublikanischen Staaten, kann berichten, wie sich ein Trumpsches Amerika anfühlt: Ruhig. Unaufgeregt. Unbeschwert. Die Bierregale sind voll, die Zapfsäulen funktionieren, die Pritschenlaster schnurren. Die Menschen sind glücklich und zufrieden. Geborgen in kontinentalamerikanischer Idylle. Es sei denn, man gehörte einer Minderheit an, wäre ungewollt schwanger oder gerade eingewandert.

Wenn es ein einziges Bild gäbe, in dem sich die Irrationalität der eben geschlagenen Präsidentenwahl zusammenfasste, so jenes der langen Kolonne schmuckloser Pferdewägelchen der Amischen, die mit wehenden Trump-Vance-Flaggen ihr Wahllokal ansteuerten. Donald Trump muss diesen hochreligiösen Menschen, die ohne Medien und Maschinen im vorvergangenen Jahrhundert leben, etwas versprochen haben, was jenseits aller Wahrnehmungen über seinen Lebenswandel liegt. Vielleicht sehnen sich mehr Menschen nach einem absoluten Monarchen, als einer Demokratie lieb sein kann.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 9. November 2024.

Doneald

Diese Zeilen kommen aus der Vergangenheit. [Und sie sind nicht erschienen. Sie wurden] geschrieben eine Woche vor der US-amerikanischen Schicksalswahl. Alles scheint zu diesem Zeitpunkt noch möglich, alles. Alles amerikanische. Der amerikanische Traum ebenso, wie der amerikanische Alptraum. Umfragen und Einschätzungen sehen ein Kopf-an-Kopf-Rennen von Kandidat und Kandidatin, das Wahlvolk hat noch nicht entschieden, die Swing-States noch nicht den endültigen, erwartbar unerwarteten Ausschlag gegeben. Das düstere MAGA-Imperium des abermaligen Donald Trump ist ebenso denkbar, wie sein politisches Gegenteil, Madam President Kamala Harris, die erste Frau an der Spitze der dienstältesten modernen Republik der Welt.

Darf man das überhaupt? Aus der Vergangenheit schreiben? In eine Zukunft, in der möglicherweise alles anders ist, als bisher? Wie liest sich dieser Text, da das Eintretbare eingetreten ist, das Abwendbare abgewendet wurde? Und gibt es dann überhaupt noch einen Blick zurück? In eine Zeit, als Befürchtungen und Hoffnungen einander noch die Waage hielten?

Wie wird die Welt insgesamt aussehen, wenn es MADA heißt, „Made Amerika Donald Again“? Und welchen Seufzer der Erleichterung wird es geben, wenn die Parole „We’re not going back“ eingelöst wurde? Welcher Zoll wird für das eine eingehoben werden? Und welchen Preis das andere haben? Wie werden die Tage, Wochen, Monate nach der Entscheidung verlaufen? Werden Marodierende wieder den Kapitolshügel stürmen?

Der Blick in die Glaskugel ist eingetrübt wie selten zuvor. Auch nach dem 5. November ist alles amerikanische möglich. Weltweit.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 9. November 2024.

Nationalheiligtümer

Ein Staat, der auf sich hält hat Wappen, Fahne und Hymne. Und einen Nationalfeiertag. Die Schweiz erinnert sich an ihrem an den Rütlischwur von 1291, Deutschland an seinem an die Einheit von Wessis und Ossis. In Tschechien wird der Unabhängigkeit (von uns) gedacht, in der Slowakei jener von Tschechien. Ungarn memoriert den Heiligen Stephan, die Revolution und den Volksaufstand, Slowenien feiert die Unabhängkeit von Jugo, Italien die Gründung der Republik, und Liechtenstein stimmt sich national am Tag vor dem Geburstag des 1989 verstorbenen Fürsten Franz Josef II.

Bis in die Blütezeit der Boomer-Generation hatte das moderne Östereich zwar viel zu feiern, viel zu erinnern, aber noch mehr zu vergessen, und vielleicht deshalb keinen Nationalfeiertag. 1965 schickten sich Parlament und Bundesregierung an, einen solchen zu bestimmen. Zur Auswahl standen der 12. November (die Ausrufung der Ersten Republik 1918), der 27. April (die Proklamation über die Selbständigkeit Österreichs durch SPÖ, ÖVP und KPÖ im Jahr 1945), und der 15. Mai (die Unterzeichnung des Staatsvertrags 1955).

Als Kompromiss wurde ein gänzlich anderer Anlass gefunden und in Gesetzesform gegossen. Fortan galt der 26. Oktober als Nationalfeiertag, eingedenk der am 26. Oktober 1955 beschlossenen immerwährenden Neutralität Österreichs.

Im Bewusstsein der Bevölkerung zirkulieren für die Wahl des Datums dennoch andere Anlässe: Der Abzug des letzten Besatzungssoldaten, Legendenkanzler Figls Unterschrift unter den Staatsvertrag, und die Erstausstrahlung der „Zeit im Bild“.

Tu felix Austria.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 26. Oktober 2024.

Die österreichische Aufgabe

„Wir werden uns noch wundern, was alles geht“ lautet einer der zentralen Merksprüche des Landes, geprägt vom freiheitlichen Fastpräsidenten Norbert Hofer. In der Realverfassung Österreichs entspricht jeder Aussage auch sein Gegenteil, im vorliegenden Fall sogar zwei davon: „Wir werden uns noch wundern, was alles nicht geht“, und, vielleicht öfter gültig: „Wir werden uns nicht wundern, was alles geht“. Wunder kommen also und gehen, oder sie kommen nicht und bleiben. Eines dieser Wunder ist gerade passiert, und wir reiben uns gerade noch die Augen. Die einen von uns aus Freude und politischer Trunkenheit, die anderen aus Ernüchterung, aufgewacht in befürchteten Verhältnissen.

Eine Stimme hören wir in solchen Zeiten oft, es ist jene des amtierenden Bundespräsidenten (das Amt ist eines der wenigen, das noch nicht gegendert wurde), begleitet von den Einschätzungen und Bemerkungen emeriterter Vorgänger. Begriffe zirkulieren wieder, die mit den Kompetenzen der höchsten Instanz des Landes verbunden werden – „Sondierungsgespräche“, „Demokratische Spielregeln“, „Tapetentür“, „Vier-Augen-Termin“. Wir sollten uns auch nicht wundern, medial viel Personengeschichtliches aus der Hofburg erinnert zu bekommen – die einsame Gebücktheit des Reitersmannes Kurt Waldheim, die verbitterte Strenge des Erdbergers Thomas Klestil, die Schönwetterlaune von Stehfrisurmodell Heinz Fischer. Der graugrüne Nikotinist Alexander van der Bellen hat realpolitisch überhaupt ein Novum eingeführt: Die Expertenregierung.

Es erwächst die Frage, wieso Regierungen nicht generell mit Experten gebildet werden.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 12. Oktober 2024.

Ideale Kandidatenliste

„Wer die Wahl hat, hat die Qual“, lautet ein altes österreichisches Sprichwort, es wurde längst ersetzt durch die besser passende Erkenntnis „Wer die Wahl hat, hat das Sprichwort“.

So gerne sich die Wahlberechtigten in diesem Land auch in die Befindlichkeit flüchten, Wahlen seien ein unabwendbares Übel, so wenig reflektieren sie, dass Wahlen hierzulande nicht zur Tradition gehören. In den Wertelisten kommen Lederhose und Dirndl vor, das Christkind und der Osterhase, das Schnitzel und der Kaiserschmarrn, nicht jedoch die Wahlurne und die Gewaltentrennung.

Die zivilisatorische Decke der Demokratie ist dünn, die Älteren unter uns sind noch in Diktaturen aufgewachsen, nicht wenige der Zugezogenen kommen aus solchen, und eine vom Bösen erigierte Gruppe Junger und Altjunger sehnt den „Starken Mann“ herbei. Kommentatoren und Analyse-Gschaftlhuber mahnen Leadership ein, Aufräumerqualität, Durchsetzungskraft. Meist bei denen, deren Schwäche sie fahrlässig herbeigeplaudert haben. In Debatten dominiert der laute Ton und das Sprechdauerfeuer über das Argument und die Sachkenntnis. Aggression wird mit Souveränität verwechselt, Phrasengedresche mit Professionalität, Politik mit Sport. Der Sieger darf alles. Der Zwischenzeitsieger auch schon.

Wie sagte der tiefrote Langzeitbürgermeister Wiens, der gelernte Niederösterreicher Michael Häupl, einst? „Wahlkampf ist eine Zeit fokussierter Unintelligenz.“ Mittlerweile gilt:

Wahlkampf ist eine Zeit unfokussierter Unintelligenz.

Und ab Montag heißt es: Nach dem Wahltag ist vor dem Wahltag.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 28. September 2024.

Farben des Herbstes

Grundsätzlich wäre ja alles in Österreich rotweißrot tingiert. Automatisch. Austromatisch. In der Nationalkombination, bekanntermaßen (wenn auch historisch nicht gesichert) in einer Kreuzfahrer-Schlacht entstanden. Gäbe es nicht noch das eigenbrötlerische, nicht auf der Klachlsuppe dahergeschwommene Steirergrün. Die Flaggenfarben der restlichen Bundesländer sind mythentechnisch kaum aufgeladen, gelb kommt noch vor, in Niederösterreich gemeinsam mit tiefem Blau. Das wars. Die politischen Parteien orientieren sich heraldisch international. Der Ausreißer Türkis ist mittlerweile fast vergessen. Hin und wieder taucht es auf historischen Schnappschüssen der Fußballnationalmannschaft auf. Türkis-Schwarz seien die Komplementärfarben von Rot-Weiß, hieß es damals sardonisch. Der Nachweis ließ sich groteskerweise sogar erbringen.

Wie auch immer, der österreichische Herbst prunkt mit eigenem Farbenspiel. Dem leuchtenden Backenrot der Erstklässler·innen, dem Orange-Grün des letzten Freibad-Twinnis, dem Azur der klaren Herbsthimmel, und bald aktuell: Dem unscheinbaren Grau der Wahlurnen. Dem stillen Dunkelblau der Kugelschreiberkappen, mit denen wir die Wahlzettel ausfüllen, intim beschattet vom stumpfen Braun der Wahlkabinenwände. Sie gehören zum Farb-Inventar des österreichischen Herbstes. Ihre Aktualität endet mit den wachsenden Säulen der ersten Hochrechnung und den blassen (oder geröteten) Gesichtern der politischen Akteure.

Der Herbst ist ein Maler, sagen die Dichter. Malerinnen und Dichterinnen schweigen.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 14. September 2024.

Sportarten für den Herbst

Österreich ist eine Sportnation. Im Schifahren sind wir die Größten (ab und an gestört durch respektlose Schweizer, Norweger, Amerikaner und Schneeblinde). Jochen Rindt, Niki Lauda und der Hättiwari Berger haben sich und uns in die Geschichtsbücher der Formel Eins geschrieben. Auch wenn es um die österreichische Kreisfahrt momentan still geworden ist: Am Bullensprudelring kommt kein benzinbegeisterter Sportenthusiast vorbei. Und vergessen wir nicht: Ein Hiesiger wurde Mister des Universums, Terminator, Governator gar. Und erst jüngst promovierten wir am europäischen Rasen. Der fußballerischen Gruppenphasenkompetenz der Ralf-Rangnick-Truppe wird man noch in Jahrzehnten in Ehrfurcht gedenken. Wie man es dreht und wendet: Auf den Wettkampfstätten der Welt sind Österreicher zuhause. Österreicherinnen sind seit Annemarie Moser-Pröll immer mitgemeint.

Auch der kleine Mann und die kleine Frau beteiligen sich aktiv am Sportgeschehen, kicken auf der Liegewiese, kraulen durchs Freibad, walken nordic, biken electric. Ganz unter uns sind wir ab dem Spätherbst. Sobald die Raupen den Altschnee zu weißen Bändern zusammengeschoben haben, begeben wir uns in die Schranzhocke, um das zu tun, was wir am besten können. Verdammt schnell zu sein. Und wenn nicht schnell, dann zumindest verdammt. Dann sitzt uns Armin Assinger im Ohr, warnt vor der Mausfalle, tschindert mit uns in den Steilhang, hört die Komantschen an der Hausbergkante pfeifen, und die Kuhglocken in der Querfahrt. Mit brennenden Schenkeln staucht es uns in die Kompression, bis wir Abheben im seligmachenden Zielsprung.

Alles von der Couch aus.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 31. August 2024.

Sommerloch 2024

Österreichs Herzensnachbar ist Italien, das Land in dem die Zitronen blühen, das Land, in dem die Pizzaöfen glühen. Der Herzensnachbar hat alles, was Österreich hat, dazu noch Vulkane, Venedig, den Papst und das Meer. Und dann hat Italien noch ein Alleinstellungsmerkmal. Die nationale Feiertagszeit. Sie ist wichtiger als Weihnachten, Ostern und der Geburtstag von Diego Maradona, schöner als die Sixtinische Kapelle, lebendiger als ein gutgepflegter Ferrari-Motor. Wir sprechen von Ferragosto (von lateinisch „feriae Augusti“, Festtage des Augustus).

Im Einklang mit den Bedürfnissen der katholische Kirche fällt Ferragosto mit Mariä Himmelfahrt zusammen. Der 15. August gilt in Italien als der heißeste Tag des Jahres, und ohne jede astronomische Koinzidenz als Höhepunkt des Sommers. An Ferragosto gehört Italien den Italienern und sonst niemand. Wer im Süden lebt, fährt in den Norden, wer im Norden lebt, in den Süden. Wer in den Bergen lebt, rast ans Meer, wer am Meer lebt, in die Berge. Landeier stürmen die Städte, die Städter die Provinz. Es wird gebadet und geruht, gefeiert und gespeist, gesungen und getanzt, bis der Dottore kommt. Oder nein, der Dottore kommt nicht, denn zu Ferragosto liegt er selbst am Strand. Das Fest der Feste, die Zeit der Zeiten dauert natürlich nicht diesen einen, Marien geheiligten Tag, dazu ist der Sog des Festes zu groß. Ferragosto dauert länger. Vorher und nachher, eine Woche, zehn Tage, zwei Wochen.

Österreich sollte es den Italienern nachmachen und Ferragosto einführen. Im Gegenzug könnten wir den Amerikanern Halloween zurückgeben.

Und den Briten das Sommerloch.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 17. August 2024.

Neue Getränke

Österreicher und Österreicherinnen lieben das Mischen. Kein Kartenspiel kann ohne vorhergehendes Mischen beginnen. In der Mischung gehen wir gänzlich auf. Die Mischung, wenn es um Getränke geht, bringt das Besten aus mehreren Welten zur Geltung. Erlaubt ist, was bestellt.

Im Gastgarten stillt den Durst der Radler (Bier/Zitronenkracherl). Bier/Mineral ergibt den Sauren Radler, Bier/Kräuterlimo den Almradler. Mit Wein gemischt wird der Trachtensprudel zu Dudler Rot und Dudler Weiß. Weinbeißer laben sich am G’spritzten (Wein mit Soda oder Mineralwasser) und am Spritzer Leitung (G’spritzter mit Leitungswasser)

In der Tankstellenbar greifen wir zu Wilderem. Zum Baucherl (Scharlachberg/Cola, im Cognac-Schwenker serviert), zum Rüscherl (ausgerauchtes Cola mit Weinbrand) und zum Sorgentöter Asbach-Rüscherl (Cola uralt). Abendverlängerer sind das Fetzi (Cola/Rotwein) und das Flügerl (Wodka/Red Bull) – mit Jägermeister wird es zum Flying Hirsch. Super ist der Diesel (Cola/Bier), der Frosch (Blue Curaçao und Orangensaft aus dem Tetra Pak), das Schneegestöber (Eierlikör/Fanta), der Sauschneider (Himbeerkracherl/Bier) und die Goaßn-Halbe (Weißbier, Cola, Weinbrand, Kirschlikör). Damen bestellen gerne den Apfelstrudel (Wodka/Apfelsaft) und das Mariandl (Almdudler, Marillenlikör, Zitronensaft, Zuckerrand) – und in alpiner Laune den Hugo (Holunderblütensirup, Prosecco, Soda, Minze)

Niemals ohne Folgen bleibt das U-Boot (Bier oder Fanta mit versenktem Schnapsglas) und seine Umkehrung, das Atom-U-Boot (Spirituose, im versenkten Schnapsglas Fanta oder Bier).

Und wenn wir nicht gestorben sind, mischen wir noch heute.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 3. August 2024.

Wem Österreich vertraut

Mit dem Geld ist es so eine Sache in Österreich. In der Bundeshymne, ansonsten verlässliche Instanz für einheimische Wichtigkeiten, kommt es nicht vor. Zu heilig, sagen die Experten für nationale Texte. Auch im anderen Großlied des Landes, Rainhard Fendrichs „I am from Austria“ hören wir nichts von Zahlungsmitteln, Guthaben, Anlageformen. Einzig das Wienerlied singt von der Pekunia: „Nur a Göd nur a Göd, is des schönste auf der Wöd, wammas a ned fressen kann, desto leichter bringt mas an, Hendl, Gansl, Anten, Fisch lass ma rennen über Tisch … an Champagna a dazua, nacher drahn bis in da fruah …“

Das Kapital sei ein scheues Reh, erzählen uns die Ökonomen und Milliardärsversteher, und da fangt die Misere auch schon an. Mit den Rehen kennen sich die Österreicher nämlich aus, besonders die am Land. Das Kapital steht treuherzig blickend am Waldrand, nicht ahnend, dass der Experte schon längst angelegt hat. Der Jäger, des Rehleins verlässlicher Betreuer. Waidgeschult entnimmt er das Tier aus der Natur, bricht es auf und bringt es seinem Besitzer. Das scheue Reh, das Gold des Waldrand wächst dem Grundherrn zu. Seit altersher. Anderen bringt das Kapital weniger Gück, es springt gerne vom Straßenrand vor die Motorhaube der Arglosen. Gewinn bringt das in der Regel nicht.

Es wundert daher nicht, dass die Österreicher dem Kapital, scheu und unberechenbar wie Geiß und Bock nicht vertrauen und auf das Bargeld setzen. Es wandert auch fern des Waldrands leicht von Hand zu Hand, besonders in der überweisungsfreien Nachbarschaftshilfe, beim Pfusch am Wochenende, und überall, wo ein Schriftl ein Giftl ist.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 20. Juli 2024.

Österreich nach dem Klimawandel

Die Pasterze schrumpft im Schritttempo, der Neusiedlersee trocknet weg, die Städte glühen, die Wälder brennen. Der Klimawandel bringt im besten Fall griechische Verhältnisse, im weniger guten saharanische.

Gar nicht schlimm, sagen die Wandelleugner, wischen den gelben Sand von ihren SUVs, und meinen Normalitäten herbei. Sie erinnern an die Säbelzahntiger im Toten Gebirge, an die Nilpferde in der Wachau, unerschütterliche Hinweise darauf, dass es in Österreich immer schon heiß gewesen wäre. Woher denn kämen die Haifischzähne im Dachsteingebirge, die fossilen Ammoniten, Schnecken und Muscheln, woher das Salz im Salzkammergut, und woher die Korallenriffe am Wienerwaldrand? Aus den hierzulande ganz normalen tropischen Verhältnissen, sagen die Verbrennerfreunde dann, und wedeln mit dem Trachtenturban! Denn wo’s nicht bacherlwarm war, und salzig nass, war’s trocken und heiß. Noch heute fände man Kaktusnadeln im Keller-Löß, heimischeres als Weinviertler Flugsand gäbe es kaum. Die Wüste sei der heimischen Landschaft eingeschrieben. Das steinerne Meer! Karst und Schutt je höher man steige. Die übergossene Alm! Sie hieße nicht so, wären die Gletscher hier normal gewesen. Trug der zugeschneite Ötzi nicht karibische Kleidung? War der dicken Venus von Willendorf nicht kalt, damals im vorindustriellen Österreich? Mehr als einen Bikini macht man an ihren Rundungen nicht aus.

Es wird wieder heiß werden im Mariandltal, es werden wieder Kamele durch Krems traben und Dromedare durch Dürnstein. Auch wenn es die Klimakleber nicht wahrhaben wollen:

Heiß ist das alte normal.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 6. Juli 2024.

Illegal

Ja, es gibt auch Wiener Schnitzel vom Schwein, es gibt das salzgereifte Surschnitzel, das Cordon Bleu (mit Schinken und Käse gefüllt), das Pariser Schnitzel (in Mehl-Ei-Panade gebacken), das Jägerschnitzel mit Pilzsauce, und das Z*-Schnitzel, das noch eines politisch korrekten Namens harrt, und auf woken Speisekarten als Paprikaschnitzel, Schnitzel Balkan-Art, Puszta-Schnitzel oder Schnitzel Budapester Art firmiert. Das war’s auch schon mit dem österreichischen Schnitzel. Alles andere ist illegal, eingereist, in fremden, nicht selten deutschen Küchen verbastelt worden.

Ein richtiges „Wiener“ ist ausgedehnt und dünn, seine Panade gilt als gelungen, wenn sie nicht auf dem dünngekopften Kalbfleischhauch klebt, sondern sich kräuselt, wie die Wellenbadbrandung im Wiener Stadionbad. Es gibt keine Speise, die dem Wesen des ganzen Landes mehr entspräche, als der zarte Fleischfetzen in der goldenen Bröselkruste.

Die dünne Panadenflade teilt seine Zubereitung mit einer Vielzahl anderer Speisen, die es in dieser Form nur in der Wiener Küche gibt. Paniert und „schwimmend“ im Schmalz gebacken wurde alles. Fleisch, Geflügel, Fisch, Gemüse. Altwiener Küchenchefs mit Seele und Erfahrung nannten es das „Vagoidn vom Obochanan“, das Vergolden des Abgebackenen.

Von der Magie der Panier kündet eine Anekdote aus den 70erjahren, die der Filmschauspieler Helmut Berger von einer Party in einem Kitzbüheler Chalet erzählte. Es war 3h morgens, die illustren Gäste, seine damalige Verlobte, das Model Marisa Berenson, die Skigrößen Toni Sailer und Karl Schranz verspürten Schnitzelhunger. Berger weckte den Koch. Weil sich kein Fleisch im Haus fand, panierte dieser auf Bergers Vorschlag weiße Servietten und buk sie goldgelb. Die „Schnitzel Berger“ waren ein Hit.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 22. Juni 2024.

Planet Österreich

Österreich. Der Zwergkontinent zwischen Bodensee und Langer Lacke, Böhmerwald und Karawanken. Das Land von Freud und Hitler, Schiwasser und Sommerspritzer, Streif und Donauinsel, Humptata und Hulapalu. Existiert es überhaupt? Ist Schnitzelland nicht vielmehr ein Märchen? Eine Gutenachtgeschichte, nach der niemand mehr einschlafen kann?

Für die Amerikaner ist Österrreich die Sommerwiese, auf der Julie Andrews in „Sound of Music“ herumtanzt, für die Chinesen ist es ein großes Hallstatt, für die Deutschen der kleine Bruder, der nur an Córdoba denkt und „lecker“ nicht sagen will. Der Papst fasste alles zusammen und nannte uns „Insel der Seligen“.

Österreich ist das Märchen vom Transit, es lebt vom Übergang. Zwischen Innen und Außen liegt bekanntlich die Oberfläche. Da kennen wir uns aus. Im Wald und auf der Wiese, am Acker und auf dem Asphalt, zwischen Haus und Hof, an der Kreuzung und im Kreisverkehr, auf der Piste und am Pannenstreifen, im Übertragungswagen und auf der Überholspur.

Und wenn wir nicht gestorben sind, erzählen wir uns Märchen. Von jungen Talenten und alten Chats. Wir lieben das feige Schneiderlein und nicht das tapfere, bei uns beißt der Zwerg ins Schneewittchen und niemand in den Apfel, spinnen fleißige Lieschen Gold zu Stroh. In den Schuh vom Aschenbrödel schlüpft der Prinz. In seiner Kammer erzählt ihm der Spiegel: Du bist der Schönste im Lande. Du kannst alles werden, Finanzminister, Bundeskanzler, Kaiser. Nur Rapunzel ist schöner, leider lebt sie im Keller. Ihre Eltern? Frau Holle und das Rumpelstilzchen. Mit Rotkäppchen und dem bösen Wolf gründeten sie eine Partei. Und wenn sie nicht gewählt wurden, schwurbeln sie noch heute.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 28. Juni 2024.

Eiskarte 2024

De gustibus non est disputandum, über Geschmack kann man nicht streiten, lautet eine Redewendung, die immer dann ihre Verwendung erfährt, wenn Vorlieben in Bedrängnis geraten. Sei es die Socken-zu-Sandalen-Frage, die Gewürzstandpunkte zu Koriander und Anis, oder die Diskussion darüber, ob Taylor Swift ein Sitz im musikalischen Olymp zustehe. Wann immer es um persönliche Präferenzen geht, wird die Gustibus-Karte gezogen. Dabei wird gerne vergessen, dass ganz gegen die Intention des Sinnspruchs über nichts so heftig debattiert wird, wie über Fragen des Geschmacks, der Leidenschaft, der Hingebungen.

Klügere Diskursteilnehmer geben daher zu bedenken, dass es nicht darum geht, Gefallensbekundungen zu unterdrücken, sondern nur um die Unmöglichkeit, Geschmack zu objektvieren.

Völlig unrichtig, sagt die Meinungs-Forschung. Selbstverständlich können Vorlieben und Zuneigungen abgefragt werden und in statistischen Zusammenhang gebracht werden. Die Sonntagsfrage der Politikbeobachter liefert undeutliche, aber wirkmächtige Signale zur politischen Lage. Identisches (wenn auch kaum Publiziertes) geschieht in der Marktforschung.

Eindeutig aber sind die Verkaufszahlen (die Wahlergebnisse) selbst. Welche Prominenz das Produkt erfährt, ob es Bückware wird, oder auf Griffhöhe plaziert. In diesem Sinne sind Eiskarten, Tagesmenüs, Wahlen aller Art stets Beliebtheitsberichte aus der jüngeren Vergangenheit. Immer eingeschmuggelt: Die verführerische Neuheit. Der Vorschlag des Küchenchefs. Die Newcomerin. Das politische Talent.

Nicht wenige enden als Ladenhüter. Als Bauchfleck. Als Flop.
De gustibus est disputandum.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 28. Juni 2024.

Rätsel Leitkultur

Eine große Freude erfüllt die Österreicher·innen, wenn sie vor dem Rätsel stehen. Nichts kann mehr verzücken, als das Ungelöste, das Unverstandene, das Missverstandene.

Auch wenn sie sitzen, die Österreicherinnen und Österreicher und die mit ihnen mitgemeinten Neurästelnden, etwa beim Ausfüllen eines Erlagsscheines, einer Steuererklärung oder sonstwelcher schriftlicher und algebraischer Aufgaben, stehen sie vor einem Rätsel. Unbegreiflich sind immer auch die Segnungen der ditalen Welt, die digitale Signatur, wie immer sie auch gerade heißt, das Passwort für hier und dort, und wie man es wählt und allenfalls abruft, und besonders rätselhaft: Die Nummern auf den Ausweisen und Plastikkarten. Ebenso mysteriös für Österreicherinnen und Österreicher, und stets sitzend erfahren, sind die Hinweise im öffentlichen Raum. Verkehrszeichen und ihre wahre Bedeutung, die Zahlen auf Geschwindigkeitsbeschränkungen. Im trauten Heim lauern nicht weniger Rästel. Die Bedienungsanleitungen der Maschinen. Herde, Waschmaschinen, Heizungen und Heimwerkerzeug sind allesamt unverstanden im Wesen, undurchsichtig in der Bedienung. Als einziger durchschaut und deswegen so beliebt: Der Griller. Den Griller können auch die Rästelagnostiker bedienen. Einschalten. Grillen. Fertig.

Das einzige Rätsel, das die Landesbewohner·innen tatsächlich gelöst haben wollen, ist die Schuldfrage. In beliebiger Reihenfolge: Die Radfahrer, die Linken, die Rechten, die Pharmaindustrie, die Politiker, die Zeitungen und die großen Rätselwichte: Wladimir Putin, Donald Trump und Elon Musk. Und der galoppierende Genderwahn. Der besonders.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 11. Mai 2024.

Österreichische Leit-Gegenstände

Sehen wir uns den Werte an, die es zu katalogisieren gilt. Die Kultur, die zur Debatte steht, in dem sie sich über jede Debatte stellen will. Schnitzel, Gulasch, Blasmusik. Osterhase, Krampus, Schifahren. Großglockner, Griassdi-Schnapserl, Schönbrunn. Die Liste steht für viele ähnlich lautende. Den Villacher Fasching könnte man noch dazunehmen, das Abschießen von Silvesterraketen, die Erinnerung an Cordoba.

Was aber, wenn der nördliche Nachbar daherkommt und das Schnitzel mit Tunke bestellt? Leiten ihn unsere Werte? Was, wenn den Vegetariern unter uns das Gulasch nicht mundet? Was, wenn wir unter Blasmusik eine Big Band verstehen oder eine Mardi-Gras-Kapelle? Was, wenn wir nicht an den Osterhasen glauben? Was, wenn wir mit dem Krampus Schwarze Pädagogik und Kindheits-Traumata verbinden? Was, wenn wir lieber wandern statt schifzufahren und bergzugondeln? Was, wenn wir den Bisamberg lieber haben, als den Glockner? Oder den Mönchsberg. Oder den Ruckerlberg. Oder schlicht den Strand in Caorle. Was, wenn wir Fernet trinken oder Wodka oder lieber gar nichts Alkoholisches? Und Schönbrunn? Kann uns Versailles nicht besser gefallen oder das Castel del Monte? Und was, wenn uns die Cheops-Pyramiden entzücken? Fallen wir dann aus der Leitkultur?

Wären leitkulturell nicht wichtiger die Kenntnis von und das Bekenntnis zu: Frauenrechten, Kinderrechten, Demokratie, Laizismus, Sozialstaat, Antifaschismus, Pluralismus, Wissenschaft, Republik, Gewaltentrennung, Menschenrechten?

Und scheitern an diesem Katalog nicht schon so manche Einheimische?

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 27. April 2024.

Weisse Westen

Wann immer es um österreichische Vorgänge und heimische Sachlagen geht, ist die Verstehenskompetenz des gelernten Österreichers gefragt. Die gelernte Österreicherin ist immer mitgemeint, versteht sie doch auch noch den gelernten Österreicher selbst, den Mann, Vater, Bruder, Chef. Und natürlich den Mitarbeiter.

Im Verständnis der gelernten Österreicher und Österreicherinnen gibt es die hierarchisch-mechanische Zuschreibung derer „da oben“. Die, „die es sich richten können“. Den gelernten Österreicher·innen gelingt das natürlich nicht, sie können es sich eben nicht richten. Für hiesige Verhältnisse ist das unverrückbar wie ein Naturgesetz, mit dem Unterschied, das es kaum Empörung gibt gegen kosmische Konstanten. Gegen die da oben „allerweil“, also kontinuierlich. In Österreichpermanenz.

Nun zielt der Unmut gegen diese Verhältnisse garnicht gegen die Privilegien selbst, sondern gegen das von ihnen Ausgeschlossensein. Gelernte Österreicher·innen werden also daran arbeiten, selbst in den Genuss der Benefizien derer „da oben“ zu gelangen, also dorthin aufzusteigen, wo man „es sich richten“ kann. Sich. Nicht allen. Nicht jeder, nicht jedem. Und möglichen anderen nur, wenn es dem eigenen Vorteil dienlich ist. Bananenrepublikanische Vorgänge im Land der Hämmer, Äcker, Dome sind nur im Wissen um diese Mechanismen verstehbar.

Die Frage, was das mit den Menschen macht, die sich dieser Österreichkonstituente bewusst sind, sollten sich jene stellen, die dieser Frage duch Aufstieg in die Korruptionsetagen erfolgreich entkommen sind. Die da oben. Die es sich richten können. Sich.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 13. April 2024.

Gleicher in Österreich

Mit der Gleichheit hat Österreich Probleme. Der alte Auszählreim „Kaiser, König, Edelmann; Bürger, Bauer, Bettelmann“ beschreibt das soziale Gefälle zwischen den Ständen früherer Zeiten. Gleich war man immer nur untereinander. Und auch das nur eventuell.

Nun sind frühere Zeiten bekanntermaßen abgeschafft, und Kaiser, König, Edelmann keine offiziellen Größen mehr. Als Bezeichnungen für die Mächtigen und Wichtigen sind sie aber weiterhin in Gebrauch. Liftkaiser und Immobilienkönige dirigieren Land und Leute, die Hauptmänner der Bundesländer nennen wir, ganz der Wirklichkeit verpflichtet: Landesfürsten. Parteimächtige firmieren als Magnaten, die Gebiete ihrer Herrschaft heißen Hochburgen. Alles in Österreich ist Audruck hierarchischen Gefälles. Das Geld aber fließt, anders als die Flüsse, hierzulande immer bergauf.

Alles an der Gleichheit, wiewohl schon in der Französischen Revolution neben der Freiheit und der Brüderlichkeit als Forderung erhoben, riecht hierzulande nach Kommunismus und Sozialismus, nach Marx und Manifest, Nach UdSSR und DDR, nach Stalin, Honnecker und Verderben. Am Gleichen sind daher nur die Melancholiker interessiert. Anderes geht es dem Gleicheren. Gleicher sind schon weniger, diese aber besonders. Ihnen fallen die Behörden niemals in den Rücken, stets aber in die Arme. Die Finanz ist mit ihnen auf du, nicht selten auch ganz dulli. Der Boulevard lobt der Gleicheren Tüchtigkeit, die Ungleichen bewundern ihre Chuzpe, ihr Charisma.

Nur das Karma ist von allem unbeindruckt. Mit Langmut ausgestattet, wartet es geduldig auf den Absturz der Gleicheren.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 30. März 2024.

Österreichs wichtigste Instrumente

Das Land und seine Bevölkerung kann in drei Gruppen eingeteilt werden: Diejenigen, die mit Werkzeugen umgehen können, diejenigen, die Musikinstrumente bedienen können, und schließlich all jene, die weder das eine noch das andere beherrschen. Letztere rühmen sich wenigstens, mit Gabel und Messer speisen zu können. Auch das Autofahren ist ihnen in die Wiege gelegt, zumindest glauben sie dies.

Sehen wir uns die Handwerker an. Sie arbeiten auf Goldenem Boden, wir treffen sie alltäglich in den Baumärkten des Landes, wo sie sich mit Werkzeug und Maschinen eindecken, mit Bau- und Bastelmaterial. Die Regalbetreuer in diesen Etablissements gehören nicht zu dieser Kohorte, immerhin beherrschen sie das Handwerk der Dislokation.

Die manuell Unbegabten im Land der Hämmer sind nicht weniger wichtig als die Begabten, ohne sie gäbe es keine Nachfrage, ohne sie keine tropfenden Wasserhähne, keine leckenden Waschmaschinen und kein ausgefallenes WLAN-Netz. Sie sorgen für Konjunktur und Wachstum, gemeinsam mit den Kolleg·innen vom Handwerk versorgen sie die Unfallchirurgie mit Patienten.

Bleiben die Musiker und Musikerinnen. Sie halten Österreich spirituell am Laufen. In Blasmusikkapellen, Orchestern und allerlei krachmachenden Bands organsiert, tragen sie die Last der Zerstreuung. Sie hängen die Geigen in den Himmel, beschallen die Kirtage und Hochzeiten, sie fetzen, trällern und schnulzen was das Zeug hält. Das Zeug sind in aufsteigender Wichtigkeit: Die Blockflöte, die Wandergitarre, und das gelbe Blech, das uns allen den Marsch bläst.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 16. März 2024.

Frühlingsdüfte

Was dürfen wir zu den eindeutigen Gerüchen des Frühlings zählen? Die Experten (also alle Österreicherinnen und Österreicher) sind sich nicht ganz einig. Manche erkennen im Fehlen von Schneeluft erste Boten des kommenden Lenz. Dem widersprechen die Wintersportler. Solange es oben am Berg nach dem Schmieröl der Lift-Motoren riecht und die würzige Hüttenluft nach Zielwasser und dampfenden Anoraks, kann von Frühling keine Rede sein. Unten im Tal taut es längst, wenn denn überhaupt je etwas Abzutauendes gelegen ist. Manche erinnern sich noch an das Wort: Schnee. Junge Menschen haben kaum noch welchen gesehen. Im Tal riecht es nach dem heimeligen Bukett der Transportfahrzeuge. Sie kommen von weither und bringen die bekannten Gerüche: Den ätherische Stingelduft spanischer Cocktailtomaten, die zarte Würzigkeit holländischer Baumarkt-Tulpenzwiebeln und das metallisch-ölige Aroma der Rasenmähergeneration 2024.

Die neueste Frühjahrsmode riecht streng und ungesund nach asiatischen Sweatshops, nach brackiger Containerluft und den leisen Parfums der Zöllner in den Tiefseehäfen. Das knisternd-pelzige Ozon wollen wir nicht vergessen. Es entsteht immer dann, wenn wir schon darauf vergessen haben. Wir kennen es vom Erstanziehen luftiger Kunststoffpullover.

Auch die politische Luft ist voller Frühling. Es riecht nach neuen schlechten Plastikkarten für Ausländer, und guten altem Bargeld für Einheimische. Nach Neuwahlen vor dem Sommer, im Sommer und nach dem Sommer, nach Rechtsruck und Linksgefahr, nach Koalitionsmief und Shitstorm, und hin und wieder auch nach Superkleber und Ungeimpftenschweiß.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 2. März 2024.