Neue Rollen

Wie so oft war früher alles besser. Die Guten waren die Guten, die Bösen waren die Bösen. Die Guten waren immer wir, die Bösen immer die anderen. Seit Jahrtausenden ließen sich so die Sympathien lenken. Auch und besonders im Kriegsfall. Die Devise lautete: Hoch die Unsrigen, nieder mit den Anderen! Bis der Fußball in die Welt kam, und mit ihm die Erkenntnis, dass die Guten nicht immer die Unsrigen sind und die Schlechten nicht immer verlieren. Das hat viel Unruhe in den Köpfen der Menschen erzeugt. Besonders in denen der Österreicher (die Österreicherin ist marginal mitgedacht). Wenn die Unsrigen nicht mehr automatisch die Guten, und die anderen nicht automatisch die Schlechten waren, war vielleicht jemand anderer schuld. Der Schiedsrichter! Die Outwachler! Der Rasen, das Wetter, die Losfee, die unzuverlässige Person!

All das muss bedacht werden, will man die Gesellschaft und Ihre Präferenzen in politischen Auseinandersetzungen verstehen. Insbesondere dann, wenn es um die Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mittel geht, um den Krieg nämlich. Die jüngsten Anlassfälle martialischer Schrecklichkeiten verstören zutiefst. Wer sind die Guten und wer die Bösen? Darf man die, die zu den Bösen halten, ebenfalls als Böse bezeichnen? Und was, wenn die Falschen zu den Richtigen halten und die Richigen zu den Falschen? Wo beschweren wir uns dann? Und was, wenn mehr Schiedsrichter übers Feld der Auseinandersetzung laufen, als Mannschaften? Und was, wenn auch Frauen und Kinder, Alte und Kranke am Spielfeld stehen?

Unlösbare Fragen. Österreichische geradezu.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 8. Dezember 2023.

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Advent 2023

Dezember, die Zeit der Jahresendbeleuchtung. Das wiederkehrende Aufhellungs-Projekt beginnt mit dem Entzünden von Kerze Eins auf dem Adventgebinde. Es ergibt sich der Gleichzeitigkeit von zwei einandern entgegenlaufenden Ideen: Hie der Plan, den Dämonen der Finsternis mit ausufernder, weil künstlicher Helligkeit entgegenzutreten – da das Konzept, dabei größtmögliche Mäßigung walten zu lassen. Zusammen münden beide Strategien in der finalen Vollbeleuchtung des Weihnachtsbaumes.

Numerische Probleme sind zu meistern. 24 Kerzen (wie die Türchen beim Adventkalender) wären kalendarisch elegant, liefe dem nicht die Erkenntnis entgegen, dass vier Wochen eigentlich 28 Tage ergeben. Der Spargedanke, stabiles Fundament heimischer Befindlichkeit mahnt zum Kompromiss. Statt 24 oder 28 werden nur vier Kerzen entzündet. Jeden Sonntag eine mehr. Weil dabei zu beachten gilt, dass Nr. 1 viermal so oft brennt wie Nr. 4, will das adventsonntägliche Entzündungsprogramm klug beschränkt sein. Am letzten Sonntag angekommen sollen noch alle Kerzen illuminabel sein.

Der österreichische Adventskranz soll Torusform haben, wie die Mathematiker sagen – bagelhaft sein, übersetzen die Bäcker. Kerzenzahl und deren Farbwahl folgen klerikalen Überlegungen. Drei violette und eine rosa Kerze am Idealkranz spiegeln die liturgischen Farben der katholischen Welt wider – Violett steht für Besinnung und Buße am ersten, zweiten und vierten Sonntag, Rosa für die Vorfreude auf das nahende Weihnachtsfest am dritten Advent.

Ästhetische Fragen lösen sich indes ungefragt. Im Ringen um Stil gewinnt immer das Österreichische. Die Eleganz ergibt sich.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 2. Dezember 2023.

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Fahnen, die noch Respekt genießen

Als Mutter aller modernen Fahnen gilt die Tricolore, die Dreifärbige, die Flagge Frankreichs. Die Wimpelkundler sehen in ihren Farben eine revolutionäre Kombination des Rots und Blaus der Stadt Paris, und dem Weiß des Königs. Andere wieder deuten das Rot als jenes der Oriflamme, des Banners Karls des Großen. Blau sei die Farbe des Mantels des Heiligen Martin, und Weiß die des Federbuschs am Helm des französischen Königs Heinrich IV. Wir sehen es ist kompliziert.

Die Wettitante aller Banner ist die rotweißrote Fahne Österreichs, folkloristisch, wenn auch geschichtlich diffus gedeutet als der blutgetränkte Kreuzfahrer-Waffenrock des Babenbergerherzogs Leopold V. des Tugenhaften. Der weiße Mittelstreifen sei jener Bereich gewesen, der nach Abnehmen des Schwertgurtes nach der Belagerung von Akkon weiß geblieben sei. Auch im friedliebenden Österreich sind die Fahnenfarben also tief im Martialischen verwurzelt.

Als größte Schmach empfanden es seit jeher Militärs, wenn sie der Fahne verlustig gingen, weil sie der Feind erobert, entführt, und damit entwürdigt hatte. Ohne Fahne war der Krieger orientierungslos. Worunter sollte man sich versammeln?

Enorme symbolische Energie wurde und wird in das Hochhalten der eigenen und das Entwürdigen und Schänden der fremden Flagge investiert. Der Schrecken, den Fahnenmeere verursachen, ist von den Schlachtfedern in die öffentliche Arena getragen worden. Kein Fußballmatch ohne Teamfarben. Keine Demo ohne Flaggenparade. Kein politischer Auftritt ohne den Nationalbannerwald.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 25. November 2023.

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Das österreichische Ohr

„Wer nicht hören will, muss fühlen“, lautete ein Merkspruch aus der Zeit der dunklen Pädagogik. Mit „Gefühl“ war jene Erziehungsmaßnahme gemeint, die heute noch als „Watsche“ bekannt ist. Sie habe noch niemand geschadet, behaupten die Fans der Ohrfeige, weswegen sie auch als „gesunde Watsche“ firmiert. Diese Epoche befindet sich in Erosion, statt der körperlichen Gewalt, dem physischen Angriff auf das Ohr, gibt es den akustischen. Kaufhausgedudel, Liftmusik, Handygeklingel und das öffentliche Telefonieren fluten unsere Gehörgänge. Unablässig, unausweichlich. Die österreichische Seele antwortet mit dämpfenden Maßnahmen – Alkohol und Tabletten, und dem Gang in den Wald. Dort kreischt nur das Fichtenmoped. 

Du bist was du hörst, sagt die Philosophie. Demnach sind wir Helene Fischer, Andreas Gabalier, die Zwei Amigos und am Jahresende sind wir „Last Christmas“. Wo auch immer wir hingehen, Musikbeschallung ist schon dort. Es wurde gesagt, das steigere die Kauflust, verstärke das gastronomische Erlebnis, helfe beim Muskelaufbau, und im Stall, wo man den Kühen Mozarts Sonate in D-Dur für zwei Klaviere empfiehlt, schieße mehr Milch in die Euter. Symphonisches macht Babys intelligenter und auch der Wein profitiert. Heimische Winzer·innen beschallen ihre Weingärten, um Schädlinge abzuwehren, andere setzen die Fässer den Klassikklängen aus, um den Geschmack zu verbessern. Der Zweigelt hört gerne Rachmaninov, sagen sie, der Zierfandler Ravel.

Wer Ruhe sucht, findet sie in der Schwerhörigkeit. Lange Zeit als Alterserscheinung missverstanden, hilft sie nun schon Jungen. Zwei Saisonen Techno genügen.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 18. November 2023.

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Soziale Medien

In einer Zeit vor dieser, nennen wir sie die Gutenbergzeit, war das X noch ein X und das U noch ein U. Neuigkeiten, Vorgefallenes, im allgemeinen „Nachrichten“ genannt, kamen per Post oder wurden im Wirtshaus verbreitet. Im Zuge der ökonomischen Verwertbarkeit dieser Vorgänge entstand das Medium „Zeitung“. Nachrichten wurden gesammelt, redaktionell betreut, gesetzt, gedruckt, verkauft. Der Leser (die Leserin) als passive Instanz trat in die Welt. Die Reflektion über Neuigkeiten, Vorgefallenes, über das, „was in der Zeitung steht“ fand weiterhin im Wirtshaus statt. Das nachgeschaltete Diskursmedium „Stammtisch“ entstand, und mit ihm der Begriff „Meinung“. Die Summe aller Befindlichkeiten zu Gedrucktem und Dazugesagtem nannte man „öffentliche Meinung“. Als Medium innerhalb des Mediums fand sie Eingang in die Veröffentlichung. Wut, Sorge, Widerspruch, aber auch Lob und Anerkennung wurden im Genre des „Leserbriefs“ kanalisiert. Ein Format, das auch einen neuen Autorentypus etablierte, den des „Leserbriefschreibers“. Viele dieser Privatkolumnisten existierten tatächlich, einige wurden erfunden. Ihre Befindlichkeiten wurden im Sinne der Blattlinie sorgsam moderiert. Da war das X noch ein X und das U noch ein U.

Das digitale Zeitalter hat diese Zusammenhänge verkehrt. Die Glücksritter der neuen Medien erkannten sehr schnell: Der Leserbriefscheiber ist unser Mann (und unsere Frau)! Jeder muss schreiben. Jeder muss lesen. Sofort und immer. U wie Umsicht, Urteilsvermögen, Untadeligkeit wurden abgeschafft. Das X blieb.

X wie Elon Musk.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 11. November 2023.

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Nationalgetränke

Eine luzide Anekdote handelt, wie so oft, vom großen Österreichversteher Helmut Qualtinger. Sie wird auch von Berichterstattern bezeugt, die Qualtinger garnicht gekannt haben. „A Achtel“, wird Qualtinger bei der Bestellung in einem Lokal zitiert. „Rot oder Weiß“, fragt der Wirt nach. „Seit wann gibt’s an roten Sliwowitz?“ quittiert der Besteller trocken. Die Zitatforschung kennt den Kurzdialog auch aus einer Szene im deutschen Kriminalfilm „Kurzer Prozeß“, 1967 von Michael Kehlmann in München uraufgeführt. Hier bestellt Qualtingers Figur Oberinspektor Pokorny die Nachfülldosis im Provinzwirtshaus noch knapper: „A Achtel!“ „Rot oder weiß?“, will der Schankbeamte wissen. „Sliwowitz“ sagt der Inspektor.

Wie jeder gute Witz arbeitet auch der Sliwowitzwitz nicht mit Übertreibung, sondern mit Präzision. Auf den ersten Blick scheint die Tugend der Genauigkeit mit dem Talentesortiment der Österreicher nicht in Einklang zu bringen. Aber das täuscht. Der Österreicher (die Österreicherin ist stets mitgemeint) spricht stets wahr aus seinem (ihrem) Munde. Stets entfährt dem Kommunikationsorgan, was die Mitteilungsperson gerade denkt. Die Lüge, die Überhöhung, die kalmierende Beschwichtigung gelingt niemals. Die Menschen des Landes (und in gesteigertem Ausmaß die politischen Akteure) sind beredte Zeugen für diese Unfähigeit. Egal, was sie sagen, man weiß immer, was sie meinen. Und stets, wieviel sie schon intus haben.

Der Schankwirt aus dem Eingangswitz kann die Rot-Weiß-Frage also nur rhetorisch gemeint haben.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 4. November 2023.

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Freunde

In den späten Sechzigerjahren, als die Vorabende und Abende noch von den Erzählgiganten Kino und Fernsehen regiert wurden, schenkte uns der große Österreichversteher H.C. Artmann ein paar luzide Kindergedichte.

Eines ging so:

batman und robin
die liegen im bett,
batman ist garstig
und robin ist nett
batman tatüü
und robin tataa,
raus aus den federn
der morgen ist da!

Die nur scheinbar so harmlosen Verse referierten auf das „Dynamische Duo“ Batman und Robin, eine Privat-Detektei aus ältlichem Fledermaus-Held und naseweisem Jung-Assi. Die beiden überkostümierten Filmtrickhelden hatten sich gerade angeschickt, die Leinwände und Bildschirme mit selbstironischen Comic-Verfilmungen zu erobern.

Die Zeit war reif für Zusammenarbeit. Nach einer langen Reihe von Einzelherrschern hatte sich das Land am Strome dem Thema „Duo“ ergeben. Figl und Raab regierten das Land, Batman und Robin jagten Bösewichte. Das Feld der Doppelconférence hatten Winnteou und Old Shatterhand, Kasperl und Pezi, Farkas und Waldbrunn schon gründlich bestellt.

Das Genre des „Dynamischen Duos“ verlor mit den Alleinregierungen Klaus und Kreisky an Momentum, in den Großen Koalitionen kränkelte und stolperte es. Es kehrte im offenen blauen Porsche, von rechts einbiegend, fulminant wieder, pilotiert von Jörg Haider, beigefahren von „Wem, wenn nicht ihm“, Wolfgang Schüssel. Die Doppel Kern-Mitterlehner, Kurz-Strache und aktuell Nehammer-Kogler kamen und kommen ohne Bat-Mobil aus. Als Bat-Höhlen aber dienen Burger-Filialen, Vinotheken und Nobel-Heurige.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 28. Oktober 2023.

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Alte und neue Monster

Eine wenig bekannte aber erfolgreiche Therapie zur Bewältigung von Alpträumen ist das luzide Träumen. Anders als beim normalen Träumen ist dabei den Träumenden bewusst, dass sie träumen. Die Technik kann erlernt werden und erlaubt es, die Regie im eigenen Traumerleben zu übernehmen. Allerlei Wundersames und geradezu Traumhaftes kann dabei gestalterisch erlebt werden. Im Therapiefalle nützen die Träumenden das luzide Träumen dazu, in einen Dialog mit dem Monster, dem häufigsten Protagonisten alptraumhafter und nächtlich wiederkehrender Situationen zu treten. Eine Frage muss dabei gestellt werden, um das furchtbare Traumgeschehen anzuhalten und ein Gespräch zu beginnen. „Wer bist Du? ist die Zauberfrage. Der Tiger, der Werwolf, das Gespenst hält dann verlässlich inne und lässt die dahinterliegende Figur aus Realität oder Lebensgeschichte frei. „Ich bin dein Vater“ sagt dann der Tiger, „ich bin deine boshafte Nachbarin“ das fürchterliche Gespenst, „ich bin dein schlechtes Gewissen“ der zähnefletschende Werwolf. Sobald geredet wird im luziden Traum, kann der auslösende Konflikt besprochen und im besten Fall gelöst werden. Der Alpdruck bleibt hinkünftig fern.

Österreich befindet sich in luzider Permanenz. Alptraumhaftes geschieht am hellichten Tage, oft ins Groteske verschoben. Die Wer-bist-Du-Frage lautet in Österreich stets „Wer war das?“ Es antworten scheinbar Unbeteiligte: „Das Excel-Programm war es“, „die Outlook-App“, „die depperten Eigenen“, „die hinterhältigen Anderen“ und im Unbeantwortungsfalle wird der gute Herr Silberstein bemüht.

Die Traumata bleiben dabei stets ungelöst.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 21. Oktober 2023.

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Das österreichische Auge

„Ich seh’ etwas, was du nicht siehst“ ist ein beliebtes österreichisches Kinderspiel. Es kann jederzeit und überall gespielt werden, das Spielfeld ist die sichtbare Umgebung, als Figuren braucht es nur die sehende Person und die ratende. Das Spiel wird verfeinert durch Hinweise auf die Qualität des zu Findenden. Diese werden durch geschickte Verrätselung ins gerade noch Erratbare entrückt. Der Spaß wechselt sich ab. Nach Problemlösung (oder auch nach Versagen) wechselt die Perspektive, der, die andere ist dran.

Das Spiel hat sich tief in den österreichischen Alltag gestülpt, die politische und mediale Bühne dominiert es wegen seiner Beliebtheit und der weit verbreiteten Kenntnis seiner wenigen Regeln sowieso. Dauernd sieht jemand, was wer anderer nicht sieht. Im (trügerischen) Wissen, dass das Spiel und seine Funktion als gesellschaftlicher Kitt nur funktioniert, wenn es das Gesehene auch wirklich gibt, genügt der Zuruf, die Frage, die Erörterung. Der Unredlichkeit von Falschspielern ist Tor und Tür geöffnet, obliegt doch die Auflösung bis an die Grenzen der Verzweiflung den Rätselnden. Im Falle des Öffentlich-Medialen führt das zum ständig schwebenden Gefühl, der Wirklichkeit zu entgleiten. Die österreichische Seele antwortet mit der Maske der Gelassenheit. Dahinter verstecken sich Angst, Unsicherheit, und die berechtigte Ahnung, der Angeschmierte, der Depp, der Blöde zu sein (Frauen sind wie immer mitgemeint).

Eine Version für österreichkundlich Fortgeschrittene gibt es auch: „Ich spiele etwas, was du nicht spielst, und das ist…“

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 14. Oktober 2023.

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Österreichs Tierwelt

Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist das beliebtes Tier im Land? Die Katze? Der Hund? Der Hamster? Weit gefehlt, antwortet der Spiegel (und blättert in der Statistik). Die Katze ist das schönste Tier, der Hund das treueste und der Hamster hat die größten Backen. Aber zwischen den siebentausend Bergen, in den 70.000 Ställen lebt das beliebteste Tier. Es ist Sus scrofa domesticus, das Schwein. Und 2,65 Millionen weitere von seiner Art.

Und die edlen Tiere mit den samtenen Pfoten? Die schnurrenden Miezen, die vielgeliebten Stubentiger? Über 2 Millionen der prätentiösen Kaltnasen leben in Österreich. Aber jetzt kommen die Hunde! Nein die kommen jetzt nicht, auch wenn wir sie schon bellen hören, knurren und fiepen, denn zahlenmäßig unterliegen sie den Rindern. 1,86 Millionen von ihnen hält das Land. Sie speisen den Milchsee, den Butterberg und alle von ihnen produzieren Treibhausgase.

Erst jetzt läuft der beste Freund des Menschen ein, der Haushund in all seinen Formen und Größen, vom Handtaschenstruppi bis zur galoppierenden Riesendogge, vom räudigen Kettenhund bis zum shamponierten Königspudel. Eine Dreiviertelmillion Wolfsabkömmlinge nennt die Statistik. Da können Kleinsäuger wie Goldhamster, Kaninchen und Meerschweinchen (500.000) nicht mithalten, auch die 400.000 österreichischen Schafe nicht, nicht die 300.000 Aquarienfische, und die 200.000 Ziervögel. Noch weiter abgeschlagen fristen Ziegen und Reptilien ihr seltenes Haustierleben. Dankenswerterweise nicht gemeinsam.

Alles falsch, sagen die Seelenversteher: Das weitaus häufigste österreichische Nutztier ist der Innere Schweinehund.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 7. Oktober 2023.

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Was erhoffen sich Herr und Frau Österreicher vom Herbst

„Die Hoffnung stirbt zuletzt“, sagen die Optimisten. „Aber sie stirbt“, antworten die Österreicher (die Österreicherinnen sind auch da mitgemeint). Diese Befindlichkeit antwortet auf die Erkenntnis, dass sich (zumindest hierzulande) stets die falschen Hoffnungen erfüllen, oder, was noch mehr schmerzt, die Hoffnungen der Falschen. Fragen wir die Philosophen, in Österreich sind das die Zauberer am grünen Rasen, die Fußballer, mit ihrem unerschöpflichen Reservoir an Alltagsweisheit. „Aufgem wiad a Briaf“, (aufgegeben wird ein Brief), wissen sie und damit haben sie recht. Dass der Brief nicht immer ankommt, wissen sie auch, ist doch die Philosophie das Jonglieren mit Metaphern.

Wohin also mit dem Sehnen und Wünschen? Dem Salzamt mitteilen, sagen die Ordnungsliebenden, der Jetti-Tant erzählen, sagen die Dialogorientierten, in ein Sackerl reden und vor die Tür stellen, die Praktiker. Vorlaute würde jetzt wissen wollen: Vor welche Tür, die eigene oder die des Bestellers?

„One Man’s Ceiling Is Another Man’s Floor“ (des einen Plafond ist des anderen Fußboden), sang einst der US-amerikanische Liedermacher Paul Simon und brachte damit die Sache auf den Punkt. Positionen und Standpunkte sind nicht verhandelbar, Blickrichtungen nicht austauschbar, Meinungen führen niemals zu Einigungen. Man hüte sich auch vor dem Zuruf Außenstehender, gilt doch die Zueignung „Mögen alle deine Träume in Erfüllung gehen“ nicht nur als wohlmeinender Wunsch, sondern auch als böser Fluch.

Was also erhoffen?

Natürlich das Österreichische: Nichts.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 30. September 2023.

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Europa aus österreichischer Sicht

„Heiß umfehdet, wild umstritten, liegst dem Erdteil du inmitten“, singen wir in der zweiten Strophe der österreichischen Bundeshymne. Erdteil. Nicht Kontinent, nicht Europa. Das Wort für unsere Weltgegend kommt im Hauptlied der Republik namentlich nicht vor. Berge, Strom und Äcker. Dome. Kein Europa.

Gesänge schaffen Bewußtsein, sagt die Sprachwissenschaft, und sie weiß: Was nicht besungen wird, ist nicht wichtig. „Heiß bekämpft, sehr umstritten, liegst Europa du inmitten“ wäre eine ehrliche Textzeile gewesen, aber Hymnen sind nicht ehrlich, Hymnen sollen dem Besteller gefallen, im Österreichfall war das der damalige Unterrichtsminister Felix Hurdes, dem Vernehmen nach ein heftiger Verehrer der Hymnendichterin Paula Preradović.

Am 1. Jänner 1995 trat das Land der Berge dem Erdteil bei. Ein Schritt den emotionell nicht alle mitgingen, bedeutete er doch die Auslagerung wesentlicher Belange nach Brüssel. Belange aber waren schon in Wien nicht gut aufgehoben, fanden die Kritiker, für Belange ist ein Landeshaupmann zuständig, eigentlich aber der wirkliche Herrscher im Gai, der Bürgermeister. Er kenne die Scholle, den Acker, den Zubringer, den Kreisverkehr, er ist für den Erdteil zuständig. Nicht die Bürokraten in austernschlürfenden Brüssel.

Kommissar darf Österreich nur einen entsenden, Abgeordnete zum EU-Parlament nur 19. Jeder mittlere Gemeindrat hat mehr Mandatare. Es wundert daher kaum, dass Österreichs politische Karrieren kaum nach Europa führen.

Stell Dir vor, es ist Europa und keiner geht hin. Das ist so schade wie traditionell.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 23. September 2023.

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