Nationalheilgtümer

Für meine ‚illustrierte Kolumne‘ in den Salzburger Nachrichten Wochenende vom 25.10.2013, Seite VIII.

Am Anfang war die Urkunde. In einem lateinischen Pergament, an einem nebeligen 1. November 996 im schwäbischen Bruchsal verfasst, taucht das erste Mal ein seltsamer Name auf: Ostarrichi. In Österreichs wichtigstem Dokument, einer Schenkungsurkunde Kaiser Ottos III. an den Freisinger Bischof, wird festgehalten, diese betreffe 30 Hufen (Bauernhöfe) in einem Landstrich, der „in der Sprache der Einheimischen Ostarrichi“ heiße. Die Urkunde wird im Bayerischen Hauptstaatsarchiv aufbewahrt. Nicht in der Schatzkammer in Wien, nicht in der Nationalbibliothek, nicht im Staatsarchiv. Der Taufschein von Schnitzelland wird in München aufbewahrt.

Ausgerechnet. Dabei ist in dem alten Schriftstück gar nicht von einem Öster-Reich, einem Reich im Osten, die Rede, denn in keinem bekannten Dialekt hieß oder heißt der Osten „Oster“ geschweige denn „Öster“. Wie denn auch. In Ostarrichi sprach man gar nicht Deutsch. Die Bauern des 10. Jahrhunderts sprachen eine frühe Form des heutigen Slowenisch. Mit Ostriki bezeichneten sie „die Leute beim steilen Berg“. Der „steile Berg“ (ostra gora) ist nach slawistikprofessoraler Lehrmeinung die steil bergauf führende Umgehungsstraße des Strudengaus.

Macht nichts, dachten sich die Steilberger, wählen wir uns andere Nationalheiligtümer als den knitternden Wisch. Schönbrunn, Schönsalzburg, den Schöngroßglockner! Auch große Söhne wurden im Land der Hämmer zukunftsreich. Der Wolferl (aus der Getreidegasse), der Kaiser Franz Josef (aus dem Hause Habsburg), der Kaiser Franz (aus dem Hause Klammer). Auch ein Jubeltag musste her! Als Nationalfeiertag firmiert hierzulande nicht der Jahrestag der Ausrufung der Republik (12. November), die Wiederkehr des Tages der Unterzeichnung des Staatsvertrags (15. Mai) oder die Erinnerung an die Ausreise des letzten russischen Besatzungssoldaten (19. September), sondern der Tag, an dem die immerwährende Neutralität in die Verfassung geschrieben wurde. Der 26. Oktober wird mit Fitmärschen und Massenangelobungen begangen. Auf dem Heldenplatz sind Turngeräte aufgestellt. Heldenkopter und Heldenpanzer. Zum Angreifen gibt es Sportler. Zum Essen Gulasch aus der Kanone.

Erntedank

Für meine ‚illustrierte Kolumne‘ in den Salzburger Nachrichten Wochenende vom 19.10.2013, Seite X.

Diesmal war es nicht ganz einfach. Mit der Ernte. Und mit dem Dank. Denn diesmal hat des Wetters Unbill zugeschlagen. Mit grausamer Keule. Rücksichtslos und nachhaltig. Und wiederholt. Erst gab es sibirisches Klirren bis in den Mai, dann ein Jahrhunderthochwasser. Kaum waren die Fluten Richtung Osten abgeflossen, schlug der Sommer zu. Mit saharischer Hitze und gewitterloser Trockenheit. Seit Schulbeginn haben wir NNN. Nebel, Nässe, November. Österreichs Erntedankfeste, üblicherweise Prozessionen der Üppigkeit, glichen Trauermärschen. Mussten andernjahrs die Hänger des ganzen Dorfes beladen werden, reichte diesmal ein Leiterwagerl. Für die zwei kleinen Kürbisse, die halbe Garbe Korn und das Gurkerl. Auch auf politischem Parkett, traditionell herrschen hier Sprache und Sitten aus der Landwirtschaft, wurde Ernte eingefahren. Und auch hier war das Ergebnis traurig. Kein Wunder, es wurde an Urnen abgestimmt. Bitter liegen geblieben waren die orangen Früchte – viele waren es, seit die Sonne vom Himmel gefallen war, ohnedies nicht mehr gewesen. Grünes, bei den Städtern seit jeher beliebter als auf dem Land, schaffte es zwar in die Scheunen, die Schnitter beklagten aber Verluste durch Schafe und Affen. Weit unter den Erwartungen blieb auch die Ernte von Onkel Fränk aus Kanada. Kritiker bemängeln, hier wurden zu viele Flaschen zugekauft. Alten Wein panschten erwartungsgemäß die Nächstenlieblinge der sozialen Heimatpartie, noch älteren wollen jetzt Schwarze und Rote in die Fässer füllen. Der Heurige ist diesmal giftrosa und heißt Neos. Prost. Ein Jammer, das Erntejahr 2013, gäbe es nicht auch Erfreuliches zu berichten. Hermann Maier hat an die Zukunft gedacht und Zwillingstöchter ausbrüten lassen. Lieselotte und Valentina Schneller (guter Name übrigens!) werden spätestens 2027 Goldmedaillen einbringen. Die Fußballnationalmannschaft der Herren hat den Hafer nicht geschnitten und den anstrengenden Traum vom Rasentanz in Brasilien eingeackert. Manchmal müssen Opfer gebracht werden.

Wir wollen dankbar sein.