Der österreichische Handschlag

Die alten Baiern zogen einander am Ohr, Kaiser, König, Edelmann siegelten, Ämter stempelten, die Welt des Kapitals kennt die Unterschrift. Jedes Schriftl ist ein Giftl, antwortet man in Österreich, denn für Akte des Vertrauens, für Abkommen und Vereinbarungen aller Art gibt es den Handschlag. Der Handschlag ist kein Griassdi und kein Hallo – für Begrüssungen tippt man sich an den Hutrand, hebt das Krügel, reißt einen Seawas runter. Der Handschlag ist tief empfundene Landeskultur, er gilt jenseits aller Vorschriften und Gesetze als rechtsverbindlich und echt, als willkürliche Gegenwartsgeste, die in die Ewigkeit reicht.

Der österreichische Handschlag ist nicht geschüttelt, wie die bürgerlich-amerikanische Guten-Tag-Geste des höflichen Händedrucks, der hiesige Handschlag ist fest wie die Gerichtslinde am Dorfplatz und klar wie der Affirmations-Obstler im Stamperl danach. Im (stets männlichen) Handschlag verdichtet sich die Erinnerung ans Armdrücken am Kirtag, an die helfende Hand nach dem Mopedausrutscher, an die klebrige Schwurhand nach dem nächtlichen Maibaumumsägen.

Obschon die Handschläger mit gleicher Festigkeit zudrücken, wissen sie insgeheim, wer der Stärkere ist. Gleichheit wird nur simuliert, behauptet, sie schwindet spätestens beim Bündnisbruch. Ehrhaftigkeit (nicht Ehre), Verlässlichkeit in Männerbelangen wird daher, gerne auch von Lokalpolitikern, in die Formel von der „Handschlagqualität“ gegossen. Kaum je wurde diese einer Frau zugesprochen. In Sachen Gleichberechtigung gibt es also noch Ritualbedarf.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 6. Juni 2025.

Eiskarte 2025

Österreich ist ein Land des Verkehrs. Im Verkehr kennt es sich aus. Im Straßenverkehr, im postalischen Verkehr, im Fremdenverkehr. Das Werkzeug zur Vermittlung verkehrlicher Anliegen ist die Karte. Je nach Sparte bedient sie Wünsche und Möglichkeiten der Beteiligten.

Sehen wir uns die Karten an. Die österreichische Straßenkarte (heute die virtuelle im Navi) organisiert das friedliche Hin und Her im Land, das Ankommen und das Wegfahren, den Durchzug, den Transit. Die österreichische Wanderkarte (heute die am Handy) erschließt die Bergwelt, führt zu Hütten und Herbergen, zu Gipfeln, Graten und Gletschern. Die Fahrkarte erlaubt die Reise mit Öffis aller Art, die Eintrittskarte den Zugang zu musealen Österreichischkeiten, erschließt Burg und Schloß, Ausstellung und Erlebniswelt. Mit der Postkarte (heute dem Posting) werden Anwesenheitsbeweise, Kurznachrichten und familiär-bekanntschaftliches Allerlei übermittelt. Die Speisekarte endlich erschließt Kochkunst, Preismoral und Ästhetik des individuellen Verköstigungsbetriebs. Nach französisch-italienischem Vorbild kann sie auch mündlich vorgetragen werden, in Form eines kulinarischen Kurz-Epos. Die kürzeste Form dieser gesprochenen Karte erzählt alles über Weniges, und damit alles über Österreich: „Schnitzel hätt ma, Gulasch, und a Eierspeis“, im Kaffeehausfall „den Spezialtoast.“

Die Zusammenfassung all dieser Karten ist die Eiskarte. Die Fahrkarte in die Hitze-Stillung sommerlicher Akut-Gustos. Die Eintrittskarte ins Feriengefühl, die Wanderkarte in die Welt der transportablen Mikrogletscher.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 10. Mai 2025.

Weltuntergang

Ein alter Witz, der fälschlicherweise Karl Kraus, Gustav Mahler und in einigen Varianten auch Bismarck, Hegel, Heinrich Heine, Abraham Lincoln und Mark Twain zugeschrieben wird, geht so: „Wenn die Welt untergeht, dann gehe ich nach Österreich. Dort passiert alles zehn Jahre später.“

In Maßen ist die Republik jüngst von jener Untergangs-Bewältigungs-Philosophie gestreift worden, die in US-Amerika (und verbandelten Gegenden) als Preppertum firmiert. Prepper sind Leute, die sich auf mögliche Katastrophen und Notfälle vorbereiten. Die Bezeichnung leitet sich vom englischen Ausdruck „to be prepared“ ab, was soviel „bedeutet, wie „vorbereitet zu sein“. Auf den Bürgerkrieg, den Atomkrieg, die Apokalyse. Auch die Schweizer haben jahrzehntelang gepreppert – unser westliches Nachbarland gilt als nahezu lückenlos unterbunkert. Österreich ist immerhin weitgehend unterkellert.

Minimal preppern auch Österreichs Ministerien und und andere Behörden, indem sie vor Blackouts (Stromausfällen) und Brownouts (Netzschwächeanfällen) warnen. Man möge sich für diese Fälle Getränkevorräte anlegen, Nassrasierer, Kerzen und ein Kurbelradio vorrätig halten. Dass der Notfall rituell verankert ist, manifestiert sich am Land jeden Samstagmittag in der Sirenenprobe (in Wien findet diese nur am ersten Samstag im Oktober statt.) Sinn der Testung ist es, die Bevölkerung auf die Existenz von Sirenen aufmerksam zu machen. Was im Ernstfall zu tun ist, wissen die wenigsten. Mit einer Ausnahme: Die Prepper. Sie begeben sich im Alarmfall in den gut gefüllten Bunker.

In Österreich haben sie dazu 10 Jahre Zeit.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 10. Mai 2025.

Wien

Eine Freundin von mir lebt im Burgenland, in einer angenehm hügeligen Gegend, touristisch noch weitgehend unentdeckt. Dörfer, Wiesen, Felder, Weingärten. Die älteren Dörfler leben nebenerwerbsbäuerlich in weißgetünchten Vierseithöfen, die jungen haben sich bunte Einfamilienhäuser gebaut. Die Nahversorgung stellt das Lagerhaus zur Verfügung, und die lokale Tankstelle. Wirtshäuser gibt es keine mehr. Man trifft sich bei der Blasmusik und in der Buschenschank. Österreichische Provinz. Meine Freundin hat sich als Kräuterpädagogin ausbilden lassen, pendelt aus, heilt und berät.

Wenn wir telefonieren, gilt die erste Frage dem jeweiligen Wetter, dann wird gefragt, ob alle gesund seien und dann wird es politisch. Wie ist die Stimmung bei euch? Im Südburgenland ist sie sozial konservativ, hin und wieder gibt es Unmut. Hagel, Frost, Überschwemmungen. Von Wien hat meine Freundin ein düsteres Bild. In diesem Bild gibt es täglich Schießereien zwischen Mafia-Gangs von Balkan, in den Gassen marodieren Messerstecher und Drogendealer, kurz Wien ist gefährlich wie die Armenviertel von Caracas, über beleumundet wie Kabul, Khartum, Karachi. Ob ich mich noch auf die Straße traue? Jederzeit, antworte ich dann. Das Schlimmste was mir in den letzten Monate passiert sei? Dass die Bim 7 Minuten Verspätung hatte und ich keinen Sitzplatz mehr bekam. Die letzte Polizeisirene hätte ich 2024 gehört. Nur die Post wäre so unzuverlässig wie in einer Bananenrepublik. Das verbitte sie sich, sagte meine Freundin. Ihre Schwester lebe in Guatemala, und da käme die Post zuverlässig an.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 26. April 2025.

Hass im Netz

Sie heißen Raecher0851, BauxiEins11, Seppi13 und Gemmagetscho1. Die Zahl der anonymen Internetpersönlichkeiten mit halblustigen Kurznamen und Zahlenendung geht in die Millionen. Sie verstehen sich als mutige Individueen, als Kreuzritter der Freien Rede. Vereint sind sie zur Stelle, wenn der Shitstorm aufkommt, wenn es gegen die Aufgeklärten geht, gegen die vermeintlich Mächtigen, weil öffentlich Auftretenden. Das Mächtige meinen sie schon im schieren Realnamen zu erkennen, Aufgeklärtes, wissenschaftlicher Evidenz oder schlicht Fakten Folgendes desavouieren sie als Fake-News und Lügenpropaganda. Journalistinnen erregen ihren Umut, Ärztinnen, Wissenschaftlerinnen. Die Zornigen tummeln sich in den Online-Foren der Zeitungen, in den diversen (Un)sozialen Medien, vor allem aber auf X, der toxischen Verlautbarungsplattform des Elon Musk. Mistgabeln braucht es keine für ihre Krawallstürme, keine lodernden Fackeln, es genügt eine abgewetzte Tastatur und ein alter PC-Kübel. Viele rücken inzwischen am Handy aus, um Gutmenschen fertigzumachen. Es scheinen Männer mit brüchigen Biographien zu sein, gesellschaftlich marginalisiert, fremdbestimmt und verbittert. Sie schreiben keine Gedichte, keine Lieder, keine Romane, ja nicht einmal Pamphlete, um ihren ungestillten Zorn zu kanalsieren, ihnen genügt kurzzeiliger Hass. Mit zwei, drei Fingern getippt, im Stil schnellverfasster Klotüren-Polemik.

Vor Gericht gestellt, in Reportagen erforscht entpuppen sich die Hassposter als harmlos auftretene Biedermänner, Familienväter, Durchschnittsbürger. Der amtierende US-Präsident und sein südafrikanischer Berater-Buddy sind bekannte Ausnahmen.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 12. April 2025.

Farben der Saison

Leise und ausdrucksarme (sprich: fade) Politiker werden auch in Österreich, Traditionsgegend der Halbschatten und Zwischentöne als „farblos“ diskreditiert. Sehen wir rüber ins Weltgeschehen: Der Vorwurf der verbalen und mimischen Unbuntheit hat dem scheidenden deutschen Kanzler Scholz das Amt gekostet, auch Joe Biden und seiner Karriereverlängerung wurde lähmendblasse Grauheit zum Verhängnis. Farblosigkeit ist zwar bei Herrenanzügen, teuren Limousinen und den Dreitagesbärten der Manager gängiges Muss, auf dem Tanzparkett der Temperamente aber ist graue Zurückhaltung mittlerweile verpönt.

Man versteht, dass die amerikanische Gesellschaft Gefallen an orangen Gesichtern und knallroten Schirmmützen entwickelt hat, an kajalschwarzen Krawallaugen und pennälerhaftem Brachialgehopse. Diplomatische Besonnenheit und elegantes Auftreten sind dank Trump und Musk, und ihrem geheimen Stilberater, dem argentinischen Kettensägenonkel Millei wenig bis gar nicht mehr gefragt. Nicht ganz unschuldig daran ist das weltweite Mediennetz, das nach Aufruhr und Politikgekreische im Minutentakt verlangt. Die Castingshow läuft auf allen Kanälen und hat nur wenige Regeln: Schrill schlägt jederzeit schrullig, böse und berechnend obsiegen immer über berufen und befähigt. Die Grenzen des Möglichen wurden verschoben. Der Politikertypus Horrorclown hat die Bühne betreten und verweigert Aktwechsel, Schlussapplaus und den Gang in die Garderobe.

Man muss dem hiesigen Kanzlerduo Christian Stocker und Andi Babler geradezu dankbar sein, dass sie dem Genre „farblos“ neue Würde verleihen.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 29. März 2025.

Trio Infernal

Wir befinden uns im Kino-Frankreich der Siebzigerjahre, blicken aber zurück in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Ein für militärische Tapferkeit ausgezeichneter Anwalt (Michel Piccoli) und zwei von der Deportation bedrohte deutsche Schwestern (Romy Schneider und Mascha Gonska) beginnen, Lebensversicherungsgesellschaften durch kurze, stets tödliche Ehen mit betuchten alten Männern zu betrügen. Angestachelt vom Erfolg ihrer ausgeheckten Gaunereien scheuen sie schließlich auch vor Mord nicht zurück, töten einen Zufallskomplizen und seine Frau, eine reiche Wuchererin. Die Leichen lösen sie in Badewannen voller Schwefelsäure auf. Ein weiteres Unterfangen erweist sich für eine der Schwestern als tödlich. Tief verbunden durch ihr bestialische Tun heiratet der Anwalt, mittlerweile in die Politik gegangen, die Verbliebene des Trios. Eine Lebensversicherung wurde abgeschlossen. Hier endet der Film, der Ausgang ist so offen wie wahrscheinlich.

Filmisches auch heute. Mutet die US-amerikanische Politik dieser Tage, Wochen und Monate doch an wie eine Melange aus tabuloser Horrorgroteske und monumentalem James-Bond-Film. Mit einer verstörenden Ausnahme. Im laufenden Thriller im Weißen Haus gibt es nur Weltbösewichte, rettende Agenten mit Stil und Absichten sind nicht in Sicht, sie wurden erst garnicht ins Drehbuch geschrieben.

Das Publikum sieht dem Treiben mit einer Mischung aus Angstlust und Abscheu zu. Popcorn und Sportgummi sind längst ausgegangen.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 15. März 2025.

Wie ist das mit den Fragen?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 10/2025 vom 5. März 2025

Liebe Frau Andrea,
Immer wieder werde ich, meist von Freundinnen und Freunden, zur Metabene dieser Kolumne befragt. „Wann denkst du dir die Fragen für deine Kolumne aus?“ heißt es dann, und „Das sind echte Fragen, von echten Leuten? Nein, komm!“ Stellvertretend für diese wiederkehrenden Erörterungen stelle ich also wieder die eine alte Frage an mich: „Beantwortest Du hier echte Fragen?“Beste Grüße, Andrea Maria Dusl (ich),
Upper Westside Leopoldstadt,
in kolumnistischer Introspektionspermanenz

Liebe Andrea,

eingedenk einer legendären Kabarett-Nummer Fritz Grünbaums, in der dieser sich in vorgegebener Doppelfunktion als Kabarett-Direktor und kabarettistischer Conférencier in einem fiktiven Vorstellungs-Gespräch mit sich selbst verzettelt, versuche ich mich also wieder einmal in kolumnistischer Persönlichkeitsspaltung.

Ja, lautet die kurze Antwort, hier werden echte Fragen von realen Menschen beantwortet. Nichts ist ausgedacht. Die Fragen kommen auf verschiedenen Kanälen zu mir, meist per Email, manchmal als Direktnachricht auf Facebook oder Bluesky, und auch Postkarten trudeln ein. Fragen anonymer Individuen, herangetragen von „@Trollmeister42“, „@Elfenheil7“ oder „@Halligallitrude“ erfahren keine Behandlung, sie verletzen den Anspruch auf Augenhöhe.

Das Beantworten echter Fragen realer Menschen hat einen sinnstiftenden Aspekt. Niemand könnte sich all die vielen, aus so unterschiedlichen Erfahrungen und Erlebnissen gespeisten Fragen ausdenken. Schnell würde den Lesenden (und auch mir) fad werden. Der bittere Geschmack der Fake-Dichterei würde das Geschriebene vergiften, die Kolumne würde in Schwurbelei und Ratgeberkitsch ersticken. Mahnt doch das Beispiel der berühmten Antwortonkel Dr. Sommer und Dr. Korff aus der Teenie-Illustrierten BRAVO. Die vielen verschiedenen Autor·innen der legendären Kolumnen schmissen regelmäßig hin. Ging ihnen doch schnell die Themenluft aus.

Schließen wir mit einer Zusatzfrage. Woher weiß ich das alles? Ich weiß nicht alles, nicht einmal einen Bruchteil davon. Ich mache mich schlau. Womit? Mit der guten alten Methode Recherche.


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