Anschließendes zum Song-Contest. Die nationalstaatliche Zuordnung von Vortragskunst wäre grotesk, die alleinige Idee eines Wettkampfes von Kunstdarbietungen gaga. Es geht aber gar nicht um Kunst und Kampf, sondern um schlichte Unterhaltung. Der ESC ist eine Nummernrevue in Form einer gesungenen Modeschau. Ein bunter Reigen Horror.
Kategorie: Quergelesen Ferngesehen
Millionenshow
Es gibt die Millionenshow – für Normalos, und die Promi-Millionenshow – für Promis. Das ist zuwenig. Was ist mit Millionären und Milliardären? Die haben keine Show? Ich schlage also die Millionärs-Millionenshow, und die Milliardärs-Milliarden-Show vor. Eventuell sogar die Milliardärs-Billionenshow. Halt mit einfacheren Fragen und mehr Hilfe vom Moderator. Als Telefonjoker Minister, Landeshauptleute und Bundeskanzler. Wie im echten Leben auch.
Euro-Millionen. Endlich Ruhe
Religion, Wissenschaft, Sport
Wie bekannt, aber bereits vergessen ist, sind Religion und Wissenschaft im ORF in einer gemeinsamen Abteilung zusammengefasst. Man hätte Religion und Sport zusammenlegen sollen. Zu beiderseitigem Vorteil.
Andrea Maria Dusl, 6.8.2016, Olympia in Rio
Futzi-Wing
Vera Russwurm spricht in ihrer Sendung über nachhaltiges Essen permanent von „Futzi-Wing“. Immer nur „Futzi-Wing“. Der Geist von „Futzi-Wing“, die Vorteile von „Futzi-Wing“, die steigende Bedeutung von „Futzi-Wing“. Ich habe 45 Minuten gebraucht um den Ausdruck als „Food Saving“ zu indentfizieren. Fernsehen mit Chill-Faktor. Das ist auch so ein Wort, das gerne aus dem Schirm springt.
Viszeraler Schock Kulturmontag
Pockerlfras. Ich bekomme selten die Pockerlfras, und es ist auch sehr ungehörig von mir, dies öffentlich vorzubringen, weil sich die Kollegen möglicherweise, ja wahrscheinlicherweise sehr anstrengen mit der Produktion ihrer Show. Aber ich bin hilflos und muss darüber sprechen: Die ORF-Sendung „Kulturmontag“ dringt mir in Mark und Bein. In Wellen durchfluten mich seelische und körperliche Erschütterungen und lösen erwähnte Pockerfras aus. Ein Konsum des Bildfunkwerks, auch ein akzidentieller, ist gänzlich unmöglich. Therapie ist zwecklos. Ich bin ratlos und leidend. Gerade eben ist es wieder passiert. Ich habe den Bildschirm zu lange angelassen, der „Kulturmontag“ raste aufs Gleis meiner Erkrankung. Vollblüte des Schauders. Ein Musikantenstadl war leichter zu ertragen, sogar in Maximallänge. Sind es die Themen oder die Attitude? Wenn mich je jemand foltern wollte, die Sendung wäre das Mittel der Wahl.
Found Footage ::: Geheimnisvolle Statistik
Heise berichtet über Hinweise auf Wahlfälschung im Iran
Der Astrophysiker Boudewijn F. Roukema legt in einer wissenschaftlichen Abhandlung (PDF-Datei) dar, die Stimmzahlen (Excel-Datei) aus den 366 iranischen Wahlbezirken seien mit hoher Wahrscheinlichkeit manipuliert worden. Zur Begründung hat er die Menge der abgegebenen Voten, die sich in jedem Stimmbezirk auf eine Zahl zwischen 10.000 und 100.000 summieren, auf ihre Häufigkeit der ersten Ziffer analysiert.
Für solche Zahlensammlungen lässt sich das Benfordsche Gesetz anwenden, dem zufolge annähernd 30 Prozent aller dieser Zahlen als erste Ziffer die 1 aufweisen sollten. Roukema fand allerdings heraus, dass entgegen dieser Null-Hypothese, die von nicht manipulierten Zählergebnissen ausgeht, überraschend viele Stimmzahlen für den alten und selbsterklärten neuen Präsidenten Ahmadinedschad nicht mit der Ziffer 1, sondern mit 2 beginnen. Außerdem fand Roukema eine dramatische Häufung von Stimmzahlen für den unerwartet erfolglosen Gegenkandidaten Karrubi, die mit der Ziffer 7 beginnen. Deren Häufigkeit liegt um ein Vielfaches über dem Erwartungswert, der sich innerhalb statistischer Unsicherheiten mit der Null-Hypothese vertrüge.
Mahdi Karrubi war nach Recherchen des Spiegel im Jahr 2005 der meistgewählte Politiker in den ländlichen Regionen des Iran, erhielt dort aber in den aktuellen Wahlen angeblich weniger als ein Prozent aller Stimmen. Roukema hält eine Verfälschung der Ergebnisse durch Tippfehler und dergleichen für unwahrscheinlich und schlägt gerade diese Stimmzahlen als lohnende Kandidaten für eine nachträgliche Wahlanalyse vor.
Das Benfordsche Gesetz, welches vor dem Physiker Frank Benford schon der Astronom Simon Newcomb formuliert hatte, wird mitunter auch als Newcomb-Benford-Law (NBL) bezeichnet. Newcomb war auf die zunächst nur vermutete Gesetzmäßigkeit aufmerksam geworden, als er beobachtete, dass in vielseitigen gedruckten Logarithmentafeln die Seiten am stärksten verschleißen, auf denen die Mantissen mit der Anfangsziffer 1 behandelt sind. Heutzutage findet das NBL Anwendung in der Marktforschung, wenn es darum geht, Befragungsergebnisse auf systematische Fehler zu prüfen. Eine geschlossene mathematische Herleitung war im Rahmen dieser Meldung nicht aufzutreiben. Wer die Gültigkeit dieses intuitiv schwer fassbaren Gesetzes als gegeben und anwendbar hinnimmt, kann Roukemas Analysen anhand eines zusammen mit seinem Bericht veröffentlichten Skripts für das Rechenprogramm Octave verifizieren.
Holt sie aus ihren Büros. Schickt sie nach Hause!
Kulturkommentar von Andrea Maria Dusl für Falter vom 10.12.2008
Hugo Portisch, Kasperl und Heinz Conrads, Edmund Sackbauer und die verirrte Sylvesterrakete, Nina Hagen und ihre Schamspalte, Kottan, Pilch und der böse Kaffeeautomat. Unser Gedächtnis hat mit Bildern zu tun. Bilder sind das Kapital der Erinnerung. Bewegte Bilder sind das gemeinsame Gedächtnis, auf das sich eine Gesellschaft einigen kann. Mann musste Mundl nicht mögen, um zu wissen, wer er war, was er repräsentierte, wofür er stand. Mundl, der goscherte Elektriker aus der Hasengasse war einer von uns. Ein Österreicher wie der Herr Karl, wie Kottan, wie Phettberg, wie Palfrader, wenn er im weissen Rock den vertrottelten Kaiser gibt. Bilder, bewegte Bilder schaffen Identität. Sie müssen nicht unsere persönliche Identität repräsentieren, es genügt, wenn sie abbilden, was zu unserer allernächsten Umgebung gehört. Unsere allernächste Umgebung ist das Land, in dem wir leben. Um das wiederzuerkennen, muss man weder patriotisch sein noch eingeboren. Auch ein türkischer Gastarbeiter konnte Mundl als landestypischen Archetypus indentifizieren. Oder der Botschafter von Australien. Um das Gedächtnis der Identität mit Bildern zu speisen, bedient sich das aufgeklärte Kollektiv der Bildermaschine. Auch Österreich hat solch eine Bildermaschine. Den Österreichischen Rundfunk, den O.R.F., den Oaff, wie er im Lande heisst. Diese Bildermaschine pfeift auf dem letzten Loch. Böse Zungen sagen, sie liegt im Sterben. Unsere Bildermaschine. Unser Erinnerungsmaschine. Arbeitet sie nicht mehr?
Unblumig haben die Gesetzemacher beschrieben, warum und wie die Bildermaschine arbeiten soll. Im ORF-Gesetz sehen sie für die Bildermaschine im Rahmen des Versorgungsauftrages unter anderem einen Bildungsauftrag vor. Der ORF ist seit 2001 eine Stiftung öffentlichen Rechts. Begünstigter der Stiftung ist die Allgemeinheit. Worin besteht die Begünstigung? In der Versorgung dieser Allgemeinheit mit Nachrichten, Unterhaltung und Bildung. Schon das Wort Bildung, gemeinhin auf Schule und universitäre Lehre reduziert, birgt den ganzen Reichtum dieses Auftrags: Bildung hat vor allem mit dem Bild zu tun, das wir uns von der Welt machen.
Der ORF hat vor einigen Tagen den Bankrott seines Kernauftrags erklärt. Ein internes Strategiepapier empfahl die Kündigung des Film/Fernsehabkommens. Der sperrige Titel bezeichnet einen Vertrag, den die Bildermaschine ORF 1981 mit dem Österreichischen Filminstitut zur Förderung von Spielfilmen abgeschlossen hat. Das Abkommen sieht vor, dass sich der ORF an der Finanzierung von Kinospielfilmen und Kinodokumentationen beteiligt. Nach einem öffentlichen Aufschrei scheint der ORF in dieser, für das Kinoschaffen des Landes lebensnotwendigen Frage einzulenken. In der Praxis gilt der Beitrag des ORF als dritte Säule in der heimischen Kinofilmförderung. Das war keine österreichische Erfindung. Alle europäischen Filmindustrien sind staatlich gefördert. Europa versteht die Filmförderung als eminenten Beitrag zur Schaffung nationaler und europäischer Identität. Wie die Förderung der Landwirtschaft. Oder die Förderung der Forschung. Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten der europäischen Länder zahlen ganz selbstverständlich in die nationalen Filmfördertöpfe ein. Per Gesetz. Was sie davon haben? Sie haben ein gutes Gewissen, weil sie, die Verursacher des Kinosterbens, einen kleinen Teil ihres Umsatzes an die Bildermacher zurückgeben. Und sie haben ein gutes Gefühl, weil sie die so finanzierten Filme im Fernsehen auswerten können. Gutes Gewissen und gutes Gefühl ist den österreichischen Fernsehmachern fremd. Gewissen ist ihnen fremd und Gefühl ist es auch. Es liegt ihnen nicht an der Schaffung von Identität. Sie halten Starmania für identitätsstiftend, amerikanische Vorabendserien und den Schpuat.
Sängerwettkämpfe, Malcolm und die Rennen der österreichischen Schneeathleten halte ich auch für wichtig. Aber sie bilden nicht. Sie bilden nicht ab. Sie unterhalten. Mundl bildet, Seidl bildet und Haneke, und sogar meine Filme machen das. Sie bilden die Realität ab. Sie sind gefilmte Identität. Wird das Zukunft nicht mehr so sein? Werden in Zukunft die Filme der österreichischen Bildermacher nicht einmal um 0 Uhr 35 gespielt werden? Werden sie nicht mehr gespielt werden? Und erst gar nicht mehr finanziert?
Liegt es an der Quote, dass hier so knieweich mit dem wichtigsten Kunstform unserer Zeit umgegangen wird? Es liegt nicht an der Quote. Österreichische Stoffe, Filme und Fernsehspiele, erzählt, inszeniert und gespielt von Filmemachern, die dieses Land abbilden, gehören zu den beliebtesten Programmen des ORF. Liegt es am sperrigen Image des österreichischen Films? Keineswegs, wie der enorme Erfolg der Standard-Hoanzl-Edition “Der österreichische Film” zeigt. Woran liegt es dann?
An einem Amalgam aus zynischer Verachtung, blauäugigem Desinteresse, grantelnder Saturiertheit und an simpler Arbeitsverweigerung. Arbeitsverweigerung? Ja, Arbeitsverweigerung. Denn wir, das Volk haben einen Auftrag gegeben. Die Allgemeinheit mit Bildung zu versorgen.
Holt sie aus ihren Büros. Schickt sie nach Hause, sage ich. Und setzt Bildermacher auf ihre Sessel. Bildermacher, die das Bildermachen lieben.
Fußball-EM ::: Tor des Turniers
Fußball-EM ::: Tor der Woche 3
Fussball-EM ::: Tor der Woche 2
Das letzte Glück, das die Kicker der österreichischen Nationalmannschaft hatten, bevor ihnen Angstgegner und grosser Bruder Deutschland die Fussballhosen auszog. Ein Gutes hattes es noch: Österreich war die einzige Mannschaft, die nach dem Ausscheiden nicht nach Hause fahren musste. Sie war ja schon da.
Für Falter 25/2008.
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©Andrea Maria Dusl
Fussball-EM ::: Tor der Woche 1
Aus meiner langjährigen Falter-Serie ‚Tor der Woche‘ diesmal der Beginn der neuen, wöchentlichen Europameisterschafts-Betrachtungen. Zur Erinnerung: Das Tor der Woche ist nicht das schönste Tor, das spektakulärste oder wichtigste, sondern das eindrucksvollste. Und Eindruck hat der Elfer von Herrn Modric hinterlassen. Zumindest in Österreich.
Für Falter 24/2008. Ins Bild klicken für 1000px-Version
©Andrea Maria Dusl