Wo der Ripatsch herkommt

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 23/2025 vom 4. Juni 2025

Liebe Frau Andrea,
ich war kürzlich meine Tante Peppi (bald 96) in Niederösterreich besuchen. Sie erzählte von der Vergangenheit und irgendwann von einem verheirateten Paar. Er sei ja tüchtig, seine Frau aber ein richtiger „Ribatsch“ gewesen. Ich konnte mir unter „Ribatsch“ nichts vorstellen und sie konnte es nicht erklären, was sie fast zur Verzweiflung brachte (vermutlich ob meiner Begriffsstutzigkeit). Vielleicht können Sie mir weiterhelfen. Ich wäre dankbar und vermutlich Tante Peppi auch.
Mit freundlichen Grüßen,
Karin Gemeiner, Leopoldstadt, per Email

Liebe Karin,

das Knacken des Rätsels um den Ribatsch war etwas schwieriger, weil der Begriff weder im alten noch im neuen Wienerisch zirkuliert(e), und auch in den niederösterreichischen Dialekten weitgehend unbekannt ist. Die Suche im Tschechischen, Slowakischen und Slowenischen bringt keine sinnvollen Ergebnisse, keine spezifischen Ausdrücke jedenfalls, mit denen man eine deviante Ehefrau bezeichnen könnte.

Erhellendes ergibt allerdings der Blick in den k.k. Osten unseres Landes, nach Ungarn. Dort kennt man den „ripacs“ (ausgesprochen Ripatsch, Ribatsch) als Bezeichnung für die marktschreierische, auffällige Person, genauer für den Schmierenschauspieler, Kulissenreißer, den billige Effekte erzielenden Vortragenden. Die umgangssprachliche Popularität des Wortes zeigt sich im Namen der schurkisch ausschweifenden Figur „Ripacs“ im 1883 verfassten Volksstück „A csókon szerzett vőlegény“ (Bräutigam werden mit einem Kuss) des ungarischen Dramatikers und Schauspielers József Szigeti. Als Erstbedeutung des Begriffs nennen die etymologischen Wörterbücher des Magyarischen die Unebenheit, Beule, Vertiefung, den Fleck auf dem Blatt der Pflanze, die Pocken-Narbe. Wann und warum die Bezeichnung für die missgestaltete Oberfläche auf die Schmierenkomödiantik, das übertriebene Schauspiel übersprang, muss noch Gegenstand der Forschung bleiben. Wie und auf welchen Wegen ein ungarischer Ausdruck für schlechte Bühnenkunst in die Hermeneutik niederösterreichischer Ehepaare aus der Großelterngeneration gefunden hat, bleibt weiterhin spannend.


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Wer den Schas erfand

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 22/2025 vom 28. Mai 2025

Liebe Frau Andrea,
viele Medien im Land gehen von der falschen Annahme aus, der legendäre ESC-Sager vom „Schas gewonnen“ stamme von Andi Knoll. Meiner Erinnerung nach stammt der ursprüngliche Ausspruch von Roman Gregory. Vielleicht könnten Sie, verehrte Frau Andrea, dem Mysterium um den tatsächlichen Urheber auf den Grund gehen.
THNX & noch einen vergnüglichen Tag!
Grüße aus Wien Alsergrund,
Gabriela Vida, per Email

Liebe Gabriela,

nach ausgiebigen Recherchen und Telefonaten mit Beteiligten wird das Bild um den Sager vom Schas etwas klarer. Die Sache begann mit der Wiener Heavy-Metal-Band Alkbottle. Die Truppe um Sänger Roman Gregory hatte sich Ende 2010 mit der Nummer „Wir san do net zum Spaß, wir gwinnan eich den Schas“ um die nationale Vorentscheidung beworben. Der ORF verbat den Rockern allerdings die Verwendung des Wortes Schas. Alkbottle traten daher in der finalen nationalen Entscheidungsshow am 25. Februar 2011 mit dem geschönten Refrain „Wir san do net zum Spaß, jetzt gemma richtig Gas“ auf. Gewinnerin des Abends war die Innsbrucker Pop-Sängerin Nadine Beiler. Bei der After-Show-Party nach der Vorausscheidung enstand ein kurzer Clip, in der ein „schon etwas eing’spritzter“ Gregory die glücklich angeschickerte Nadine Beiler im Arm hält und gratulierend seine (und Alkbottles) Rolle kommentiert: Es spannend gemacht, das Publikum belustigt zu haben. „Und jetzt…“ sagt Gregory, worauf Beiler antwortet: „und jetzt gwinn i eich den Schas.“ Dieser mp4-Clip zirkulierte in den Social Media, wurde von den Gagschreibern von „Willkommen Österreich“ aufgegriffen und führte zur Stermann-Grissemann-Parodie „Die Beilers“, in der Christoph Grissemann in Perücke und Kostüm Nadine Beiler mimt und hüpfend den Spruch kiekst: „I bin die Nadine Beiler, i vertritt Öschtareich beim Songcontescht 2011 in Düsseldorf, i gwinn eich jetzt den Schas“. 2024, im Gespräch mit Tom „Conchita“ Neuwirth, bekannte Moderator Knoll, er habe den Spruch, Niederlage um Niederlage beim ESC kommentierend, über die Jahre am Leben erhalten, bis er ihm im Mai 2015, nach dem Song-Contest-Gewinn durch Conchita Wurst spontan entkam und zur Legende werden sollte.


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No na ned

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 21/2025 vom 21. Mai 2025

Liebe Frau Andrea,
nach einigen Jahren Leben in Österreich verstehe ich inzwischen, was „na no na ned“ bedeutet – eh klar. Woher die Redewendung eigentlich kommt, konnte mir aber bisher niemand beantworten. Vielleicht Sie?
Beste Grüße,
Paul Simon, per Email

Lieber Paul,

sehen wir uns ein paar Witze an. Zwei Reisende im Abteil. Der Zug fährt ab. Sagt der eine, „mir scheint, wir fahren schon.“ „No na!“, drauf der andere, „die Fassaden wird man an uns vorbeitragen!“ In ihrem 1960 erschienenen Standardwerk „Der Jüdische Witz“ widmet die Schweizer Phänomenologin Salcia Landmann ein Kapitel den so genannten „No na!“-Witzen, die nach vorherrschender Lehre als Ursprung der Wiener Redewendung angesehen werden. Witzeln wir weiter. Blau geht im Winter an der Alten Donau entlang, da sieht er plötzlich seinen Freund Grün in einem Loch im Eis strampeln. „Grün, bist du eingebrochen?“ „No na! Der Winter wird mich beim Baden überrascht haben!“. Jahreszeitenwechsel. Im Stadtpark spielt ein herziges Kind. Ein Herr fragt teilnahmsvoll: „Wie heißt du, Kleiner? „Moritz Pollatschek.“ Der Herr darauf höhnisch: „Aber wenn du sehr brav bist, dann sagt die Mame sicher Mojschele zu dir?“ „No na, Pollatschek wird sie sagen!“

Das wohl aus der jiddischen Interjektion „nu“ entsprungene „no na“ wird bisweilen um ein vorangestelltes „na“ und ein hinten angehängtes „ned“ zur Arabeske „na no na ned“ erweitert. Stets schwingt dabei die leichte Aggression über die Blödheit der Frage mit. In der häufigsten Form, dem „no na ned“ verdichtet sich spöttischer Unterton zur Befindlichkeitsbekundung grantigen Genervtseins. Damit ist „noa na ned“ dem „geht’s no?“ urverwandt. Es kulminierte am 27. Februar 2005 im legendären Ausspruch des Sturm Graz-Kickers Günther Neukirchner nach dem Schlusspfiff im 121. Grazer Derby. Nach der 0:4-Niederlage gegen den amtierenden österreichischen Meister GAK wollte der Reporter vom genervten Neukirchner nach anderen schmerzhaften Erkundigungen wissen, ob dieser nicht Angst gehabt habe vor einer noch höheren Niederlage. Neukirchner beendete das Interview mit dem berühmten Satz:

„Des is die nächste depperte Frog!“


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Der Tagesabschnittsgegner

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 20/2025 vom 14. Mai 2025

Liebe Frau Andrea,
in Ihrer Kolumne im Falter 16/25 erwähnen Sie einen „Tagesabschnittsgegner“. Was darf man sich darunter vorstellen? Als Hobby-Boxerin habe ich da gewisse Assoziationen.
Vielen Dank und liebe Grüße,
Anna Goldinger, Wien Döbling, per Email

Liebe Anna,

in besagter Kolumne ging es um die richtige Schreibweise wienerischer Ausdrücke, konkret um das „Buckelfünferln“. Die dazu Aufgeforderten könnten ihr Begehr alternativ auch der „Jettitant erzählen“, hieß es weiter, die Anwürfe in ein Sackerl sprechen, sich über die Häsuer oder in den Koks hauen, oder einem/einer nur „die Bock aufblosn“, die Schuhe aufblasen. Allfällige Kontrahenten in solchen Abwehrgefechten fanden Erwähnung als „Tagesabschnittsgegner“. Das Wort ist als solches noch nicht lexikalisch verbucht, nur die allmächtige Suchmaschine Google hat es erfasst.

„Tagesabschnittsgegner“ ist ein satirischer Neologismus, den ich für die Kolumne 16 nach der Formel „Lebensabschnittspartner“ in die Welt gesetzt habe. Mit der Verbreitung moderner Formen des Zusammenlebens waren die Begriffe Gemahl und Gemahlin, Ehemann und Ehefrau vielfach durch jene des kühleren „Lebensabschnittspartner“ ersetzt worden. Aus der Affäre, dem Pantscherl, dem Seitensprung und den Teilnehmenden am One-Night-Stand wurde schließlich der „Tagesabschnittspartner“, die „Tagesabschnittspartnerin“.

Im galoppierenden Ansinnen, die Welt sprachlich zu erweitern darf nichts unversucht bleiben, neue Wörter zu erfinden und im Alltag zu befestigen. Ein solcher Fall ist der Versuch, das Wort „Tagesabschnittsgegner“ zu etablieren. Es bezeichnet den zufällig vorbeikommenden, in der Regel unbekannten Konfliktpartner. „Tagesabschnittsgegner“ können sich in der Schlange vor der Supermarktkasse offenbaren, fußgehend am Radweg, oder radfahrend am Gehsteig. Sie begegnen im Schwimmbad, am Kinderspielplatz und im Lift. Sie lauern im Bus, in der Bim, in der U-Bahn und in der Unausweichlichkeit eines ÖBB-Großraumabteils.

Für die Wahl des Tagensabschnittsgegners sorgt allein der Zufall. Sportliche Vorbildung und Boxhandschuhe sind nicht nötig, Sprachkompetenz und Diskurswendigkeit kein Nachteil.


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Der Kicker und sein Fassadl

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 18/2025 vom 30. April 2025

Liebe Frau Andrea,
in unserer Jugendzeit haben wir davon gesprochen, dass ein Fußballspieler ein Fassadl habe, wenn er gut in Form sei und gut spiele. Welchen Hintergrund hat dieser Begriff?
Ich bitte Sie um Aufklärung und bedanke mich vorab sehr herzlich!
Johannes Uhlig, per E-Mail

Lieber Dottore,

die österreichische Kickersprache ist voller Poesie und überzeugender Metaphern. Spieler werden als Zangler, Brisler (Versteher, von französisch „compris“), Außenpracker, Badkicker, Ballesterer, Blinde, Eiergoalie oder Fliagnfanger bezeichnet, als Federanten, Fiedler, Furchler, Gwandleis (Gewandläuse), Holzgschnitzte, Hydranten, Kammerdiener, Kiah (Kühe), Nagler, Sauser und Stehgeiger, als Techniker, Wadlbeißer, Zamschneider und Zauberer.

Dem gelernten Stahlschlosser, Nationalspieler und späteren Trainer Ernst  Baumeister ist für die Pflege und Hege des Ausdrucks „Fassadl“ zu danken. Er ist fast deckungsgleich mit dem „Bristl“ und bezeichnet die gute Form, das gute Selbstvertrauen. Bristl kommt, leicht zu erkennen, von der stolzgeschwellten Brust vor Spielantritt. Für die Nominierung in die Aufstellung zirkuliert der kickerösterreichische Ausdruck „a leiwal hom“ (ein Leiberl, „eine“ Dress haben). Das Leiwal, Leibal ist nicht zu verwechseln mit dem Lawal (Laberl), das den Fußball selbst bezeichnet, der auch als Frucht, Wuchtl (von Buchtel, tschechisch buchta), Blunzn (Blutwurst), Haud, und Duchant (Tuchent) zirkuliert. Eine interessante Karriere hat Wúle (erstbetont, mit langem u). Das deutsche Wort Beule wurde im Tschechischen zu „boule“ und über Prager Fußballspieler nach Wien zurückgepasst, wo aus „boule“ Wúle wurde. Leicht könnte es mit „wulé“ (letztbetont, mit langem e) verwechselt werden. Eine Wúle wulé genommen kommt vom englische „volley“ und dieses von lateinisch „volare“, fliegen.

Zurück zum Fassadl. Es ist die Verkleinerung der „Fassad“ (Fassade), der Vorderseite, Schauseite eines Gebäudes. Es wurde im 18. Jhdt. aus dem italienischen „facciata“ entlehnt, einer Ableitung von italienisch „faccia“ Vorderseite, Gesichtsseite, das letztlich auf lateinisch „facies“, Aufmachung, Aussehen, Gesicht zurückgeht. Viel Lateinisches also im hiesigen Kickertum.


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Viel Trara ums Töö

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 17/2025 vom 23. April 2025

Liebe Frau Andrea,
jetzt „muss“ ich doch glatt einmal selber ein Wort nachfragen, das mir seit einiger Zeit nicht aus dem Kopf geht und das ich nicht und nicht in irgendeine Art Herleitung bekomme. Woher bitte kommt das Dialektsubstantiv „Töö“, „Döö“ im Sinne von Gestank (zB. „Maah – wos is denn des fia a Döö!“, nach opulenter Knoblauchküche). Kennen Sie den Ausdruck, bzw. haben Sie ihn eventuell sogar schon einmal besprochen?
Vielen Dank schon jetzt und ganz liebe Grüße,
Ingrid Haidvogl, per Email

Liebe Ingrid,

ich selber kenne den Ausdruck in dieser Form nicht, habe aber einen ähnlichen schon gehört. Mit großer Wahrscheinlichkeit kommt „der Döö“ von der „Tö“, „Töö“ der Deutschen, die mit diesem Kürzel die Toilette bezeichnen, und die diesen mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit im Zuge touristscher Präsenz in Österreich hinterlassen haben. Wie aus dem deutschen Kurzwort für Toilette ein österreichisches für den Geruch derselben wurde, müsste man lokalhistorisch klären. Allgemeine Verbreitung für „den Döö“ lässt sich noch nicht feststellen.

Sehen wir uns die Toilette sprachlich genauer an. Sie ist das hochdeutsche Synonym für unsere Bezeichnungen WC (water closet), Abort, Klo (von Klosett) und Häusl (Heisl), die allesamt ebenfalls Hüllworte sind für den Ort des Stoffwechsel-Endvorgangs. Unser Wort Toilette wurde im 19. Jahrhundert aus französisch „(cabinet de) toilette“ entlehnt und bedeutete wörtlich „Tüchlein’“, ein Diminutivum zu französisch „toile“ Tuch. Es war zunächst die Bezeichnung für ein Textil, auf dem man Kosmetika, Seifen und Erfrischungen ausbreitete, dann wurde es metonymisch übertragen auf die Tätigkeiten des Ankleidens, schließlich verhüllend für Abort. Ähnliche Wortkulissen haben die US-Amerikaner entwickelt, die das „Stille Örtchen“ bathroom, lavatory, washroom, restroom, men’s room, ladies‘ room und powder room nennen.

Auch in Wien hat sich Französisches gehalten. So ist der „Rettich“ eine derbe Verballhornung von Rediaré, Rediarád (verhüllend für Klosett), diese kommen von der französischen „retirade“, dem (ursprünglich militärischen) Rückzug.

Habt acht!


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Übers Bucklfünferln

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 16/2025 vom 16. April 2025

Liebe Frau Andrea,
um angemessen zu schimpfen hat meine Mama des Öfteren den Ausdruck „Buglfünferln“ verwendet. Habe ich mir den Ausdruck richtig gemerkt? Wie ist der Ausdruck entstanden und wie schreibe ich ihn richtig? Vielen Dank im voraus für die Recherchen und die Klarheit.
Mit freundlichen Grüßen
Lisa Rüder, von meinem iPhone gesendet

Liebe Lisa,

über die richtige Schreibweise wienerischer Ausdrücke gibt es keine hinreichende Klarheit. Schrieben wir den gesuchten Begriff „Buuglfimfaln“ litte die Lesbarkeit, verwendeten wir die Zeichen des IPA, des Internationalen Phonetischen Alphabets, reduzierten wir den Lesendenkreis auf eine Handvoll Spezialist·innen. Zudem variiert die jeweilige Aussprache je nach Tiefe der Wienerischkeit. Im vorliegenem Fall kann alles zwischen „Buckelfünferln“ und „Buglfümfaln“ von Einheimischen verstanden werden. Besagter Begriff gibt in etwa das zum Ausdruck, was die Deutschen meinen, wenn sie empfehlen, jemand könne ihnen den Buckel, also den Rücken runterrutschen. Mit Fünferln ist eine Bewegung mit der ganzen Hand und ihren fünf Fingern gemeint. Leicht lässt sich ersinnen, wo am Buckel diese Hand zur Anwendung kommen möge.

Das Wort Buckel (das am Würstelstand auch den runden Brotanschnitt bezeichnet) kommt vom altfranzösischen „boucle“, Schildknauf, das seinerseits vom lateinischen „buecula“, dem Diminutiv zu „bucca“ kommt und ursprünglich die (aufgeblasene) Backe bezeichnete. Es hat nur scheinbar mit dem Verb bücken, wienerisch „buckn“ zu tun, das mit dem Bug, mit Biegen und Beugen verwandt ist. Näher dran am „Bugl“, „Buckl“ ist das „Wuckerl“, „Wuggal“, wienerisch für Locke, das von der moderneren Bedeutung des französischen „boucle“ kommt, und die Haarlocke, Schleife, Schlinge bezeichnet. Könnte man auch anderes empfehlen? Selbstverständlich.

Tagesabschnittsgegner könnten das Begehr der „Jettitant dazöhn“, der fiktiven Tante Henriette“, selbiges „in a Sackl redn“ und Ihnen vor die Türe stellen, „si üwa die Heisa“ oder “in Koks“ hauen, sich über die Häuser schlagen, oder in den Kokskeller werfen.

„Blos ma die Bock auf“ schließlich, blas mir die Schuhe auf, wäre mein Favorit.


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Zibebn für die Zizibe

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 15/2025 vom 9. April 2025

Liebe Frau Andrea,
soeben lese ich interessiert Ihre Antwort „übers Einweimperln“ und stolpere über den Ausdruck „Zibebn“. Meine Amstettner Oma nannte mich „Fräulein Zizibee“, wenn ich wehleidig oder wählerisch war. Hängen diese Begriffe zusammen?
Danke und herzliche Grüße
Christa Sieder, Hernals, per Email

Liebe Christa,

Ihre großmütterliche Benennung dürfte einen wahrscheinlichen Ursprung in Josef Pazelts Kinderbuch „Zizibe, ein Wintermärchen für blonde und graue Kinder“ haben. Das liebevoll illustrierte Bändchen des Kleinbauernsohns, Pädagogens, Freimaurers und späteren Ministerialrats erschien 1924. Es erfuhr spätere Auflagen in den 50erjahren. In Patzelts proletarisch-lehrreichem Kindermärchen geht es um eine erzählende Großmutter, eine verzauberte Königstochter, eine verarmte, hungernde Mäusefamilie, einen aufklärerischen Raben, insgesamt aber um Lösungsmöglichkeiten, um Armut und Unterdrückung zu entkommen, und über den Irrsinn des Krieges zu reflektieren. Die Monarchie im Märchen von der Prinzessin Zizibe verwandelt sich im Finale des Buches zu einer Republik, die Mäuse müssen niemals mehr Hunger leiden, weil sie zu Verwaltern der Kornkammer (und wohl auch der der Rosinenvorräte) ernannt werden, und alle leben märchenhaft glücklich bis ans Ende ihrer Tage.

Schauen wir und das Wort Zizibe (Zizibeh, Tsitsi-Bä ausgesprochen) genauer an. Es hat seinen Ursprung einerseits im laumalerischen Ruf der mundartlich so bezeicheten Meise (meist der Kohlmeise), andererseits im italienischen „Cicisbeo“. Damit wurde im Italien des 18. und 19. Jahrhunderts der erklärte Galan oder Liebhaber einer verheirateten Dame aus aristokratischem Stand bezeichnet. Ursprünglich dürfte das lautmalerische „Cicisbeo“ den Flüsterton des Geliebten bezeichnet haben. Nach anderer etymologischer Lehrmeinung liegt in „Cicisbeo“ die Umkehrung von „bel cece“ vor, so viel wie „schönes Pfauenküken“.

Mit der Zibebe (der hierorts bereits erörterten getrockneten Weinbeere) haben Prinzessin, Galan und Pfauenjunges garnichts zu tun, kommt sie doch über das sizilianische „zibibbo“ von arabisch „zibība“, erraten: Rosine.


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Wieso kommt uns etwas spanisch vor?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 14/2025 vom 2. April 2025

Liebe Frau Andrea,
unlängst bei einem Gespräch in der Büroküche habe ich den Ausdruck „das kommt mir aber spanisch vor“ verwendet, was meine Kollegin aus Barcelona gar nicht goutierte und wissen wollte, woher das denn kommt und warum?
Bitte um Hilfe, sonnige Grüße,
Gerhard Enzenberger, per Email

Lieber Gerhard,

die Entrüstung ihrer barcelonischen Kollegin wäre entfallen, hätten Sie gesagt, dies oder jenes komme Ihnen „chinesisch“ vor. Auch portugiesischen, französischen, baltischen, polnischen, serbischen, ungarischen, ukrainischen, arabischen und japanischen Kolleg·innen wäre das recht gewesen. Engländer·innen wiederum käme Seltsames griechisch oder „dutch“ vor, Italiener·innen arabisch, aramäisch, oder gar ostgotisch. Die hier oft genannten Chines·innen holen indes den Pokal ab in der Benennung Unverständlichen, wenn sie in Bezug auf Englisch konstatieren, dies höre sich an, wie „Töne aus dem Darm“. Die alten Griechen schließlich hatten einen laumalerischen Begriff für alle Anderssprachigen, der zum Synonym für jegliche Form des Fremden, Nichtgriechischen, kulturell Devianten wurde: Barbaren, Leute also, die nicht anständig reden konnten und nur „bar-bar-brr-brr“ von sich gaben.

Woher kommt unsere Zuschreibung des Spanischen in Bezug auf  Befremdliches, Unangenehmes, Unverständliches und auch Komisches? Der Habsburger Karl V. erbte 1519 das Erzherzogtum Österreich, wurde zum römisch-deutschen König gewählt, und 1530 schließlich zum Kaiser gekrönt. Als spanischer König iberisch sozialisiert brachte er seinen Hofstaat mit. Deren neue Gebräuche und die spanische Sprache kamen den Deutschsprachigen seltsam und unverständlich vor. Damals scheint die Redensart ihre erste Blüte erfahren zu haben, sie kanalisierte die Abneigung gegenüber Aufgedrängtem, Fremden. Es zirkulierten Ausdrücke wie „das scheint, klingt mir spanisch, „es wird mir spanisch im Kopf“. Bei Grimmelshausen heißt es im Simplicissimus: „Bey diesem Herrn kam mir alles widerwertig und fast Spanisch vor“.

Bei uns hat sich die Redewendung besonders gut erhalten. Spanier·innen kommt das verständlicherweise unverständlich vor.


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Alles übers Einweimperln

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 13/2025 vom 26. März 2025

Liebe Frau Andrea,
meine Großmutter sprach vom „Einweimperln“ wenn sie eine billige Schmeichelei meinte. Ich würde gerne wissen, wie dieses Wort entstanden ist und wie es sich tatsächlich schreibt.
Vielen Dank für Ihre Beurteilung und freundliche Grüße,
Wolfgang Sabella, per Email

Lieber Wolfgang,

„Einweimperln“ ist bestes Urwienerisch. In Johann Nestroys „Einen Jux will er sich machen“, der berühmten Posse mit Gesang aus dem Jahr 1842 führt ein gewisser Weinberl, Handlungsdiener bei Gewürzkrämer Zangler den Lehrbuben in die Geheimnisse des Verkaufs ein, nämlich die Kunden mit liebedienerischer Falschheit für sich und die Waren einzunehmen.

Als der Dienstherr Zangler Weinberl die Teilhaberschaft am Laden anbietet kommt Torschlusspanik im Kleinstadtprovinzler auf. Einen Tag lang möchte er noch schnell ein „verfluchter Kerl“ sein. Mit Lehrling Christoph fährt er also in die Hauptstadt, wo die beiden, ungeübt im Draufgängertum, durch eine Reihe von absurden Zufällen und Verwechslungen stolpern.

Der sprechende Name Weinberls gibt uns einen Hinweis auf den Ursprung des zugrunde liegenden Wortes. Weimba, Weimper (pl.) bezeichnet die Weinbeeren, Weintrauben, sowohl die frischen als auch die getrockneten (in Wien auch Ziwebm, Zibebn, hochdeutsch Rosinen genannt). Die einzelne Weinbeere, mittelhochdeutsch winber(e) ist in Wien das Weimbal, Weimperl. Damit wurde im alten Wienerisch auch der Liebling, Schmeichler, Angeber, der Schleima (Schleimer), Auscheiwa (Anschieber) und Einedrahra (Hineindreher) bezeichnet. Wohl, weil man auch kleine schwarze, und damit schöne Augen Weimperln (also kleine Weinbeeren) nannte. Totum pro parte wurde aus dem Schönäugigen der Weimperl, und aus dem dazugehörigen Verb weimbaln, weimperln die falsche Mimik der Schmeichler und Verräter. Jegliches Einschmeicheln bezeichnt man in Wien noch heute als „einweimperln“.

Wer sich bei Frau Andrea einweimperln möchte, schickt Fragen zu individualpersönlich Rätselhaftem, verschwindenen Begriffen, gesellschaftlichen Problemlagen und spezifischen österreichischen Alltagsmysterien.


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Die gute alte Pritschn

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 12/2025 vom 19. März 2025

Liebe Frau Andrea,
meine Oma, sie stammte aus Grafendorf bei Hartberg, hat früher Frauen mit eigenwilligen Gewohnheiten und Vorstellungen „blede Pritschn“ genannt, beziehungsweise die rhetorische Frage gestellt: „Was hat denn die für blede Pritsch drein (drinnen)?“ Wie ist das Wort „Pritschn“ genau zu übersetzen und wo kommt es her? Bitte um Ihre Auskunft.
Liebe Grüße, Cornelia Lechner,
Würflach, Niederösterreich, per Email

Liebe Cornelia,

die Umgangssprache hält für Frauen eine Vielfalt von Ausdrücken bereit, nicht alle werden respektvoll verwendet, oder im guten Geist dessen, was man früher als „politisch korrekt“, heute vielleicht als „woke“ bezeichnen könnte. Das Bairische (zu dem die meisten Dialekte unseres Landes gehören) hat besonders viele deftige Bezeichnungen für Frauen bewahrt. Alle aufzuzählen, würde das Beantwortungsvorhaben sprengen.

Als Pritsch, Pritschn, kennen wir die hölzerne Liegestatt, auch das Brett, auf dem Holz gelagert wird, oder die Ladefläche eines Wagens. Die Pritschn ist auch der Hochsprache bekannt und als Pritsche unterwegs. Obwohl Frauen und Mädchen (meist von Männern und Burschen) gerne mit Synonymen von Betten, Unterlagen und Fahrgestellen bezeichnet werden, in Wörtern wie Dorfmatratze, Firmenmoped, Mietschlitten oder Extrakissen, dürfte unsere Pritsche einen anderen Ursprung haben. So zirkuliert die Nebenbedeutung von Pritschn, Briedschn als Bezeichnung für die redselige, petzende Person. Die Sprachforschung sieht darin ein romanisches Sprachrelikt in den bairischen Dialekten, das vom spätlateinischen Adjektiv perinteger (sehr aufrichtig, rechtschaffen) kommen soll.

Ihren tatsächlichen Ursprung hat das Wort Pritschn aber wohl im lautmalerischen Zeitwort, das wir als pritscheln kennen. Es bezeichnet ursprünglich die Vulva der Haustiere, hat sich in Wörtern wie Eselpritschn, Kuapritschn und Goaßpritschn erhalten, und wird gleichermaßen als Beleidigung für die Frau und ihr Geschlechtsteil verwendet.

Mobilisieren wir daher einen Wienerischen Bannspruch, der bei Beleidigungen und Derbinsulten jeder Art in Stellung gebracht werden kann: „Schön sprechen!“


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Lebensvolten und gute Karten

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 11/2025 vom 12. März 2025

Liebe Frau Andrea,
bei dem, was in meinem Leben gerade passiert, fällt mir immer wieder die Metapher ein: „Das Leben schlägt Volten und hat mir gute Karten ausgegeben.“ Nun weiß ich, dass „Volten schlagen“ die Kunst des täuschenden Kartenabhebens ist, aber woher kommt der Begriff?Es dankt und grüßt
Adelheid Augusta, Leopoldstadt

Liebe Adelheid,

unbekannterweise herzliche Gratulation zu Ihrer offenbar erfreulichen Lebenswendung! Die Redensart, die Sie zitieren zirkuliert auch in der Variante „das Schicksal schlägt Volten“. Diese sind „eigenwillig“, „seltsam“, unerwartet“. Als Volte gilt, wie sie schon erwähnen, ein meist schnell ausgeführter, stets verblüffender Kunstgriff beim Kartenmischen und bei Kartenkunststücken, durch den eine bestimmte Karte (oder Kartenfolge) in täuschender Absicht an eine beabsichtigte Stelle gelegt wird. In der Reiterei ist die Volte eine Figur, bei der das Pferd einen Kreis läuft, beim Fechten bezeichnet sie eine Wendung des Körpers, durch die dem Stoß des Gegners ausgewichen wird.

Sehen wir uns die Kartenvolte nochmal genauer an. Wenn sie vom Schicksal, vom Leben geschlagen wird, erfahren wir Unerwartetes, Unvorhergesehenes, Überraschendes. Ganz wie das Publikum, das dem Kartenzauberer zusieht und nicht weiß, wie ihm geschieht. Warum aber wird die Volte im Kartentrick „geschlagen“? Aus der Fechtkunst stammt das Schlagen kaum, wird dort doch mit der Volte kein Schlag oder Stich, sondern ein Ausweichen bezeichnet. Hat es vielleicht doch mit der Reiterei zu tun?

In gewisser Weise schon, hat doch das wohlbekannte Verb schlagen eine Nebenbedeutung, die nicht die kämpferische oder aggressive Bewegung bezeichnet, sondern die drehende Wendung. Etwa, wenn wir einen Kreis schlagen (mit dem Zirkel ziehen), wenn Katholiken ein Kreuz schlagen (sich bekreuzigen) oder jemand scherzhaft jemandem anderen ein Schnippchen schlägt. Auch wenn wir uns in die Büsche schlagen, also aus dem Staub machen, liegt diese Bedeutung vor.

Ihnen, liebe Adelheid, darf ich wünschen, dass das Leben ihnen die Karten nicht in täuschender sondern erfreulicher Absicht geschlagen hat. Das Schicksal kann das.


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