Jetzt fängt wieder die elende Verkleiderei an. Die Zwangslustigkeit, die närrische Zeit. Piraten, Wahrsagerrinnen, Indianer, Panzerknacker. Das Innerste wird nach außen gestülpt. Kinder werden zu Maikäfern, Fliegenpilzen und Gestaltwandelautos degradiert und traumatisiert. Lasst ab.
Kategorie: Lauter Listen
Schüssels Wolfgang
Anfang 2000 stand die Welt Kopf in Österreich. Der Christdemokrat Wolfgang Schüssel hatte die Wahl verloren, es sich aber in den Kopf gesetzt, gegen den Willen Europas Bundeskanzler zu werden. Das wäre nur möglich, wusste man, wenn Schüssel einen Regierungspakt mit dem neopopulistischen FPÖ-Gott Jörg Haider einginge. Wenn er ein Tabu bräche, das bislang als unbrechbar gegolten hatte. In dieser brisanten Zeit, die von aufwühlenden Demonstrationen und gefährlichen europäischen Warnungen begleitet wurde, war nichts mehr in Schnitzelland, wie es vorher gewesen war.
Eines jener wilden Tage Abends schickte sich die gesamte Spitze der Volkspartei um Wolfgang Schüssel an, mit der gesamten Spitze der Freiheitlichen um Jörg Haider einen Pakt auszuhecken. Aus ganz Europa waren Fernsehteams angereist, um live zu berichten. Sogar Alessio Vinci, der sonst nur Bombenangriffe und Invasionen live zu reportieren pflegte, stand, für CNN entsetzt nach Worten ringend, vor der Hofburg.
Das Parlament, wo die Zukunft des Landes verhandelt wurde, glich einem Bienenstock. Es war gerammelt voll mit internationalen Journalisten, Kameraleuten, Pressesprechern und Tontechnikern. Nirgendwo auf der Welt befanden sich in diesen Stunden mehr Kameras als hier. Und nirgendwo wurde die Spannung so unerträglich wie in dem langen, von Hunderten Medienvertretern belebten Zimmer im Parlament. Lange ließen die beiden Parteichefs auf sich warten und eine Hoffnung schwitzte sich durch das wartende Journalistenvolk: „Tja, wenn das so lange dauert, dann ist das Ding wahrscheinlich geplatzt!“
Ich hatte mich für diesen Abend des Abscheus mehr aus persönlichem denn beruflichem Interesse akkreditieren lassen und saß in der zweiten Reihe jenes, mit all den Kamerateams voll gestopften Parlamentspressekonferenzzimmers. Wie all die anderen wartete ich auf die beiden Paktierer, wartete auf Wolfgang Schüssel und auf Jörg Haider.
Ein kleiner Tisch war auf abgewetztem roten Teppich aufgebaut worden, dahinter spannte sich ein Transparent, auf das ein riesengroßes Bild des Parlaments gedruckt worden war. Garniert war die Szene mit den bei solchen Anlässen beliebten eingetopften immergrünen Büschen. Der Tisch selbst war spartanisch gedeckt: Zwei Mikrophone und zwei Glas Wasser waren aufgestellt. Und zwei Schilder mit den Namen der beiden Verhandler: „Schüssel“ und „Haider“ stand darauf zu lesen. Ein paar Tontechnikern war inzwischen fad geworden. Sie ulkten herum, spielten „Schüssel“ und „Haider“, wie die Zwerge Schneewittchens lümmelten sie sich in Haiders Sessel, nippten von Schüssels Wasser. Das war schon sehr irreal und seltsam. Großes, Niedriges lag in der Luft. Geschichte wurde spürbar.
Nach elendsvielen Stunden rumorte es plötzlich, und in einem Blitzlichtgewitter schoben sich zwei Trauben von Entouragen aus der Türe hinter dem Tischchen. Das Blitzlichtgewitter wurde leiser, und es setzten sich zwei sehr kleine Männer.Man hatte gewusst, dass beide, Schüssel wie Haider, nicht gerade das Gardemaß erreichten, aber dass sie so klein waren, schockierte richtiggehend. Die beiden hatten gerade mal die Größe von Buben, die mit gefälschten Schülerausweisen und auf Zehenspitzen um Kinokarten für brutale Filme anstehen. Das sollten die Männer sein, derentwegen Europa rotierte?
Während die beiden ihr langweiliges, aber inhaltlich doch beunruhigendes Papier verlasen, legte sich bleierne Stille über den Saal. Mein exklusiver Sitzort in der zweiten Reihe sollte es zulassen, nicht nur dem Gerede zu lauschen, sondern auch die Kleidung des zukünftigen Bundeskanzlers und seines neuen Freundes zu studieren.
Jörg Haider, der damals noch die Rolle des gefährlichen Politdämons spielte und der es als Europas Erzbösewicht bis aufs Cover von Newsweek geschafft hatte, war geschminkt, aber unrasiert, und er trug das Zeug, das damals auch die Scientologen trugen: Werbefuzzikluft. Schwarz und teuer.
An Wolfgang Schüssel gefielen mir die dunklen Weichlederschuhe. Ihre Kreppsohle bog sich leicht nach oben, und sie waren ganz offensichtlich nicht mehr die Jüngsten. Dazu trug Schüssel kurze und von häufigem Waschen ausgeleierte Schlappsocken. Ihre Bündchen endeten kurz vor dem Hosenbein, sodass eine handbreite blitzende Lücke entstand – „the Gap“, wie die Fachleute sagen. The Gap erlaubte einen ungeschonten Blick auf Schüssels schütter behaarte Beinchen.
Das war schon sehr intim.
Weil nun der Tisch, an dem Schüssel und Haider saßen, keine Blende hatte, wie sie sonst bei staatstragenden Tischen üblich sind, hatte das Publikum freie Sicht auf noch Intimeres, auf die Vorgänge unter Tisch: Wolfgang Schüssel, der die Beine leger und im flachen Winkel vor sich aufgestellt hatte, hielt, wenn er gerade nichts zu sagen hatte und sein Partner Haider sprach, die Linke locker zwischen den Beinen. Und jetzt kam es: Schüssel kratzte sich am Wolfgang! Mehrmals und vor den Augen der Weltpresse! Seine Mundwinkel machten dabei kleine glückliche Grübchen, wie man sie von Ministranten kennt, wenn sie die Glöckchen läuten.
Selten habe ich etwas gesehen, das österreichischer gewesen wäre.
[aus: Dusl, Andrea Maria: Fragen Sie Frau Andrea, Wien, 2003, pagg. 186f.]
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Hermes





Rufe
Es regnet Nachrufe. Aus der sicheren Distanz der Beschaulichkeit. Zu wünschen wären Vorrufe. Von denen hätten die Lebenden alles!
AMD, 19. Dez. 2024
Hermes
Paris · Olympia · 2024
Ich plädiere dafür, André Heller sämtliche Eröffnungsfeiern (und Abschlussfeiern) auf dem Globus gestalten zu lassen. Lückenlos. Auf Lebenszeit. Selbst die allerschlechtesten Ideen von André Heller sind um Potenzen besser als das, was üblicherweise, und auch heute zu diesen Themenfeldern inszeniert wird. Sollte André Heller etwas zustoßen, sollen Eröffnungsfeiern (und Abschlussfeiern) aus seinem zu Verwirklichungsfundus bestritten werden. Ich plädiere weiters dafür, Sportkommentaristik bei Eröffnungsfeiern mit lebenslangem Sprechverbot zu bestrafen. Weltweit. Aber besonders in Österreich.
Reminiszenz ans Salzgries
Kollege Wolfgang Kralicek erinnert sich in seiner Kolumne ans Café Salzgries.
Foto Horowitz
In meinem Roadmovie „Blue Moon“ sucht der Held Johnny Pichler (Josef Hader) fieberhaft nach der Heldin (Viktoria Malektorovych), in die er sich unsterblich verliebt hat. Er kennt ihren Namen nicht, weiß nicht, woher sie überhaupt ist. Alles was er hat, um sie zu finden, ist der Stempel auf der Rückseite eines Streifens mit Passbildern von ihr. „Foto Horowitz, Lviv“ steht da. Nur deswegen ist Johnny Pichler überhaupt in die Ukraine gekommen. Wegen „Foto Horowitz, Lviv“.
„Foto Horowitz“ war meine Hommage an den großen Fotografen Michael Horowitz.
Meine Himmelsrichtungen
Meine Wohnung hier in der Upper Westside Leopoldstadt ist an meinem Haus ausgerichtet, und dieses an der Gasse und der daranstossenden. Die beiden Gassen (und damit das Haus) sind parallel zum Donaustrom ausgerichtet und zum nächstliegenden Ufer-Abschnitt des Donaukanals. Ich habe die Gasse, in der ich wohne, in Gedanken (und auf der Landkarte) verlängert und nochmals verlängert, als würde sie geradewegs irgendwo hin führen. In eine ferne Stadt, eine Gegend mit Klang. Und mit der anderen Wienerischen Himmelsrichtung, der Gasse nämlich, die auf meine stosst, bin ich gleich verfahren. Weil ja das Haus und darin meine Wohnung an beiden ausgerichtet ist. Wenn ich also vom Bett zur Kaffeemaschine gehe, ist das die Achse Pilsen-Timișoara. Und wenn ich vom Küchenfenster ins Bad gehe, und gedankenhalber, rein vorgestellt, immer weiter ginge, käme ich zwischen Kattowitz und Krakau nach Polen. Ginge ich wieder zurück, vom Bad zum Kühlschrank, und noch weiter und weiter, käme ich irgendwann nach Venedig. Wie gesagt, immer in gerader Line. Meine Bücher, drüben im nördlichen Trakt, stehen Pilsnerisch-Temeswarisch. Hier, am Schreibtisch sitzend, ist mein Kopf und mein Gedankenstrahl genau nach Venedig ausgerichtet. Lehne ich mich zurück, polstert es mich polnisch.
Demo 26. Jänner 2024
Aus gegebenem Anlass.
Kommet zur Demo gegen Rechtsextremismus und Faschismus!
Wien, am 26. Jänner 2024, 18h, vor dem Parlament.
Comandantina Fakten
Comandantina-Vulkanismus-Faktum. Anzahl der Vulkane, auf denen ich schon oben war: 1. Name der Vulkane auf denen ich schon oben war: Mount Hood, Oregon.
Comandantina-Maritimal-Fakten. Anzahl der Meere, in denen ich schon geschwommen bin: 7. Namen der Meere, in denen ich schon geschwommen bin: Ostsee, Nordsee, Tyrrhenisches Meer, Adria, Ionisches Meer, Atlantik, Pazifik.