Fehlleistung

Da habe ich doch gerade, in einer Art Freudscher Fehlleistung, statt von jemandes Trottelhaftigkeit zu sprechen, von dessen entgleister Eigentümerstruktur gesprochen.
Die Sprache der ökonomischen Verhältnisse dringt jetzt auch in die tieferen Schichten unserer Begrifflichkeiten vor. Dem gilt es Einhalt zu gebieten.

Salzgriesisch ::: Fahrplanauskunft

Faschistenbraten – faschierter Braten

Salzgegriesnis.jpgHier ist sie! Die Seite aller Seiten, die Seite über Salzgriesisch. Was zum Heter aber ist Salzgriesisch? Für alle Nichteingeweihten und Zuspätgeborenen eine kleine Beleuchtung:

Salzgriesisch, ein Wiener Innenstadt-Soziolekt, wurde nahezu ausschliesslich im Café Salzgries in der Marc Aurel Strasse gesprochen. In dieser Strasse nahe dem alten Stromufer hat nicht nur die Stadtzeitung Falter seine Adressse, auch das Nachrichtenmagazin profil war vor seiner Übernahme durch den Fellner-Konzern dort zu Hause.

Salzgriesisch gilt heute als ausgestorben, wird aber von ehemaligen Gästen und Kellnern geheim am Leben gehalten.

Das Altwiener Lokal Salzgries, einst von Kurt Kalb so erfunden, als hätte es immer schon existiert, geriet durch eine Kette unwürdiger Ereignisse seiner Stammgäste und seines Spiritus Rector, Kellner „Herr Peter“ alias „Per Heter“ verlustig und ist heute ein Bistro mit dem pfiffigen Namen „Le Salzgries“.

Na Gütlichkeit! Es folgt der Fahrplan:

GESÜPPNISSE und BEIGELAGE

Fleischtee oder Knochenbad ……. Rindsuppe
Fleischtee mit Palatschinkenlametta ……. Frittatensuppe
Zusammengepickter ……. Knödel
Chinesenschotter ……. Reis
Heisse Wiese ……. Spinat
Kräuter (das) ……. Gemüse

Embryonales Küken auch: Hühnerembryo ……. Ei
Ärmel mit an Kitt ……. Burenwurst (wegen der Ähnlichkeit mit dem Unterarm) mit Brot (aufgrund der Konsistenz)
Buckel ……. Scherzerl, das runde rückenähnliche Brotende
N****finger ……. Waldviertler Wurst
Kinderschas ……. Senf
Depressiver ……. Kren

SPEISLICHKEITEN

Fleischildefonso ……. Lasagne
Kuchlfetzen in der Pannade oder: Sandale paniert ……. Wiener Schnitzel
Pilzgatsch ……. Schwammerlsauce
Putensandale ……. Putenschnitzel
Grindlappen ……. Panierter Leberkäse
Gummiflugzeug auch: Gummiadler ……. Portion Huhn gebraten
Auftrennter Pullover ……. Spaghetti
Faschistenbraten ……. Faschierter Braten

GETRÄNKNISSE

Giesshübl oder: Geduschter ……. Weisser Spritzer = Gespritzter (Weißwein mit Mineralwasser, i.e. saure Weinschorle)
Hopfenkaltschale ……. Glas Bier
Kinderfernet ……. Coca Cola
Obette ……. Obi gespritzt (Apfelschorle)
Hochobette ……. grosses Obi gespritzt (Halber Liter)
Öbinger ……. Purer Apfelsaft (von „Obi“, einer Apfelsaftmarke)
Glocke ……. Achterl Wein (wegen der Form des Glases)
Rote Glocke ……. Achterl Rotwein
Gletscher ……. Eiswürfel
Schneekoppe ……. Melange
Babykoppe ……. Melange in Kleiner-Braunen-Tasse
Hitler ……. Grosser Brauner
Mussolini ……. Kleiner Brauner
Faschist ……. Milchkaffee
Heubad ……. Tee

SCHIEDLICHE VERKEITUNGEN

Gewürzschaukel auch: Mineraliensammlung ……. Salz-und-Pfeffer-Halter
Maggischiff ……. Gewürzschaukel mit Maggifläschchen
Fahrplan ……. Speisekarte
Gas und Strom auch: Ablesung ……. Die Rechnung, bitte!
Maut oder: Zimt ……. Trinkgeld
Mautschwein ……. Geldtasche des Kellners
Eisenschein ……. Münze
Unnedicha ……. Unnötige Münze (zB. Ein-Schilling-Stück)
Beilagscheibe ……. Kleine Münze (zB. Zehn-Groschen-Stück)
Reiter ……. Fünf-Schilling-Stück
G’spann ……. zwei Fünf-Schilling-Stücke oder ein Zehn-Schilling-Stück
Viererkutsche ……. vier Fünfer
Hitlerzettel ……. Zwanzig-Schilling-Schein (wegen der braunen Farbe)
Kleine Tapete ……. Fünfzig-Schilling-Schein
Froschhaut ……. Hundert-Schilling-Schein
Manschette ……. Tischtuch
Werkzeug ……. Besteck
Spachtel ……. Messer
Höcker ……. Camel Zigaretten
Meuberl ……. Marlboro Zigaretten
Steuwerl ……. Stuyvestant Zigaretten
Goloetten ……. Gauloise Zigaretten
Johnnetten ……. Johnny Zigaretten
Goldring ……. Kent Zigaretten
Stadtpark ……. Schanigarten vor dem Café Salzgries
Ernst-Göschl-Platz ……. Kreisverkehrsinsel beim Zusammenlauf von Vorlauf- und Marc-Aurel-Strasse

SPRÜCHLICHKEITEN

Einen schlanken Fuß machen ……. etwas ist elegant, paßt gut; z.B.: Das Gummiflugzeug macht einen schlanken Fuß in Kräuter: Die Gemüsebeilage paßt gut zum Hendl.
Einen Schuh machen ……. weggehen, das Lokal verlassen
U-Bahn-Sandale machen ……. mit der U-Bahn fahren
Letzte Ölung ……. Ein Gläschen Fernet Branca; kurz vor Verlassen des Lokals eingenommen

GELEUTNISSE

TDG ……. Tisch des Grauens – i.e. Stammtisch
Der Bunte ……. Tätowierter Gastronom
Arbeiterdenkmal ……. Salzgries-Wirt Ernst Göschl selig
Pinselschwinger ……. Der Maler R.H., Stammgast
Pyramidenputzer ……. Persischer Innenarchitekt, Stammgast
Kalter Umschlag auch: Dr. Cheops ……. Ägyptischer Arzt, Stammgast
Jean Gabin ……. Edelsandelnder Gast, hier  zu sehen
Konzernleitung ……. Salzgries Geschäftsführung
Die sterbende Frau ……. ältere Dame, die beim Essen immer einschlief und dabei regelmässig in die Suppe fiel.
Per Heter ……. Kellner Peter Ferber – „Herr Peter“
Der Zauberer ……. „Herr Michael“, Kellner, der früher auf einem Kreuzfahrtschiff als Gelegenheitszauberkünstler gearbeitet hatte.
Brader Gürtel ……. Frau Ricki von der Konzernleitung
Gefältnis ……. Falter-Redaktion

MEHRLICHKEIT HIER:

Langenscheidt-Salzgriesisch.jpg

Der unerlässliche Sprachführer
befindet sich in Vorbereitung!

Salzgriesisch

Cafe-Salzgries.jpgLiebe Frau Andrea, dunkel erinnere ich mich, mal über eine Sprache gelesen zu haben, die sich Falter- und profil-Redakteure ausgedacht haben, um im Café ungestört miteinander zu kommunizieren. Eine Art wiener Journo-Cockney, wenn man so will. Wissen Sie da was drüber?
Sophie Reinelt, Passau
Liebe Sophie, diese “Sprache” gab es tatsächlich. Sie hiess “Salzgriesisch” und wurde nahezu ausschliesslich im Café Salzgries in der Marc Aurel Strasse gesprochen. In dieser Strasse hat nicht nur der Falter seine Adressse, auch das profil war in Prefellnericum dort zu Hause. Salzgriesisch beschäftigte sich im wesentlichen damit, die Vorgänge im Café, die Namen von Speisen, Getränken und bestimmten Gästen in poetisch hochstehende neue Wort- und Satzgefüge zu überführen. Die Speisekarte hiess “Fahrplan”, Münzen waren “Eisenscheine”, Coca Cola hiess “Kinderfernet”, Melange “Schneekoppe”, Lasagne war “Fleisch-Ildefonso”, Suppen firmierten unter “Fleischtee” oder “Knochenbad” und Spinat war schlicht “die heisse Wiese”, Doyen des salzgriesisch war der legendäre Kellner Herr Peter (Färber), salzgriesisch “Perr Heter” genannt. Stammgäste hatten so seltsame Namen wie “der Bunte”, “ der kalte Umschlag”, “die sterbende Frau”, “der lebende Vorwurf”, “Pinselschwinger”, “Pyramidenputzer”, “Pocahontas”, “Noriega” oder “Jean Gabin”. Das Salzgriesisch ist mit dem Umbau des Café Salzgries in das franzöische Edel-Bistro “Le Salzgries” untergegangen. www.comandantina.com dusl@falter.at
Für Falter 37/2005

Goodbye Salzgries

„Heisse Wiese“ – von Perr Heter, Wolfgang Kralicek und Andrea Maria Dusl

„Der Nachruf auf das Café Salzgries gehört jedenfalls zu den Dingen, die ich mir gerne in meine verbale Schatzkiste stecken möchte“

(Lotte Krisper-Ullyett in ihrem Blog)

[…] Wäre Wien bis auf alle Grundmauern verschwunden und nur dieser Ort geblieben [Anm. eben das zugesperrte Café Salzgries], man hätte die Stadt wiedererrichten können aus den Geschichten, die hier erlebt wurden, aus dem Personal, das es bevölkerte, aus der Sprache, die hier gesprochen wurde. […]

In deinem Paralleluniversum wurde eine Sprache gesprochen, die mit dir verstummen wird. Wo sonst wird man ein „Knochenbad“ oder einen „Fleischtee“ bestellen können, wenn man Rindsuppe essen will? Wo wird man nach dem Fahrplan verlangen, wenn man die Speisekarte begehrt? Wo wird man nach „Gas und Strom“ rufen können, wenn man die Rechnung will? Und wo wird man diese dann mit „Eisenscheinen“ (Münzen) begleichen können? Wo soll die „Gewürzschaukel“ oder auch die „Mineraliensammlung“ (Salz & Pfeffer), der „Depressive“ (Kren), das „Fleischildefonso“ (Lasagne), der „aufgetrennte Pullover“ (Spaghetti) oder die „heisse Wiese“ (Spinat) gereicht werden? Auch exotische Getränke wie der „Kinderfernet mit Gletscher“ (Coca-Cola on the rocks), die „Hochobette“ (großes Obi gespritzt), die „Hofenkaltschale“ (Seidel), das „Astl“ (Zweigelt) oder der „Gießhübl“ (Weißer Spritzer) gehörten in deinen Räumen zum Standardsortiment.

Gehegt und gepflegt haben deine Sprache, die als „Salzgriesisch“ in die Geschichte eingehen wird, „Perr Heter“ (Herr Peter) und eine gleichermaßen eingeschworene wie ausgschamte Stammkundschaft, die sich in hingebungsvoller Treue um ihn scharte. […]

Im Falter 7/04, „Tiefschlag für Wien“, S. 70