Das Wörterbuch der neuen Wörter

Neue Zeiten bringen neue Wörter. Begriffe werden umgedeutet, andere verschwinden. Die Autorin und Zeichnerin Andrea Maria Dusl hat eine kleine Liste gemacht. Und ein Schaubild.

Dieser Text ist ein Teil einer ressortübergreifenden Serie des STANDARD zum Thema Sprachwandel.

https://www.derstandard.at/story/2000126824641/pandemie-bereichert-sprache-das-woerterbuch-der-neuen-woerter

A
Ampel: Jede blendende Idee ist in Österreich immer auch eine blede Idee.

Angst: Die einen haben Angst vor Corona, die anderen Angst vor Masken. Dazwischen: die Nasenraushänger.

B

Babyelefant: Das Haustier von Rudi Anschober und Karl Nehammer ist längst entschlafen. Das putzige Rüsselkind war immer nur ein Phantasma, sagen die Babyelefantologen der Universität Trippstrill, eine Art Bigfoot. Niemand habe den Babyelefanten jemals angetroffen.

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DNA Test

Ich habe in den US of A eine DNA-Analyse von mir machen lassen (don’t try this at home!) und nach der bin ich zu 44% Hunter-Gatherer, zu 43% Farmer und zu 14% Metal Age Invader. Letzteres beruhigt und beunruhigt mich gleichzeitig.

Ethnisch (heikles Terrain) bin ich zu 99% Europäerin, zu 69% West- und Zentraleuropäerin, zu 26% Osteuropäerin und sehr seltsam: zu 4% Finnin. 

Als Cousins 3-5. Grades (niemand näherer) werden durchwegs mir völlig unbekannte Finnen, Schotten und Schweden gelistet. Nur einer ist dabei, den ich tatsächlich kenne. Keine Osteuropäer, keine Westeuropäer, keine Mitteleuropäer, keine Balkanos. Irgendwas stimmt da nicht. Es sei denn, ich wurde in der finnischen Botschaft in Paris ausgetauscht. Ich muss mal mit meinen Eltern sprechen. Leider sind sie schon tot.  

Hitze in der Stadt

Essay für ‚Der Standard – ALBUM‘ vom 12.8.2017

Die Straßen kochen, der Asphalt wird munter und beginnt zu fließen. Schlägt klebrige Wellen, wie das Meer, wenn es auf böse Gedanken kommt. Ein stählernes Firmament trägt den giftigen Tagesstern. Zieht ihn grausam langsam über unsere glühenden Scheitel. In ungekannter Rohheit brennt der wütende Ball aschfahle Narben in die Erdenhaut. Im Schatten liegt die Luft, sie ist zu heiß und zu müde, um zu stehen.

Die Grillen, lange schon zogen sie aus dem kühlen Süden zu uns, sie zirpen nicht mehr. Die Grillen sind tot. Tot wie das Gras, tot wie der Hunger (nicht aber der Durst), tot wie die Leidenschaft (mit Ausnahme des Zorns). Wenn die Nacht über die Stadt fällt, wie eine Decke aus Lügen, funkeln ein paar entfernte Sonnen und ein traurigheller Mond. Dann strahlen die Mauern und der Asphalt ihr Tagesleid als Hitze in die Nacht zurück.

Wenn der Sommer (er beginnt neuerdings im April) das Land überfällt, dann wird die Stadt ein böser Drache, voll Pesthauch und zündelndem Fieber. Der Echse Schuppen sind glühende Schollen, an denen wir kleben bleiben wie dumme Mücken an heißem Honig.

Wenn der Sommer die Stadt heimsucht, schickt uns die Wüste statt Erfahrung nur Hohn: Heißen, tödlichen Wind.

Die Botschaft ist in Schmerz geschrieben und sie ist kurz: Die Hitze und der Sand komme über Euch. Die Oasen und die Kühle der Nacht und die Geschichten aus tausendundeiner Idee aber behalten wir.

Offene Stadt? Ofen Stadt

Jenseits aller Gesellschaftssysteme, individueller Lebensverhältnisse und persönlicher Verfasstheiten verbindet uns eine Konstante voller Inkonsistenz. Das Wetter. Es ist so umittelbar wie allumfassend, so wirkmächtig wie unbeherrschbar, es durchdringt unsere Existenz, es ist um uns. Immer. Dieser Befund schlägt sich neben Baukultur und Bekleidungstechnik auch und besonders in unseren Gesprächen nieder. Mit der Entfernung voneinander steigt unser Bedürfnis danach, das Wetter zu thematisieren. Das kann bei transkontinentalen Abständen jegliches andere Informationsinteresse überstrahlen. „Wie ist das Wetter bei Euch“ ersetzt dann schon jedes „Wie geht es Dir?“ Das Wetter bestimmt unser Sein. Das Bewußtsein ist dem nur nachgeschaltet.
In früheren Zeiten haben die Bewohner unsere Breitengrade, sobald sie fermündlich oder depeschengestützt mit Verwandten, Bekannten und Freunden in meteorologisch anders disponierten Gegenden verkehrten, zur Sommerzeit nur einen Zustandsbericht präsentiert: „Wir haben prachtvolles Wetter“. Prachtvolles Wetter. Schönes Wetter. Sommerwetter. Badewetter. Vergangene Zeiten transportierten vielleicht auch den sommerlichen Temperaturbefund „warm“. Oder: „Schön warm“. Nur eine Befindlichkeit kannten unsere Gespräche über das Wetter nicht: „Es ist heiß.“ Heiß war es hierzulande nicht. Niemals. Heiß war es in Afrika, in Indien, in der Wüste (und vielleicht in der Sauna). Das hat sich geändert. Warm ist es jetzt sommers in Island und in Alaska. Warm ist es in Grönland und Spitzbergen. Hier ist es heiß. Sehr heiß. Besonders heiß ist es in der Stadt. Die Gründe für die Erwärmung des Planeten sind hinreichend bekannt. Sie werden weltweit (mit der Ausnahme des Schurkenstaates Trumpistan) mit schaudernder Beachtung und der hastigen Listenerstellung von Gegenmaßnahmen beantwortet. Warum es heiß ist, wissen wir. Aber wie gehen wir damit um? Was bedeutet der Befund „es ist heiß“? Und da die meisten von uns in verdichteten Verhältnissen leben: Welche Konsequenzen hat die nachmoderne Zustandsbeschreibung „Hitze in der Stadt?“ Wenn Hitze die Frage ist, was sind unsere Antworten?

Der deutsche Philosoph und Transzendentalbeletristiker Odo Marquart hat 1978 in einem vielzitierten Vortrag an der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel zu einem (scheinbar) ganz anderen Thema verblüffend Passendes zusammengestellt. Unter dem etwas spröden Titel „Der angeklagte und der entlastete Mensch in der Philosophie des 18. Jahrhunderts“ (FN1) beschäftigen Marquart die Konsequenzen, die die Theodizee, also die Frage nach der Allmacht und Verantwortung „Gottes“ im Denken der Betroffenen anrichte(te)n. Marquard findet als Remedien gegen das Unausweichliche, sprich das Ende der Gütigkeit: Kompensation und Flucht.

Kompensation durch Ignoranz

Im Versuch, Abweichendem und Unbekanntem von störendem Ausmaß zu begegnen, darf eine Generalstrategie ausgemacht werden. Das Ignorieren von Fakten. Ignoranz ist dabei nicht das Verleugnen von Feststellbarem, sondern die Unwissenheit bezüglich Festgestelltem. Kommt doch der Begriff vom lateinischen ignorare „nicht wissen“, „nicht kennen wollen“, der Negation von gnarus „einer Sache kundig“ sein.

Ignoranzkompensation ist ein allzu passiv-aggressiver Kommunikations-Vorgang. Gelernte Österreicher haben die Sätze vielfach in den Ohren, die Ignoranzkohorte spricht sie aus: „Haaß? Oiso i merk nix“, „Owa geh, friahra woa’s im Summa genau so haaß. Wann ned haaßa“. Selbst Denkkräftigere erkennen im Ungewöhnlichen vermeintlich Althergebrachtes: „Im Juli muss die Stadt glühen! Bis der Teer brodelt.“ Donald Trump darf als weltweit bekannteste Apologet dieser Bewegung genannt werden. Die intellektuell dünner besiedelten Gegenden menschlicher Erkenntnisproduktion sind fest davon überzeugt, dass übelmeinende Regierungen uns mittels Chemtrails und Handystrahlen manipulieren, dass eine Geheim-Kamarilla aus Bilderbergern, Freimaurern und ostküstenbasierten Rothschild-Angestellten unser Denken transformiert, dass Ausserirdische, Antlantoiden und Reptilienmenschen (und neuerdings die Presse) an der Macht sind und das Wetter heißlügen. Hinweise darauf, dass die Klimaerwärmung menschlichen Ursprungs ist, werden im Rahmen forengestützter Verschwörungstheorieproduktion ignoriert. Eine Begegnung mit den Fakten hieße, eine Mitverantwortung aller am Wetter anzunehmen. Das passt nicht ins Bild der Fremdbestimmung. Diese Leute schwitzen, ohne zu leiden. Weil sie auch leiden, ohne zu schwitzen. Dazu gibt es laute Musik.

Flucht in die Wut

Eine gänzlich andere Gemütskonstellation finden wir in unzufrieden Betroffenen. Ihr Leid ist so groß wie echt. Sie fächeln und hecheln, sobald der der Spätwinter unvermutet in den Hochsommer kippt und die Temperatur am 30er kratzt. Mit dem Grad der Wallungen steigt die Wut. Um gesteigerte Dosen vom kostbaren Nektar des Zorns zu kosten, fahren diese Leute leicht bekleidet und kurz beschürzt die heißen Gegenden der Stadt ab. Vorzugsweise. Fluchend, hustend, eine Tröpfchenspur aus dampfendem Transpirat hinterlassend. Vorrangig mittags sind die Wütenden unterwegs, oberirdisch, in der ungekühlten Bim, im sonnendurchfluteten Bus. Schattige Parks sind ihnen unbekannt, Gastgärten ebenfalls, dem kühlenden Nass öffentlicher Bäder (man könnte sich erkälten!) ziehen sie weite, baumlose Plätze vor. Im Flirren kochender Luft sehen sie die trügerische Fata Morgana lindernden Windes. Aus Gründen, die jenseits aller Erforschbarkeit liegen, essen die Hitzeleidenden ausschließlich Heißes. Heiße Würstel, heiße Schnitzel, heiße Laberl. Ja, heißen Salat. Dieser Stoffwechselzumutung antwortet der temperaturgeschädigte Körper mit zunehmender Schweißproduktion. Das macht Anwesende aus der Gruppe der Adaptierten zu ungefragten Beteiligten. Auch jenseits allen Verständnis für die Wunder des Irrens versteht man, dass diese Leute Vesuve der Wut sind. Sie sind auch wütend darüber, dass man sie riechen kann. Wo sich doch schon das Gesehenwerden nicht vermeiden lässt! Man würde diesen Leuten gerne helfen. Ihnen kühle Orte in der Stadt zeigen, vielleicht sogar Keller, Ihnen Hüte aufsetzen und die Schultern bedecken, ihre wutinduzierte Geschwindigkeit reduzieren. Die Fenster ihrer Autos herunterkurbeln und ihnen die Vorteile des Insults „Schattenparker“ beibringen. Indes, die Wutschwitzer sind unbelehrbar.

Nur vor dem Tiefkühlregal im Supermarkt erlangen sie etwas wie Würde. Wenn sie bei offener Türe verträumt Eishauch aufatmen, minutenlang die schockgefrorene Schelfeisscholle anstarren oder die bitterkalten Broccolibröckerl. Dann schenkt das Schicksal den Wutgewallten ein bisschen vom Glück. Bis ein anderer Schwitzer herantaumelt und auch drankommen will.

Kompensation durch Kompensation

Die Hitzewellen der letzten Sommer haben die Zimmerwetterindustrie zu einer Wachstumsbranche aufgeblasen. Goldgräberstimmung machte sich unter den Generalimporteuren von Klimageräten breit, ihre Zielklientel war in kühleren Zeiten an den Zinken einer Gabel abzählbar gewesen. Mit dem Einsetzen tropischer Wetterlagen in heimischen Breiten ist der Bedarf nach mechanisch-chemischen Linderungshilfen sprunghaft angestiegen. Klimaanlagen sind der große Renner. Es gibt sie in allen Preisklassen, vom Taschenventilator bis zur Bezirkskühlanlage.
Die weniger Talentierten unter den Kompensationslogistikern fahren auf der Suche nach der maschineller Raumkühlung nicht weiter als in den nächsten Baumarkt. Dort decken sie sich mit Billiggeräten aus Weltgegenden mit asiatischen Zungenschlägen ein. Die Gebrauchsanweisungen sind in der Regel in koreanisch, kambodschanisch und vietnamesisch verfasst und gibt es eine deutschsprachige Seite mit Bedienungsvorschriften, hält diese oft nur einen Hinweis bereit: Gerät nicht falsch bedienen!

Die Apparate aus schneeweißem Kunststoff verprechen polaren Kunstwind aus Plastikpropellern oder arktische Luft aus fahrbaren Kisten. Die Ventilatoren und Klimakanister sind mit den neuesten Errungenschaften auf dem Gebiet der geplante Obsoleszenz ausgestattet, ansonsten aber schändlich zusammengeschusterte Drittweltprodukte mit Technologie aus der Pferdekutschenzeit. Bastelarbeiten aus der Volkschule haben mehr technischen Pfiff. Immerhin geben die Maschinchen einmal weniger den Geist auf, als sie nachgekauft werden.

Kapitalkräftigere mit Beraterstab greifen tief in die Investitionskiste und bauen die eigene Wohnung zur hermetischen Klimaoase um. Die Hotelindustrie hitzeerprobter Feriendestinationen hat hier wertvolle Vorarbeit geleistet. Auch die billigsten Kaschemmen in den übelbeleumundeten Tourismus-Gegenden blasen Kaltluft in die Gästezimmer wie einst nur Kashoggi in sein innerstes Gemach. Immerhin: Bei geschlossenen Fenstern können keine Gelsen aus dem Malariatümpel neben dem Ressort eindringen.

Dass beim Runterkühlen heimischer, sprich schlechtisolierter Altbauwohnungen großes Geld verbrannt wird, stört die Betroffenen nicht. Reiche schwitzen nicht. Geld hat man. Eine Klimaanlage ist ein Statussymbol geworden wie es früher ein Farbfernseher war oder später ein funktierendes WLAN. In Kreise mit Klimaregelung heiratet man ein. Transpiration ist was für Arme. Blöde. Arme und Blöde wissen auch nicht, was eine Eiswürfelmaschine ist. Sie trinken ihre Aperol-Spritz’ und ihre Mojitos lauwarm, heiß. Barbaren!

Die Hitzebewältigung durch Kompensation hält aber auch Gefahren und Rückschlägiges bereit. Dem vorfrühlingshaften Februarhauch, der neuerdings in Supermärkten und die Filialen von Billigkleiderketten Einzug gehalten hat, dem Verdunstungsnebel teurer Innenstadt-Schanigärten antwortet die menschliche Natur auf beiden Schenkel der Einkommensschere mit der Juligrippe und dem Augustinfekt. Man erzählt Geschichten von Hitzegeplagten, die ihre Bürotermine im Supermarkt ums Eck wahrnehmen und von Eiskantinengästen, die stundenlang am selben Mineralwasserglas lutschen. In die Hitze der Stadt zurück treibt die Unglücklichen nur die jeweilige Sperrstunde.

Kompensiert wird des Sommers Hitzeglocke von Kundigen mit Schatulle durch ein Leben am Wasser. Zum aquatischen Abkühlungskreis zählen sich auch die Besitzer privater Badeanlagen. Badenass ohne Zuschauer gibt es für jede Westentasche, vom familieneigenen Gegenstrombecken mit Sprungturm über den gekachelten Brackwasserteich bis zum Swimmingpool des kleinen Mannes (der trinkwassergefüllten Regentonne) und dem Jacuzzi des sehr kleinen Mannes (dem eiswürfelgegekühlten Fußbadschaffel). Zeigefreudige Kompensatoren verlegen ihre Existenzen in die großen Bäder der Stadt. Profis besitzen Kabanen in einem der Strombäder, oder illegale Datschas an entlegenen Ziegelteichen. Halbprofis kennen die schattigen Plätze in den Bädern und die Zeiten, zu denen Handtuchreservierungen vorgenommen werden müssen. Die Amateure unter den Pritschlern wissen wenigstens, wo die Bäder zu finden sind und wie sie heißen. Verwegene aus der Schicksalsgemeinschaft der Sommeralkoholiker steigen nächtens in die Freibäder ein oder tauchen die Brunnen der Stadt ab. Ein Vorteil darf notiert werden: Sonnenstich holt man sich dabei nicht.
Verückte Strategien überdauern kaum den Sommer, in dem sie ersonnen wurden. Mitglieder einer Facebook-Selbsthilfegruppe berichten von Ganzkörperwickeln mit nassen Tüchern, der Verdunkelung der Wohnung mit Alufolie oder dem Schlafen in der eiswürfelgefüllten Badewanne.

Flucht in bessere Gegenden

Auch unsere Großeltern und Urgroßeltern kannten (so sie begütert waren, oder Begüterten zur Diensten standen) die Kompensation der sommerlichen Hitze. Sie fuhren schon bei Temperaturen, die wir heute als milde bezeichnen würden, in die Berge. Ans Meer. Aufs väterliche Gut. Dort sassen sie bei ewigem Frühstück, kühlenden Salaten aus heute unbekanntem Gemüse und nippten den Schmelz vom Zitronensorbet. Dass dieser Luxus mit dem Leid schwitzender Untertanen erkauft wurde, liess man unter den Tisch fallen. Wo es die Kommunisten und Sozialisten behände aufklaubten.

Die Hitzeflüchtenden heutiger Tage haben sich in leerstehende Waldvierteldörfer eingekauft, betreiben dort kühlende Selbstschau und schreiben moralsierende Geellschaftsromane. Man ersetze das Waldviertel durch Landtriche jenseits des Polarkreises und über der Baumgrenze. Dort finde man Ruhe unter seines- und ihresgleichen. Hitzemigranten mit Stil und Portfolio.

Kompensation durch Adaption

Der Hipster und die Hipsterin sind weit gereist. Sie haben sich im Bergheim und in Goa die Gehirnrinde glattgetanzt, sie haben Wüsten durch- und die Abbey-Road überquert. Sie waren in Brooklyn und Shanhgai, in Odessa und in Aix. Sie haben in ägyptsichen Grabkammern geschlafen, in Harry’s Bar und am Dach der Welt. Sie waren in den Playas del Este schwimmen, im Stadionbad und im baltischen Meer. Sie sind den Stromboli hinaufgekraxelt, den Cotopaxi und die Trisselwand. Der Temperaturen Ungemach ist ihr Revier. Hitze lässt sie kalt. Diesen Leuten ist nichts fremd. Sie quälen uns mit dem Grad ihrer Unbeeindruckbarkeit. Wenn wir selber zu diesen Leuten gehören, zu den Adaptierten, den Unzerstörbaren, dann quält unser Habitus die weniger Adaptierten, die Zerstörbaren, die Normalfühligen, die Hitzeopfer. Man darf eine Empfehlung aussprechen. Haben wir Verständnis für die Leidenden, finanzieren wir ihre Sonnenschirmwälder, ihre Verdunstungsanlagen, ihre arktisch temperierten Appartments. Auch die Hitzewut und den Sonnenstich wollen wir nicht länger ins Lager der Trotteleien verbannen. Sie sind wertvolle Indikatoren im Ringen um eine neue Verständniskultur. Bessere jedenfalls als appbasierte Digitalthermometer und die Wetterdurchsagen der Verlautbarungskanäle.

Den Geflohenen wollen wir zurufen: Wir verstehen Euch! Kommt im Winter wieder, wenn das Mailüfterl weht und der Jännerweizen wogt. Auch die Nordmannpinie macht einen schönen Weihnachtsbaum. Und was wir uns in der dunklen Jahreszeit an Heizkosten sparen, bleibt uns für die Eiswürfelproduktion im Sommer. Es ist eine gute Zeit, die Wüstenzeit. Auch in der Stadt. Sie muss flirren! Sie muss heiß sein wie sizilianischer Espresso.

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FN 1: Marquard, Odo: Der angeklagte und der entlastete Mensch in der Philosophie des 18. Jahrhunderts, in: ders., Abschied vom Prinzipiellen, Reclams Universalbibliothek Nr. 7724, Stuttgart 1981, S. 39-66.

Douglas Adams‘ legendäre Cookies-Geschichte

Douglas Adams describes why you never want to share a table with a stranger (Late Night with David Letterman, 14 February 1985):

„This actually did happen to a real person, and the real person is me. I had gone to catch a train. This was April 1976, in Cambridge, U.K. I was a bit early for the train. I’d gotten the time of the train wrong. I went to get myself a newspaper to do the crossword, and a cup of coffee and a packet of cookies. I went and sat at a table. I want you to picture the scene. It’s very important that you get this very clear in your mind. Here’s the table, newspaper, cup of coffee, packet of cookies. There’s a guy sitting opposite me, perfectly ordinary-looking guy wearing a business suit, carrying a briefcase. It didn’t look like he was going to do anything weird. What he did was this: he suddenly leaned across, picked up the packet of cookies, tore it open, took one out, and ate it.

Now this, I have to say, is the sort of thing the British are very bad at dealing with. There’s nothing in our background, upbringing, or education that teaches you how to deal with someone who in broad daylight has just stolen your cookies. You know what would happen if this had been South Central Los Angeles. There would have very quickly been gunfire, helicopters coming in, CNN, you know… But in the end, I did what any red-blooded Englishman would do: I ignored it. And I stared at the newspaper, took a sip of coffee, tried to do aclue in the newspaper, couldn’t do anything, and thought, What am I going to do?

In the end I thought Nothing for it, I’ll just have to go for it, and I tried very hard not to notice the fact that the packet was already mysteriously opened. I took out a cookie for myself. I thought, That settled him. But it hadn’t because a moment or two later he did it again. He took another cookie. Having not mentioned it the first time, it was somehow even harder to raise the subject the second time around. “Excuse me, I couldn’t help but notice…” I mean, it doesn’t really work.

We went through the whole packet like this. When I say the whole packet, I mean there were only about eight cookies, but it felt like a lifetime. He took one, I took one, he took one, I took one. Finally, when we got to the end, he stood up and walked away. Well, we exchanged meaningful looks, then he walked away, and I breathed a sigh of relief and st back.

A moment or two later the train was coming in, so I tossed back the rest of my coffee, stood up, picked up the newspaper, and underneath the newspaper were my cookies. The thing I like particularly about this story is the sensation that somewhere in England there has been wandering around for the last quarter-century a perfectly ordinary guy who’s had the same exact story, only he doesn’t have the punch line.“

Ich habe fertig

Es klingt so einfach: „Ich habe fertig“, aber es ist ein schmerzhaftes Ringen um Klarheit, ein Kampf, gegen die eigene Unterdurchschnittlichkeit, die Dämonen des Versagens. Behände lauern sie, wo ich sie nicht brauchen kann, in mir selbst. Ach, es ist nie lustig, es ist ein Ringen. Und nachher bin ich kaput. Im Kopf und im Körper. Die Hände schmerzen, das Hirn trieft. Schauer! Und immer fange ich bei Null an, schiebe den Sisyphosstein hoch und rutsche ab. Es ist ein dauerndes Rutschen. Wenn der Berg abgearbeitet ist unter den Bemühungen, brennt der Kopf und schreit nach Ruhe und Linderung.

Kontingenz und Satire, Tragödie und Farce

Beim Hören von Cerha betritt mich diese Erkenntnis: Auch in der Kunst ereignet sich alles zweimal. In der Avantgarde (oder was diese Funktion wahrnimmt) kontingent, im Mainstream satirisch. Hermetisch lässt sich dazu jenes (bei Hegel gefundene) Diktum von Marx gesellen, demnach geschichtlicher Ereignisse und Personenkonstellationen das eine Mal als Tragödie, das andere als Farce stattfänden.

Andrea Maria Dusl, 17.2.2016

Über den Suizid

Suizid richtet sich immer an wen. Die Suizidalen in ihrem Kanal sind fokussiert auf den Moment, in dem ihre Gefühle, das Ende ihrer Gefühle und die Gefühle der Aussenstehenden zu einem werden. Die Hoffnung verschmilzt zu diesem einen unteilbaren, aber ungeteilten Moment der Innigkeit. Das ist die Kraft, die Suiziadale antreibt. Hoffnung eigentlich. Das Paradies der Innigkeit. Amokläufer dehnen das ganze noch auf die vermeintlich ihnen gehörenden aus. Suizid ist die grösste Freiheit und gleichzeitig das grösste Missverständnis ihrer Wirklichkeit.

AMD, 24.10.2012 (zu einer Facebook-Stautusmeldung)

Zwischen Stein und Anstoss

Andrea Maria Dusl für Stefan Riedl (aka Triebl), anlässlich der Fertigstellung von dessen Grotten-Ausmalung im “Kaiserbründl in Wien”.

Notiz, gesprochen am 14. Oktober 2011:

Sehr geehrte Damen und Herren! Exzellenzen und Würdenträger in all den Ihnen zustehenden Titeln und Anreden! Liebe Freundinnen und Freunde! Erdgeister und Nymphen, Collegae!

Es ist mir eine grosse Irre.

Wir befinden uns an einem arkanen Ort, wir stehen in der Unterwelt. Die Zeit wird diesen Ort vor Ablauf der Tage verschliessen. Verharren wir in buntem Staunen darüber, was die Tiefe der Stadt aus dem Dunkel und der Feuchte des Erdenleibs geschält hat. Staunen wir, was der Mephisto in die Lücke des Fünf-Stern-Zackens einschrieb. Schreiben wir ein in unser Gedächtnis, was das künstliche Licht hier erhellt. Für kurze Zeit, für die Schuld des Augenblicks. Sehen wir das Blut der Purpurschlangen an den Leibern von Jachín und Boáz. Sehen wir den Pinsel des Parsen, er zeigt nach oben.

Oben, im Reich des Lichts und der Himmelsfinsternis geht die Welt zu Ende, das Gold verliert seine Würde, es rinnt durch die Scherben des zerbrochenen Krugs. Aber hier unten, bei den Geistern, die das Gold gebären, hier unten wird gesagt:

“Ein Ende hat gesetzt die Finsternis und alle Vernichtung, begrenzt durch den Stein von Dunkel und Todesschatten. Dieser Satz wird so erklärt: Das Ende der Finsternis ist das Endwesen der linken Seite, welches in der Welt und in den Höhen schweift und vor dem Allerheiligsten Anklage erhebt, wider die Welt. Dem entsprechen die Wirte. Und alle Vernichtung begrenzt, indem die Werke nicht auf das Guite, sondern immer nur darauf zielen, Vernachtung in der Welt zu wirken.

Das Wort Stein jedoch bezeichnet jenen Stein des Anstosses, darin die Sünder zu Fall kommen. Dies wird bestätigt durch die Worte: Ein Land der Ermüdung, gleichwie das Dunkel. Merket: Es gibt ein Reich des Lebens in den Höhen, dieses ist das Land, und es gibt ein unteres Reich, welches genannt ist “Dunkel und Todesschatten” – jenes Dunkel bezeichnend, welches aus dem Land der Ermüdung stammt und jenes Ende von der Seite der Finsternis, welches zugleich der Abschaum des Goldes ist…

Rabbica Cahon aber erklärte: „Das Wort Ende bezeichnet jenen Ort, wo das Gedächtnis nicht mehr ist. Denn dieses ist zugleich das Ende der linken Seite. Wieso? Weil geschrieben ist: Denn wenn du meiner bei mir gedenkst, so es dir gut ergehen wird. Es erschien also der Mundschenk dem gerechten Mann, der gerechten Frau, weil sie jene Worte sprachen. Und man vermeinte, in dem man den Traum betrachtete, dass es ein Traum des geistigen Gedächtnisses sei.“

„Darin wird geirrt, denn alles war vom Allerheiligsten allein gekommen, aus der Tiefe zwischen den Schenkeln des Zacken. Darum musste noch die Region des Vergessens gewahr werden, wie es heisst: “Nicht gedachte der Oberste der Mundschenken und vergass seiner”. Wozu noch die Worte: “und vergaß seiner?“ Es ist ein Hinweis auf jene Region, in der das Vergessen ist und diese eben ist das Ende der seite der Finsternis. Die “zwei Jahre” aber bezeichnen die Rückkehr in zwei Stufen, worin das Gedenken” eintritt.“

Erfahren zu Weissenberg am Inn, im Erdloch bei der Weihenburg, bevor sich der Schlund des Brunnens wieder verschloss und die Erinnerung mit sich nahm.

Danke, ich habe gesprochen.

Ach

Andrea Maria Dusl
„Wach?“
„Wach.“
„Sach mach?“
„Sach mach. Gach Tach Sach mach.“
„Sach!“
„Ach, Sach Fach mach.“
„Ach! Ach Sach mach.“
„Ach?“
„Zach Sach mach.“
„Zach Sach?“
„Zach Sach. Achfach zach. Krach mach.“
„Krach mach?“
Krach mach, ach! Dach Blach mach. Flachdachblach.“
„Krach! Sach Fach mach – schwach Krach.
Blachdach mach – zach Krach. Nach wach.“
„Lach!“
„Nach lach, gach Nach wach!“
„Gach Nach?“
„Zach! Gach Nach.“
„Ach sach: Schnach Nach, Tach lach.“
„Ach.“
„Lach!“
„Ach lach.“
„Gachnach!“
„Gachnach.“