Boboville ::: Lesung NordbahnSaal

Liebe Zeitgeistteilnehmerinnen!
Liebe Freund·innen!
Liebe Bobos!

Am Samstag, den 27. Jänner 2024
18:00 – 19:30h
lese ich aus meinem Stadtroman

Boboville

Wo? Im neueröffneten, sehr leiwanden
NordbahnSaal in der HausWirtschaft,
Bruno-Marek-Allee 5,
im 2. Hieb.

Kommet zahlreich!

Vorbestellkarten um 1 Euro (!)
gibt es hier:

https://kupfticket.com/events/andrea-maria-dusl-boboville

Das Bonbongeschäft

Boboville hat 1968 begonnen, da war ich sieben, sieben auf einen Streich, es war Sommer und Boboville war heiß. Gegenüber vom rosagestrichenen Haus, wo am 1. Mai die roten Fahnen der Sozialisten hingen, gegenüber vom rosa Haus mit der Putzerei, ein schönes Bild, das rosa Haus der Sozialisten mit der eingebauten Putzerei, gegenüber von diesem Haus lag das Geschäft. Die Keimzelle von Boboville. Das heilige Geschäft. Das Bonbongeschäft. bonbons stand in großen Lettern über dem Geschäft. Bonbonville hätte ich meine Insel genannt, hätte ich als Kind gewusst, das Zuckerl und Bonbons das Gleiche sind.

Das Bonbongeschäft, es existiert noch heute, meine ich, vierzig Jahre nach 1968, es war rot gestrichen und ist es noch. Rotsein hatte eine Logik für mich, lange bevor das Wort in mein Leben treten sollte. Als Siebenjährige hielt ich es für richtig, wie ich es damals nannte, dass gegenüber von Onkel Christians rosa Sozialistenhaus mit der Putzerei das rote Zuckerlgeschäft lag. Seine Auslagen waren mit Krapfen geschmückt, mit Indianern, Pariserspitz, leeren, vergilbten Bonbonnierenschachteln. Mit gelber Plastikfolie war sie ausgelegt, die Auslage, darin lagen Vanillekipferl, zu kleinen Vulkanen aufgeschichtet, Mannerbruch in Scheiterhaufenform, Windringe in zirkulär geschichteten Windringringen. Und manchesmal stand eine Nusstorte in der Auslage. Mit einem dicken Kakaocremekringel an der Schulter, gekrönt von einer Walnuss. Oder war es eine Kaffeebohne, mit der Schamspalte nach oben in den Kakaocremekringel gedrückt?

Die Scheibe des Bonbongeschäftes hatte 1968, wenn man die Scheibe gut kannte, auf Kindernasenhöhe leichte Blindheiten. Die kamen von den gierigen Häuchen, die wir beim Anblick von Torten und Mannerbruchgebirgen auf den kalten Scheiben hinterließen. Ein Besuch des Bonbongeschäftes ohne minutenlanges Verharren an der Oberfläche der Bonbongeschäftauslagenscheibe wäre kein Besuch des Bonbongeschäftes gewesen. Man musste sich genau einprägen, was man brauchte. Ob und welches Torteneck, welche Kombination wievielwelcher Zuckerl. In unserer linken Kinderbobofaust befanden sich, zwischen gekrümmte Finger geklemmt, die Schillinge. Schillinge. Einschillinge und Zehngroschenscheiben und kleine, randgerillte Fünfziggroschenknöpfe. Abgezählt. Zu imaginierten Groschentürmen gestapelt.

Denn Boboville 1968, als ich sieben war, hinter den Zwergenbergen, war immer auch Berechnung. Wie viel sich wovon ausging mit wie viel an kinderbobofaustgewärmtem Metall. Die Berechnung dessen, was die linke Faust umklammerte. Um zehn Groschen, das musste man wissen, wenn man mit der Nase an der Zuckerlgeschäftscheibe hing, ging sich immerhin ein Stollwerck aus, die Grundwährung meiner Bobovillekindheit. Mit einem im Fußabstreifergitter vor der Putzerei gefundenen Zehngroschenstück ging sich in der Frühzeit von Boboville ein Stollwerck aus. Es war so groß wie ein Auge im Quadrat und so hoch wie zwei Schulhefte dick, es war eingewickelt in ein zwergentischtuchgroßes Wachspapier. Das Stollwerck. Das Wachspapier, man musste es ablösen, solange das Stollwerck kalt war. War es warm, klebte das Wachspapier am Stollwerck. Fünf Minuten milchzähneverklebendes Lutschen ging sich aus mit dem Zufallszehngroschenstück aus der Bobovilleputzerei im Sozialistengebäude, dem TheodorHerzl-Hof. Theodor-dem-Erfinder-von-Israel-Herzl-Hof. Dass die Gasse ums Eck Malzgasse hieß, hatte Richtigkeit für uns. Schmeckte doch das braune, klebrige Stollwerck nach Malz. Oder nach dem, was wir für Malz hielten. Wir. Wir, die Bobovillekinder vorm Bonbonvillegeschäft. Und wo waren wir her? Aus der Leopoldsgasse, aus der Schreygasse, aus der Rembrandtstraße, aus der Nestroygasse. Aus der Unteren Augartenstraße, aus der Malzgasse. Die, nach der das Malz in den Stollwerck seinen Namen hatte.

Das Bonbonvillegeschäft in der Leopoldsgasse war eine Art Maschine, eine Konsumboboismusmaschine, die erste Konsumboboismusmaschine der Welt. Das Bonbonvillegeschäft musste man besteigen, es war nicht ebenerdig zu betreten. Ein kleiner, halbstufenhoher Absatz führte in eine rotbemalte Nische, rot, wie ja alles Holz am Bonbonvillegeschäft rot gestrichen war. In einem Rot, das eine leichte Fähle hatte, ein sonnengeblichenes, vom blauen Himmel ausgelaugtes Rot. Ein Rot, wie wenn man von oben in ein Himbeerkracherl schaute. Es knirschte, wenn man die Betretungsnische des Bonbonvillegeschäfts bestieg, es machte knarrende Geräusche. Selbst dem federleichtesten Leopoldsgassenkind aus der Schreygasse, in jedem Fall war das immer ich, denn ich war das zarteste, kleinste und gewichtsloseste aller bonbonaffinen Kinder in Frühboboville, selbst dem Hauch eines Kindes gelang es nicht, die Eingangsnische ohne das Eintrittsknirschen zu besteigen. Das Knirschen war Teil der Maschinerie.

Der zweite Mechanismus der Bonbonvillemaschinerie war nicht minder geräuschvoll. Eine Türe, rot gestrichen war sie und dreiviertelgläsern, sie musste an einer Griffstange gehalten und gegen den Widerstand eines Kugelschnappmechanismus aufgedrückt werden. Der Bonbontürmechanismus schärfte mein Talent für technische Zusammenhänge. Ich hatte damals keine Ahnung und heute ebensowenig, wie das Schloss hieß, war es ein englisches Patent oder ein amerikanisches? Für das Kindermich war es eine kleine Messingnuss, die von einer Feder in die Außenwelt gedrückt wurde. Sie war mit honigfarbenem Schmierfett verklebt und roch nach Fahrradkette. Die Messingnuss hielt die Türe im Schloss. Man musste mit dem ganzen Gewicht eines zuckerschuldigen Kindes an der Türe drücken, um den Widerstand der honigschmierfetten Messingnussfeder zu überwinden. Das geschah, so es geschah, denn es war nicht leicht, stets mit einem Knall, von dessen mechanischer Erschütterung die Glasscheibe in der Bonbongeschäftstüre klirrte. Leicht, so dachten wir, könnte dieses Glas brechen und zu enormen Kinderschulden bei den Bonbongeschäftsinhabern führen. Schellende Ohrfeigen, markzersetzendes Angeschrienwerden, schmerzhafte Schüttelungen und daheim dann schlicht lebenslanges Fernsehverbot nach sich ziehen. Der Eintritt ins Bonbonparadies war untrennbar mit der Angst verbunden, die Zuckerpforte zu zerstören. Indes, das Dilemma war Teil einer ausgeklügelten Inszenierung. Nie nämlich, ja nie ist das Glas des Paradiesportals aus seinen Kittfugen gesprungen. Die Diabolik dieses Mechanismus war ebenso perfide wie gefürchtet.

Hatte man die Türe aufbekommen, schlug ihr Blatt rechts oben, eine Handbreit aufgedrückt, gegen ein Glöckchen. Als hätte das Knirschen der Betretungsnische und das Knallen der Türe nicht schon genug Bonbongeschäftsalarm ausgelöst. Knirschknallklingeling, das war, in Geräusche umgesetzt, das Süßigkeitenprogramm des Bonbonvillegeschäfts. Zuckerlkauf war ein Abenteuer, dessen Ritualpartikeln sich nicht alle von uns aussetzen wollten. Ich jedenfalls hatte bald eine Technik einstudiert, die Sesam-öffne-dich-Arbeit anderen aufzuschultern. Einem anderen Kind, einer Bonbonnierekäuferin, einem Schokohurtigen, einem Diabetiker auf Selbstzerstörungstour. Irgendjemandem jedenfalls, der die honigfette Nuss für mich aufdrückte. Sobald ein Helfer nahte, stellte ich mich in die Nähe der Eingangsnische, studierte den Mannerbruch, zählte die heidelbeergeschmackigen unter den Hellerzuckerln oder dachte mir sonst eine Unauffälligkeit aus. Das hatte ich mir von den Bienen abgeschaut. Die zuckelten doch auch zögerlich vor den Kelchen herum, um mit ihrem Schwirren andere Bienen zum Blütenbesuch anzustiften. Diese Vorgänge wollen deshalb in aller Ausführlichkeit erzählt werden, weil zum Verständnis Bobovilles das Verständnis für die Abweichung gehört. Bobovillains sind am Ungleichartigen interessiert, nicht am Uniformen. Auch von diesen Vorgängen wollten die Blindheiten stammen, die in Kindermundhöhe in die Auslagenscheiben geätzt waren. Von den Häuchen der Wartenden. Von den perfide vor dem Kelch taumelnden Kinderbienen.

Und dann kam sie, die dicke Hummel im Hubertusmantel, die Tortensuchende, den Seppelhut aufs weiße Lockengebirge drapiert. Und die knirschknalldrückte mir die Türe zum Süßigkeitenjerusalem auf.

Von Innen, das will ich gerne zugeben, ließ sich die bestialische Türe so leicht wie geräuschlos manipulieren. Von Innen sehen alle Initiationsrituale lächerlich aus. So geräuschvoll der Eintritt war, so leise, so sakristeihaft still war es im Inneren des Bonbongeschäfts. Ein Zimmerchen, von einer L-förmigen Glastheke beherrscht. Keine von den Bonbonischen befand sich je bei Eintritt in ihr Reich hinter dieser Budel. Die Bonbonischen befanden sich in lauernder Stellung, in der Tiefe ihrer Geschäftsräume. Ich entwarf ein Bild von ihnen, wie sie auf rosaledernen Sofas, im Lichte schokoladenfarbener Stehlampen vollgeklebte Fußballbilderalben studierten und Eskimoeiskataloge, Keksbestelllisten ausfüllten oder auch nur die Kreuzworträtsel in der Zuckerbäckerinnungsgazette. Vielleicht schliefen sie auch auf großen Schaumrollen? Designschaumrollen gewiss. Aus der Carnaby Street. Im Lichte himbeersaftfarbener venezianischer Luster.

Wie auch immer, nach dem Vergehen einer guten Minute krabbelte eine der Bonbonischen aus ihrem Versteck, nach meiner Erinnerung eine kleine, dicke Frau mit blaukarierter Textilviertelschürze, die Leopoldstädter Friseurbesuchsfrisur im Haar, zur Zeit, in der meine Erinnerung spielt, war es das silberblau getönte Lockenhaupt. Die Frisur der Gegend war uniform, silberblaue Dauerwelle. Nur Frau Natiesta im dritten Stock unseres Hauses in der Schreygasse, einen Apfelbutzenwurf von hier Richtung Leopoldsberg, hatte weißgoldenes Haar.

Die Bonbonische war mürrisch, sie hatte dicke Hände wie die Babuschkas in der Ukraine, wie die Waldviertler Kartoffelbäuerinnen. Dicke, kurze Hände. Und mürrisch war sie. Alle Bonbonischen sind mürrisch, anders als mit militanter Mürrischkeit lässt sich ein Bonbongeschäft nicht führen. Die Mürrischkeit paarte sich mit Präzision. Der Bonbonischen konnte man die ungeheuerlichsten Listen vortragen. Mehrstellige Listen. Listen, die von 17 weißen Stollwerck handelten, drei Liebesherzen, zwei Fizzersrollen, zwei Bazooka-Kaugummi-Paketen, drei Kuverts Fußballbildern, zwei Schlangen, zwei Colaflascherln aus Gummi, einer Packung Brause Orange, einer Packung Brause Zitron, einem Leberknödel.

Die Bonbonische hatte im Kopf mitnotiert, und schon beim Ausklang des Wortes Leberknödel, oder was auch immer das Ende der Liste markierte, die Summe parat. Dreizehn dreißig. Mehr als Dreizehn dreißig überstieg so ein Großeinkauf im Bonbongeschäft nie, und es war immer eine Kombination aus Groschen und Einschillingmünzen. Und immer zahlten wir sofort. Nach Bekanntgabe der Liste. Erst dann grub die Bonbonische in den Details und schichtete mit einer Genauigkeit, für die sie Uhrmacher beneideten, unser Zuckerwerk in weiße Papiersäckchen. Mit denen man später, waren sie leer und aufgeblasen, einen bobovilleerschütternden Knall machen konnte. Mürrische Genauigkeit. Die lernten wir bei der Bonbonischen. So waren die mehrstelligen Listen ja auch zusammengestellt worden, durch mürrisch genaue Kalkulation von Zuckerlpreisen. Zehngroschenscheiben ließen sich gegen Stollwercke tauschen, Fünfziggroschenknöpfe gegen Fizzersrollen, Bazooka-Gums, Brausesäckchen und Gummilutschzeug. Nur die Panini-Fußballbilder waren in Schillingwährung geerdet. Und der dicke, fette Leberknödel, das Zweischillingmonster. Sein wuchtiger Preis folgte gestalterischer Logik. Nach dem Essen der Nougatbombe war der Kindermagen verklebt. Nicht mal Brause konnte dann den fetten Nougatleberknödel durch den Bauch spülen. Der Nougatleberknödel war der Gruftdeckel des Zuckerlgrabs.

Das Reich der Bonbonischen war im Gegensatz zu den anderen Geschäften auf der Insel auch an Sonntagen geöffnet. Manchesmal musste ich hier Sonntagsmilch für daheim einkaufen. Oder Sonntagskaffee. Oder Sonntagszucker. Die Bonbonischen verwahrten Milch auch an Nichtsonntagen in einem Geheimkühlschrank. Denn die Zuckerlgeschäftkonzession verbot 1968, im Jahr, als am Boulevard SaintGermain die Pflastersteine flogen, gewiss den Verkauf von ungezuckerten Nahrungsmitteln. Es war mir damals schon bewusst: Geschäft ist immer auch Verbrechen. Milch verkaufen, wo Milchverkauf verboten ist. Kaffee verkaufen, wo Kaffeeverkauf verboten ist.

Bei den Bonbonischen saßen manchmal Leute vom Grund. Ausgemergelte Gestalten bei einer Tasse schwarzen Mokkas, die sich vorgaukelten, bei den Bonbonischen etwas für die Gesundheit zu tun. Mokka und Underberg tranken sie, an einem Resopaltischchen sitzend, und auch wenn sie dabei keine Falk inhalieren durften und keine Ernte 23, war das für die Ausgemergelten gewiss so gesund wie Zuckerzeug für Kinderzähne.

Das himbeerkracherlrote Bonbongeschäft gegenüber von Herzls sozialistischer Dampfbügelei ist der Nabel von Boboville. Auch wenn andere Bobovillains von anderen Nabeln wissen wollen. Von Nabeln im Village oder im Marais. Oder Umbilicae in Castro, Mitte und Kreuzberg. Alles Quatsch. Der Omphalos von Boboville ist das rot gestrichene Bonbongeschäft gegenüber vom rosa Gemeindebau, der nach Theodor Herzl benannt ist. Gestern habe ich das Schreiben des Bobovillebuchs unterbrochen, um in einem hastigen Anflug von Bekümmerung in die Leopoldsgasse zu fahren und Nachschau zu halten, ob das Bonbongeschäft überhaupt noch existiert. Ich parkte vor dem rosa Gemeindebau, wie es sich für Bobovillains gehört, mit drei Rädern im Kriminal, auf der Bushaltestelle nämlich. Mein Schreck war groß. Das Bonbongeschäft existiert. Unverändert. Sogar die gelben Plastikbahnen in seinen Auslagen sind noch da. Etwas gebleicht von der Leopoldstädter Sonne.

Aus: Dusl, Andrea Maria: Boboville, Residenz Verlag, St. Pölten/Salzburg, 2008, pagg. 10ff.

10 Dinge, eines gelogen

Der von mir überaus geschätzte österreichische Autor und Journalist David Baum  hatte mich auf Facebook darum gebeten. Ohne Zögern machte ich bei dieser “Competition” mit und listete 10 Dinge auf, von denen zu behaupten war, dass ich sie mal getan hätte. Eines davon, so die Vorgabe, musste gelogen sein.

Ich habe/bin, so behauptete ich (und führe im Folgenden auch den Nachweis):

1. von Tabori zum Essen eingeladen worden, von Peymann nicht.
2. Rocko Schamoni in einem Theater einen Zungenkuß gegeben und erst später erfahren, wer das war.
3. einer toten alten Dame mit einer Säge aus dem Baumarkt die Schädeldecke aufgesägt.
4. in Ascona die 5-Sterne-Suite neben Sydney Pollack bewohnt.
5. in Rom bei einem Mafia-Gala-Diner Ehrengast gewesen.
6. auf einem Fest 34 weiße Spritzer getrunken.
7. mit Gerd Schröder in Köln Boogie Woogie getanzt.
8. mit den Leningrad Cowboys im Alt Wien bis in den frühen Morgen Schnaps gesoffen.
9. mich eines Nachts im Café Kunsthalle angezündet und in Flammen gestanden.
10. im Suez-Kanal geschwommen.

Die sehr sehr argen Sachen und Begebenheiten meiner Biographie konnte ich nicht in dieser Liste versammeln. Das waren Sachen, wo meine Eltern die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und den Satz: „Du hast Schande über unser Haus gebracht“ und Ähnliches, ja Schlimmeres von sich gegeben haben. Von Außenstehenden habe ich zu ausgewählten Erlebnissen meiner persönlichen Geschichte den Satz „das habe ich noch niemals erlebt“mehrmals gehört.

Ich bin übrigens untätowiert und habe noch alle Finger. Und ich hatte, dabei klopfe ich dreimal auf Holz, noch nie einen Verkehrsunfall. Bis auf den einen vor meinem Gymnasium, wo der Richter seiner Tochter die Autotüre öffnete und ich mit dem Rad gegen ebendiese Türe krachte. Der kleine Finger meiner linken Hand ist seither gefühllos.

Löse wir die Geschichten in der auf Facebook geposteten Reihenfolge auf.

1. Ich bin von Tabori zum Essen eingeladen worden, von Peymann nicht.

In den 80er Jahren arbeitete ich als Bühnenbild-Assistentin, war sehr unglücklich und wollte dringend nach London auswandern um dort vom Glück einer wirklichen Stadt zu naschen. Ich sparte und sparte Geld und sagte mir, ‚ich mache alles, um endlich aus dem grauslichen Wien rauszukommen‘.

Ich studierte den Stadtplan von London, als das Telefon schrillte. „10 Dinge, eines gelogen“ weiterlesen

Hans Hurch.

„Sehr schön haben sie es gemacht, die Leinwand steht schön, viel Aufmerksamkeit, Filmarchiv, Filme, betrunken, muss bleiben, noch, ja, Archiv, Filme, Stadt, Signal jetzt schlecht. Ist Hurch herum? Hurch? Hurch herum, er wird doch was sagen, Hurch, Hans Hurch. Verstehe nur Hurch, genau, Hurch, Hans Hurch, wird er reden? Sehe ihn nicht. Er wird wohl reden.

Hans Hurch hatte das Reden bei den Katholiken gelernt, deswegen sprach er auch wie ein Pfarrer. Hurch, Bobovilleurgestein, in die Stadt gekommen, als Boboville noch aus drei Stühlen bestand und einem Regal.

Hurch darf bei mir alles, dachte es in mir, pfäffisch reden, einen Mullahbart tragen und existenzielles Schwarz, Hurch darf bei mir alles, denn er hat meinen Film gezeigt. Auf dem dicken Festival, meinen ersten Film, nie hätte ich darauf gehofft, aber er hatte es getan. Meinen Film gezeigt, ohne mich zu kennen, ohne Freundschaft oder Liebe, weil er den Film gesehen hatte. Auf dem Rad hatte er gesessen, in Locarno. Habe den Film gesehen, hatte er wackelig gesagt, der Schweiß war in Strömen aus seiner schwarzen Klu gelaufen, werde ihn zeigen. Den Film. Deswegen darf Hurch alles. Wenn Hurch mal in der Patsche sitzt, werde ich kommen, die Hand reichen und Hurch aus der Patsche ziehen. Hat mir geholfen, Hurch darf alles, werde ich dann sagen, Mullahbart hin, schwarze Kluft her, Hurch darf das, pfäffisch reden und in Rätseln, Freunde nicht mögen, ungerecht sein. Hurch darf.

Er sah aus wie ein spanischer Grande, den zwei Zeitmaschinen in der Mangel gehabt hatten, eine hatte den Hurghe-Duque aus Medina-Sidonia gebeamt, aus der ältesten Stadt Europas, mitten aufs Land, in ein kleines Poughkeepsie, wo sie Käse reifen lassen und Cinematophilie. Eine zweite Zeitmaschine hatte Hurch als einen der ersten aus dem Käsepoughkeepsie ins Protoboboville expediert. Protobobovillains wie Hurch tragen ihr Leben lang Schwarz. Am Schwarz ihrer Couture ist Sartre schuld. Und Camus. Hurch darf schon deswegen alles, weil ich die Schwarztragenden schätze. Als Atheisten sind sie mir lieber, ich gebe es zu, aber Hurch darf alles, darf auch pfäffisch sein und den Katholiken in sich schüren. Sogar das Kloster ließe ich ihm durchgehen, er darf alles. Schwarzgekleidet, mit dukalem Bart, das Kino im Herzen, hat er, Hurch, Boboville erbaut. Nicht alleine, gewiss, und keine einzige Farbe hat er angerührt. Für die Farbe haben mein Bäcker gesorgt und die kitrauchenden Bauerntöchter, die Bergaufschuhe vertrieben und Kristalle auflegten und John McLaughlin auf ihren Plattenteller legten und mit dem Further nach Haight-Ashbury pendelten.

Hurch hatte sich noch nicht gezeigt, am Bobovillegartenspitz, aber auch das durfte er, Hurch durfte alles.“

Aus: Dusl, Andrea Maria: Boboville, Wien, 2008, pagg. 137f.

Es ist warm

Über den ersten Satz
Andrea Maria Dusl für die 2009er-Weihnachtsausgabe der Salzburger Nachrichten.
Der erste Satz ist immer der schwierigste. So könnte ich anfangen. Aber so fängt man nicht an. Man fängt an wie Günter Grass. Man schreibt ein Buch über die Geschichte der Welt, führt einen sprechenden Fisch ein, nennt ihn Butt und dann beginnt man den Ziegel mit dem Satz der Sätze: Ilsebill salzte nach. So macht man sich bei den Romananfängeanalysten beliebt. Überhaupt sollte man dem animalischen sich verpflichten. Auch zweite Plätze im Romangutanfangen lassen sich mit Geschichten über sprechende Tiere gewinnen. Franz Kafka gelang dies mit dem Einstieg in seine Erzählung “Die Verwandlung”: “Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.“ So macht man das. So fängt man an. So wie Grass. So wie Kafka.
Was mache ich? Lerne ich bei den Meistern? Lasse ich mich von der Aussicht auf Spitzenplätze in Romananfängewettbewerben verführen? Nein. Mein Roman “Boboboville” beginnt mit dem kurzen Befund: “Es ist kalt.” Kein schöner Satz. Kein wärmender. Kein einladender. Aber ein erster. Der erste Satz des Romans. In einem zwiefachen Sinn. Es ist der erste, den ich tatsächlich für diesen Textkörper schrieb, der allererste, der Geschichten erster Gedanke, und es ist auch der erste, den man zu lesen bekommt. Darf man das? Darf man schreiben “Es ist kalt”? Sollte man nicht schreiben: “Ilsebill salzte nach”? So begönne man Romane und so begann Grass den Butt. Und wenn einem das nicht gelänge, weil es ein Titan schon davor getan hätte, dann müsste man nachdenken und sinnen und vielleicht eine Asymptote zu Papier bringen:
“Ilsebill salzte nach, so stand es in dem Buch vom Butt, dem Grassziegel, dem Satzanfangemeisterbuch, und ebendieses lag vor mir, leuchtete mich an und mahnte und liess mich den Ilsebillsatz schreiben, als meinen eigenen Romananfang ausgeben, raffiniert durch Sätze taumeln und atemlos nach eigenem ringen, nach kahlem, kurzem, nach einem Satz wie dem: Es ist kalt.”
So ginge das. So liesse sich die Klippe umschiffen. Ich gestehe, dass ich daran dachte, Ilsebill nachsalzen zu lassen. Aber dann war ich streng zu mir, einsame Waldviertler Scheunenwände, fröstelndschroffe Tirolerberge und das schüttere Grau der Wiener Zinshausschluchten flogen an mir vorbei und noch bevor mir Worte durch den Kopf gingen, stand der Satz da: Es ist kalt.
Dabei war es gar nicht kalt, es war Sommer, es war: kühl. Ein Tiefdruckgebiet peitschte durch die Stadt, kroch unter die wärmenden Luftpolster, die sich in den Wohnungen versteckt hatten. Fritzl, der Tresorkinderbesitzer war das Thema der Tage, und das Feuilleton stapfte durch Charlotte Roches Feuchtgebiete. Für die Kälte des Sommers hätte ich andere Worte finden können, “Der Sommer war kühl”, oder “Sommers Kälte griff nach mir.” Aber ich beschrieb die Kälte der Seele. Ich dachte an den Namensgeber des Platzes, an dem ich wohnte, Hugo Wiener, ich erinnerte mich an seine Emigration nach Caracas und dass er, heimgekehrt mit Cissy Craner, seine Wiener Wohnung jahrein jahraus, ungeachtet jeglicher Jahreszeit, auf tropische Wärme hochgeheizt hatte. Daran dachte ich, als ich beim Fenster hinaussah auf die Hugo-Wiener-Platz-Platanen und der Frost der Geschichte in mich hineinkroch. Deswegen war mir kalt. Und deswegen schrieb ich den Satz. Es ist kalt.

Showtime ::: Universität für Angewandte Kunst ::: Vorlesung

Boboville-100.jpgBoboville goes University. Im Rahmen des Vorlesungszyklus „Backlist 20th Century: Raum, Zeit und Krise des Erzählens“ von ao. Univ-Prof. Dr. Ernst Strouhal werde ich aus meinem Roman „Boboville“ lesen.

 

Donnerstag, 26. November 2009
um 17:00 Uhr

Universität für angewandte Kunst
Abt. f. Kunst- und Kultursoziologie
Neubau; Hörsaal 3/Kl. Seminarraum
Oskar Kokoschka-Platz 2
A-1010 Wien
Der Eintritt ist frei!
Es lebe die Wissenschaft.

 

Boboville ::: Der Bäcker

Boboville-100.jpgUm zehn, so spät war es geworden, hatte mein Bäcker noch offen. Mein Bäcker. Er trug ein mehlstaubiges Unterhemd und eine mehlstaubige Bermuda, sprang aus dem heißen Keller in den Laden herauf. Es war nicht das Springen eilfertiger Haster, es war ein schwebendes Springen, ein Flug. Mein Bäcker war ein Krieger, über seine Muskeln spannte sich die Haut alter Hippies, ein ledriges Braunrot, wie das der Bäuche von Füchsen. Es konnte nicht von den Öfen kommen, meinte ich, aus den Öfen kommt trockene Hitze, kein Licht, Hitze kann doch Haut nicht bräunen, Sonne macht das. Ich dachte an die Bäcker meiner Kindheit, sie waren allesamt bleiche Gestalten gewesen, blutleer und teigig, sonnenfern. Sie schufteten in der Unterwelt, in den heißen Kellern, wo die Mauern dick waren und die Fenster klein. Woher hatte mein Bäcker diese Bräune, hatte er künstliche Sonnen in seinen Kellerlampen? Schlief er im Park, wenn er ruhte, am Strand? Von zwölf bis sechs, in der sengenden Glut?
Mein Bäcker hatte LSD-farbige Haare, von Mehl gestärkt, sie liefen in ein armdickes Haartau aus, das filzig und fest an seinem Rücken hing, wie ein Keulengriff. Ein Stirnband verbarg seinen Haaransatz, es war feuerrot. Nun war es zehn, spät für den Bäcker, er war schon müde, und sprach nicht mehr, aber mochte es Mitternacht sein, zwei oder drei, dann dampfte es aus dem Hippiekeller und staubte, dann gelang sie, die Sprache, dem Hippiebäck. Durchs offene Bäckerfenster reichte er dann Milch und Weißbrot, Marmelade und Käse. Und verschwand wieder, für Minuten, in den Bäckerkellern, um Brötchen in die Vulkane zu schieben. Eine kleine Oase der Unversperrtheit, die mehlstaubige Bäckerei schräg gegenüber von meinem französischen Atelierfenster.
Welche Farbe hat LSD, fragte ich den Bäcker. Ich frage das jetzt mal so aus dem Bauch raus, es ist schon spät am Morgen, ich möchte mir die Antwort aufs Brötchen tun. Welche Farbe hat C20H25N3O? Lucy in the Sky, sagte der Bäcker mit einer Langsamkeit, die mich an den Wurm in den Mezkalflaschen erinnerte, mit Diamanten. Lucy ist rosa mit rotierenden Spinellen und Spiralen aus Turmalin. In der Mitte des Himmels wabern amethystfarbene Blitze und grellazurne Saphire. Aus dem musivischen Pflaster aus Carrara und Basalt können Büschel aus singenden Türkisen wachsen. Sie zeigen sich nicht immer, denn sie sind scheu. Zehzwanzig Hafünfundzwanzig Enndrei Oh, LSD, die blauen Bäckeraugen leuchteten wie das Meer in einem Atoll.
Das hier, der Bäcker bohrte seinen Finger in ein Säckchen mit Traubenzucker, ist C6H12O6. Das nehmen die Läufer, wenn sie nach den Endorphinen hecheln. Um Lucy zu sehen, muss man nicht in den Endorphinen laufen. Um Lucy im Himmel zu sehen, mit Diamanten, muss man nur Mutterkorn aus dem Mehl holen. Das hat Albert Hofmann von uns gelernt. Und dann stieg er in den Bus. Das Mountain Girl, Carolyn Adams, weißt du, sie wurde dann Jerry Garcias Alte, sie war die Fahrerin vom Further. Der bemalte Bus von den Merry Pranksters. Der Hippiebus. Der einzige, der Echte. Hier vorne, er deutete nach draußen, am Hugo-Wiener-Platz, in der Verlängerung von wo die Friseure ihren Salon haben, da war die Haltestelle vom Further. Glaub mir. So war das. Ein Ticket nach Haight-Ashbury kostete nicht die Welt. Einen Tag Arbeit, junge Frau, mehr nicht. Einen Tag Arbeit für einen Monat mit dem Further.
Am Steuer vom Further saß Carolyn. Und warum war sie das, warum war Carolyn die Fahrerin? Sie war eine Bäckerstochter aus Poughkeepsie, Newboboyork. Du bist zu jung, sagte der Bäcker und schaufelte Semmeln, nicht viel zu jung, aber sieben Jahre zu jung. Sieben Jahre älter, und du wärst mit uns gekommen, mit dem Further gefahren. Nach Esseff. Hinter die große rote Brücke, an den Strand, wo dich der Ozean holt. Alle waren sie Bäckerkinder, der ganze Hippieadel. Mutterkornkinder, Lucys Diamantenbrut. Jerry Garcia von den Grateful Dead, Paul Kantner von Jefferson Airplane und Maya Gegeris, sie wohnte in 908 Steiner. Alles Kinder von Bäckern, zu Hochmittag gezeugt, in der Sonne. Sonnenkinder, Bäckerkinder.
…………..
Textpassage aus meinem Roman „Boboville“, erschienen 2008 bei Residenz.

Interview ::: Wo ist die Wahrheit im Roman? ::: Andrea Maria Dusl und Gustav Ernst

Zwischen Fakten und Fiktion. Wo ist die Wahrheit im Roman?
Was ist wahr bei einem Roman und was ist Erfindung? Ist ein Roman immer nur Fiktion oder gibt es so etwas wie Wahrheit im Roman und wenn ja, wie sieht sie aus? Darüber geben Andrea Maria Dusl und Gustav Ernst Auskunft und auch über ihre neuen Romane. Von Tobias Hierl, Chefredakteur Buchkultur

Buchkultur: Als ich „Boboville“ gelesen habe, war ich mir nicht sicher, ob das ein Roman ist. Es kommt eine Andrea Maria vor, später dann eine Dusl. Ich war mir nicht sicher, schreibt sie jetzt über sich. Sind das Sachen, die ihr passiert sind, oder ist das fiktiv?
Andrea Maria Dusl: Ich schreibe, seitdem ich weiß, in welche Richtung die Buchstaben gehen und das Erste was ich schreiben musste, was eine zusammenhängende Geschichte war, war ‚Meine Schultasche erzählt’ und die Schultasche hat genau die gleichen Dinge erlebt wie ich. Insofern habe ich nie die Kulturtechnik erlernt Fiktion von Realität zu unterscheiden und ich bin auch nie in ein germanistisches Seminar gegangen, um diesen Unterschied zu lernen. Ich bin völlig autistisch, was die Technik des Romans betrifft. Ich kann die Welt nur aus mir heraus sehen und beschreiben. Was ich nicht erlebt habe, existiert nicht. Es klingt hart, aber…

„Interview ::: Wo ist die Wahrheit im Roman? ::: Andrea Maria Dusl und Gustav Ernst“ weiterlesen

Boboville ::: Lesung ::: Langenlois

Boboville-100.jpgLangenlois! Boboville kommt! Das Buch der Bücher über die Stadt in den Städten. Heute, Samstag, den 27ten September 2008, 21 Uhr lese ich aus meinem, soeben bei Residenz erschienenen Stadtroman Boboville. Freut Euch, Poughkeepsies, über unglaubliche Bobo-Geschichten bei der Septemberlese in der Kellerwelt des Loisium in der Loisiumallee 1, 3550 Langenlois, Niederösterreich.
Kommet und loiset!
27.9.2008, 21 Uhr
Loisium
Loisiumallee 1
Langenlois

……………………………………..
Loisium
Septemberlese Ursinhaus

Boboville ::: Präsentation ::: Schikaneder

Boboville-100.jpgEs ist soweit! Boboville kommt! Das Buch der Bücher über die Stadt in den Städten. Heute, Mittwoch, den 24ten September 2008, 19 Uhr präsentiere ich meinen soeben bei Residenz erschienenen Stadtroman Boboville. Ich lese aus und plaudere über unglaubliche Bobo-Geschichten im Schikanederkino in der Wiener Margaretenstrasse 24. Und nachher steigt in der Schikanederlounge die Boboville-Launch-Party.
Kommet und höret!
……………………………..
Buch bestellen oder Dusl buchen?
Hier geht’s zur —> Residenz-Homepage von Boboville.
Schon mal was lesen? Aber sicher!
–> Hier und hier.