Ins Hotel konnte ich ihn nicht mitnehmen

Dusl-Ins-Hotel-Cover

Andrea Maria Dusl
Ins Hotel konnte ich ihn nicht mitnehmen
Erzählungen, Metroverlag, 2012
160 Seiten, Gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen
ISBN: 9783993000646

Ein Glück: Andrea Maria Dusl erlebt viel. Ein größeres Glück: die stilistische Brillanz und sprachliche Originalität, mit der die Autorin von »Boboville« ihre vielen Erlebnisse beschreibt. In sieben skurrilen Odysseen entführt uns die begnadete Beobachterin Dusl via sechs traumhaften Metropolen zu ihrer schwarz-weiß changierenden Seele. Voll Witz und Selbstironie.

»Ich kann die Welt nur aus mir heraus sehen und beschreiben. Was ich nicht erlebt habe, existiert nicht.«


 

Pressestimmen:

„Dusls Reisegeschichten sind zwischen der Ukraine und dem Suezkanal angesiedelt und von eindringlicher und teils hochkomischer Sprache. Busse werden zu Reptilien, der kubanische Club zum »glühenden Uterus«. Selbst das bloße Sich-zum-Ausgang-Begeben in einem Flugzeug ist ihr einen ganzen wunderbaren Absatz wert, der mit dem schönen Satz beginnt: »Ohne das Bekrallen der Kopfpolster kann ein Aluminiumvogel nicht durchquert werden.«“ 
DIE ZEIT


 

Tourette und andere Tempelritter

„Andrea Maria Dusl macht sich auf eine Reise in die Familiengeschichte, den wilden Osten und die ganze weite Welt. Eine Übung im Ungehorsam „Archambault de Saint-Amand, comte d’Hotel, 1070-1152, Erfinder des Hotels“ hat Andrea Maria Dusl ihr neues Buch gewidmet. Das ist insofern interessant, als der gute Mann eines der Gründungsmitglieder der sagenumwobenen Tempelritter war – was auf einen weitgefassten Hotelbegriff der Autorin schließen lässt. Deren Gelübde der Armut, Keuschheit und des Gehorsams scheint sie aber nur bedingt anzuhängen. Für den Gehorsam kann dies jedenfalls ausgeschlossen werden. Schon die Bezeichnung des Büchleins ist ein kleiner Affront: „Kein Roman“. Man hätte es ja auch Erzählungen oder einfach Reiseerzählungen nennen können. Um solche handelt es sich nämlich bei den sieben Stücken, die in dem Buch versammelt sind.

Von Manhattan bis Odessa geht die Reise, aber – um ganz im Sinne der Autorin nicht von vorn anzufangen – starten wir in Moskau. Der Russe meines Vaters ist der Untertitel dieser Erzählung, die einiges klarmacht. Zum Beispiel, warum es die Autorin gar so mit dem Osten hat. “ Eine Zigarette war der Kristallisationskeim der gefährlichen Freundschaft“, die sich gegen Ende des 2. Weltkrieges zwischen dem Vater und dem in Gefangenschaft befindlichen russischen Offizier entwickelte. Bedeutsam insofern, als sie auch noch die nächste Generation prägt. Dusl hat keine Angst vor den Russen. Im Gegenteil. In Moskau läuft sie erst zur Hochform auf, besonders wenn sie endlich die Unterführung der gefühlt zwanzigspurigen Straße findet und mafiöse Limousinen einfach als Taxi verwendet. Deine blauen Augen Es muss aber gar nicht die Metropole Moskau sein, das Abenteuer beginnt gleich hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang, von Wien aus ein Katzensprung. Dorthin bricht die Erzählerin auf, immer wieder auf der Suche nach dem „anderen im gleichen“. Dort kommt das Wasser anders aus der Leitung zum Beispiel.

Solche Beobachtungen von alltäglichen Details sind es, die die Stärke dieser Geschichten ausmachen. Aber auch in Manhattan stellt die Erzählerin einiges auf den Kopf. Nachdem sie den örtlichen Drogendealer mit ihrem Ungehorsam – sie selbst nennt es „Tourette“ – ganz schön aus der Fassung gebracht hat, wird das Empire State Building erklommen. „Hier oben war es kälter als unten in der Stadt. Die Winde stiegen aus der Tiefe empor, die Tropfen fielen nicht vom Himmel, sie kamen von unten, aus den Wolken, wie Gischt vom Meer: Vom Manhattanmeer. Ich stand da, verzaubert.“ Verzaubert ist sie auch von Steve, den sie ebenda trifft. Ob es ihn und seine blauen Augen jemals gegeben hat, tut nichts zur Sache. Gerade das Spiel mit dem Fabelhaften, Fiktionalen ist es ja, dass diese Texte über bloße Reisereportagen hinauswachsen lässt. Gerade eben, weil es die Autorin mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. „Andrea Maria Dusl, lebt in Wien, San Francisco und Knillehult in der Steiermark“ steht im Klappentext zu lesen. Ob es Knillehult ist oder Balmedie Beach bei Aberdeen, auffallend ist, dass die Autorin dort besonders stark wird, wo es um die Beschreibung des Hässlichen geht: „Das Meer war grau und schrie.“ Wer geht schon in Schottland baden, könnte man sich da fragen.

In der Erzählung „Suezkanal“ erklärt die Autorin die Genese dieser seltsamen Vorliebe, die, so könnte man es sagen, am Semmering ihren Anfang genommen hat. Dass man Teile dieser Geschichte so oder so ähnlich schon einmal gelesen hat, tut auch nichts zur Sache. Manche Kindheitserinnerungen sind eben besonders intensiv und blitzen in der einen oder anderen Form immer wieder auf. Aus aktuellem Anlass sei auch die titelgebende Kubageschichte besonders erwähnt. „Am Frühstücksbuffet gab es dezente Andeutungen von Normalität.“ Dusl war schon vor dem Papst da und hatte ganz offensichtlich mehr Spaß als der Pontifex. Sie darf sich im Unterschied zum Kirchenoberhaupt nämlich in windigen Kneipen herumtreiben: „Wer keine Kinder machte, fuhr Taxi.“ Dort lernt sie den Candyman kennen, bloß ins Hotel konnte sie ihn nicht mitnehmen. Zum Glück, kann man da nur sagen, die Erzählung wäre sonst um einige unterhaltsame Details ärmer geblieben. Einzig das Stück „Berggasse“ fällt auf den ersten Blick etwas aus dem Rahmen, spielt es doch in einem einzigen Häuserblock. Auf den zweiten Blick aber beinhaltet auch dieses kleine Abenteuer vom Keller bis zur Dachrinne die ganze Welt.“

TANJA PAAR, Album, DER STANDARD,  31. März 2012.