Nationalgetränke

Eine luzide Anekdote handelt, wie so oft, vom großen Österreichversteher Helmut Qualtinger. Sie wird auch von Berichterstattern bezeugt, die Qualtinger garnicht gekannt haben. „A Achtel“, wird Qualtinger bei der Bestellung in einem Lokal zitiert. „Rot oder Weiß“, fragt der Wirt nach. „Seit wann gibt’s an roten Sliwowitz?“ quittiert der Besteller trocken. Die Zitatforschung kennt den Kurzdialog auch aus einer Szene im deutschen Kriminalfilm „Kurzer Prozeß“, 1967 von Michael Kehlmann in München uraufgeführt. Hier bestellt Qualtingers Figur Oberinspektor Pokorny die Nachfülldosis im Provinzwirtshaus noch knapper: „A Achtel!“ „Rot oder weiß?“, will der Schankbeamte wissen. „Sliwowitz“ sagt der Inspektor.

Wie jeder gute Witz arbeitet auch der Sliwowitzwitz nicht mit Übertreibung, sondern mit Präzision. Auf den ersten Blick scheint die Tugend der Genauigkeit mit dem Talentesortiment der Österreicher nicht in Einklang zu bringen. Aber das täuscht. Der Österreicher (die Österreicherin ist stets mitgemeint) spricht stets wahr aus seinem (ihrem) Munde. Stets entfährt dem Kommunikationsorgan, was die Mitteilungsperson gerade denkt. Die Lüge, die Überhöhung, die kalmierende Beschwichtigung gelingt niemals. Die Menschen des Landes (und in gesteigertem Ausmaß die politischen Akteure) sind beredte Zeugen für diese Unfähigeit. Egal, was sie sagen, man weiß immer, was sie meinen. Und stets, wieviel sie schon intus haben.

Der Schankwirt aus dem Eingangswitz kann die Rot-Weiß-Frage also nur rhetorisch gemeint haben.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 4. November 2023.

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