Das österreichische Dilemma

„Geld allein macht nicht glücklich“ lautet die Entschuldigungsformel derer, die beides haben. Sie ist all jenen zugedacht, die weder das eine haben, noch das andere sind. Der Sinnspruch wurde vom oberösterreichischen Fernsehmoderator, Selbsthilfemotivator und Texter Josef „Joki“ Kirschner werbetauglich zusammengefasst: „Geld macht glücklich, wemma rechtzeitig drauf schaut, daß mas hat, wemmas braucht.“ Der Satz war von entwaffnender Schlichtheit und entsprach dem Zeitgeist der 80erjahre, jener Epoche, in der alles in die Welt gesetzt wurde, was uns heute Probleme bereitet.

Die legendäre Fernsehsendung „Tritsch Tratsch“, in der Kirschner als Rätselonkel der Nation landesweite Prominenz erfuhr, entzückte das Publikum mit dem sogenannten „Ladlspiel“. In die sechs Laden eines Küchenkästchens waren unsichtbar Preise unterschiedlicher Qualität eingelegt. Vom Hautpreis, einem Brilliantring bis zu wertlosen Petitessen, die sich hinter halblustigen Sprachspielen versteckten. Anrufende und vorgeführte Studiogäste durften einen Tipp abgeben. „Welches Kastl hätten sie gern?“, war dabei Joki Kirschners Standardfrage.

Niemals in der Geschichte der Sendung wagte jemand „das ganze Kastl!“ zu sagen. Das österreichische Glückspublikum war fest im Irren verfangen und setzte auschließlich auf das Dilemma der Einzelladenwahl. „Die Spiele des Lebens: Wer kämpft, hat schon verloren, frei und glücklich aus eigener Kraft“ hieß denn auch einer der Bestseller aus Joki Kirschners Berater-Manufaktur.

Das Dilemma der falschen Wahl zieht sich als vermeintliche Glücksspur durch Österreichs Geschichte.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 4. Jänner 2025.

Stille Nacht

Alle Krippen sind abgestaubt oder fertiggebastelt, die Heilige Familie, Ochs und Esel, Engel und Hirten aufgestellt. Alle Kekse sind gebacken, alle Christbäume besorgt. Die Christkindlmärkte wurden leergekauft, Punsch, Jagatee und Glühwein konsumiert, als gäbe es kein Kopfweh. Die letzten Unzerstörbaren taumeln aus Firmenweihnachtsfeiern und Jahresendsitzungen. Zeitiger noch als das Christkind (oder der profanere Weihnachtsmann) brachten Amazon-Boten und Postler Pakete. Manche sogar zur Tür. Weihnachten kann kommen. KTM-Mopeds werden wenige unter dem Christbaum liegen, auch Kika-Leiner-Küchen werden zum Lichterfest (und auch danach) keine mehr verbaut. Immerhin wurde die abgebrannte Kathedrale Notre Dame de Paris rechtzeitig fertig. Wir sind bescheiden geworden.

Was wünschen sich die Österreicher·innen zu Weihnachten? Weniger vom Alten. Bekommen werden sie mehr vom Gleichen und als Bonus: Ein Sparpaket. Die Autorin dieser Zeilen hat ungachtet dieser Aussichten eine kleine, sehr persönliche Wunschliste zusammengestellt. Wissend, dass die Hoffnung auf Erfüllung gering ist.

Hier sieben Wünsche: 1. Mehr Liebe und weniger Hass. 2. Die Wiedereinführung der Zukunft, 3. Die Umverteilung von Oben nach Unten. 4. Die Trennung von Religion und Staat. 5. Die Trennung von Staat und Bosheit. 6. Ein Musikgedudelverbot in Gaststätten, Geschäftslokalen und Wartesälen. 7. Das Längerwerden der Tage.

Wunsch Nummer Sieben der Liste erfüllt uns der heimatliche Wandelstern ab heute. Zumindest das Licht kommt langsam zurück. Wie gesagt, wir sind bescheiden geworden.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 21. Dezember 2024.

Eine Koaltion malen

Obwohl sie vor kurzem ihr Leuchten und Blinken eingestellt hat, galt die bundesdeutsche Ampel als Sinnbild einer funktionierenden Dreier-Koalition. Ihren Namen bezog sie aus den Parteifarben der beteiligten Akteure: Rot für die Sozialdemokraten, gelb für die liberalen Freien Demokraten, grün für das Bündnis 90/Die Grünen.

Wie antwortet Österreich auf Fehlversuche? Mit eigenen Ideen. Das gerade aus Sondierungsgesprächen ins Stadium der Verhandlungenen übergetretene Projekt einer österreichischen Ampel hängt nicht nur politisch an anderen Pfosten, auch die Farben entsprechen nicht der Straßenverkehrsordnung. Als herausfordernd darf die NEOS-Farbe Magenta/Pink/Rosa begriffen werden. Sie kommt, anders als Schwarz (ÖVP) und Rot (SPÖ) in keiner Nationalflagge vor. Auch andere Farbkombinationen aus der Dingwelt sind rar.

Ungeachtet der Verwirklichungs-Wahrscheinlichkeit einer österreichischen Dreier-Koalition wurden schon Bezeichnungen in Stellung gebracht. Der Kärntner Kopfnüsse-Knacker Christian Nusser schlug Ömpel vor. Aus dem Publikum erwuchsen die Vorschläge Cocktail-, Konfetti-, Punschkrapferl-, Schmetterlings-, Flamingo- und Dirndl-Koalition. Mit der Anzahl der Beteiligten spielten Austria 3, Dreko, Flotter Dreier, und in Anspielung auf die drei Spitzen der Beteiligten, der Vorschlag der Synchronsprecher maschek: Neptun-Koalition.

Das Volk selbst wurde gesamtheitlich noch nicht befragt, unlautere Geheimumfragen aber zeigen Tendenzen zu Süsssauer-Mundgerechtem: Eine knappe Mehrheit spricht sich für „Zuckerl-Koalition“ aus.

Die Zahnärzte warnen.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 7. Dezember 2024.

Österreich – Wo der Schuh drückt

In Österreich wird viel gegangen. Von der Haustüre zum Carport, vom Parkplatz zum Einkaufszentrum, dort dann noch mehr, auf der Suche nach Beratung. Diese geht ebenfalls viel, ja läuft nicht selten, immer auf der Flucht vor lästigen Fragenden. Auch am Amt wird viel gegangen, vor allem in die Irre. Eine täglich gelebte Floskel lautet „Wie geht’s?“. „Gut“ ist die trügerische Antwort, oder besser: „Es geht.“ Vor den Zeiten von MeToo und woken Korrektiven hieß es unter Stammtischsitzern gerne „a bissl was geht immer“.

Wie im Kleinen, so auch im Großen, liegt uns doch das Wandern im Blut. So lange wir kraxeln können, heißt es rauf auf den Berg, rein in die Hütte, runter vom Berg. Bundesheerabsolvent·innen erinnern sich gerne an den Gfechtler, die Gefechtsübung, und das grundwehrdienstliche Geherlebnis des Zigkilometermarsches, der Dislokation mit schwerem und schwerstem Gepäck. Das Schuhwerk für diese Körpererfahrung ist allen Ableistern als „Heeresfeldschuh leicht“ vulgo „Anserbock“ in Erinnerung. Glücklich schätzen sich jene, denen bei der Bekleidungsausgabe ein abgetragenes, weil gut eingegangenes Paar der eleganten Schnürstiefel zugeteilt wurde. Der Preis für die Eleganz eines ungetragenen Paars: Blutblasen und offene Füße, und die Lebenserfahrung vom Marschieren im Schmerz. Das Abenteuer des kilometerlangen Gehens mit Schwerstgepäck bestreitet die österreichische Frau, alleinstehend oder in der Familie, beim Wocheneinkauf mit Kleinkind.

Das Gehen ist den Österreicher·innen eingeschrieben. Der letzte Gang wird übrigens liegend absolviert, schmerzbefreit.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 23. November 2024.

Made Amerika Donald Again

Die Welt, wie wir sie kannten, ist untergegangen, sagen die einen, ganz im Gegenteil, die anderen, alles wird jetzt besser, richtiger, rechter, amerikanischer. Unzählbare Berichte, Analysen, Verstehensversuche zur Wiederwahl Donald Trumps fluten die Medien. Düstere Szenarien eines postdemokratischen Amerikas liegen längst vor. Hunderte Bücher haben Inneres und Äußeres des Mannes mit der seltsamen Frisur und dem orangen Teint beleuchtet. Der Autokrat aus Mar-a-Lago wurde so vehement befürchtet, wie er herbeigesehnt wurde. Wer je in Kentucky, Kansas, South Dakota war, in einem der tiefrepublikanischen Staaten, kann berichten, wie sich ein Trumpsches Amerika anfühlt: Ruhig. Unaufgeregt. Unbeschwert. Die Bierregale sind voll, die Zapfsäulen funktionieren, die Pritschenlaster schnurren. Die Menschen sind glücklich und zufrieden. Geborgen in kontinentalamerikanischer Idylle. Es sei denn, man gehörte einer Minderheit an, wäre ungewollt schwanger oder gerade eingewandert.

Wenn es ein einziges Bild gäbe, in dem sich die Irrationalität der eben geschlagenen Präsidentenwahl zusammenfasste, so jenes der langen Kolonne schmuckloser Pferdewägelchen der Amischen, die mit wehenden Trump-Vance-Flaggen ihr Wahllokal ansteuerten. Donald Trump muss diesen hochreligiösen Menschen, die ohne Medien und Maschinen im vorvergangenen Jahrhundert leben, etwas versprochen haben, was jenseits aller Wahrnehmungen über seinen Lebenswandel liegt. Vielleicht sehnen sich mehr Menschen nach einem absoluten Monarchen, als einer Demokratie lieb sein kann.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 9. November 2024.

Doneald

Diese Zeilen kommen aus der Vergangenheit. [Und sie sind nicht erschienen. Sie wurden] geschrieben eine Woche vor der US-amerikanischen Schicksalswahl. Alles scheint zu diesem Zeitpunkt noch möglich, alles. Alles amerikanische. Der amerikanische Traum ebenso, wie der amerikanische Alptraum. Umfragen und Einschätzungen sehen ein Kopf-an-Kopf-Rennen von Kandidat und Kandidatin, das Wahlvolk hat noch nicht entschieden, die Swing-States noch nicht den endültigen, erwartbar unerwarteten Ausschlag gegeben. Das düstere MAGA-Imperium des abermaligen Donald Trump ist ebenso denkbar, wie sein politisches Gegenteil, Madam President Kamala Harris, die erste Frau an der Spitze der dienstältesten modernen Republik der Welt.

Darf man das überhaupt? Aus der Vergangenheit schreiben? In eine Zukunft, in der möglicherweise alles anders ist, als bisher? Wie liest sich dieser Text, da das Eintretbare eingetreten ist, das Abwendbare abgewendet wurde? Und gibt es dann überhaupt noch einen Blick zurück? In eine Zeit, als Befürchtungen und Hoffnungen einander noch die Waage hielten?

Wie wird die Welt insgesamt aussehen, wenn es MADA heißt, „Made Amerika Donald Again“? Und welchen Seufzer der Erleichterung wird es geben, wenn die Parole „We’re not going back“ eingelöst wurde? Welcher Zoll wird für das eine eingehoben werden? Und welchen Preis das andere haben? Wie werden die Tage, Wochen, Monate nach der Entscheidung verlaufen? Werden Marodierende wieder den Kapitolshügel stürmen?

Der Blick in die Glaskugel ist eingetrübt wie selten zuvor. Auch nach dem 5. November ist alles amerikanische möglich. Weltweit.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 9. November 2024.

Nationalheiligtümer

Ein Staat, der auf sich hält hat Wappen, Fahne und Hymne. Und einen Nationalfeiertag. Die Schweiz erinnert sich an ihrem an den Rütlischwur von 1291, Deutschland an seinem an die Einheit von Wessis und Ossis. In Tschechien wird der Unabhängigkeit (von uns) gedacht, in der Slowakei jener von Tschechien. Ungarn memoriert den Heiligen Stephan, die Revolution und den Volksaufstand, Slowenien feiert die Unabhängkeit von Jugo, Italien die Gründung der Republik, und Liechtenstein stimmt sich national am Tag vor dem Geburstag des 1989 verstorbenen Fürsten Franz Josef II.

Bis in die Blütezeit der Boomer-Generation hatte das moderne Östereich zwar viel zu feiern, viel zu erinnern, aber noch mehr zu vergessen, und vielleicht deshalb keinen Nationalfeiertag. 1965 schickten sich Parlament und Bundesregierung an, einen solchen zu bestimmen. Zur Auswahl standen der 12. November (die Ausrufung der Ersten Republik 1918), der 27. April (die Proklamation über die Selbständigkeit Österreichs durch SPÖ, ÖVP und KPÖ im Jahr 1945), und der 15. Mai (die Unterzeichnung des Staatsvertrags 1955).

Als Kompromiss wurde ein gänzlich anderer Anlass gefunden und in Gesetzesform gegossen. Fortan galt der 26. Oktober als Nationalfeiertag, eingedenk der am 26. Oktober 1955 beschlossenen immerwährenden Neutralität Österreichs.

Im Bewusstsein der Bevölkerung zirkulieren für die Wahl des Datums dennoch andere Anlässe: Der Abzug des letzten Besatzungssoldaten, Legendenkanzler Figls Unterschrift unter den Staatsvertrag, und die Erstausstrahlung der „Zeit im Bild“.

Tu felix Austria.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 26. Oktober 2024.

Die österreichische Aufgabe

„Wir werden uns noch wundern, was alles geht“ lautet einer der zentralen Merksprüche des Landes, geprägt vom freiheitlichen Fastpräsidenten Norbert Hofer. In der Realverfassung Österreichs entspricht jeder Aussage auch sein Gegenteil, im vorliegenden Fall sogar zwei davon: „Wir werden uns noch wundern, was alles nicht geht“, und, vielleicht öfter gültig: „Wir werden uns nicht wundern, was alles geht“. Wunder kommen also und gehen, oder sie kommen nicht und bleiben. Eines dieser Wunder ist gerade passiert, und wir reiben uns gerade noch die Augen. Die einen von uns aus Freude und politischer Trunkenheit, die anderen aus Ernüchterung, aufgewacht in befürchteten Verhältnissen.

Eine Stimme hören wir in solchen Zeiten oft, es ist jene des amtierenden Bundespräsidenten (das Amt ist eines der wenigen, das noch nicht gegendert wurde), begleitet von den Einschätzungen und Bemerkungen emeriterter Vorgänger. Begriffe zirkulieren wieder, die mit den Kompetenzen der höchsten Instanz des Landes verbunden werden – „Sondierungsgespräche“, „Demokratische Spielregeln“, „Tapetentür“, „Vier-Augen-Termin“. Wir sollten uns auch nicht wundern, medial viel Personengeschichtliches aus der Hofburg erinnert zu bekommen – die einsame Gebücktheit des Reitersmannes Kurt Waldheim, die verbitterte Strenge des Erdbergers Thomas Klestil, die Schönwetterlaune von Stehfrisurmodell Heinz Fischer. Der graugrüne Nikotinist Alexander van der Bellen hat realpolitisch überhaupt ein Novum eingeführt: Die Expertenregierung.

Es erwächst die Frage, wieso Regierungen nicht generell mit Experten gebildet werden.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 12. Oktober 2024.

Ideale Kandidatenliste

„Wer die Wahl hat, hat die Qual“, lautet ein altes österreichisches Sprichwort, es wurde längst ersetzt durch die besser passende Erkenntnis „Wer die Wahl hat, hat das Sprichwort“.

So gerne sich die Wahlberechtigten in diesem Land auch in die Befindlichkeit flüchten, Wahlen seien ein unabwendbares Übel, so wenig reflektieren sie, dass Wahlen hierzulande nicht zur Tradition gehören. In den Wertelisten kommen Lederhose und Dirndl vor, das Christkind und der Osterhase, das Schnitzel und der Kaiserschmarrn, nicht jedoch die Wahlurne und die Gewaltentrennung.

Die zivilisatorische Decke der Demokratie ist dünn, die Älteren unter uns sind noch in Diktaturen aufgewachsen, nicht wenige der Zugezogenen kommen aus solchen, und eine vom Bösen erigierte Gruppe Junger und Altjunger sehnt den „Starken Mann“ herbei. Kommentatoren und Analyse-Gschaftlhuber mahnen Leadership ein, Aufräumerqualität, Durchsetzungskraft. Meist bei denen, deren Schwäche sie fahrlässig herbeigeplaudert haben. In Debatten dominiert der laute Ton und das Sprechdauerfeuer über das Argument und die Sachkenntnis. Aggression wird mit Souveränität verwechselt, Phrasengedresche mit Professionalität, Politik mit Sport. Der Sieger darf alles. Der Zwischenzeitsieger auch schon.

Wie sagte der tiefrote Langzeitbürgermeister Wiens, der gelernte Niederösterreicher Michael Häupl, einst? „Wahlkampf ist eine Zeit fokussierter Unintelligenz.“ Mittlerweile gilt:

Wahlkampf ist eine Zeit unfokussierter Unintelligenz.

Und ab Montag heißt es: Nach dem Wahltag ist vor dem Wahltag.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 28. September 2024.

Farben des Herbstes

Grundsätzlich wäre ja alles in Österreich rotweißrot tingiert. Automatisch. Austromatisch. In der Nationalkombination, bekanntermaßen (wenn auch historisch nicht gesichert) in einer Kreuzfahrer-Schlacht entstanden. Gäbe es nicht noch das eigenbrötlerische, nicht auf der Klachlsuppe dahergeschwommene Steirergrün. Die Flaggenfarben der restlichen Bundesländer sind mythentechnisch kaum aufgeladen, gelb kommt noch vor, in Niederösterreich gemeinsam mit tiefem Blau. Das wars. Die politischen Parteien orientieren sich heraldisch international. Der Ausreißer Türkis ist mittlerweile fast vergessen. Hin und wieder taucht es auf historischen Schnappschüssen der Fußballnationalmannschaft auf. Türkis-Schwarz seien die Komplementärfarben von Rot-Weiß, hieß es damals sardonisch. Der Nachweis ließ sich groteskerweise sogar erbringen.

Wie auch immer, der österreichische Herbst prunkt mit eigenem Farbenspiel. Dem leuchtenden Backenrot der Erstklässler·innen, dem Orange-Grün des letzten Freibad-Twinnis, dem Azur der klaren Herbsthimmel, und bald aktuell: Dem unscheinbaren Grau der Wahlurnen. Dem stillen Dunkelblau der Kugelschreiberkappen, mit denen wir die Wahlzettel ausfüllen, intim beschattet vom stumpfen Braun der Wahlkabinenwände. Sie gehören zum Farb-Inventar des österreichischen Herbstes. Ihre Aktualität endet mit den wachsenden Säulen der ersten Hochrechnung und den blassen (oder geröteten) Gesichtern der politischen Akteure.

Der Herbst ist ein Maler, sagen die Dichter. Malerinnen und Dichterinnen schweigen.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 14. September 2024.

Sportarten für den Herbst

Österreich ist eine Sportnation. Im Schifahren sind wir die Größten (ab und an gestört durch respektlose Schweizer, Norweger, Amerikaner und Schneeblinde). Jochen Rindt, Niki Lauda und der Hättiwari Berger haben sich und uns in die Geschichtsbücher der Formel Eins geschrieben. Auch wenn es um die österreichische Kreisfahrt momentan still geworden ist: Am Bullensprudelring kommt kein benzinbegeisterter Sportenthusiast vorbei. Und vergessen wir nicht: Ein Hiesiger wurde Mister des Universums, Terminator, Governator gar. Und erst jüngst promovierten wir am europäischen Rasen. Der fußballerischen Gruppenphasenkompetenz der Ralf-Rangnick-Truppe wird man noch in Jahrzehnten in Ehrfurcht gedenken. Wie man es dreht und wendet: Auf den Wettkampfstätten der Welt sind Österreicher zuhause. Österreicherinnen sind seit Annemarie Moser-Pröll immer mitgemeint.

Auch der kleine Mann und die kleine Frau beteiligen sich aktiv am Sportgeschehen, kicken auf der Liegewiese, kraulen durchs Freibad, walken nordic, biken electric. Ganz unter uns sind wir ab dem Spätherbst. Sobald die Raupen den Altschnee zu weißen Bändern zusammengeschoben haben, begeben wir uns in die Schranzhocke, um das zu tun, was wir am besten können. Verdammt schnell zu sein. Und wenn nicht schnell, dann zumindest verdammt. Dann sitzt uns Armin Assinger im Ohr, warnt vor der Mausfalle, tschindert mit uns in den Steilhang, hört die Komantschen an der Hausbergkante pfeifen, und die Kuhglocken in der Querfahrt. Mit brennenden Schenkeln staucht es uns in die Kompression, bis wir Abheben im seligmachenden Zielsprung.

Alles von der Couch aus.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 31. August 2024.

Sommerloch 2024

Österreichs Herzensnachbar ist Italien, das Land in dem die Zitronen blühen, das Land, in dem die Pizzaöfen glühen. Der Herzensnachbar hat alles, was Österreich hat, dazu noch Vulkane, Venedig, den Papst und das Meer. Und dann hat Italien noch ein Alleinstellungsmerkmal. Die nationale Feiertagszeit. Sie ist wichtiger als Weihnachten, Ostern und der Geburtstag von Diego Maradona, schöner als die Sixtinische Kapelle, lebendiger als ein gutgepflegter Ferrari-Motor. Wir sprechen von Ferragosto (von lateinisch „feriae Augusti“, Festtage des Augustus).

Im Einklang mit den Bedürfnissen der katholische Kirche fällt Ferragosto mit Mariä Himmelfahrt zusammen. Der 15. August gilt in Italien als der heißeste Tag des Jahres, und ohne jede astronomische Koinzidenz als Höhepunkt des Sommers. An Ferragosto gehört Italien den Italienern und sonst niemand. Wer im Süden lebt, fährt in den Norden, wer im Norden lebt, in den Süden. Wer in den Bergen lebt, rast ans Meer, wer am Meer lebt, in die Berge. Landeier stürmen die Städte, die Städter die Provinz. Es wird gebadet und geruht, gefeiert und gespeist, gesungen und getanzt, bis der Dottore kommt. Oder nein, der Dottore kommt nicht, denn zu Ferragosto liegt er selbst am Strand. Das Fest der Feste, die Zeit der Zeiten dauert natürlich nicht diesen einen, Marien geheiligten Tag, dazu ist der Sog des Festes zu groß. Ferragosto dauert länger. Vorher und nachher, eine Woche, zehn Tage, zwei Wochen.

Österreich sollte es den Italienern nachmachen und Ferragosto einführen. Im Gegenzug könnten wir den Amerikanern Halloween zurückgeben.

Und den Briten das Sommerloch.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 17. August 2024.