Weisse Westen

Wann immer es um österreichische Vorgänge und heimische Sachlagen geht, ist die Verstehenskompetenz des gelernten Österreichers gefragt. Die gelernte Österreicherin ist immer mitgemeint, versteht sie doch auch noch den gelernten Österreicher selbst, den Mann, Vater, Bruder, Chef. Und natürlich den Mitarbeiter.

Im Verständnis der gelernten Österreicher und Österreicherinnen gibt es die hierarchisch-mechanische Zuschreibung derer „da oben“. Die, „die es sich richten können“. Den gelernten Österreicher·innen gelingt das natürlich nicht, sie können es sich eben nicht richten. Für hiesige Verhältnisse ist das unverrückbar wie ein Naturgesetz, mit dem Unterschied, das es kaum Empörung gibt gegen kosmische Konstanten. Gegen die da oben „allerweil“, also kontinuierlich. In Österreichpermanenz.

Nun zielt der Unmut gegen diese Verhältnisse garnicht gegen die Privilegien selbst, sondern gegen das von ihnen Ausgeschlossensein. Gelernte Österreicher·innen werden also daran arbeiten, selbst in den Genuss der Benefizien derer „da oben“ zu gelangen, also dorthin aufzusteigen, wo man „es sich richten“ kann. Sich. Nicht allen. Nicht jeder, nicht jedem. Und möglichen anderen nur, wenn es dem eigenen Vorteil dienlich ist. Bananenrepublikanische Vorgänge im Land der Hämmer, Äcker, Dome sind nur im Wissen um diese Mechanismen verstehbar.

Die Frage, was das mit den Menschen macht, die sich dieser Österreichkonstituente bewusst sind, sollten sich jene stellen, die dieser Frage duch Aufstieg in die Korruptionsetagen erfolgreich entkommen sind. Die da oben. Die es sich richten können. Sich.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 13. April 2024.

Gleicher in Österreich

Mit der Gleichheit hat Österreich Probleme. Der alte Auszählreim „Kaiser, König, Edelmann; Bürger, Bauer, Bettelmann“ beschreibt das soziale Gefälle zwischen den Ständen früherer Zeiten. Gleich war man immer nur untereinander. Und auch das nur eventuell.

Nun sind frühere Zeiten bekanntermaßen abgeschafft, und Kaiser, König, Edelmann keine offiziellen Größen mehr. Als Bezeichnungen für die Mächtigen und Wichtigen sind sie aber weiterhin in Gebrauch. Liftkaiser und Immobilienkönige dirigieren Land und Leute, die Hauptmänner der Bundesländer nennen wir, ganz der Wirklichkeit verpflichtet: Landesfürsten. Parteimächtige firmieren als Magnaten, die Gebiete ihrer Herrschaft heißen Hochburgen. Alles in Österreich ist Audruck hierarchischen Gefälles. Das Geld aber fließt, anders als die Flüsse, hierzulande immer bergauf.

Alles an der Gleichheit, wiewohl schon in der Französischen Revolution neben der Freiheit und der Brüderlichkeit als Forderung erhoben, riecht hierzulande nach Kommunismus und Sozialismus, nach Marx und Manifest, Nach UdSSR und DDR, nach Stalin, Honnecker und Verderben. Am Gleichen sind daher nur die Melancholiker interessiert. Anderes geht es dem Gleicheren. Gleicher sind schon weniger, diese aber besonders. Ihnen fallen die Behörden niemals in den Rücken, stets aber in die Arme. Die Finanz ist mit ihnen auf du, nicht selten auch ganz dulli. Der Boulevard lobt der Gleicheren Tüchtigkeit, die Ungleichen bewundern ihre Chuzpe, ihr Charisma.

Nur das Karma ist von allem unbeindruckt. Mit Langmut ausgestattet, wartet es geduldig auf den Absturz der Gleicheren.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 30. März 2024.

Österreichs wichtigste Instrumente

Das Land und seine Bevölkerung kann in drei Gruppen eingeteilt werden: Diejenigen, die mit Werkzeugen umgehen können, diejenigen, die Musikinstrumente bedienen können, und schließlich all jene, die weder das eine noch das andere beherrschen. Letztere rühmen sich wenigstens, mit Gabel und Messer speisen zu können. Auch das Autofahren ist ihnen in die Wiege gelegt, zumindest glauben sie dies.

Sehen wir uns die Handwerker an. Sie arbeiten auf Goldenem Boden, wir treffen sie alltäglich in den Baumärkten des Landes, wo sie sich mit Werkzeug und Maschinen eindecken, mit Bau- und Bastelmaterial. Die Regalbetreuer in diesen Etablissements gehören nicht zu dieser Kohorte, immerhin beherrschen sie das Handwerk der Dislokation.

Die manuell Unbegabten im Land der Hämmer sind nicht weniger wichtig als die Begabten, ohne sie gäbe es keine Nachfrage, ohne sie keine tropfenden Wasserhähne, keine leckenden Waschmaschinen und kein ausgefallenes WLAN-Netz. Sie sorgen für Konjunktur und Wachstum, gemeinsam mit den Kolleg·innen vom Handwerk versorgen sie die Unfallchirurgie mit Patienten.

Bleiben die Musiker und Musikerinnen. Sie halten Österreich spirituell am Laufen. In Blasmusikkapellen, Orchestern und allerlei krachmachenden Bands organsiert, tragen sie die Last der Zerstreuung. Sie hängen die Geigen in den Himmel, beschallen die Kirtage und Hochzeiten, sie fetzen, trällern und schnulzen was das Zeug hält. Das Zeug sind in aufsteigender Wichtigkeit: Die Blockflöte, die Wandergitarre, und das gelbe Blech, das uns allen den Marsch bläst.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 16. März 2024.

Frühlingsdüfte

Was dürfen wir zu den eindeutigen Gerüchen des Frühlings zählen? Die Experten (also alle Österreicherinnen und Österreicher) sind sich nicht ganz einig. Manche erkennen im Fehlen von Schneeluft erste Boten des kommenden Lenz. Dem widersprechen die Wintersportler. Solange es oben am Berg nach dem Schmieröl der Lift-Motoren riecht und die würzige Hüttenluft nach Zielwasser und dampfenden Anoraks, kann von Frühling keine Rede sein. Unten im Tal taut es längst, wenn denn überhaupt je etwas Abzutauendes gelegen ist. Manche erinnern sich noch an das Wort: Schnee. Junge Menschen haben kaum noch welchen gesehen. Im Tal riecht es nach dem heimeligen Bukett der Transportfahrzeuge. Sie kommen von weither und bringen die bekannten Gerüche: Den ätherische Stingelduft spanischer Cocktailtomaten, die zarte Würzigkeit holländischer Baumarkt-Tulpenzwiebeln und das metallisch-ölige Aroma der Rasenmähergeneration 2024.

Die neueste Frühjahrsmode riecht streng und ungesund nach asiatischen Sweatshops, nach brackiger Containerluft und den leisen Parfums der Zöllner in den Tiefseehäfen. Das knisternd-pelzige Ozon wollen wir nicht vergessen. Es entsteht immer dann, wenn wir schon darauf vergessen haben. Wir kennen es vom Erstanziehen luftiger Kunststoffpullover.

Auch die politische Luft ist voller Frühling. Es riecht nach neuen schlechten Plastikkarten für Ausländer, und guten altem Bargeld für Einheimische. Nach Neuwahlen vor dem Sommer, im Sommer und nach dem Sommer, nach Rechtsruck und Linksgefahr, nach Koalitionsmief und Shitstorm, und hin und wieder auch nach Superkleber und Ungeimpftenschweiß.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 2. März 2024.

Das Packerl

Wir erinneren uns. An eine Zeit vor dieser. Das Wissen der Welt war noch zwischen Buchdeckel gebunden, in Archiven gelagert, und in Schuhschachteln mit Erinnerungen. Zum Telefonieren gab es Apparate. Man tippte ausschließlich in Schreibmaschinen und „mail“ hieß noch Brief. In ein Kuvert gesteckt und mit einer Marke beklebt wurde er von Postlern durch die Welt getragen. Postämter waren noch Orte des Vertrauens, beliebt und gut besucht wie der Kirchenwirt und der Greisler am Dorfplatz (beide heute verwaist). Egal, ob auf anderen Kontinenten aufgegeben, oder im Postkasten gegenüber, die Briefe, Packerl und Pakete kamen verlässlich an, noch kannte man den Witz nicht vom „aufgegebenem Brief“. Statt ein irritierendes SMS ins Smartphone zu tippen, begab man sich zum Postamtschalter des Vertrauens und diktierte ein Telegramm: „Ankomme Samstagabend“, „Gesamtfamiläre Geburtagsgrüße“, „Ich liebe Dich, Franz“.

Kinder und Junggebliebene mit Sammelbedürfnis schnitten Briefmarken von den Kuverts und horteten sie in Steckalben. Brieffreundinnen und Brieffreunde berichteten dazu aus fernen Ländern. Aus den diversen Urlaubsdomizilen von Freunden und Familienmitgliedern erreichten uns knallbunte, nach Sonne und Meer duftende Postkarten. Und landauf, landab hörte man das vertraute Zweitakt-Knattern des Posterlmopeds. In seiner schwarzen Tasche brachte der Postler Omas Pension (das waren die Tage, wo die Schnapserl auf ihn warteten), den Liebesbrief vom Herzensmenschen, und manchmal auch, so gern hatte man es dann doch nicht, was er brachte: einen blauen Brief vom Amt, einen Unterschreiber.

Ich wünsche mir diese Zeit zurück. Na gut, den Einschreiber nicht.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 17. Februar 2024.

Beste Berufe

Fernsehhistorisch alerten Österreichern und Österreicherinnen aus der Boomer-Generation (vorsicht Pensionsantritt!) ist das heitere Beruferaten „Was bin ich?“ von Fernsehonkel Robert Lembke noch in bester Erinnerung. Obzwar sie auf identischen Vorbildern aus der US-amerikanischen Fernsehlandschaft fußte, wurde sie als genuin deutsch, wegen des bairischen Dialekts des Moderators gar als österreichisch, jedenfall aber als heimatlich-heimisch wahrgenommen.

Das Show-Konzept war in bestechende Einfachheit geworfen, ein Studiogast mit seltenem Beruf (Rauchfangkehrerin, Zahnradbahnchauffeur, Wildbienenimker) wurde von einem redegewandten (sprich: g’feanzten) Viererteam zu Umständen der jeweiligen Profession befragt, wobei die Fragen so gestellt werden mussten, dass sie eindeutig mit Ja oder Nein beantwortbar waren. Für jedes Nein (insgesamt zehn davon waren möglich) bekam der Studiogast ein Fünfmarkstück in ein Sparschweinderl, ging also im beruflichen Unerratbarkeitsfall mit 50 Mark Salär (und lokaler Fernseh-Berühmtheit) nach Hause. Im Finale jeder Sendung musste eine anwesende Person von Prominenz (Vico Torriani, Inge Meysel, Rosi Mittermaier) erraten werden, dem Konzept folgend nur stumm lächelnd. In diesem eben so schwierigen wie nervenzerrüttenden Finale trug das Rateteam Augenmasken. Rate-Neins wurden statt Geld mit roten Rosen quittiert.

Robert Lembke war zur Glanzzeit seines Wirkens weltberühmt in Österreichisch. Die vorgestellten seltenen Berufe haben Millionen junger Menschen dazu animiert, weniger seltene Berufe zu ergreifen: Automechaniker, Friseurin und Einzelhandelsverkaufsperson.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 3. Februar 2024.

Weiß in Österreich

Entfernt man aus der Österreichischen Fahne das gefährliche Rot (Achtung Sozialdemokratie! Vorsicht Kommunismus!), bleibt ein blütenweißer Streifen. Ein Farbton, auf den sich alle einigen können, durch Kochwaschgänge und Bleichmittel jederzeit erneuerbar. Die Couleur tritt uns als jene der politisch Weißen Weste entgegen und ohne jede Konkurrenz als nationale Unterwäschefarbe. Im Tourismus geht nichts ohne weiße Pisten und die blendende Schönheit frischbezogener Hotelbetten.

Auch Neutralität und Friedensnähe wird gerne mit der Farbe Weiß verbunden, in österreichisches Tun gefallen war sie jahrzehntelang die Leitkolorierung eines erleuchteten Orginals. Ludwig „Wickerl“ Weinberger, Schildermaler in Rente, erarbeitete sich als Friedensapostel internationalem Ruhm. Tagaus, tagein spazierte er Ende des vergangenen Jahrhunderts durch die Touristengruppen der Wiener Fußgängerzone, in den ausgestreckten Armen eine Friedensfahne mit dem Spruch Waluliso (für Wasser-Luft-Licht-Sonne) und einen Apfel haltend. Sandalen und eine blütenweiße Tunika waren dem Olivenzweigbekränzten sommers wie winters die einzige Bekleidung. Waluliso verließ Wien aber auch gerne und wurde so international bekannt. Er fuhr zu Gipfeltreffen nach Genf und Reykjavík, kletterte nach dem Fall der Berliner Mauer auf das eingerissene Bollwerk, und schüttelte die Hände von Weltpolitikern. Die schüttelten die Köpfe.

Ein anderer Nationalheld wurde mit eindeutig zweideutigen Texten weltberühmt. In seinem hedonistisch-verrätselten Weltschlager „Der Kommissar“ besang Hans Hölzel vulgo Falco die hellste der österreichischen Farben: „… sie war jung, das Herz so rein und weiß, und jede Nacht hat ihren Preis, (…) den Schnee auf dem wir alle talwärts fahr’n, kennt heute jedes Kind.“

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 20. Jänner 2024.

Sternsinger

Alle kennen die drei Herren, sie knien andächtig und würdevoll in jeder Krippe, und wenn sie nicht knien, dann nur deshalb, weil sie die dicken Aristomäntel (und das edle Alter) daran hindern. Schon in der Bezeichnung der Weitgereisten gibt es Diskrepanz, die Italiener nennen sie Santi Magi d’Oriente (Heilige Magier des Orients), die Franzosen und Spanier Reyes Magos und Rois mages (Magier-Könige) und die Anglosachsen schlicht Three Wise Men (Drei Weise Männer). Hierzulande sind die Gabenbringer als die Heiligen Drei Könige bekannt, wiewohl die Bibel (Matthäus 2) im griechischen Ausgangstext nur von Magoi, Magiern spricht. Die Erstbesucher des Weihnachtswunders sind hier weder heilig noch Könige, und auch ihre Anzahl oder Hautfarbe wird nicht erwähnt. Der Mitbringsel sind jedenfalls drei, und ab dem 6. Jahrundert kennen wir auch die Namen der Bethlehem-Besucher: Caspar, Melchior und Balthasar. Dem Dreifachbeschenkten haben sie Gold (weil König) mitgebracht, Weihrauch (weil Gott), Myrrhe (weil Mensch). Zu ihrem heimtückischen Entsender Herodes kehren die Morgenländer nicht zurück, wurde ihnen doch im Traum davon abgeraten, den Geburtsort Jesu bekanntzugeben.

Mit etwas geschichtlicher Phantasie wurden die drei Weisen wegen ihrer Bezeichnung Magoi als persische oder chaldäische Zauberer und Sterndeuter identifiziert, wahrsagende zoroastrische Priester. Heute würden sie wegen ihrer esoterisch-spirituellen Gesamtneigung liebevoll als Schwurbler firmieren.

Die Knochen der Heiligen Drei Reisenden liegen jedenfalls mit anderen Reliquienpartikeln im Dreikönigenschrein im Kölner Dom. Ob es ihre eigenen sind, wird sich bis auf weiteres nicht klären lassen.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 5. Jänner 2024.

Silvester

Der Wechsel vom alten ins neue Jahr ist nur selten ein abrupter. Die wenigsten haben je einen Übergang erlebt, der einer tatsächlichen Zäsur gleichgekommen wäre. Ganz im Gegenteil, das Neue Jahr beginnt verlässlich, wie das alte endet, nur das Datum ändert sich, und mit ihm ein Fremdeln bezüglich der neuen Ziffernkombination. Noch tagelang werden wir uns beim Notieren der Kalender-Chiffre irren und die alte hinschreiben. Macht der Gewohnheit.

Um Punkt Mitternacht springt jedenfalls die Jahreszahl, und seit es Handys gibt, lässt sich das sogar in Echtzeit verfolgen. Aber auch diese Erfahrung ist trügerisch. Im antipodischen Neuseeland sind die Leute schon seit Mittag im neuen Jahr unterwegs, dann folgt Australien, Japan, China – im Stundentakt schmeißen uns die Medien neue Jahresübergänge, mit allelei Raketengeschieße, fernöstlichem Jahresendgebimmel und spektakulären Großfeuerwerken in die Timeline. Dazwischen gewiss auch Beschauliches, Einsameres aus dünkleren Gegenden.

Hartgesottene haben das deutsche Fernsehen mit seiner krachenden Lustigkeit laufen. Traditionalisten feiern im Schnee (wo einer liegt), mit Freundinnen und Freunden, im Schoß der Familie oder, weil sie schlicht arbeiten müssen, mit Ausgelassenen, die abgefüllt werden wollen. Die späteste Stunde des Jahres ist also auch eine sehr unterschiedlich erfahrene.

Die Autorin dieser Zeilen hat Silvester auch schon anders erlebt. Fern jeder Festlaune etwa, auf der Intensivstation oder geographisch entrückt, im Taxi auf einer Brücke über den Nil. Nicht die schlechtesten indes waren die Jahreswechsel zuhause, im trauten Heim, selbst wenn ihre Bedingungen waren: Glück allein.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 29. Dezember 2023.

Stille Nacht im Hohen Haus

Es wird ganz still sein und dunkel, fast heilig, abends am 24. Dezember. Draussen vor der Parlamentsrampe, unter der goldenen Statue der Pallas Athene werden ein paar verirrte Schneeflocken tanzen (Beschneiungsanlagen gibt es keine in Wien) und vielleicht ein paar einsame Touristen auf weihnachtlichem Hauptstadt-Trip.

Drinnen im Plenarsaal wird gespenstische Ruhe eingekehrt sein, marginal unterbrochen von den Kontrollgängen der Sicherheitsbeauftragten, die auch an Heiligen Festen dienstlich-wachhabend an das Haus gebunden sind. Aber niemand wird die Glocke läuten, die an anderen Tagen zum akustischen Programm des Ortes gehört, niemand wird eine flammende, rauchende, oder auch nur lähmend glimmende Rede halten, kein Zwischenruf wird stören, kein Applaus aufbranden, und auch von der Galerie wird niemand Unmut in die Tiefe schmettern. Es wird still sein hier wie selten.

Krippenzeit in Österreich. Maria und Josef, Ochs und Esel, stehen verträumt um eine Futter-Krippe, in der ein frischgeborenes Jesukindlein liegt, gebettet auf Stroh. Seine Eltern, das vergessen wir gerne, sind Flüchtlinge ohne feste Unterkunft, ins Prekariat gestossen von schlechter Gesetzgebung. Bedenken wir das, wenn wir uns der Einkehr hingeben. Der nun stillste Ort des Landes, das Hohe Haus, sollte, wenn er wieder laut ist und lärmen, jener sein, an dem gute Gesetze gefasst werden. Niemand soll sein Kind in Armut und Kälte in die Welt setzen müssen. Auch wenn Ochs und Esel das anders sehen.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 22. Dezember 2023.

Weihnachtswünsche

„Ich kann euch zu Weihnachten nichts geben. Ich kann euch für den Christbaum, wenn ihr überhaupt einen habt, keine Kerzen geben, kein Stück Brot, keine Kohle zum Heizen, kein Glas zum Einschneiden. Wir haben nichts.“ Die Sätze gehören zum österreichischen Erinnerungsschatz, insbesondere zum weihnachtlich-sentimentalen, multipliziert und verewigt vom Erklärbären der Nation, Hugo Portisch. Der da geprochen hatte zu Christbaum und Brot, Kohle und Glas war Leopold Figl, der erste Bundeskanzler der Zweiten Republik. Figls Stimme tönte zu Weihnachten 1945 aus den Radios eines zerbombten und besetzten Landes. „Ich kann euch nur bitten“, appellierte Figl an die Menschen, „glaubt an dieses Österreich!“

Ganz Österreich kennt diese Tonaufnahme. Nur wurde sie nicht in der Stunde Null des Jahres 1945, sondern erst zwanzig Jahre später eingesprochen. Vom da schon schwerkranken Figl, inszeniert von rührigen jungen Kräften aus seinem Umkreis, anlässlich des Porzellan-Jubiläums des Kriegsendes. Warum erst jetzt? Zum Anlaßzeitpunkt waren Radiosendungen noch nicht auf Band aufgenommen worden. Die Original-Rede des Bundeskanzlers an seine hungernden und vom Krieg gezeichneten Landsleute gab es nur in der Erinnerung. Um die Ansprache zu rekonstruieren, hatte man alte Unterlagen durchforstet. Beim Abspielen seines Remakes vor dem Stephansdom soll Figl feuchte Augen bekommen haben. Hunderte von Zuhörern, die von der Neueinspielung keine Ahnung hatten, brachen in Tränen aus. Ohrenzeugen der Original-Ansprache waren sicher, eine historische Aufnahme zu hören.

Die Produktion von Wahrheit hat Tradition in Österreich.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 15. Dezember 2023.

Neue Rollen

Wie so oft war früher alles besser. Die Guten waren die Guten, die Bösen waren die Bösen. Die Guten waren immer wir, die Bösen immer die anderen. Seit Jahrtausenden ließen sich so die Sympathien lenken. Auch und besonders im Kriegsfall. Die Devise lautete: Hoch die Unsrigen, nieder mit den Anderen! Bis der Fußball in die Welt kam, und mit ihm die Erkenntnis, dass die Guten nicht immer die Unsrigen sind und die Schlechten nicht immer verlieren. Das hat viel Unruhe in den Köpfen der Menschen erzeugt. Besonders in denen der Österreicher (die Österreicherin ist marginal mitgedacht). Wenn die Unsrigen nicht mehr automatisch die Guten, und die anderen nicht automatisch die Schlechten waren, war vielleicht jemand anderer schuld. Der Schiedsrichter! Die Outwachler! Der Rasen, das Wetter, die Losfee, die unzuverlässige Person!

All das muss bedacht werden, will man die Gesellschaft und Ihre Präferenzen in politischen Auseinandersetzungen verstehen. Insbesondere dann, wenn es um die Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mittel geht, um den Krieg nämlich. Die jüngsten Anlassfälle martialischer Schrecklichkeiten verstören zutiefst. Wer sind die Guten und wer die Bösen? Darf man die, die zu den Bösen halten, ebenfalls als Böse bezeichnen? Und was, wenn die Falschen zu den Richtigen halten und die Richigen zu den Falschen? Wo beschweren wir uns dann? Und was, wenn mehr Schiedsrichter übers Feld der Auseinandersetzung laufen, als Mannschaften? Und was, wenn auch Frauen und Kinder, Alte und Kranke am Spielfeld stehen?

Unlösbare Fragen. Österreichische geradezu.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 8. Dezember 2023.

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