Zwickst du noch oder reißt du schon?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 17/2024 vom 24. April 2024

Liebe Frau Andrea,
letztes Wochenende, vor einem der wenigen Auftritte unserer Band, kam die essenzielle Frage auf: Woher kommt das Wort „aufzwicken“? Wir konnten es nicht klären, und zur späten Stunde hatten wir die Erkenntnis: Wenn uns jemand helfen kann, dann Sie, Frau Andrea. Warum wird „aufzwicken“ für „jemanden aufreißen“ verwendet? Natürlich lässt sich die Frage nach Bedeutung und Ursprung auch gleich bei „Aufreißen“ weiterführen. Können Sie uns weiterhelfen, damit wir uns bei der nächsten Probe wieder den Akkorddiskussionen widmen können?
Liebe Grüße,
Christian Hattinger, per Email

Lieber Christian, liebe Band,

lebten wir im benachbarten Bayern, verstünden wir unter aufzwicken das Hänseln, Necken und Verspotten eines Dirndls, eines Mädchens also. Leicht lässt sich damit pubertierendes Verhalten junger Burschen verbinden, die weder mit Gefühlen noch Umgangsformen im Reinen sind. Einige Sprachforscher wollen es aus dem Lateinischen ableiten, wo „accipere offensam“ sich über etwas ärgern bedeutet, wörtlich: Eine Unannehmlichkeit erfahren.

Die Sache liegt vermutlich einfacher. In der fälschlichen Annahme, Frauen wollten erstürmt und erobert werden wie eine widerspenstige Festung, haben sich Sprachbilder aus der handwerklichen Arbeit und dem schnellen Konsum etabliert. Frauen werden im scherzhaften Ton zu Verbrauchsgütern. Die Objekte der sexuellen Zuneigung werden aufgemacht wie Baustellengatter, aufgerissen wie Zementsäcke, aufgezwickt wie verperrte Zaunschlösser. Dem fügen sich andere Synonyme aus der Bauarbeitersprache an: Angraben und anbaggern.

Das Wienerische hat sich zum Thema in poetischer Breite aufgestellt. Zwar wird auch dort der Aufriss gemacht, meist aber wir etwas gefunden, etwa „a Hockn“ (eine Arbeit) aufgrissn oder „a Göd“ (Geld). A Foab (eine Farbe) aufreißn, bezeichnet das harmlose Erröten. Öfter und lieber wird aubandld (angebandelt), aubrodn (angebraten), schmeissd und wiaffd (schmeißt und wirft) ma sich an, schwimmd ma an. Derber und dem Aufreißen schon ähnlich: Das Aufhaun.

Große Poesie indes wäre: Si an Hosn eidsiagn (sich einen Hasen einziehen).


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Gesundes über den Krankensessel

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 16/2024 vom 17. April 2024

Liebe Frau Andrea,
im Zuge eines unguten Infektes habe ich mich daran erinnert, dass ich in meiner Kindheit (bin Jg. 62) für kranke Menschen ganz oft den Begriff „Krankensessel“ gehört habe. Beispielsweise von meinen Großeltern, durchaus in liebevollem Ton: „Du armer Krankensessel!“ Jetzt stellt sich mir die Frage, welcher Zusammenhang zwischen Marodsein und einer Sitzgelegenheit besteht, bzw. warum das eine Bezeichnung für einen Menschen ist. Über eine Antwort wäre ich hoch erfreut!
Mit herzlichen Grüßen,
Dagmar Fuchs, per Email

Liebe Dagmar,

als Angehörige der selben Erlebniskohorte kenne ich den Begriff ebenfalls aus meiner Kindheit. Im Kindergarten wurden krankheitshalber Abwesende als „Krankensesserl“ bezeichnet. Im Sitzkreis wurde ein leerer Kindersessel aufgestellt, was in der Remineszenz etwas spooky anmutet. In Infektionswellen fielen Sätze wie: „Heute haben wir aber viele Krankensesserl!“. Sehen wir uns die Genese des Begriffs an. Auch unsere bundesdeutschen und Schweizer Nachbarn kennen den Krankensessel, ein mittlweile historisches Möbel, einem Ohrensessel nicht unähnlich, in dem sitzfähige Kranke und Gebrechliche tagsüber der Gesundung harrten, mitunter auch ein kleines Nickerchen machen konnten. In der Literatur sehen wir Konjunkturen des Begriffs nach großen kriegerischen Ereignissen. Vor 1785 existiert der Begriff nicht, ähnliche Sitzgelegenheiten hießen „Ruhestuhl“. In Österreich (und nur hier) ist der Krankensessel zum Synonym für den Kranken selbst geworden.

Aus deutscher Perspektive ist ungeachtet dessen verwirrend, dass in Österreich auch Stühle traditionell als Sessel bezeichnet werden. Gilt doch jenseits des Weißwurstäquators als Sessel immer das größere, vornehmere, prächtigere oder bequemere Möbel. Möglicherweise hat in Österreich die Zweitbedeutung von „Stuhl“ sprachlichen Druck erzeugt und Präferenzen für „Sessel“ etabliert. Der mobile Toillettensessel mit Loch in der Sitzfläche heißt hierzulande aber noch ganz und gar unprosaisch „Leibstuhl“. Moderne Usancen in der Pflege werden den Begriff Krankensessel weiter erodieren.

Den Generation X, Y, Z und Alpha sagt er ohnedies nichts.


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Weisse Westen

Wann immer es um österreichische Vorgänge und heimische Sachlagen geht, ist die Verstehenskompetenz des gelernten Österreichers gefragt. Die gelernte Österreicherin ist immer mitgemeint, versteht sie doch auch noch den gelernten Österreicher selbst, den Mann, Vater, Bruder, Chef. Und natürlich den Mitarbeiter.

Im Verständnis der gelernten Österreicher und Österreicherinnen gibt es die hierarchisch-mechanische Zuschreibung derer „da oben“. Die, „die es sich richten können“. Den gelernten Österreicher·innen gelingt das natürlich nicht, sie können es sich eben nicht richten. Für hiesige Verhältnisse ist das unverrückbar wie ein Naturgesetz, mit dem Unterschied, das es kaum Empörung gibt gegen kosmische Konstanten. Gegen die da oben „allerweil“, also kontinuierlich. In Österreichpermanenz.

Nun zielt der Unmut gegen diese Verhältnisse garnicht gegen die Privilegien selbst, sondern gegen das von ihnen Ausgeschlossensein. Gelernte Österreicher·innen werden also daran arbeiten, selbst in den Genuss der Benefizien derer „da oben“ zu gelangen, also dorthin aufzusteigen, wo man „es sich richten“ kann. Sich. Nicht allen. Nicht jeder, nicht jedem. Und möglichen anderen nur, wenn es dem eigenen Vorteil dienlich ist. Bananenrepublikanische Vorgänge im Land der Hämmer, Äcker, Dome sind nur im Wissen um diese Mechanismen verstehbar.

Die Frage, was das mit den Menschen macht, die sich dieser Österreichkonstituente bewusst sind, sollten sich jene stellen, die dieser Frage duch Aufstieg in die Korruptionsetagen erfolgreich entkommen sind. Die da oben. Die es sich richten können. Sich.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 13. April 2024.

Wieso wir einen Stern reißen

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 15/2024 vom 10. April 2024

Liebe Frau Andrea,
kürzlich erzählte die Burgschauspielerin Anna Starzinger eine sehr schöne Geschichte. Sie fuhr mit dem Rad, als ihr ein Wiener nachrief: „Hearst, du wirst da an Stern reissn!“ Sie habe völlig perplex angehalten. Aufgeregt redete der Wiener weiter: „Se Bandl from your Gürtel is going into se Radl des tut ur weh!“ Starzinger blickte verzückt und bedankte sich. Ich aber frage mich, woher kommt die Wendung „An Stern reissen“, wenn man auf die Goschen fliegt. Und woher kommt der Ausdruck Goschen?
Fragt ihr Franz Leopold, per Email

Lieber Franz,

wen es in Wien und sprachverwandten Gegenden aufsdrahd (aufstreut) oder aufbladld (aufblättert), wer also spektakulär hinfällt, sei es im Gehen, Laufen oder Fahrradfahren, reißt einen sogenannten Stern. Eine Figur deren Endpunkt nicht selten einem fünfstrahligen Stern ähnelt. Das Reissen (des Sterns) kommt wohl aus der Handwerkssprache, wo das Anzeichen, Markieren als Anreißen, Reißen bezeichnet wird. Ein Synonym zum gerissenen Stern ist der „Fritzelack“, der auf ein legendär-populäres Werbesujet der rennomierten Lack-Firma O. Fritze referiert. Es zeigt einen Lehrbuben, der gerade auf einem Bretterfußboden nach vorne gefallen ist, alle Viere von sich gestreckt, gestraft mit dem Zusatz-Malheur aufgesprungener und am Boden ausgeronnener Lackdosen.

Die Gosche, Gosch(e)n ist älteren und weiter gereisten Ursprungs. Wir kennen sie aus der wienerischen Aufforderung „Gusch!“ oder „halt die Goschn!“ (sei still!) und dem Adjektiv „goschert“ (vorlaut, redefleissig, frech, prahlerisch, angeberisch). Wer jemand beleidigt, „hängt ihm eine Goschn an“. Das Wort wird vergeblich im Althochdeutschen oder Mitthochdeutschen gesucht, kommt es doch mit großer Wahrscheinlichkeit vom italienischen „gozzo“, Kropf, auch Hals, Gur-gel, Schlund. Es soll über (gar)gozza oder gargozzo vom vulgärlateinischen *gurgutia oder *gargutium kommen. Eine anderere Etymologie leitet gozzo von *guttium, einer Variante des lateinischen guttur, Kehle ab. Auch ein vulgärlateinisch vorgeschlagenes *gusia (vom spätlateinisch-gallischen geusiae) wird als Herkunft von gozzo, Gosche in Betracht gezogen.

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Wer ist hier der Seifensieder?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 14/2024 vom 3. April 2024

Liebe und geschätzte Frau Andrea,
die wöchentlichen Veröffentlichungen aus ihrem Informationsbureau sind gleichermaßen bildnerisch wie auch erbaulich. Im Leuchtkasten (Falter 9/24) wurde ich an Kurt Sowinetz mit seiner Textfassung „Olle Menschn san ma zwieda…“ der „Ode an die Freude“ erinnert. (Er bringt damit trefflich eine Seite der Wiener Seele zum Ausdruck). In seiner weiteren Darbietung ist zu hören: „Lochts nua ruhig, es Safensiada, eich wiad’s Loch’n scho vagehn …“ Ist meine Annahme zutreffend, daß es sich bei Personen obiger Berufsausübung um im Gemüt einfache Menschen handelt? Im Tagesverlauf, diesen auf die leichte Schulter nehmend, gedankenlos Lebende? Und wenn, wieso gerade das althergebrachte, notwendige und daher ehrbare Handwerk der Seifensiederei?
In der Hoffnung auf ihre Expertise verbleibe ich
mit Wertschätzung

Peter Zejda, per Email

Lieber Peter,

der Safnsiada (Seifensieder) ist in Wien sprichwörtlich mit dem langsam arbeitenden, in Kontemplation oder Schlichtheit gefangenen Zeitgenossen verbunden. Als Schimpfwort ist es weitgehend mit dem Lamsiada (Leimsieder) synonym. Beide Invektive beziehen sich auf die, schon im Mittelalter etablierten Berufsstände der Seifensieder (oft auch Lichtzieher, also Kerzenzieher) und der Leimsieder. Deren Tätigkeit wurde wegen der langsamen, unspektakulären und geruchsintensiven Vorgänge des Siedens von tierischen Abfällen (Unschlitt, Talg und Fett bei den Seifensiedern, sowie Knochen, Horn, Häuten und Fischschuppen bei den Leimsiedern) als uninspirierend und fade, die Ausübenden später zunehmend als dumm diskreditiert.

Wegen der lautlichen Ähnlichkeit zu safern (wienerich für geifern, speicheln) wurde der Safnsiada auch mit dem öligen Speichellecker gleichgesetzt. Weil die Seifensieder, wie oben erwähnt, nicht selten auch Kerzen erzeugten, wurden die Berufsstände gleichgesetzt. Der studentische Erkenntnisvorgang des „Lichtaufgehens“ erzeugte den Audruck: „Mia geht a Safnsiada auf“, soviel wie: Mir wird alles klar (durch die vielen gleichzeitig entzündeten Kerzen).

Ob einem Safnsiada selbst je ein Safnsiada aufging, muss noch geklärt werden.

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Gleicher in Österreich

Mit der Gleichheit hat Österreich Probleme. Der alte Auszählreim „Kaiser, König, Edelmann; Bürger, Bauer, Bettelmann“ beschreibt das soziale Gefälle zwischen den Ständen früherer Zeiten. Gleich war man immer nur untereinander. Und auch das nur eventuell.

Nun sind frühere Zeiten bekanntermaßen abgeschafft, und Kaiser, König, Edelmann keine offiziellen Größen mehr. Als Bezeichnungen für die Mächtigen und Wichtigen sind sie aber weiterhin in Gebrauch. Liftkaiser und Immobilienkönige dirigieren Land und Leute, die Hauptmänner der Bundesländer nennen wir, ganz der Wirklichkeit verpflichtet: Landesfürsten. Parteimächtige firmieren als Magnaten, die Gebiete ihrer Herrschaft heißen Hochburgen. Alles in Österreich ist Audruck hierarchischen Gefälles. Das Geld aber fließt, anders als die Flüsse, hierzulande immer bergauf.

Alles an der Gleichheit, wiewohl schon in der Französischen Revolution neben der Freiheit und der Brüderlichkeit als Forderung erhoben, riecht hierzulande nach Kommunismus und Sozialismus, nach Marx und Manifest, Nach UdSSR und DDR, nach Stalin, Honnecker und Verderben. Am Gleichen sind daher nur die Melancholiker interessiert. Anderes geht es dem Gleicheren. Gleicher sind schon weniger, diese aber besonders. Ihnen fallen die Behörden niemals in den Rücken, stets aber in die Arme. Die Finanz ist mit ihnen auf du, nicht selten auch ganz dulli. Der Boulevard lobt der Gleicheren Tüchtigkeit, die Ungleichen bewundern ihre Chuzpe, ihr Charisma.

Nur das Karma ist von allem unbeindruckt. Mit Langmut ausgestattet, wartet es geduldig auf den Absturz der Gleicheren.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 30. März 2024.

Putz Liacht ins Dunkel

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 13/2024 vom 27. März 2024

Liebe Frau Andrea,
in einer angeregten Diskussionsrunde meinte ein Herr, um einen Punkt abzuschließen: Putz Liacht! Intuitiv hab ich ihn verstanden, aber mein Interesse, woher das kommt und was damit wirklich gemeint ist, war erweckt.
Können Sie mir weiterhelfen?
Liebe Grüße! Josef Brodträger, per Email

Lieber Josef,

vielen von uns ist der Dialektausdruck Putz, Butz, Butzen für das Kerngehäuse des Apfels erinnerlich, insgesamt als „Apfelbutzen“ bekannt. Das gänzliche Verspeisen des besagten Obstes hat die Metapher „mit Butz und Stingl“ für „samt und sonders“ erzeugt. Putz, Butz, Buds soll nach Ansicht der Sprachforschung vom mittelhochdeutschen „butze“, Kobold, Klopfgeist kommen, der einer abergläubischen Vorstellung zufolge im Inneren von Früchten hause. Woher das Wort selbst urspünglich kommt, ist noch nicht hinreichend geklärt. Wir haben in einer früheren Kolumne das „Butzi“ zwar von den Putten, den lieblichen Barockengeln hergeleitet, eine Vermischung mit dem kleinen, koboldhaften Wesen des Butz ist indes nicht unwahrscheinlich. Notabene Butz auch den kleinen Menschen und das kleine, im Wachstum zurückgebliebene Tier bezeichnet. Das Koboldhafte des Butz manifestiert sich auch in der Bedeutung „Schalk“, „durchtriebener Kerl“.

Die Silbe Butz, Buds wird in der Mundart zudem als Verstärkung eines Zustandes verwendet, etwa als budsdunkö (butzdunkel, total finster), budstruckn (butztrocken, sehr trocken, ausgetrocknet, aber auch schlagfertig, geradlinig). Weit verbreitet ist der Ausdruck budsmunta (putzmunter, hellwach).

Unser „Putz Liacht“ könnte sich hier einordnen und alles zwischen „hellerleuchtet“, „völlig klar“ und „genau so ist es!“ bedeuten. Wäre da nicht die putzige Möglichkeit, dass es, wie große Wörterbücher des Bairischen vermerken, doch vom Butzel, dem kleinen Kobold, dem kleinen Wesen kommt, und als butz(e)licht, butzlig (butzig, putzig) zirkulierte. In der Zusammenschau mit dem Ausdruck „putzdunkel“ können wir das genaue Gegenteil „putzliacht“ wohl in die Reihe der Verstärkungen stellen.

Kennt man doch weit weg, im schnoddrigen Preußen, bei uns liebevoll Piefkestan genannt, den Ausdruck „potzblitz!“

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Das furchtbare Märzenkalb

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 12/2024 vom 20. März 2024

Liebe Frau Andrea,
vor einem halben Jahrhundert war der März im Mostviertel anders als heutzutage noch ein Wintermonat. Trotzdem jagte der Schreiber dieser Zeilen bereits vor Ostern auf kaum ausgeaperten Wiesen dem runden Leder oder Plastik nach. Die Oma warnte die erhitzten und daher leicht gewandeten Fußballer vor Verkühlung und Ärgerem: „Euch wird noch das Miaznkeuwi (März-Kalb) holen!“ Warum interessierte sich das Kalb für uns und wohin wollte es uns bringen?
Danke für späte Aufklärung
Robert Hülmbauer, Mostviertel

Lieber Robert,

aus der Erfahrung erhöhter Erkältungsgefahr im trügerisch sonnigen März und den anekdotischen Evidenzen, dass in diesem Monat viele alte oder chronisch kranke Menschen starben, hat der Volksmund in unseren Breiten eine Warnung vor einem immaginären tiergestaltigen Dämon gemacht. Erkrankte früher jemand im März an einer starken Verkühlung, oder starb, sagte man: „den hots Mirzenkaibl ghoit“ (den hat das Märzenkalb geholt).

Die Warnungen vor dem frischgeborenen und jungen Rind gehen auf vorchristliche, in ganz Europa verbreitete Mythologien zurück, die von der Forschung als Korngeister bezeichnet werden. Auch andere Tiere zogen durch die Felder. Strich etwa der Wind durchs Getreide, hieß es, der Wolf ginge durch. Mit der Erntezeit auf den Kornfeldern verband die bäuerliche Gesellschaft die Vorstellung, ein altes (unsichtbares, weil geistwesenhaftes) Rind verbleibe am Feld und bewache dieses. Mit dem Wiedererstarken der Natur im Frühling trat an dessen Stelle ein junges Rind, das besagte Märzenkalb. Als energetischem, wilden jungen Wesen wurden ihm dämonische Eigenschaften zugesprochen.

In der Gegend von Gaming, das ebenfalls in dem von Ihnen erwähnten niederösterreichischen Mostviertel liegt, erzählte man von den Kindern der Sagengestalt Perscht (Percht), von Gagarauntzl, Thomaszoll, Zudarn, Zadarwaschl, und dem gefährlichen Märzenkalbl. Ähnlich dem Kinderschreck Habergeiß (auf der der Teufel reitet) war das Märzenkalb ein erzieherisches Drohgespenst, das unfolgsame Kinder fraß oder mitnahm.

Mit oder ohne Fußball.


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Österreichs wichtigste Instrumente

Das Land und seine Bevölkerung kann in drei Gruppen eingeteilt werden: Diejenigen, die mit Werkzeugen umgehen können, diejenigen, die Musikinstrumente bedienen können, und schließlich all jene, die weder das eine noch das andere beherrschen. Letztere rühmen sich wenigstens, mit Gabel und Messer speisen zu können. Auch das Autofahren ist ihnen in die Wiege gelegt, zumindest glauben sie dies.

Sehen wir uns die Handwerker an. Sie arbeiten auf Goldenem Boden, wir treffen sie alltäglich in den Baumärkten des Landes, wo sie sich mit Werkzeug und Maschinen eindecken, mit Bau- und Bastelmaterial. Die Regalbetreuer in diesen Etablissements gehören nicht zu dieser Kohorte, immerhin beherrschen sie das Handwerk der Dislokation.

Die manuell Unbegabten im Land der Hämmer sind nicht weniger wichtig als die Begabten, ohne sie gäbe es keine Nachfrage, ohne sie keine tropfenden Wasserhähne, keine leckenden Waschmaschinen und kein ausgefallenes WLAN-Netz. Sie sorgen für Konjunktur und Wachstum, gemeinsam mit den Kolleg·innen vom Handwerk versorgen sie die Unfallchirurgie mit Patienten.

Bleiben die Musiker und Musikerinnen. Sie halten Österreich spirituell am Laufen. In Blasmusikkapellen, Orchestern und allerlei krachmachenden Bands organsiert, tragen sie die Last der Zerstreuung. Sie hängen die Geigen in den Himmel, beschallen die Kirtage und Hochzeiten, sie fetzen, trällern und schnulzen was das Zeug hält. Das Zeug sind in aufsteigender Wichtigkeit: Die Blockflöte, die Wandergitarre, und das gelbe Blech, das uns allen den Marsch bläst.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 16. März 2024.

Wer ist hier der Schwarze?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 11/2024 vom 13. März 2024

Liebe Frau Andrea,
was bedeutet, beziehungsweise woher stammt das „einen Schwarzen geben“? In einem Feldpostbrief schreibt mein Vater, dass er Sehnsucht danach habe, meiner Mutter wieder „einen Schwarzen geben“ zu können. Instinktiv erfasse ich den Sinn dieser Floskel, bin aber irritiert, dass hier die Sexualität im Spiel ist, die in unserem streng katholischen Haushalt nie explizit zur Sprache kam. Mundartwörterbücher konnten keine Auskunft geben. Einzig Theodor Kramer verwendet diese Wendung in einem Gedicht; es gelingt ihm immer Vulgäres mit intimer Zärtlichkeit zu verbinden. 
Danke für die Hilfe!
Christiane Mayer Mixer, Mauerbach

Liebe Christiane,

bei der Lektüre von Korrespondenzen sind wir in die Zeit und die Umstände ihres Entstehens geworfen, mehr noch in die individuelle Sprache und ihre scheinbare Verrätselung. Mit Vorwissen können wir in das Dickicht des Privaten vordringen, vieles aber bleibt ungelöst. Mit dem Hinweis auf den streng katholischen Haushalt deuten Sie bereits mögliche sprachliche Tabus und Maskierungen an. Auch meine Befragung der umfangreichen spezifischen Literatur führt zu keinem verwertbaren Ergebnis. Wir alle kennen die Bedeutung des „Schwarzen“ für alles Verbotene, Illegale, wie „schwarz zu fahren“ (ohne Fahrschein fahren) oder schwarz zu brennen (illegal Schnaps zu produzieren). Der Schwarzmarkt schließlich ist der verbotene, behördlich nicht geregelten Handelsplatz. Vermeintliche rassistische Untertöne dazu werden immer wieder gehört, liegen den erwähnten Beispielen aber meist nicht zu Grunde. 

Dass Ihr Vater Ihrer Mutter „einen Schwarzen“ (also eine Tasse Mokka) kredenzen wollte, können wir fast ausschließen, bliebe die, von Ihnen schon insinuierte, eindeutig sexuelle Bedeutung. „Der Schwarze“ gilt in katholischen Zusammenhängen als Hüllwort für den Teufel, die lautliche Ähnlichkeit zum Penilwort „Schwanz“ liegt ebenfalls vor. In der Perspektive eines Soldaten mag daher das ersehnte ehelichen Beiwohnen durchaus als „teuflisch“, im Sinne von „teuflisch gut“ erscheinen.


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Grünweiße Schlachtgesänge

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 10/2024 vom 6. März 2024

Liebe Frau Andrea,
Medien und Fans werfen Funktionären und Spielern des SK Rapid gerade Homophobie vor, weil sie nach dem gewonnenen Derby gegen die Austria „Wir sind keine oaschwoamen Veilchen“ sangen. Ich hatte den Begriff „oaschwoam“ bisher eher als fad/uninteressant/luschenhaft verstanden. Bezieht er sich wirklich auf die Sexualität?
Danke fürs Herleiten,
Gerfried Wick aus Wien

Lieber Gerfried,

als Nichtteilnehmerin am lokalen Fußballgeschehen kann ich Ihre Frage nur aus der tribünenlosen Entfernung beantworten. Dass ein Fußballstadion kein Mädchenpensionat ist, dürfen wir als bekannt voraussetzen. Die Schlachtgesänge und Transparente der diversen Fangemeinden sind für ihre einfache Lyrik und ihre tabulose Nähe zu rassistischen und chauvinistischen, nicht selten homophoben Inhalten bekannt. 

In meiner Volksschulzeit brachten meine Brüder die eher harmlosen Reime „Rapid Stürmer, kriechen wie die Würmer“ und „Rapid ist super, Austria braucht Milupa“ mit nach Hause. Dem aktuell beanstandeten Begriff „oaschwoam“ wohnt im Wienerischen unzweideutig homophobe Semantik inne, die einhergeht mit den von ihnen berichteten Nebenbedeutungen. Allesamt insultfähige Eigenschaften, die die Fans gerne der gegnerischen Mannschaft zuschreiben. In diesem Fall die der grünweißen Rapid aus Hütteldorf den „Veilchen“ von der violetten Favoritner Austria.

Aber auch die Austrianer können böse singen. Etwa von „Bomben auf Hütteldorf, Shalalalala“ (zur Melodie von Boney M’s Disco-Hit „Brown Girl in the Ring“), oder die Textvariante des Kirchenlieds: „Kommt, sagt es allen Leuten, die Scheiße ist in Hütteldorf zu Haus, kommt, sagt es allen Leuten, die Scheiße ist Grün-Weiß und stinkt nach Fisch!“ Dem kann im Derby von den Rapidlern sexistisch entgegengeworfen werden: „Oh Austrianer, Hurensöhne aus Wien 10, eure Mütter haben wir ge****t die ganze Nacht, sie stöhnten schon beim Anblick unsrer grünen Farbenpracht“.

Wir empfehlen zur Abkühlung Schlichtes: „Auf der Donau schwimmt ein Fußball, und der Fußball schwimmt ins Meer, und der Fußball der geht unter, und die Austria hinterher, valeri, valera …“


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