Soziale Medien

In einer Zeit vor dieser, nennen wir sie die Gutenbergzeit, war das X noch ein X und das U noch ein U. Neuigkeiten, Vorgefallenes, im allgemeinen „Nachrichten“ genannt, kamen per Post oder wurden im Wirtshaus verbreitet. Im Zuge der ökonomischen Verwertbarkeit dieser Vorgänge entstand das Medium „Zeitung“. Nachrichten wurden gesammelt, redaktionell betreut, gesetzt, gedruckt, verkauft. Der Leser (die Leserin) als passive Instanz trat in die Welt. Die Reflektion über Neuigkeiten, Vorgefallenes, über das, „was in der Zeitung steht“ fand weiterhin im Wirtshaus statt. Das nachgeschaltete Diskursmedium „Stammtisch“ entstand, und mit ihm der Begriff „Meinung“. Die Summe aller Befindlichkeiten zu Gedrucktem und Dazugesagtem nannte man „öffentliche Meinung“. Als Medium innerhalb des Mediums fand sie Eingang in die Veröffentlichung. Wut, Sorge, Widerspruch, aber auch Lob und Anerkennung wurden im Genre des „Leserbriefs“ kanalisiert. Ein Format, das auch einen neuen Autorentypus etablierte, den des „Leserbriefschreibers“. Viele dieser Privatkolumnisten existierten tatächlich, einige wurden erfunden. Ihre Befindlichkeiten wurden im Sinne der Blattlinie sorgsam moderiert. Da war das X noch ein X und das U noch ein U.

Das digitale Zeitalter hat diese Zusammenhänge verkehrt. Die Glücksritter der neuen Medien erkannten sehr schnell: Der Leserbriefscheiber ist unser Mann (und unsere Frau)! Jeder muss schreiben. Jeder muss lesen. Sofort und immer. U wie Umsicht, Urteilsvermögen, Untadeligkeit wurden abgeschafft. Das X blieb.

X wie Elon Musk.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 11. November 2023.

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