Heiliges Bimbam

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 29/2025 vom 16. Juli 2025

Liebe Frau Andrea,
als langjähriger Nutzer der öffentlichen Verkehrsmittel in Wien beschäftigt mich schon länger eine Frage: In den alten Straßenbahngarnituren hört man zwischendurch Signaltöne, die sich wie „Ding“ und „Dong“ anhören. Ich konnte bis heute nicht herausfinden, welchen Sinn diese Töne haben, da sie (zumindest für mich) willkürlich und in keinem erkennbaren Muster zu hören sind. Haben Sie eventuell nähere Informationen dazu?
Mit besten Grüßen,
Klemens Grünwald, per Email

Lieber Klemens,

die Wiener Straßenbahnen erzeug(t)en eine Vielzahl von Geräuschen, das zweitberühmteste (wenn auch meistgefürchete) war das schrille Quietschen alter Garnituren in engen Schienenkurven. Das berühmtes Geräusch war das kurze oder lange Bimmeln, das warnend Achtung gebot. Gerald Pichowetz’ Figur des Franzi Mayerhofer, genannt „Fünfer“, in der Kultserie „Kaisermühlen Blues“ war eng verbunden mit dem lautmalerischen Warnwort „Bimbim“. Zuletzt wurde „Bim“ gar zum Synonym für die, bis dahin „Tramway“ und „Elektrische“ genannten Wiener Straßenbahn-Garnituren.

Nach Konsultation eines mir nahestehenden Experten der Geschichte der Wiener Straßenbahnen wird das Hör-Bild der von Ihnen wahrgenommenen Klänge deutlicher. Sehr wahrscheinlich meinen Sie die Signale, die früher dem Fahrer meldeten, dass Beiwagen und Triebwagen abfahrtsbereit waren, also die Türen geschlossen waren. In den alten Straßenbahnen mit offenen Türen (zum Auf- und Abspringen während der Fahrt) waren in jedem Wagen Schaffner·innen zugange, die dafür sorgten, in jeder Haltestelle die Abfahrbereitschaft des Wagens zu melden. Von „hinten nach vorne“ betätigten sie an einem ledernen Glockenzug eine Glocke, zuerst der (hinterste) Beiwagen, danach der eventuell mittlere, und schließlich der Schaffner des Triebwagens. Nach Einführung elektrischer Falttüren und auf dem Schaffnerplatz sitzendem Personal wurde das Glockensignal durch Knopfdruck ausgelöst. Das des Beiwagen klang wie „Ding“, das des Triebwagens wie „Dong“.

Die akustischen Signale heutiger Garnituren sind ferne Reminiszenzen, allesamt elektronisch im Soundstudio erzeugt.


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Woher kommt der Sandler?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 28/2025 vom 9. Juli 2025

Liebe Frau Andrea,
beim Besuch der Dauerausstellung des Wien Museums stieß ich auf eine Erklärung des Worts „Sandler“. Das seien jene Menschen gewesen, die in den Ziegelwerken den Sand in die Formen streuten. Der Duden, den ich zuhause hinzuzog, sagt hingegen, der Begriff käme aus dem Mittelhochdeutschen – „seine“ bedeutet langsam, träge. Was stimmt denn nun?

Ihre Anna Stibitznik, 1010 Wien, per Email

Liebe Anna,

Sandler ist einer der Begriffe im Wienerischen, denen Volksetymologie und Wörterbuchautor·innen eine Vielzahl von Ursprüngen zuspricht. Als Sandler wurde bis in die Zeiten politischer Korrektheit und woken Sprachgebrauchs der meist männliche, verwahrloste und unprofessionell bettelnde Obdachlose bezeichnet, der Faulpelz, Schnorrer und Arbeitslose. Ein bedeutungsidentes Wort im Wienerischen ist der Griaßler (nicht zu verwechseln mit dem Greißler, dem kleinen Lebensmittelhändler). Aus dem wienerischen Griaß (mittelhochdeutsch griez, griesch) für Sandkorn, Kiessand, Strand entwickelte sich um 1900 die Bezeichnung Griaßler für die, auf den Sandbänken der Donau und des Wienflusses lagernden Obdachlosen. Die häufig zirkulierende Theorie der Abkunft des Begriffs von sandstreuenden Ziegelarbeitern ist schön aber falsch, ebenso wie die, es käme von althochdeutsch „-seimi“, mittelhochdeutsch „seine“ (langsam, träge), gehört dies doch im Sinne von langsam fließend, tröpfelnd zum Substantiv Seim, das Sämige. Demnach müsste der Sandler ja Seimer heißen.

Wie so Vieles hat der Sandler seinen Ursprung im Rotwelschen, wo mit „Sand“ die Läuse bezeichnet werden. Sandig sein bedeutete Ungeziefer zu haben, angesandelt zu sein, Läuse zu haben. Zandik, Sandig bezeichnet im Neuhebräischen den Gevatter. Im Rotwelschen nahm das Wort die Bedeutung Parasit, Mitwisser an, der etwas von der Beute verlangte und erpreßte, synonym mit Blutsauger. Der Sandler ist also der von Läusen befallene, hygienisch unterversorgte Mensch.

Ist das so weit weg von uns? Nein. Die Wiener Alltagssprache kennt das Wort „ansandeln“, soviel wie anstecken für den Infektionsvorgang durch Niesen und Husten.

Gesundheit!


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Sommer

„Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?“, sang der holländische Showmaster Rudi Carrell 1975, „ein Sommer, wie er früher einmal war, ja, mit Sonnenschein von Juni bis September, und nicht so nass und so sibirisch wie im letzten Jahr!“ Ans Jahr 1975 und den Refrain des besagten Liedes erinnern sich vereinzelt noch die Boomer unter uns, an den schlaksigen Witzemacher und seine Sendungen auch nur die. Früher war alles besser, sagen die einen, stimmt so nicht, die anderen. Angesichts des Klimawandels und der damit verbundenen sommerlichen Hitzewellen möchte man Rudi Carrell die österreichische Ansicht zum Thema in die Vergangenheit hineinrufen, er habe das damals gründlich „verschrien“, die Sache mit dem Sommer.

Wie war das damals? Deutsches Fernsehen brachte deutschen Humor in die Wohnzimmer Schnitzellands und deutscher Humor war der holländische des Rudi Carrell. Der Sommer der Deutschen und der Holländer fand in besagter Zeit mit Vorliebe in hiesigen Gegenden statt, wobei sich die Deutschen in den Hotelpensionen und Frühstücksbleiben verteilten, die Holländer aber die Campingplätze besiedelten. Lückenlos. Das Bild der schwankenden Wohnwägen auf den Landstraßen, und der kochenden Kühler auf den Pässen gehört zum visuellen Erbe dieser Zeit.

Neben der saisonalen Eiskarte mit neuen und alten Tiefkühllegenden (Twinni! Piper! Brickerl!) war es der jährliche Sommerhit, der die Ferienzeit bestimmte. Man muss weder Rudi Carrell noch seinem launigen Lied nachtrauern, um festzustellen, es ist alles anders geworden. Kochende Kühler gibt es keine mehr, und sibirische Sommer nicht einmal dort.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 5. Juli 2025.

Braschedda

So, Schluss mit lustig. Schluss mit der amerikanischen Ignoranz. Die Italiener haben es schon vorgemacht. Sie verbitten sich die falsche Aussprache ihrer Landesheiligtümer. Etwa Sbagäähdi zu sagen oder Braschedda, Braschuhddou und Mahdsarälla. Und: Brahssägou.

Bei Familien- und Vornamen, dem Heiligste überhaupt, das ein Mensch besitzt, gehen sie noch ungelenker und provinzieller um. Ich will von denen nicht Dahsl genannt werden und Ähndra. Immer mit diesem kehligen Vernuscheln. Halt! Aus! Auch Kchrischdschan Sdagga geht nicht, und Ändras Bäiblar nicht, und Bijadäi Miendw-Riessindscha. Aber gut, sollen sie.

Ich schlage vor, wie im Zollstreit mit gleicher Münze zu bezahlen. US-amerikanische Namen nach hiesigen Lautgesetzen auszusprechen. Geht ganz leicht. Ählonnmusck, Dohnaltrump, Jehdehwanze.

Kaseklosett.

Wie ausgestochen ist die Nudel?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 27/2025 vom 2. Juli 2025

Liebe Frau Andrea,
als unbedingter Gegner misogyner Wortwendungen frage ich mich, woher der Begriff von der „ausgestochenen Nudel“ – umgangssprachlich „a gonz a Ausgstochane“ – wohl kommen mag. Soweit ich meine Salzburger Freunde verstanden habe, wird damit eine schnell pikierte und in Dingen von Stil und Umgangsformen leicht aus der Fassung zu bringende Person bezeichnet. In meinen Münchner Jahren lernte ich „ausgezogene Nudeln“ kennen, ein Schmalzgebäck, wobei ich mir nicht im Klaren bin, ob hier eine begriffliche Verwandtschaft bestehen könnte. In meiner Jugend wurden schrille weibliche Fernsehpersönlichkeiten, wie die von mir verehrten Hella von Sinnen, oder Helga Feddersen in den Medien als „Ulknudeln“ tituliert, was mir schon als Kind despektierlich erschien. Ich hoffe, Sie können für Aufklärung sorgen.
Ihr Philipp Hauers, per Email

Lieber Philipp,

als Mutter aller Ulknudeln sei die deutsche Kabarettistin Ingrid Steeger in Erinnerung gerufen, die in der 70erjahre-Klamauk-Serie Klimbim das Genre entscheidend geprägt hat. Das Bundesdeutsche verwendet den Begriff „Nudel“ vorrangig für die leichtherzige und humorfähige Frau. Anders verhält es sich in den Gebieten südlich des Weißwurstäquators, wo „Nudeln“ synonym mit Klößen und anderem Herumgedrücktem verwendet wird, ist doch das Wort selbst eine Lautvariante zu Knödeln und Knuddeln. Obschon es nahe liegt, bei der „ausgestochenen Nudel“ an ein Ergebnis küchenteigbasierten Schaffens zu denken, kommt der Begriff aus dem ritterlichen Mittelalter. Etwas auszustechen bedeutet bekanntlich, etwas aus etwas anderem herauszustechen, Weihnachtskekse etwa, in der Folge aber auch, etwas mit einem spitzen Gerät zu entfernen, ursprünglich den Gegner mit der Lanze aus dem Sattel zu holen – umgangsprachlich, jemand in den Schatten zu stellen, zu übertrumpfen.

Die „ausgestochene Nudel“ ist also die formbare, des Herumgedrücktwerdens nicht abgeneigte weibliche Exzellenzperson. Das Wienerische kennt den Typus als „schdeule Oide“, als „feschn Dsopfm“ und „wööd Schnoin“. Berechtigte Kritik an genderungerechter, ja sexistischer Sprache muss an anderer Stelle erfolgen.


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Fremde grüßen

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 26/2025 vom 25. Juni 2025

Liebe Frau Andrea,
es ist nicht die Etymologie, die mich zu Ihnen drängt, sondern ein neuer Nachbar. Wie es sich herausstellt, scheint es so, als wäre Martin Sellner samt Familie in meine unmittelbare Nachbarschaft nach Baden remigriert. Nun freut es mich durchaus, dass er sich an der autochthonen Luft erfreut, jedoch bin ich mir unsicher, wie ich mich im Falle einer Müllplatzbegegnung verhalten soll. Vor allem, welcher Gruß hier angebracht wäre.
       Wäre hier ein neutrales Kopfnicken ratsam, oder könnte dies – man wagt es kaum zu denken – bereits als ein klandestines Signum zur Wiedergewinnung des Abendlandes ausgelegt werden? Vielleicht ein unverfängliches „Grüß Gott“, das mit feiner Ambivalenz darauf verweist, dass höhere Mächte für alles ihre Pläne haben mögen? Oder aber ein schlichtes „Hallo“, was mir jedoch schon beinahe globalistisch erscheint und womöglich Zweifel an meiner eigenen Verwurzelung wecken könnte?
       Bitte helfen Sie mir durch diesen nachbarschaftlichen Gruß-Dschungel, bevor ich noch versehentlich Teil einer großen Erzählung werde.
Herzlich unsichere Grüße,
Gotthold Zauder, per Email

Lieber Gotthold,

bei allen Höflichkeitsbekundungen im öffentlichen Raum taumeln wir durch unsicheres Terrain. Dürfen Prominente von Nichtprominenten durch Gruß inkommodiert werden? Wie verhält sich dies bei Zeitgenossen zweifelhafter Prominenz? Soll man Freundlichkeit durch Barschheit ersetzen? Durch Ignoranz? Polemische Untertöne anklingen lassen? Satire bemühen? Zynismus gar?

Falls Sie zu Grußworten neigen, seien ein paar erprobte Formeln empfohlen. Werfen Sie dem Identitären ein unverfängliches „Willkommen Fremder!“ entgegen, ein krocherisch-spätjugendliches „Bam, Oida!“, oder die sozialdemokratische Segensformel „Fröndschafd!“ Appellieren Sie an Fremdsprachenkenntnisse mit einem britisch gehauchten: „“Honi soit qui mal y pense“ (ein Schelm, der Böses dabei denkt). Nicken Sie wie Kaiser Ferdinand 1848 und fragen Sellnern schönbrunnerdeutsch „Ja dürfen’s denn des?“

Im Falle galoppierenden Übermuts kann es dienlich sein, Ihrer allfälligen Begleitung unüberhörbar zuzuraunen: „Schau, der Gudenus!“


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Privatsachen

Der österreichische Privatmensch ist ein Sammler. Das Ansammeln ist dem Land der Berge eingeschrieben. Schon die Landesfürsten aus dem Hause Habsburg definierten sich über ihre Kunstsammlungen, Schatzkammern und Gemäldegalerien. Im Kleinen sind wir alle Kaiser. Im weiten Feld des Feinstofflichen werden Überstunden gesammelt, Pensionsjahre, Freiminuten, Bonusmeilen. Auch in den Räumen des Stofflichen horten die Österreicher emsig, die Österreicherin ist wie immer mitgemeint, weil selbstständig sammelnd. Rabattpickerl, Autogramme, Bierdeckel, Gartenzwerge, die Kategorien des Sammelbaren kennen kaum Grenzen. Die Exponate füllen die Wohnzimmer, Dachkammern und Keller.

Eine besondere Zuneigung, ja verklärende Besitzlust kann der Fetisch entfesseln. Er beginnt beim Zweitwagen, verirrt sich in Leder, Gummi und knapp sitzender Spitze, bereist die Universen zwischen den Buchdeckeln, versteigt sich in den Levels der Computerspiele und endet in der Vergänglichkeit von Gerüchen und Geschmäcken. Größte spirituelle Verzückung kitzelt das Gefährliche hervor, der Tanz auf dem gesellschaftlichem Vulkan, das Abspulen von Triathlonkilometern, die Schönheitschirurgie, das Beklettern tödlicher Gipfel, der Flugrausch an Schirm und Drachen.

All das und indviduell noch mehr vermag der Waffenbesitz einzulösen. Er verbindet Sicherheit mit Leidenschaft, Selbstbestimmung mit Werkzeugfreude, Jagdlust mit Verteidigungsbereitschaft. In der Waffe kulminiert das Kleine mit dem Großen, das Hehre mit dem Niedrigen. Wüßte man es nicht schlechter, könnte man sagen, Österreich ist die Waffe, die alle von uns besitzen.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 21. Juni 2025.

Saperlot nochmal!

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 25/2025 vom 18. Juni 2025

Liebe Frau Andrea,
als Großmutter eines zweieinhalb Jahre alten Enkelkindes freue ich mich immer über neue Wörter, welche sie entdeckt und wie Bausteine in ihre Satztürme einbaut. Letztens kam sie von der Kinderkrippe und spielte die Pädagogin nach, wobei sie immer wieder „Saperlot“ verwendete. Dieses Wort hatte ich zuletzt selbst als Kind von meiner Oma des öftern gehört und es hatte mich schon damals fasziniert. Bitte um Aufklärung, woher der Begriff kommt und wie es anscheinend zu dessen Wiederentdeckung kam.

Karin Eichberger, von meinem iPad gesendet

Liebe Karin,

wie vergessene oder ins Altertümliche gestellte Wörter und Begriffe wieder in den Sprachgebrauch treten, kann nicht immer allgemein beantwortet werden. Sie müssten die Pädagogin ihrer Enkelin befragen, auf welchen Wegen „Saperlot“ (manchmal auch „Sapperlott“ geschrieben) zu ihr, und damit zu Ihrem Enkelkind kam.

Leichter fällt es, Licht in die Wortgeschichte von Saperlot zu bringen, steht es doch in einer Reihe ähnlicher Fluchwörter und Erstaunensäußerungen. Die Wienerischen Ausrufe Saperlot!, Sapradibiks!, Saprament! und Saprawoit! sind Fluchwörter, die durch Entstellung und Wortmischung aus dem schriftdeutschen „Sakrament“ hervorgegangen sind und in etwas deutlicher Form als Sakralót!, Sakerlot!, Saperment! zirkulier(t)en. Ähnlich wird „sakrisch“ (besonders, sehr) verwendet, wenn es nach Sturz und Verletzung „sakrisch weh tut“, oder jemand, heimlich oder unheimlich, und sehr österreichisch, „a sakrische Freid“ an etwas hat.

Dabei ist die Interjektion „Sakerlot“ garnicht bei uns entstanden. Sie wurde im 17. Jahrhundert aus französisch „sacrelotte“, einer euphemistischen Bildung nach „sacredieu“ (entstellt auch „sacrebleu“), aus „sacré nom (de Dieu)“, der geheiligte Name (Gottes) gebildet. Unschwer ist in „sacré“ das lateinische „sacer“ erkennbar, das heilig bedeutet, einem Gott geweiht, und sprachlich verwandt ist mit „sanctum“. Als „Sankt“ ist es der Titel der Heiligen der katholischen Welt und so in zahlreichen, nach dem jeweiligen Kirchenpatron benannten Orten verewigt.


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Kunst kommt

Durchsage. Liebe Kunsteinpfleger und Kunsteinpflegerinnen in all euren Kunsteinrichtungen und Museen, Feuilletons und Wochenendbeilagen. Das sitzt ihr und verwaltet Kunst, und das ist gut und mächtig und all das, was euch daran Spass macht. Und dann denkt ihr, in euren Kunsteinpflegebüros und Kuratoriensälen, Kunst muss gefallen und vor allem: Kunst muss euch gefallen. Oh nein, das muss sie nicht. Sie muss nur kommen. Zu euch, Kunsteinpfleger und Kunsteinpflegerinnen, kommen von den Künstlerinnen und Künstlerinnen. Die geben euch die Kunst und sagen, stellt das aus, rückt das ein, bringt das. Es muss euch garnicht gefallen. Es muss nur zu euch kommen. Und es kommt. Aber, da könnte ja jeder kommen, sagt ihr dann, voller Beurteilungsangst. Stimmt. Es sollte auch jeder kommen. Aber ich sage euch mit ernster Stimme: Habt keine Angst, Kunsteinpfleger und Kunsteinpflegerinnen, es kommen nicht alle. Denn alle, die kommen, sind die Künstlerinnen und Künstler. Mit ihrer Kunst. Wenn ihr die nicht bringt, nicht ausstellt, nicht einrückt, bringt das nur euch etwas, dann stellt ihr nur euch aus. Und ihr seid eines nicht: Künstlerinnen und Künstler. Seid also demütig und dienstbar und offen.

Wann es elf zählt

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 24/2025 vom 11. Juni 2025

Liebe Frau Andrea,
es ist immer wieder eine Freude, Ihren Offenbarungen zur Wiener Etymologie zu folgen! Nun ergab es sich, dass in einem Gespräch mit Menschen jüngeren Alters, aber auch durchaus in ähnlichen, ostösterreichisch geprägten Alterskohorten der Ausdruck „das zählt elf“ vulgo „des zöht öfe“ völlig unbekannt scheint. Sollte ich nicht bereits eine Erörterung dazu verpasst haben, wäre ich über eine Deutung der Herkunft dieser „berechtigungsraubenden“ Redewendung dankbar. Wirklich erklären konnte ich sie den Unwissenden nämlich nicht.
Vielen Dank,
Michaela Schwaiger, per Email

Liebe Michaela,

die Redewendung ist beste Wiener Gaunersprache, sie kursiert(e) ausschließlich in der Form „des dsöhd öfe“ – als hochdeutsche Phrase ist sie nahezu unbekannt. „Des dsöhd öfe“ bedeutet, etwas zähle nicht, sei egal, belanglos. Die Wendung scheint auf die verschärfte Variante eines alten Glücksspiels zurückzugehen, bei der es galt, mit drei Würfeln mehr als elf Punkte zu erzielen. Besagtes Würfelspiel, „Paschen“ genannt, leitet sich vom französischen „passe dix“ ab (zehn überschreiten). Als Spielvariante „Elf hoch mit drei Würfeln“, bei der die Einsätze verdoppelt werden konnten, stand es ab 1904 auf der Liste der verbotenen Glücksspiele des k.u.k. Justizministeriums. Da die Wahrscheinlichkeit, mit drei Würfeln zwölf oder mehr Augen zu erreichen, signifikant unter 50 Prozent liegt, verstärkt sich der Verdacht, daß „mehr als zehn“ eingefleischten Wienern mit ludischer Neigung nicht ausreichend spannend erschien.

Ob die berühmte „Elferfrage“ Rudolf Horneggs aus dem ORF-Wissens-Quiz „Einundzwanzig“ verstärkenden Einfluss auf die Redewendung genommen hat, muss noch näher erforscht werden. Die Elferfrage jedenfalls galt als schwierigste und damit fast unbeantwortbare Frage.

„Up to eleven“, die Markierung „elf“ als jenseitige Lautstärkeeinstellung erfuhr filmgeschichtliche Prominenz in einer Szene des Streifens „This Is Spinal Tap“, in der der fiktive Gitarrist Nigel Tufnel damit angibt, die Regler seines Marshall-Gitarren-Verstärkers ließen sich nicht bis zehn, sondern getunter Weise bis elf hochdrehen.


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Der österreichische Handschlag

Die alten Baiern zogen einander am Ohr, Kaiser, König, Edelmann siegelten, Ämter stempelten, die Welt des Kapitals kennt die Unterschrift. Jedes Schriftl ist ein Giftl, antwortet man in Österreich, denn für Akte des Vertrauens, für Abkommen und Vereinbarungen aller Art gibt es den Handschlag. Der Handschlag ist kein Griassdi und kein Hallo – für Begrüssungen tippt man sich an den Hutrand, hebt das Krügel, reißt einen Seawas runter. Der Handschlag ist tief empfundene Landeskultur, er gilt jenseits aller Vorschriften und Gesetze als rechtsverbindlich und echt, als willkürliche Gegenwartsgeste, die in die Ewigkeit reicht.

Der österreichische Handschlag ist nicht geschüttelt, wie die bürgerlich-amerikanische Guten-Tag-Geste des höflichen Händedrucks, der hiesige Handschlag ist fest wie die Gerichtslinde am Dorfplatz und klar wie der Affirmations-Obstler im Stamperl danach. Im (stets männlichen) Handschlag verdichtet sich die Erinnerung ans Armdrücken am Kirtag, an die helfende Hand nach dem Mopedausrutscher, an die klebrige Schwurhand nach dem nächtlichen Maibaumumsägen.

Obschon die Handschläger mit gleicher Festigkeit zudrücken, wissen sie insgeheim, wer der Stärkere ist. Gleichheit wird nur simuliert, behauptet, sie schwindet spätestens beim Bündnisbruch. Ehrhaftigkeit (nicht Ehre), Verlässlichkeit in Männerbelangen wird daher, gerne auch von Lokalpolitikern, in die Formel von der „Handschlagqualität“ gegossen. Kaum je wurde diese einer Frau zugesprochen. In Sachen Gleichberechtigung gibt es also noch Ritualbedarf.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 6. Juni 2025.

Wo der Ripatsch herkommt

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 23/2025 vom 4. Juni 2025

Liebe Frau Andrea,
ich war kürzlich meine Tante Peppi (bald 96) in Niederösterreich besuchen. Sie erzählte von der Vergangenheit und irgendwann von einem verheirateten Paar. Er sei ja tüchtig, seine Frau aber ein richtiger „Ribatsch“ gewesen. Ich konnte mir unter „Ribatsch“ nichts vorstellen und sie konnte es nicht erklären, was sie fast zur Verzweiflung brachte (vermutlich ob meiner Begriffsstutzigkeit). Vielleicht können Sie mir weiterhelfen. Ich wäre dankbar und vermutlich Tante Peppi auch.
Mit freundlichen Grüßen,
Karin Gemeiner, Leopoldstadt, per Email

Liebe Karin,

das Knacken des Rätsels um den Ribatsch war etwas schwieriger, weil der Begriff weder im alten noch im neuen Wienerisch zirkuliert(e), und auch in den niederösterreichischen Dialekten weitgehend unbekannt ist. Die Suche im Tschechischen, Slowakischen und Slowenischen bringt keine sinnvollen Ergebnisse, keine spezifischen Ausdrücke jedenfalls, mit denen man eine deviante Ehefrau bezeichnen könnte.

Erhellendes ergibt allerdings der Blick in den k.k. Osten unseres Landes, nach Ungarn. Dort kennt man den „ripacs“ (ausgesprochen Ripatsch, Ribatsch) als Bezeichnung für die marktschreierische, auffällige Person, genauer für den Schmierenschauspieler, Kulissenreißer, den billige Effekte erzielenden Vortragenden. Die umgangssprachliche Popularität des Wortes zeigt sich im Namen der schurkisch ausschweifenden Figur „Ripacs“ im 1883 verfassten Volksstück „A csókon szerzett vőlegény“ (Bräutigam werden mit einem Kuss) des ungarischen Dramatikers und Schauspielers József Szigeti. Als Erstbedeutung des Begriffs nennen die etymologischen Wörterbücher des Magyarischen die Unebenheit, Beule, Vertiefung, den Fleck auf dem Blatt der Pflanze, die Pocken-Narbe. Wann und warum die Bezeichnung für die missgestaltete Oberfläche auf die Schmierenkomödiantik, das übertriebene Schauspiel übersprang, muss noch Gegenstand der Forschung bleiben. Wie und auf welchen Wegen ein ungarischer Ausdruck für schlechte Bühnenkunst in die Hermeneutik niederösterreichischer Ehepaare aus der Großelterngeneration gefunden hat, bleibt weiterhin spannend.


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Wer den Schas erfand

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 22/2025 vom 28. Mai 2025

Liebe Frau Andrea,
viele Medien im Land gehen von der falschen Annahme aus, der legendäre ESC-Sager vom „Schas gewonnen“ stamme von Andi Knoll. Meiner Erinnerung nach stammt der ursprüngliche Ausspruch von Roman Gregory. Vielleicht könnten Sie, verehrte Frau Andrea, dem Mysterium um den tatsächlichen Urheber auf den Grund gehen.
THNX & noch einen vergnüglichen Tag!
Grüße aus Wien Alsergrund,
Gabriela Vida, per Email

Liebe Gabriela,

nach ausgiebigen Recherchen und Telefonaten mit Beteiligten wird das Bild um den Sager vom Schas etwas klarer. Die Sache begann mit der Wiener Heavy-Metal-Band Alkbottle. Die Truppe um Sänger Roman Gregory hatte sich Ende 2010 mit der Nummer „Wir san do net zum Spaß, wir gwinnan eich den Schas“ um die nationale Vorentscheidung beworben. Der ORF verbat den Rockern allerdings die Verwendung des Wortes Schas. Alkbottle traten daher in der finalen nationalen Entscheidungsshow am 25. Februar 2011 mit dem geschönten Refrain „Wir san do net zum Spaß, jetzt gemma richtig Gas“ auf. Gewinnerin des Abends war die Innsbrucker Pop-Sängerin Nadine Beiler. Bei der After-Show-Party nach der Vorausscheidung enstand ein kurzer Clip, in der ein „schon etwas eing’spritzter“ Gregory die glücklich angeschickerte Nadine Beiler im Arm hält und gratulierend seine (und Alkbottles) Rolle kommentiert: Es spannend gemacht, das Publikum belustigt zu haben. „Und jetzt…“ sagt Gregory, worauf Beiler antwortet: „und jetzt gwinn i eich den Schas.“ Dieser mp4-Clip zirkulierte in den Social Media, wurde von den Gagschreibern von „Willkommen Österreich“ aufgegriffen und führte zur Stermann-Grissemann-Parodie „Die Beilers“, in der Christoph Grissemann in Perücke und Kostüm Nadine Beiler mimt und hüpfend den Spruch kiekst: „I bin die Nadine Beiler, i vertritt Öschtareich beim Songcontescht 2011 in Düsseldorf, i gwinn eich jetzt den Schas“. 2024, im Gespräch mit Tom „Conchita“ Neuwirth, bekannte Moderator Knoll, er habe den Spruch, Niederlage um Niederlage beim ESC kommentierend, über die Jahre am Leben erhalten, bis er ihm im Mai 2015, nach dem Song-Contest-Gewinn durch Conchita Wurst spontan entkam und zur Legende werden sollte.


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Eiskarte 2025

Österreich ist ein Land des Verkehrs. Im Verkehr kennt es sich aus. Im Straßenverkehr, im postalischen Verkehr, im Fremdenverkehr. Das Werkzeug zur Vermittlung verkehrlicher Anliegen ist die Karte. Je nach Sparte bedient sie Wünsche und Möglichkeiten der Beteiligten.

Sehen wir uns die Karten an. Die österreichische Straßenkarte (heute die virtuelle im Navi) organisiert das friedliche Hin und Her im Land, das Ankommen und das Wegfahren, den Durchzug, den Transit. Die österreichische Wanderkarte (heute die am Handy) erschließt die Bergwelt, führt zu Hütten und Herbergen, zu Gipfeln, Graten und Gletschern. Die Fahrkarte erlaubt die Reise mit Öffis aller Art, die Eintrittskarte den Zugang zu musealen Österreichischkeiten, erschließt Burg und Schloß, Ausstellung und Erlebniswelt. Mit der Postkarte (heute dem Posting) werden Anwesenheitsbeweise, Kurznachrichten und familiär-bekanntschaftliches Allerlei übermittelt. Die Speisekarte endlich erschließt Kochkunst, Preismoral und Ästhetik des individuellen Verköstigungsbetriebs. Nach französisch-italienischem Vorbild kann sie auch mündlich vorgetragen werden, in Form eines kulinarischen Kurz-Epos. Die kürzeste Form dieser gesprochenen Karte erzählt alles über Weniges, und damit alles über Österreich: „Schnitzel hätt ma, Gulasch, und a Eierspeis“, im Kaffeehausfall „den Spezialtoast.“

Die Zusammenfassung all dieser Karten ist die Eiskarte. Die Fahrkarte in die Hitze-Stillung sommerlicher Akut-Gustos. Die Eintrittskarte ins Feriengefühl, die Wanderkarte in die Welt der transportablen Mikrogletscher.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 10. Mai 2025.

No na ned

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 21/2025 vom 21. Mai 2025

Liebe Frau Andrea,
nach einigen Jahren Leben in Österreich verstehe ich inzwischen, was „na no na ned“ bedeutet – eh klar. Woher die Redewendung eigentlich kommt, konnte mir aber bisher niemand beantworten. Vielleicht Sie?
Beste Grüße,
Paul Simon, per Email

Lieber Paul,

sehen wir uns ein paar Witze an. Zwei Reisende im Abteil. Der Zug fährt ab. Sagt der eine, „mir scheint, wir fahren schon.“ „No na!“, drauf der andere, „die Fassaden wird man an uns vorbeitragen!“ In ihrem 1960 erschienenen Standardwerk „Der Jüdische Witz“ widmet die Schweizer Phänomenologin Salcia Landmann ein Kapitel den so genannten „No na!“-Witzen, die nach vorherrschender Lehre als Ursprung der Wiener Redewendung angesehen werden. Witzeln wir weiter. Blau geht im Winter an der Alten Donau entlang, da sieht er plötzlich seinen Freund Grün in einem Loch im Eis strampeln. „Grün, bist du eingebrochen?“ „No na! Der Winter wird mich beim Baden überrascht haben!“. Jahreszeitenwechsel. Im Stadtpark spielt ein herziges Kind. Ein Herr fragt teilnahmsvoll: „Wie heißt du, Kleiner? „Moritz Pollatschek.“ Der Herr darauf höhnisch: „Aber wenn du sehr brav bist, dann sagt die Mame sicher Mojschele zu dir?“ „No na, Pollatschek wird sie sagen!“

Das wohl aus der jiddischen Interjektion „nu“ entsprungene „no na“ wird bisweilen um ein vorangestelltes „na“ und ein hinten angehängtes „ned“ zur Arabeske „na no na ned“ erweitert. Stets schwingt dabei die leichte Aggression über die Blödheit der Frage mit. In der häufigsten Form, dem „no na ned“ verdichtet sich spöttischer Unterton zur Befindlichkeitsbekundung grantigen Genervtseins. Damit ist „noa na ned“ dem „geht’s no?“ urverwandt. Es kulminierte am 27. Februar 2005 im legendären Ausspruch des Sturm Graz-Kickers Günther Neukirchner nach dem Schlusspfiff im 121. Grazer Derby. Nach der 0:4-Niederlage gegen den amtierenden österreichischen Meister GAK wollte der Reporter vom genervten Neukirchner nach anderen schmerzhaften Erkundigungen wissen, ob dieser nicht Angst gehabt habe vor einer noch höheren Niederlage. Neukirchner beendete das Interview mit dem berühmten Satz:

„Des is die nächste depperte Frog!“


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Song-Contest

Anschließendes zum Song-Contest. Die nationalstaatliche Zuordnung von Vortragskunst wäre grotesk, die alleinige Idee eines Wettkampfes von Kunstdarbietungen gaga. Es geht aber gar nicht um Kunst und Kampf, sondern um schlichte Unterhaltung. Der ESC ist eine Nummernrevue in Form einer gesungenen Modeschau. Ein bunter Reigen Horror.

Der Tagesabschnittsgegner

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 20/2025 vom 14. Mai 2025

Liebe Frau Andrea,
in Ihrer Kolumne im Falter 16/25 erwähnen Sie einen „Tagesabschnittsgegner“. Was darf man sich darunter vorstellen? Als Hobby-Boxerin habe ich da gewisse Assoziationen.
Vielen Dank und liebe Grüße,
Anna Goldinger, Wien Döbling, per Email

Liebe Anna,

in besagter Kolumne ging es um die richtige Schreibweise wienerischer Ausdrücke, konkret um das „Buckelfünferln“. Die dazu Aufgeforderten könnten ihr Begehr alternativ auch der „Jettitant erzählen“, hieß es weiter, die Anwürfe in ein Sackerl sprechen, sich über die Häsuer oder in den Koks hauen, oder einem/einer nur „die Bock aufblosn“, die Schuhe aufblasen. Allfällige Kontrahenten in solchen Abwehrgefechten fanden Erwähnung als „Tagesabschnittsgegner“. Das Wort ist als solches noch nicht lexikalisch verbucht, nur die allmächtige Suchmaschine Google hat es erfasst.

„Tagesabschnittsgegner“ ist ein satirischer Neologismus, den ich für die Kolumne 16 nach der Formel „Lebensabschnittspartner“ in die Welt gesetzt habe. Mit der Verbreitung moderner Formen des Zusammenlebens waren die Begriffe Gemahl und Gemahlin, Ehemann und Ehefrau vielfach durch jene des kühleren „Lebensabschnittspartner“ ersetzt worden. Aus der Affäre, dem Pantscherl, dem Seitensprung und den Teilnehmenden am One-Night-Stand wurde schließlich der „Tagesabschnittspartner“, die „Tagesabschnittspartnerin“.

Im galoppierenden Ansinnen, die Welt sprachlich zu erweitern darf nichts unversucht bleiben, neue Wörter zu erfinden und im Alltag zu befestigen. Ein solcher Fall ist der Versuch, das Wort „Tagesabschnittsgegner“ zu etablieren. Es bezeichnet den zufällig vorbeikommenden, in der Regel unbekannten Konfliktpartner. „Tagesabschnittsgegner“ können sich in der Schlange vor der Supermarktkasse offenbaren, fußgehend am Radweg, oder radfahrend am Gehsteig. Sie begegnen im Schwimmbad, am Kinderspielplatz und im Lift. Sie lauern im Bus, in der Bim, in der U-Bahn und in der Unausweichlichkeit eines ÖBB-Großraumabteils.

Für die Wahl des Tagensabschnittsgegners sorgt allein der Zufall. Sportliche Vorbildung und Boxhandschuhe sind nicht nötig, Sprachkompetenz und Diskurswendigkeit kein Nachteil.


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Weltuntergang

Ein alter Witz, der fälschlicherweise Karl Kraus, Gustav Mahler und in einigen Varianten auch Bismarck, Hegel, Heinrich Heine, Abraham Lincoln und Mark Twain zugeschrieben wird, geht so: „Wenn die Welt untergeht, dann gehe ich nach Österreich. Dort passiert alles zehn Jahre später.“

In Maßen ist die Republik jüngst von jener Untergangs-Bewältigungs-Philosophie gestreift worden, die in US-Amerika (und verbandelten Gegenden) als Preppertum firmiert. Prepper sind Leute, die sich auf mögliche Katastrophen und Notfälle vorbereiten. Die Bezeichnung leitet sich vom englischen Ausdruck „to be prepared“ ab, was soviel „bedeutet, wie „vorbereitet zu sein“. Auf den Bürgerkrieg, den Atomkrieg, die Apokalyse. Auch die Schweizer haben jahrzehntelang gepreppert – unser westliches Nachbarland gilt als nahezu lückenlos unterbunkert. Österreich ist immerhin weitgehend unterkellert.

Minimal preppern auch Österreichs Ministerien und und andere Behörden, indem sie vor Blackouts (Stromausfällen) und Brownouts (Netzschwächeanfällen) warnen. Man möge sich für diese Fälle Getränkevorräte anlegen, Nassrasierer, Kerzen und ein Kurbelradio vorrätig halten. Dass der Notfall rituell verankert ist, manifestiert sich am Land jeden Samstagmittag in der Sirenenprobe (in Wien findet diese nur am ersten Samstag im Oktober statt.) Sinn der Testung ist es, die Bevölkerung auf die Existenz von Sirenen aufmerksam zu machen. Was im Ernstfall zu tun ist, wissen die wenigsten. Mit einer Ausnahme: Die Prepper. Sie begeben sich im Alarmfall in den gut gefüllten Bunker.

In Österreich haben sie dazu 10 Jahre Zeit.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 10. Mai 2025.

Revolution und Gewitter

Früher dachten wir: Das Gewitter bringt die Kühle. Indes: Es ist umgekehrt, die Kühle bringt das Gewitter. So ist es auch mit der Revolution. Nicht diese bringt das Systemende. Sondern das Systemende die Revolution. Warten wir also auf das amerikanische Gewitter.

Andrea Maria Dusl, 3. Mai 2025

1. Mai

Mein 1. Mai.
Früh aufgestanden.
Italienisch gefrühstückt.
Meine Fahne eingepackt.
Mit 31er, 5er und Genossen Emanuely zur Markthalle gefahren.
Viele 8er-Sektionistas angetroffen.
Mit dem Alsergrund zum Rathaus marschiert.
Mit Andi Babler geplaudert.
Die Reden gehört.
Im Landtmann Verwandte getroffen.
Tiefrotes Beef Tartare gegessen.
Sodazitron (SoZi) getrunken.
Alte Geschichten erzählt und neue gehört.
Nach Hause gewackelt.
In Tiefschlaf gefallen.
Tradition.

Der Kicker und sein Fassadl

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 18/2025 vom 30. April 2025

Liebe Frau Andrea,
in unserer Jugendzeit haben wir davon gesprochen, dass ein Fußballspieler ein Fassadl habe, wenn er gut in Form sei und gut spiele. Welchen Hintergrund hat dieser Begriff?
Ich bitte Sie um Aufklärung und bedanke mich vorab sehr herzlich!
Johannes Uhlig, per E-Mail

Lieber Dottore,

die österreichische Kickersprache ist voller Poesie und überzeugender Metaphern. Spieler werden als Zangler, Brisler (Versteher, von französisch „compris“), Außenpracker, Badkicker, Ballesterer, Blinde, Eiergoalie oder Fliagnfanger bezeichnet, als Federanten, Fiedler, Furchler, Gwandleis (Gewandläuse), Holzgschnitzte, Hydranten, Kammerdiener, Kiah (Kühe), Nagler, Sauser und Stehgeiger, als Techniker, Wadlbeißer, Zamschneider und Zauberer.

Dem gelernten Stahlschlosser, Nationalspieler und späteren Trainer Ernst  Baumeister ist für die Pflege und Hege des Ausdrucks „Fassadl“ zu danken. Er ist fast deckungsgleich mit dem „Bristl“ und bezeichnet die gute Form, das gute Selbstvertrauen. Bristl kommt, leicht zu erkennen, von der stolzgeschwellten Brust vor Spielantritt. Für die Nominierung in die Aufstellung zirkuliert der kickerösterreichische Ausdruck „a leiwal hom“ (ein Leiberl, „eine“ Dress haben). Das Leiwal, Leibal ist nicht zu verwechseln mit dem Lawal (Laberl), das den Fußball selbst bezeichnet, der auch als Frucht, Wuchtl (von Buchtel, tschechisch buchta), Blunzn (Blutwurst), Haud, und Duchant (Tuchent) zirkuliert. Eine interessante Karriere hat Wúle (erstbetont, mit langem u). Das deutsche Wort Beule wurde im Tschechischen zu „boule“ und über Prager Fußballspieler nach Wien zurückgepasst, wo aus „boule“ Wúle wurde. Leicht könnte es mit „wulé“ (letztbetont, mit langem e) verwechselt werden. Eine Wúle wulé genommen kommt vom englische „volley“ und dieses von lateinisch „volare“, fliegen.

Zurück zum Fassadl. Es ist die Verkleinerung der „Fassad“ (Fassade), der Vorderseite, Schauseite eines Gebäudes. Es wurde im 18. Jhdt. aus dem italienischen „facciata“ entlehnt, einer Ableitung von italienisch „faccia“ Vorderseite, Gesichtsseite, das letztlich auf lateinisch „facies“, Aufmachung, Aussehen, Gesicht zurückgeht. Viel Lateinisches also im hiesigen Kickertum.


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