Electric Silence

Filmscore, 1991.

1991, an einem einsamen Sommersonntagnachmittag habe ich in einem Hinterhof-Studio in der Wiener Haydngasse ein paar Nummern aufgenommen: Den Soundtrack zu meiner Kurzfilmserie Around The World in Eighty Days (In Achtzig Tagen um die Welt) – mit dem grandiosen Rainer Egger als Steinyo Pichler. Der Originalmix ist verschollen, die Achtspur-Bänder liegen bei Christian Fennesz, aber vorige Woche (im Spätnovember 2007) habe ich in einem Übersiedlungskarton eine Musicasette gefunden, auf der eines dieser verschollenen Stücke aufgenommen war. Jimmy Hennrich hat mir das eiernde, auf halber Geschwindigkeit laufende und stellenweise schon demagnetisierte Band digitalisiert. Electric Silence ist die Filmmusik zum Zweiminüter Nach Attnang. Sämtliche Gitarren sind von mir gespielt, idem das Sample – John Bonhams Intro zu When The Levee Breaks. Unter den Gitarren liegt ein düsterer Layer, den ich auf Carlo Pelikans EMU-Keyboard gespielt habe. Der Pelikanole hat die Nummer auch gemischt. Die Slide-Gitarre ist eine blonde 58er Gibson 350 TD. Drüber liegt eine angezerrte Ibanez Artist. Both guitars are gone with the wind.

 

Blue Moon

Ein Gespräch mit Andrea Dusl, Wiener Zeitung, 22. Nov. 1996

Das Café Lapinski in der Wiener Marc-Aurel-Straße atmet den Charme von Bars in Brüssel, Paris oder Stockholm. Andrea Dusl hat größere Augenringe als andere Mitdreißigerinnen. Noch dunkler als diese Spuren der letzten Nacht ist nur ihre St. Petersburger Kapitänsjacke. Im Café Lapinski ist es nicht kalt, dennoch hat Dusl den Kragen hochgestellt.

Auf ihre Empfehlung löffeln wir Muligatawny, eine indische Suppe, die Dusl zur Geschmacksverstärkung mit einer unglaublichen Dosis von Chillipaste verschärft.

„Wiener Zeitung“: Sie schreiben, zeichnen, lomografieren, jerzt machen sie Film, was sind sie eigentlich, Journalistin, Illustratorin, Lomografin oder Filmemacherin?

Andrea Dusl: Ich weiß es selbst nicht. Es hat sich einfach ergeben. Das eine hat sich aus dem anderen ergeben. Um ein Sprichwort abzuwandeln – ich tanze nicht auf vielen Kirtagen, es ist eigentlich alles ein einziger Kirtag.

„W.Z.“: „Blue Moon, die Abenteuer von Steinyo Pichler“ ist einer von elf Filmen, die Michael Glawogger in seinem Film „Kino im Kopf“ porträtiert. War das ihre erste cinematografische Arbeit?

Andrea Dusl: Eigentlich nicht. Die Geschichte hat vor einigen Jahren mit einer Fotografie begonnen. Rainer Egger und ich sind zum Pferderennen gegangen. Ich habe mit einer alten Canon und einem ganz langsamen Schwarzweiß-Diamaterial fotografiert. Eines dieser Bilder (siehe großes Bild oben) hat in mir eine Flut von Geschichten ausgelöst. Das sollte mein Held sein, der Mann auf dem Foto, der über die Schulter zur Seite sieht. Also sind Rainer und ich am nächsten Wochenende in die Slowakei gefahren, um Geschichten für diesen Mann zu finden. Aus den Erlebnissen, die wir dort hatten, hat sich die Geschichte für einen Film herausgelöst. Ich habe zunächst kurze Szenen geschrieben, zweiminütige Episoden, so eine Art filmischer Schnappschüsse schwebte mir da vor.

„W.Z.“: Haben Sie versucht, diese Skizzen zur Förderung einzureichen?

Andrea Dusl: Zwei von ihnen. Ich nannte das Ding „In 80 Tagen um die Welt, Tag 1 und Tag 2″. Die Stadt Wien stellte mir 20.000 Schilling zur Verfügung. Das Material schenkte mir Michael Synek, zwei Rollen 35 mm, schwarzweiß. Mein Compañero Peter Zeitlinger, der beste Kameramann, den ich kenne, lieh sich eine alte Wochenschau-Arri. Wir fuhren los, ein kleines Team von professionellen Filmmenschen und ich. Wir drehten vier Minuten Spielfilm.

„W. Z.“. Wie ging’s dann weiter?

Andrea Dusl: Peter Zeitlinger und ich haben das Material in einem obskuren Hinterzimmer in fünf langen Nächten geschnitten, vertont und um – für meine damaligen Verhältnisse – ungeheuer viel Geld kopieren lassen. Mit diesen zwei kleinen Filmen habe ich dann Subventionen für vier weitere Episoden aufstellen können.

„W. Z.“: Sind das die Szenen, die in „Kino im Kopf“ zu sehen sind?

Andrea Dusl: Nein. Aus diesen zwölf Minuten Film hat sich erst die Idee zum Roadmovie „Blue Moon“ entwickelt. Die Geschichte einer Odyssee in den Osten, der Sehnsucht nach Frauen, nach dem Meer. Ich bin mit meinem Hauptdarsteller nach Polen, in die Slowakei und die Ukraine gefahren. Dort hat sich unsere Geschichte erst geschrieben. Dieses Drehbuch gibt es, das wollen wir verfilmen.

„W. Z.“. Wurden die Szenen für „Kino im Kopf“ extra gedreht?

Andrea Dusl: Ich habe drei exemplarische Szenen aus meinem Buch ausgewählt und umgeschrieben, damit sie, auch aus dem Zusammenhang gerissen, ihre Geschichte erzählen können. Leider sieht man in „Kino im Kopf“ nicht mehr viel davon. Die Stimmung, das Spiel, der Rhythmus unserer Arbeit ging in der Montage verloren. Wir haben unsere Geschichte nicht wiedererkannt.

„W.Z.“ Sind sie enttäuscht?

Andrea Dusl: Enttäuscht? Nicht wirklich. Ich habe es befürchtet. Beim ersten Sehen war ich allerdings entsetzt. Unsere Arbeit, die fertigen Szenen, das war alles noch wunderbar. Das war noch unser Film.

„W. Z.“: Wie geht es weiter mit „Blue Moon“?

Andrea Dusl: Ich war gerade in Paris, dort sind sie sehr interessiert an solchen Geschichten Sie ist nicht mehr nur im Kopf, sie ist auch auf Papier und in den Köpfen anderer und, wenn nicht alle Stricke reißen, bald auch auf Leinwand. 

Vorerst jedoch sind nur Bruchstücke von „Blue Moon“ in dem Film „Kino im Kopf“ zu sehen, der zur Zeit im Metro-Kino in Wien läuft.

Regie und Kamera: Michael Glawogger. Schnitt: Christof Schertenleib, Musik: Armin Pokorn, Ton: Ekkehart Baumung.

Andere Teile für Kino im Kopf“ lieferten Ip Wischin, Willy Puchner, Carl Andersen, Christoph Mayr, Viktor Tremmel, Hans Weingartner, Hans Hermann Fink, Susanne Strobl, Richard Blue Lormand, Peter Budil und Boris Schafgans.

Mitgewirkt haben Rainer Egger, Gabriela Skrabakova, Andreas Sobik, Tex Rubinowitz, Thomas Kussin, Johannes Silberschneider, Barbara de Koy u. v. a.

Zu den Abbildungen:
oben: Rainer Egger als Steinyo Pichler
unten links: 1988, Hotel Modra, Slowakei
unten rechts: 1996, am Stadtrand von Odessa