Europa aus österreichischer Sicht

„Heiß umfehdet, wild umstritten, liegst dem Erdteil du inmitten“, singen wir in der zweiten Strophe der österreichischen Bundeshymne. Erdteil. Nicht Kontinent, nicht Europa. Das Wort für unsere Weltgegend kommt im Hauptlied der Republik namentlich nicht vor. Berge, Strom und Äcker. Dome. Kein Europa.

Gesänge schaffen Bewußtsein, sagt die Sprachwissenschaft, und sie weiß: Was nicht besungen wird, ist nicht wichtig. „Heiß bekämpft, sehr umstritten, liegst Europa du inmitten“ wäre eine ehrliche Textzeile gewesen, aber Hymnen sind nicht ehrlich, Hymnen sollen dem Besteller gefallen, im Österreichfall war das der damalige Unterrichtsminister Felix Hurdes, dem Vernehmen nach ein heftiger Verehrer der Hymnendichterin Paula Preradović.

Am 1. Jänner 1995 trat das Land der Berge dem Erdteil bei. Ein Schritt den emotionell nicht alle mitgingen, bedeutete er doch die Auslagerung wesentlicher Belange nach Brüssel. Belange aber waren schon in Wien nicht gut aufgehoben, fanden die Kritiker, für Belange ist ein Landeshaupmann zuständig, eigentlich aber der wirkliche Herrscher im Gai, der Bürgermeister. Er kenne die Scholle, den Acker, den Zubringer, den Kreisverkehr, er ist für den Erdteil zuständig. Nicht die Bürokraten in austernschlürfenden Brüssel.

Kommissar darf Österreich nur einen entsenden, Abgeordnete zum EU-Parlament nur 19. Jeder mittlere Gemeindrat hat mehr Mandatare. Es wundert daher kaum, dass Österreichs politische Karrieren kaum nach Europa führen.

Stell Dir vor, es ist Europa und keiner geht hin. Das ist so schade wie traditionell.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 23. September 2023.

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