Dreimal

Eine unerwartet schöne Begegnung heute im leeren Billa. An der Kasse frage ich den Kassier, ob er geimpft sei. Zweimal, sagte er, alle hier seien geimpft. Dann fragte er mich, ob ich geimpft sei. Dreimal, antwortete ich. Da gingen die Augen des Kassiers in ein Leuchten über. Er fühlte sich verstanden, geschätzt und auf eine magische Weise verbunden. Sowas habe ich vorher noch nie in einem Geschäft erlebt. Und auch sonst so selten, dass ich mich nicht daran erinnere.

Das Wörterbuch der neuen Wörter

Neue Zeiten bringen neue Wörter. Begriffe werden umgedeutet, andere verschwinden. Die Autorin und Zeichnerin Andrea Maria Dusl hat eine kleine Liste gemacht. Und ein Schaubild.

Dieser Text ist ein Teil einer ressortübergreifenden Serie des STANDARD zum Thema Sprachwandel.

https://www.derstandard.at/story/2000126824641/pandemie-bereichert-sprache-das-woerterbuch-der-neuen-woerter

A
Ampel: Jede blendende Idee ist in Österreich immer auch eine blede Idee.

Angst: Die einen haben Angst vor Corona, die anderen Angst vor Masken. Dazwischen: die Nasenraushänger.

B

Babyelefant: Das Haustier von Rudi Anschober und Karl Nehammer ist längst entschlafen. Das putzige Rüsselkind war immer nur ein Phantasma, sagen die Babyelefantologen der Universität Trippstrill, eine Art Bigfoot. Niemand habe den Babyelefanten jemals angetroffen.

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Bezirksamt

DRAMOLETT

Bezirksamt, grüne Bezirksvorsteherin. Ich komme vom Wahllokal, will zum Pickerlreferat. Aus dem Foyer ein Ruf.

Stiller: Wohin?

Drei junge Männer hinter großen Tischen: Ein Stiller, ein Unscheinbarer und ein Knecht, Typ “Security Bobolokal”. Keine Corona-Masken.

Ich (durch die Maske): Pickerl.

Boboknecht: Was?

Ich (laut): Park Raum Bewirtschaftung. Pickerl.

Stiller: Geht nicht. Kann man nicht hin.

Ich (laut): Wieso? Ich war grad dort. Am Weg vom Lift.

Stiller: Da ist jetzt zuviel los.

Ich (laut): Da war nichts los.

Stiller: Da ist jetzt zuviel los. Da sind jetzt zuviele drin. Ausserdem sind zwei krank.

Ich (laut): Ich muss nur was fragen.

Boboknecht: Was müssen sie fragen?

Ich (laut): Ob mein Pickerl noch aktuell ist, oder ob sie wieder vergessen haben, mir den Zahlschein zuzuschicken.

Boboknecht: (händigt mir Zettel aus) Sie brauchen Anmeldung.

Ich (laut): Wo kann ich mich anmelden? (schaue auf Zettel mit Kontaktdaten des Referats Parkraumbewirtschaft).

Boboknecht: Anmelden geht telefonisch. Aber es wird niemand abheben.

Ich (laut, zum Stillen): Was soll das? Erst sagen sie mir, es ist grad viel los, deswegen kann ich nicht vorsprechen, dann sagen sie, man kann gar nicht vorsprechen, wegen Corona, und anrufen kann man zwar, es wird aber niemand abheben. Was ist das für eine Auskunft?

Boboknecht: Schreien sie nicht.

Ich (sehr laut): Ich schreie, wann ich will, ausserdem schreie ich, weil Sie mich mit Maske nicht verstehen. Sie können auch schreien, ich hab da nichts dagegen.

Boboknecht Wenn Sie schreien, rede ich mit ihnen nicht. Ich wollte ihnen einen Vorschlag machen.

Ich: Dann machen sie mir einen Vorschlag.

Boboknecht: Jetzt nicht mehr.

Ich (laut): Was soll das, wird das eine Machtdemonstration?

Boboknecht: Was bin ich, bin ich Regierung?

Ich: Nein, sie sind hier zuständig für Auskunft. Ich muss unter Umständen Strafe zahlen, wenn ich das Parkpickerl nicht verlängere. Verstehen sie das? Und sie machen hier Spiele und kosten ihre Macht aus.

Boboknecht: Ich rede nicht mit ihnen, wenn sie schreien.

Ich: Geben Sie mir jetzt Auskunft? Sie wollten mir einen Vorschlag machen. Machen Sie mir bitte einen Vorschlag.

Boboknecht: Nein, zu spät.

Ich: Wie, zu spät? Was soll das? Sie sind doch für die Bürger da.

Boboknecht: Zu spät.

Ich: Was ist das für ein Spiel?

Boboknecht: Wenn Sie nicht geschrien hätten, hätte ich ihnen einen Tipp gegeben.

Ich: Wie heißen sie?

Boboknecht: Datenschutz.

Ich: Zeigen sie mir den Dienstausweis.

Boboknecht: (schweigt).

Ich: Wie heißt Ihr Vorgesetzter?

Boboknecht: Bezirksvorsteher.

Ich: (gehe ungehindert Richtung Lift, wo auch das Pickerl-Referat läge, kehre aber um, weil der Satz mit dem Bezirksvorsteher ja ein Leger war, die Bezirksvorsteherin ist ja jetzt sicher nicht da.)

Ich: Sie haben doch einen unmittelbaren Vorgesetzten.

Boboknecht: Nein.

Ich: (wieder zurück bei den Tischen der Jungmänner): Was machen Sie hier eigentlich?

Stiller: Wir schauen, dass keiner hier reingeht ohne Maske.

Ich: Warum haben SIE keine Masken auf?

Boboknecht: Müssen wir nicht. (Maske liegt vor ihm). Geben Sie mir ihren Ausweis.

Ich: Zeigen Sie mir vorher ihren.

Boboknecht: Nein.

Ich: Sie werden Beton bekommen.

Boboknecht: (lacht) Sicher nicht.

Ich: Wieso brauchen sie meinen Ausweis?

Boboknecht: Ich gehe für sie rein, und mache einen Termin für sie aus.

Ich: Ich dachte, es ist niemand da. Und niemand darf rein?

Boboknecht: Ich darf.

Ich: Sie können doch für mich nicht einen Termin ausmachen! Sie kennen doch meinen Terminkalender nicht. Einen Termin kann ich nur selber ausmachen.

Boboknecht: Also sie wollen nicht.

Ich: Schon wieder so eine Machtdemonstration. Ich werde mich beschweren. Wenn sie mir Ihre Dienstnummer und ihren Namen nicht geben, werde ich ein Foto von Ihnen machen.

(hole mein Handy raus, mache KEIN Foto.)

Boboknecht: (baut sich vor mir auf, 2cm, keine Maske, drängt mich Richtung Ausgangstreppe): Verlassen Sie das Bezirksamt. Hau ab hier.

Ich gehe wortlos, ohne Information, ohne Vorsprachetermin, mit einem Datenzettel, der wertlos ist. Am Weg nach Hause rufe ich die Nummern am Zettel an: Niemand hebt ab.

VORHANG.

Moria, Corona und so

Samstagnachmittag im Schanigarten der Pizzeria in Bobograd. Im Augenwinkel bemerke ich eine Frau, die im ersten Stock am Fenstersims steht. Starr und stumm. Blaue Bluse, roter langer Rock. Die Sonne scheint. Samstagnachmittag in Bobograd. Die Frau überlegt, steht nur da. Im ersten Stock am Fenstersims. Moria, Corona und so. Und dann. Springt das Bild. Es ist eine Statue der Muttergottes. Lebensgroß. Moria, Corona und so.

Ganzheits-Coaches, Wohlfühl-Berater und Spiritual-Ratgeber

Es rächt sich, jetzt während Corona, dass Hunderttausende im Land ohne irgendwelche seriöse medizinische Ausbildung als Ganzheits-Coaches, Wohlfühl-Berater und Spiritual-Ratgeber ordinieren. In einer Welt, in der Nachfrage mit Heilung, und Bezahlung mit Erfolg gleichgesetzt wird, muss das den Irrglauben nähren, das richtige zu tun.

Diese Leute, Schamanen, Homöopathen, Impfverweigerer und Traumreisenchirurgen sind mitschuld daran, dass viele meinen, das Virus wäre eine Erfindung von Schulmedizin und Pharmaindustrie, und die Maskenpflicht in Supermarkt und Zug schiere Freiheitsberaubung.

Wäre das Voodoo, das diese Leute betreiben, wenigstens gesundheitlich produktiv und methodisch nachvollziehbar, bliebe noch der Vorwurf der Geschäftemacherei, der Quacksalberei. Der ganze selbstgebastelte Psychoquatsch ist aber nur als Businesssmodell erfolgreich, als Heilmethode völlig wertlos. Die Klienten werden aggressiver statt zufriedener, blöder statt gesünder.

Das Gesagte gilt übrigens auch für die Message-Control-Sekte Türkis.

Sommerpläne

Der österreichische Sommer ist eine Sache des Planens. Im Regelfall wird an der Sache monatelang getüftelt. Darin ähnelt diese Sehnsuchtsleistung jener für andere Jahreszeit-Ereignisse wie die Faschingssitzung (falls wir hobbykomisch veranlagt sind), die Jahresvollversammlung des Elternvereins (falls wir eingeschulten Nachwuchs haben) und der Schulschikurses (im Turnlehrendenfall).

Die österreichische Sommerplanung zerfällt in zwei Extreme: Die einen organisieren minutiös, von den Kofferpackkonzepten über die Anreiselogistik, die Erlebnistaktung bis zu Details wie den Aufstellungsort von Schirm, Liege und Kühltasche. Das andere Extrem bildet sich im Zufallstourimus ab, dem Last-Minute-Buchen, der ungezielten Herumreiserei oder dem Urlaub bei Verwandten, Schulfreunden und Tinder-Kontakten.

Beide Formen der Sommergestaltung werden von der Realität mit Unbill bestraft, die da heißen: Schattenparkplatznot, lästige Balkonnachbarn, und das übliche Armageddon am Frühstücksbuffet. Dazu können sich noch Gelsenplagen, emotionseintrübende Tiefdruckgebiete, Quallenalarme oder örtliche Unruhen gesellen: Biker-Gangs, Seniorengruppen und Australier. Und neuerdings wird unser Urlaubserlebnis von coronabedingter Maskenpflicht und verdrießlichen Abstandsvorschriften gestört.

Den beiden vorgestellten Gruppen gesellt sich noch eine dritte hinzu, die überhaupt nicht urlauben kann. Prekär Beschäftigte, Alleinerziehende, und Freischaffende. Ei der Daus! Lasst euch halt anstellen, sagen die Gutbestallten.

Können vor Lachen, sagen die Urlaubslosen dann.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 18. Juli 2020.

Sommerutensilien

Wer erinnert sich nicht daran? An den Sommer am Strand, an das rhythmische Ballern der Sommerhits, an bunte Liegestühle, die abblätternde Farbe an den Badehäuschen, an ausgeblichene Schirme, braungebrannte Melonenverkäufer und brennheißen Sand? Wer erinnert sich nicht ans Luftmatratzenaufpumpen, Sandburgbauen und den ungleichen Kampf zwischen Sonnenöl und roter Haut? Wer kennt nicht den Geruch von staubtrockenen Krimiseiten, in der flirrenden Mittagssonne als Schattenwedel aufs Gesicht gelegt? Wer hat nie Muscheln aus den Schaumzungen der Wellenzipfel gefischt, dampfende Pasta Asciutta gewickelt und am Corso radebrechend Stracciatella con Nocciola bestellt? 

Die Strandmetropolen Jesolo, Caorle, Bibione und Lignano, und das bürgerliche Laguneninselchen Grado gehören zu Österreich wie Großglockner und Hahnenkamm. Auch jene, die es trotz adriatischer Nähe in die Ägäis und nach Mallorca zog, an die kroatische Küste, das Rote Meer oder an den Indischen Ozean, kennen das Gefühl des Urlaubs im Ausland. Die Freude am Entwurzeltsein, den Segen sommerlicher Ferne. 

Das Auffrischen dieser Erinnerungen wird bald wieder möglich sein. Obwohl die Distanzierbestimmungen umständlich sind, die Test-Nachweise ungenau, die Gefahrenlage unbekannt. Der Strandurlaub der Österreicher wird heuer nicht ausschließlich an den Süßwasserseen des Landes stattfinden müssen, in den Freibädern der Kommunen und den Swimmingpools der Frühstückspenisonen.

Dem sicheren Fußbad in Balkonien wird sich das unsichere Planschen im Adriatischen hinzugesellen. Diesmal mit Corona-Flair. 

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 13. Juni 2020.

Wien und die Verschwörung

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 23/2020 zum 3. Juni 2020.

Liebe Frau Andrea,
die Verschwörungstheorien, besonders jene zu Corona haben Hochkonjunktur. Die Zahl der Maskenverweigerer und Verharmloser steigt. Ich bin zwar nicht überängstlich, aber alert und vorsichtig in Bezug auf das Virus. Wie sagt denn der Wiener zur Verschwörungstheorie? Gibts da einen Begriff?
Danke für die Aufklärung! Liebe Grüße von
Caspar Krafft, Ottakring

Lieber Caspar,

das Wienerische hat noch keinen spezifischen Ausdruck für die Verschwörungstheorie geprägt, wenn es allerdings darum geht, eine zirkulierende Falschmeldung zu benennen, sprechen Wienerinnen und Wiener vom Gschichtl (der kleinen Geschichte). Der Verbreiter falscher Wahrheiten heißt traditionell Gschichtldrucka (Geschichten-Drucker), Schmähbruada (Schmäh-Bruder) oder Bflantssreissa (der Pflanz ist die Lügengeschichte, Reissa ist der Reisser). Einem Unbedarften eine Schwindelei aufzutischen, firmiert unter dem schönen Ausdruck „wem a Wams einedruckn“ (jemandem einen Wams hineinzudrücken, von jiddisch mamsen, lügen).

Wie aber würde man all jene benennen, die schon auf die pathologische Seite des Genres gerutscht sind, all die Hochgrad-Esoteriker und Flüsterstimmenhörer, Wissenschaftsgegner und Reptiloiden-Paranoiker? Ganz allgemein spricht der kundige Wiener hier von Gschupften (vom Schupfen, der mittelalterlichen Körperstrafe des Waterboardings in der Donau). Wer nicht der psychischen Norm entspricht, ist „augstraad“ (angestreut) hat „an Glescha“ (einen Klescher, vom jiddischen chaleschen, schwach werden, ohnmächtig werden), hat „an Hib“ (Hieb) oder  „an Huscha“ (Huscher). Gschupfte sind auch ohne belastbare Diagnosen „aubridschd“ (angepritscht), „augschdrad“ (angestreut) und „augschit“ (angeschüttet).

Als exzellenten Insult für Verschwörungstheoretiker empfehle ich: „Hau di in die Gummihittn, wurlata Voipfostn“ (Begieb dich in die psychatrische Abteilung, verwirrter Vollpfosten) oder: „Red dein hianwaachn Bledsinn in a Sackal, haus in Kaloniaküwe und moch an Schuach“ (Sprich deinen hirnweichen Blödsinn in eine Papiertüte, wirf sie in den Colonia-Kübel (den Abfall-Eimer) und mach einen Schuh (Abgang)!

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

Österreichs Künstler

Ein verlässlicher Maßstab für heimischen Prioritäten ist Paula von Preradovićs Text für die österreichische Bundeshymne. Der vielgeprüfte National-Song, von Lukas Resetarits‘ Bühnenfigur Branko Simic „Lanterlied“ genannt (nach der lautmalerischen Wahrnehmung der Textbestandteile „Lanterberge, Lanterstrome, Lanterecka, Lanterdohume“) ist das zentrale Register sämtlicher Verhältnisse.

Die Entstehung des Hymnentextes war weniger künstlerischer Freiheit geschuldet, als politischem Nachdruck. Ein Preisauschreiben zur Ermittlung der Staatslyrik hatte eine Shortlist ergeben. Deren prominenteste Kräfte: Die religiöse Folkloristin Paula Grogger und der polemische Zeitkritiker Alexander Lernet-Holenia. Auf Betreiben von ÖVP-Urgestein und Unterrichtsminister Felix Hurdes (der spätere Papa wird’s scho richten) musste sich die favorisierte Paula von Preradović nochmals in die Dichterklause begeben, um ihren ursprünglich eingereichten Text zu finalisieren. Die Politik schaffte der Kunst an, was die Kunst zu schaffen habe.

Die aktuelle Corona-Krisenpolitik folgt der Reihung des Hymnen-Duos Hurdes-Preradović. Jeglichen Vorrang hat das Land der Berge (Ischlg, Kitzloch, Fremdenverkehr), gefolgt vom Land am (Luft-)Strome (Austrian Airlines). Dem Land der Äcker (Fußball, Golf und Landwirtschaft) folgen das Land der Dome (Gottesdienste), und das Land der Hämmer (Baumärkte). Zukunftsreich ist das Kleinwalsertal und seine Besucher, als große Töchter und Söhne verstehen sich die Mitglieder der Bundesregierung. Das Volk, begnadet für das Schöne, kommt zuletzt.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 30. Mai 2020.