Das Geheimnis der krumpl 15

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 9/2025 vom 26. Februar 2025

Liebe Frau Andrea,
ich komme aus Tirol und hab zu meinem (deutschen) Partner gesagt, dass jemand bis „krumplfufzehn“ geschlafen hat. Er hat sich natürlich nicht ausgekannt, ich konnte es ihm aber auch nicht zufriedenstellend erklären – schon gar nicht, wo das Wort herkommt. Vielleicht hast Du ja Lust, Dich dieser Causa anzunehmen!
Alles Liebe und danke! Bin gespannt!
Katharina Kropshofer, Falter Büro, per Email

Liebe Katharina,

das Sprichwort zirkuliert meist in der Form „ausbleibm bis krumpi fuffzen“. Krumpi, krumpe, krumpl ist das Adjektiv zu tirolerisch krump, und dieses leicht erkennbar als hochdeutsch „krumm“ also ungerade. Theistische Zahlenmystiker sehen in der 15 die Zahl Gottes (1) und des Überschreitens der Grenze der Schöpfung (5). Die 15 gilt als Zahl für die Bundeslade und damit für Christus. Und im Tarot steht „XV“ für den „Teufel“. Können das die Tiroler meinen, wenn etwas sehr lange dauert?

Viel wahrscheinlicher ist ein Bezug auf die „Fünfzehn Zeichen vor dem Jüngsten Gericht“, ein beliebtes spätmittelalterliches Bildkonzept für das Seelenheil. Die fünfzehn Zeichen stammen aus der Apokalypse des Thomas, eines apokryphen Textes, der zwischen dem 2. und 4. Jahrhundert verfasst wurde. Die Kunstgeschichteforscherin Daniela Wagner hat in einer umfassenden Studie die Funktion und Bedeutung der 15 Zeichen für Mentalität und Frömmigkeit im Spätmittelalter dargestellt.

Besagte Vorzeichen ereignen sich an 15 Tagen und kündigen das Jüngste Gericht an: 1. Alles Wasser steigt über die Berge. 2. Es sinkt so tief, dass man es nicht mehr sehen kann. 3. Es kehrt zurück, 4. Die Meerestiere kommen an die Oberfläche und brüllen. 5. Das Wasser brennt von Ost nach West. 6. Pflanzen und Bäume füllen sich mit Tau und Blut. 7. Die Erde teilt sich. 8. Alle Gebäude werden zerstört. 9. Die Steine kämpfen gegeneinander. 10. Große Erdbeben ebnen 11. Berge und Täler ein. 12. Männer kommen aus ihren Verstecken, verstehen sich nicht mehr, 13. Die Sterne fallen vom Himmel. 14. Die Knochen der Toten entsteigen den Gräbern, 15. Alle Menschen sterben, die Erde brennt mit Wasser.

Erst dann wachen schläfrige Tiroler auf.


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Wenn’s dem Bleampl stagelgrean aufstößt

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 8/2025 vom 19. Februar 2025

Liebe Frau Andrea,
im Gespräch heute tauchten „Bleampl“ und „stagelgrün“ auf. Ich konnte „Bleampl“ nur ungefähr definieren, Freund Toni ging es mit „stagelgrün“ ähnlich.
Please help! Best,
Mirko Burijan, per Email

Lieber Mirko,

Das Wienerische und die mit ihm verwandten Dialekte verstehen unter Bleampe, Bleampl den ungeschickten, dummen Mensch. Möglicherweise hat das Wort Bleaml (wienerisch für Blümchen) mitgewirkt, den unbedarften, einfältigen Burschen zu bezeichnen und ihm das „l“ am Wortende gespendet. Wahrscheinlich ist eine Verwandtschaft mit dem Blempe, dem schlechten Bier, der schalen Flüssigkeit. Blemparn, blempern jedenfalls bezeichnet das Saufen, das schlappernde Trinken. Der Bleampl wäre demnach der Saufkopf, der durch Alkoholabusus beeinträchtigte jugendliche Trinker. Das Schallwort Blemblem, Plemplem, verbunden mit jener Geste, bei der man mit der flachen Hand an die Stirn schlägt, soll wohl eine, statt des Gehirns hin- und herschwappende Flüssigkeit bezeichnen. Die Zeit, die mit sinnfernen Trinken und ähnlichen Prokrastinationen vergeudet wird, gilt schließlich als fablémpad (verplempert).

Wienerisch Wütenden und von Ärger Betroffenen stößt (oder liegt) es stagelgrün auf. Man darf dabei an galliggrünen Reflux denken. Stagel, aus dem Mittelhochdeutschen kommend, ist im Wienerischen der Stachel, und dieser der Stahl. Wie aber kam der zu besagter Farbe? Polierter Stahl kann im Feuer grün anlaufen, und auch ausserhalb der Esse tritt das Phänomen der Grünfärbung von Edelstahl auf – wenn das im Stahl enthaltene Element Chrom in eine grüne Verbindung namens Chromat umgewandelt wird und eine mikroskopisch dünne grüne Oxidschicht an der Oberfläche bildet. Stahlgrün (alchemisch verde oscuro, verd‘ oscuro, viride obscurius) wurde zu einer heute fast vergessenen Farbbezeichnung für Textilien, es bezeichnete einen sehr dunkelgrünen, etwas ins dunkelblaue fallenden Farbton. Im österreichischen Bundesheer werden noch heute die dunkelgrünen Barette der Pioniertruppe als „stahlgrün“ bezeichnet.

Auch Nichtmilitärs kann es bei Ärger stahlgrün aufstoßen. Wienerisches Ungemach vorausgesetzt.


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Monacos Volk

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 7/2025 vom 12. Februar 2025

Liebe Frau Andrea,
seit es im Juli letzten Jahres an der Wiener Staatsoper ein Gastspiel aus Monte Carlo gab, quält mich folgende Frage: Wie nennt man die dortigen Bewohner? Monte Carleser? Monte Carloer?
Ich hoffe, Sie wissen Rat!

Mit besten Grüßen,
Petra Herbek, Wien 22, per Email

Liebe Petra,

der Operettenstaat an der Côte d’Azur gilt als Wohn- und Entfaltungsort der Reichen und Schönen. Die Märchenhochzeit zwischen der Hollywood-Diva Grace Kelly und Fürst Rainier III. aus dem Hause Grimaldi schlug einst Wellen, die noch heute an die Gestade der Goldenen Blätter branden. Benzinbrüder messen dem Ort wegen seines legendären Formel-Eins-Straßenrennens gültige Wichtigkeit zu. Seinen Namen hat das Fürstentümchen vom griechisch-antiken Örtchen Monoikos (einzelnes Haus), es soll sich dabei um einen Herkulestempel gehandelt haben. In römischer Zeit erhielt der Hafen den Namen Herculis Monoeci Portus. Die wechselvolle mittelalterliche Geschichte des Felsennestes hat viel mit Genua zu tun, insbesondere mit der von dort vertriebenen Familie Grimaldi.

Die Bewohner des winzigen Landes zerfallen, weltweit einzigartig, in drei Kategorien. Die Mehrheit wird von wohlhabenden Ausländern gestellt, gefolgt von den Landeskindern (enfants du pays), die seit Generationen im Fürstentum leben, und schließlich der kleinen Gruppe der eigentlichen Staatsangehörigen Monacos, bezeichnet mit dem Ethnonym Monegassen. Der Begriff kommt über lokale Dialekte aus dem Italienischen, das seltene Suffix -asque aus dem Ligurischen. 

Monte Carlo, monegassisch Munte-Carlu, bekannt durch die gleichnamige Spielbank und die Rallye Monte Carlo, fälschlich als Hauptstadt bezeichnet, verdankt seinen italienischen Namen Fürst Charles III. (italienisch Carlo III.), der in den 1860ern auf einem Felssporn im Meer das besagte Casino etablierte. Die Bewohner des Stadtteils haben keinen eigenen Gentilénamen, sie heißen schlicht Monegassen. Dächte man italienisch, würde man sie Montecarlesi bezeichnen, wie die Bewohner der toskanischen Örtchens Montecarlo. Eingedeutscht sprächen wir von den Karlsbergern.


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Sprachlos tarteln

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 6/2025 vom 5. Februar 2025

Liebe Frau Andrea,
aus Internet-Listen, in denen schöne, unübersetzbare, aber erklärbare Worte gesammelt werden, habe ich das schöne schottische Verb „to tartle“, das das Problem des Zögerns ob des Namensversgessens beim Vorstellen ausdrückt. Da ich keine SchottInnen kenne, konnte ich das bislang nicht überprüfen, vielleicht gelingt Ihnen das? Ich benutze das Wort jedenfalls immer wieder mal beim Vorstellen, das löst eventuelle Peinlichkeiten auf.
Lieben Gruß,
Philipp Wenzl, per Email

Lieber Philipp,

der schottische Sprachforscher und Theologe John Jamieson listet „tartle“ 1808 in seinem Etymological Dictionary of the Scottish Language, jener Variante des Englischen, die in Schottland gesprochen wird (aber deutlich abzugrenzen ist vom Gälischen). To tartle at one (jemand anzutarteln), so Jamieson, bedeute, eine Person oder Sache mit Zögern zu betrachten, als würde man das Objekt nicht mit Sicherheit wiedererkennen. Auch eine Gebrauchsanweisung des Verbs bietet Jamieson an: „Ich tartelte ihn an, konnte ihn nicht mit Sicherheit wiedererkennen.“ Tartle wurde jüngst ausgegraben und in etymologischen Blogs und Kolumnen vorgestellt, Schott·innen selbst kennen das Wort nicht (mehr). Wo könnte „tartle“ herkommen? Viktorianische Sprachforscher bemühten italienisch tartagliare (stottern), spanisch tartajear (stammeln) und tartalear (wanken, schwanken). Erwähnter Etymologe Jamieson stellte es zu „tartal“, verwandt mit wikingisch-isländisch „tortallit“ (schwer zu sagen). „Tor“, ein Partikel, das die Schwierigkeit bezeichnet, etwas zu bewirken, und „tala“ (sprechen, sagen) beschreiben in Verbindung das Versagen beim Benennen einer Person. Nicht unschwer sind unsere Wörter torkeln, trotten, tattern und ja, auch der Trottel als verwandt zu erkennen.

Im Versuch eine aktuelle Verwendung von „tartle“ zu etablieren, schlage ich „tarteln“ vor. Im Smalltalk auf Parties und Stehempfängen könnten wir Sätze brauchen wie: „Ich darf euch vorstellen, tartel aber grad“, „Verzeihung, jetzt tartel ich“, oder „Tartelzeit, wer kennt es nicht!“ Für den Gebrauch auf Wiener Parketten böte sich eine Zuspitzung an. In Vorstellungssätzen wie „Mi trottelts grod, wer sads es no amoi?“


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Magisch Niesen

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 5/2025 vom 29. Jänner 2025

Liebe Frau Andrea,
Wenn jemand niest hört(e!) man öfters auch: „Höfdagott, dass woa is!“ Während Teil eins des Spruchs plausibel ist, wozu dient der „Wahrheitsbeweis in der zweiten Hälfte?
Danke im Voraus,
Alfred Kampel, Floridsdorf, per Email

Lieber Alfred,

die Segensformel „Höfgott, dass woa is“ zählt in den bairisch-österreichischen Dialekten zum kommentierenden Standardrepertoire bei Niesvorgängen. Ins Hochdeutsche übersetzt bedeutet die magische Formel „Gott möge helfen, dass es wahr ist“. Der Spruch, der heute weitgehend vom Zuruf „Gesundheit!“ ersetzt wird, hat auch eine alltagspoetische, längere Version, sie lautet „Helf Gott, dass’ wahr is und die Katz voller Haar is!“ Als Antwort zirkuliert(e): Donggód (Dank Gott) oder Sengsgód (Segne es Gott). Gemeint ist in der Regel der katholische Gott, welche Wahrheit dieser bezeugt, findet sich in einer anderen Dialogvariante. Fragen nämlich Niesende nach „Helf Gott, dass’ wahr is“ spaßeshalber: „Ja was denn?“ können sie als Antwort bekommen: „Was ich mir gerade gedacht habe.“ Ähnlich stark verwurzelt im Volksglauben ist die Vorstellung, jemand dächte gerade an eine·n, wenn diese·r gerade Schluckauf (wienerisch: Schnackerl) habe.

Die Verbindung von unwillkürlichen nasooralen Vorgängen und transzendierender Wahrheit hat vorchristliche Wurzeln, die tief in indoeuropäischen Vorstellungen von der Heilligkeit des Atems fußen. Schon Homer beschreibt das „Zuniesen“ als Aussagen-Bekräftigung unter göttlichem Einfluss. So „beniest“ es Telemach laut, als seine Mutter Penelope dem von beiden noch unerkannten Odysseus zusagt, er werde demnächst heimkehren.

Körperliche Direktheit verbindet sich auch in einem anderen Aspekt der sternutio, wie das Niesen medizinlateinisch heißt. Parallel laufende Nervenbahnen können beim Orgasmus (und schon beim schieren Denken an Sex) Niesen aulösen. Das Märchen vom Zwerg Nase legt deutliche Tangenten an dieses Phänomen.

Hier schließt sich ein Sager des legendären Monaco Franze an. Der ewige Stenz aus dem kleinbürgerlichen Münchner Westend wusste: „Aus is’ und gar is’ und schad is’, dass’ wahr is’!“


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Das Geheimnis von Ätsch Bätsch

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 4/2025 vom 22. Jänner 2025

Liebe Frau Andrea,
vor ein paar Tagen habe ich zu jemand „Ätschi Bätschi“ gesagt und dabei meinen Zeigefinger über den anderen gestrichen. Aber woher kommt die Geste „Ätschi Bätschi“ beziehungsweise „ätschbätsch“ überhaupt?
Liebe Grüße,
Kathi Gmeiner, Ottakring, per Email

Liebe Kathi,

üblicherweise lernen wir die Ätschi-Bätschi-Geste schon früh, meist im Kindergarten, wo sie in verspottender Absicht dazu dient, anderen akute Schadenfreude mitzuteilen. Spruch und Geste werden meist zusammen verwendet. Schon in der Volksschule schwindet die Lust am sogenannten „ausätschen“.

Im benachbarten Deutschland kennt man die Verspottungform als „Rübchenschaben“ oder „Schaberübchen“, wobei der eine Finger das Rübchen ist, der andere der Schaber. Die Formel „Ätschi“ oder „Ätsch“ zirkuliert im Niederdeutschen als aisch, aisk, eisk (fürchterlich, ekelhaft, hässlich, garstig, schlecht, unartig), sie wurde schlimmen Kindern entboten (und von diesen den scheltenden Eltern). Das Wort kommt wie das altsächsische egeslîc, das mittelhochdeutsche eislîch und das althochdeutsche ekislîh vom gotischen aiviski für Schmach und aiviskón für schmähen.

Der lautmalerische Bestandteil „Bätschi“, „Betschi“ hingegen ist tiefstes Wienerisch. In Felix Saltens erotischem Roman „Josefine Mutzenbacher oder Die Geschichte einer Wienerischen Dirne“ finden wir „petschieren“ als eines der Synonyme für den Koitus. „Petschierte Mädchen“ galten zur Jahrundertwende als solche, denen ein Hindernis, eine Verlegenheit bereitet wurde. Wir sind beim Kern der Geste angelangt, der sich unzweideutig auch in einem der sittengeschichtlichen Gemälde des französischen Genremalers Louis-Léopold Boilly (1761-1845) findet: Die Geste, meist von jungen Damen verwendet, hat eine sexuelle Konnotation – der eine Finger stellt dabei einen Penis dar, der andere seine Manipulation. Die Geste konnte alles bedeuten zwischen der Schadenfreude über einen folgenreichen Seitensprung wie sein Misslingen oder Auffliegen.

Die Kindergartenpädagog·innen von heute ahnen das Tabu zur Geste, die betreuten Kinder naturgemäß nicht.


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Der seltsame Haken am Gang

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 3/2025 vom 15. Jänner 2025

Liebe Frau Andrea,
anbei sende ich Fotos von einem Metallteil, das an einer Wand in einem Wiener Stiegenhaus hängt und dessen Zweck oder Verwendung uns nicht klar ist. Können Sie uns auch bei Gegenständen weiterhelfen? Die kniffligen Fragen beziehen sich ja sonst eher auf die Bedeutung von Wörtern und Ihre Antworten sind großartig
Viele Grüße
Maria Glück aus Wien, per Email

Rätselhaft: Der seltame Mechanismus in vielen Wiener Zinshäusern.

Liebe Maria,

diese Kolumne kann aus layouterischen Gründen keine Abbildungen platzieren. [Anmerkung: hier im Blog schon!] Wir werden das Problem dennoch lösen, auf sprachlichem Weg. Die Bilder, die Sie mitsandten zeigen ein reich verziertes, mit dicken Schrauben fest an der Wand montiertes, gußeisernes Teil. An einer kleinen Schiene kann ein Haken mobilisiert und waagrecht ausgeklappt werden, der etwa 15 cm lang ist. In zurückgeklapptem Zustand kann diese Klappstange mit einem kleinen Riegel arretiert werden. Der ganze Mechnismus ist oft weiß getüncht, wie die Wand, an der er montiert ist. Etwas scheint zu fehlen an dem seltsamen Mechanismus.

Der von Ihnen, wohl am Gang (nicht im Treppenhaus) eines Wiener Zinshauses der Gründerzeit gefundene Mechanismus hängt mit größter Wahrscheinlichkeit in umittelbarer Nähe einer Wohnungstüre. Aus diesem Umstand erklärt sich auch seine ursprüngliche Nutzung. Die Bezeichnungen und die jeweilige Form dieser, industriell aus Metallguss fabrizierenden Teile differieren, je nach Patent und Design. In Katalogen und Annoncen der Zeit zirkulierten Bezeichnungen wie Wandhaken, Hut- und Mantelhaken, Kleiderhälter und Klapp-Garderobe. Sie dienten zum Aufhängen nasser und staubiger Mäntel, entweder um diese, noch draußen am Gang zu trocknen, oder sie mit der Kleiderbürste zu reinigen. In vielen Gängen und Stiegenhäusern wurden diese Vorrichtungen von Metalldieben geplündert, von Unverständigen vandalsiert, oder schlicht wegen fortschreitender Funktionslosigkeit abmontiert. Den verbliebenen Exemplaren, so auch jenem, dessen Bild sie mitsandten, fehlt oft der wichtigste Bestandteil: Ein breit ausladender metallischer Bügel mit abgerundeten Flügeln, auf denen man Mäntel, Jacken und Sakkos schonend und gut durchlüftet aufhängen konnte.


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Sankt Hermes!

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 1·2/2025 vom 8. Jänner 2025

Liebe Frau Andrea,
wir alle kannten Hermes Phettberg.
Aber wer war er?
Traurige Grüße von uns Allen

Liebe Alle,

Hermes Phettberg war ein Heiliger. Geboren und aufgewachsen als Josef Fenz benannte er sich insgesamt Manfred Strill, Manfred Ollarieth, Ignaz Paier, Georg oder Manfred Heilinger, Fritz-Geza Brachmann, Grit Fellner, Die Sau schlecht hin, Pepileben Pferdepflock, Oskar La Tourtour, Stockfried Biserl, Uli Walch, Franz Rand und nachhaltig und bekanntermaßen Hermes Phettberg.

Was ist ein Heiliger? Die katholische Lehre hat darüber Erschöpfendes gesagt und verwaltet den Typus nahezu exklusiv. Hermes aber war ein Heiliger der Aufklärung, er hatte sich selbst das Licht gegeben, war aus eigener Kraft aus Platons Höhle der Schatten getreten. Darum musste, ja konnte Hermes keine bürgerliche Bildungskarriere befahren. Hermes war von größerer Erkenntnis erfasst als sämtliche Lehrys, denen er begegnete. Professorys hätten ihm lauschen müssen. Und waren sie seiner Weisheit gewahr, taten sie das auch. Hermes war stets ein Fragender, ein Liebender, ein zärtlich Erfassender, seine Antworten öffneten Türen, die man vorher nicht gekannt hatte, an seiner Hand durfte man die dahinterliegenden Räume betreten. Vielfach wurde Hermes vorgeworfen, sich öffentlich, ja medial in derber Körperlichkeit zu ergehen. Dabei übersah man, dass Hermes seinen Körper nur bewohnte, mit ihm anders umging, als die Geistlosen. Seine Sexualität, sieht man vom Initialereignis mit dem Rauchfangkehrer ab, war geistiger, nicht körperlicher Natur. Das konnten nicht alle verstehen. Das Klerikale indes war Hermes ein Steg, dessen dünne Planken er mit jedem Schritt neu auflegte und nach Beschreiten sogleich in den Abgrund stieß. Wer Hermes persönlich kannte, dem offenbarte er weltsprengende Einsicht. Nichts an ihm war bäuerlich, alles fürstlich, er war, wie manche Aristokraten und alle Künstler, ohne Angst.

Hermes war größer als Wien, größer als Österreich, er war einer der Großen des Erdkreises. Jetzt hat sein Körper diese Landschaft verlassen. Nicht aber sein Geist. Heiliger Hermes, Du wohnst in meinem Herzen. Danke, dass ich Dich kennen durfte.   


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Comandantinas Weihnachts-Wünsche 2024

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 51.52/2024 vom 18. Dezember 2023

Liebe Fragenden! Liebe Antwortsuchende!

Der Advent senkt sein müdes Haupt, die Weihnachtszeit frohlockt mit Ruhe und Besinnung. Wetter und Menschen entsprechen den Umständen, die Nachrichtenlage erregt Besorgnis. Innenpolitisch dominiert Verbläuung, aussereuropäisch galoppierender Trump-Musk-Putinismus. Ideale erodieren, Vorbilder stürzen, nur das Böse hat Konjunktur. Jahresendlich jagen die Jongleure die Justiz, die Jauchzenden die Jeiernden, die Journaille den Journalismus. Die Jobsuchenden jaulen, die Jachtbesitzer jubelen. Jahresende-Jammer? Jein! Noch dreimal schlafen, dann werden die Tage wieder länger. Das Licht kommt zurück! Glandula pinealis, die Zirbeldrüse freut sich und stellt sich auf das ferne Kommen des Frühlings ein. Zeit für Tradition.

Seit nunmehr 23 Jahren beantwortet die Comandantina Fragen an dieser Stelle. Eine Ausnahme davon erlaubt sie sich am Ende des Jahres, da fordert sie Unerhörtes. Auch heuer ergeht eine Liste mit Wünschen an eine Wiener Institution von Weltruf: Das Salzamt! In seinen Gängen duftet es nach „Gaiac 10 von Le Labo“, nach den fruchtig-süßen Schwaden frischoxiderter „Montecristos“, nach Weihrauch, Myrrhe, und den betörenden Highland-Äthern in „Glenmorangies Nectar“. Unsere Freunde von der Wunscherfüllung tagen in Eintracht: Angeschickert die Goldgelockte im Engelskleid: Das Christkind! Ihr zur Seite der Boomer im roten Wams, Joulupukki, der Weihnachtsmann! In knisternder Hochlaune der elegante Herr in Possanners nachtblauem Zweireiher. Genagelt sind die Budapester, eau-de-toilette-betäubt die Schläfen, Konfetti staubt von den Schultern. Es ist der Cavaliere Corrado di Molinalibera aka die Jahresendperson.

Hier die Eingabe:

Liebes Christkind, lieber Weihnachtsmann, Carissimo signore di fine anno! Dies wünsche ich mir, wie schon so oft, zum Lichterfest:

1. Die Wiederauferstehung der Zukunft, 2. Die Rehabilitierung von Visionen. 3. Die Solidarität mit Abgehängten und Vulnerablen. 4. Die Umverteilung von Oben nach Unten, und 5. von Deppert nach Gscheit. 6. Die Trennung von Kirche und Staat. 7. Die Separation von Staat und Bosheit. 8. Ein Musikgedudelverbot in Gaststätten und Geschäften. 9. Die Einführung von 24-Stunden-Delis nach New Yorker Vorbild. 10. Die Fortführung des „Unendlichen Panoramas“ in einer Stadtzeitung von Welt.

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Wenn die Fabrikssirene büht

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 50/2024 vom 11. Dezember 2024

Liebe Frau Andrea,
ich lebe seit meiner Geburt in Schwechat, das von zahlreichen Industriebetrieben geprägt ist. In einigen von diesen gab und gibt es akustische Anlagen, die zu diversen Anlässen wie Schichtwechsel, und Feueralarmen ein sehr lautes Heulen von sich geben. Solche Sirenenalarme finden natürlich auch im Zivilschutz rege Verwendung, beispielsweise jeden Samstag, kurz nach High Noon. Meine Großeltern, aber auch meine Mutter bezeichneten diesen Sirenenlärm immer mit dem Ort „bühn“, wobei das „ü“ recht lange ausgesprochen wurde. Auch ich verwende dieses Wort und sage zu meiner Frau oft „Es hot scho büht.“ Meine konkrete Frage an Sie, geschätzte Meisterin der Etymologie, betrifft also dieses offensichtliche Dialektwort „bühn“. Woher kommt es nur? Ich kann mir seine Herkunft nicht erklären.
Mit herzlichen Grüßen
Nikolaus Franz, Schwechat, per Email

Lieber Nikolaus,

das von ihnen gesuchte Wort ist sehr alt und gehört zu den Schallwörtern und Tierlauten. Im Englischen und Niederländischen hat es sich noch im sehr ähnlich klingenden Wort „bell“ für die Glocke erhalten. „Bühn“ schreibt sich wörterbuchkonform „büllen“, wie sich in Kenntnis des Wienerischen (und Schwechaterischen) leicht verstehen lässt, das ja aus füllen „fühn“ macht und aus brüllen „brühn“. Unser büllen, bühn kommt von althochdeutsch bullōn, mittelhochdeutsch bullen, büllen. Das Altnordische kannte baula, bole, bylia und belia für das (meist tierische) Brüllen. In den oberdeutschen Dialekten Süddeutschlands und Österreichs bezeichnet(e) büllen, püllen das Blöken der Kälber und das Brüllen der Kühe, Ochsen und Stiere, in Österreich kann es aber auch das laute weinen und heulen bedeuten.

Mit dem Aufkommen industriellen Lärms hat sich das Wort von Stall und Weide in die Fabrik begeben, wo büllen, bühn, büün dass laute Heulen, Dröhnen, wie in ihrem Falle der Fabriks-Pfeifen und Werks-Sirenen bedeutet.

Nicht verwandt mit unserem Wort ist die medikamentöse Darreichungsform „Pille“, im Wienerischen ebenfalls „Pühn“, „Bühn“ ausgesprochen, aber meist lautlos eingenommen.


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Das Rätsel vom
karnierten Zwiebelsack

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 49/2024 vom 4. Dezember 2024

Liebe Frau Andrea,
im Telefonat mit meiner 90jährigen Tante Mimmi fiel der Begriff „karnierter Zwiebelsack“. So wurde meine Tante von ihrer Tante, Jahrgang zwischen 1890 und 1900 genannt, wenn die Kinder es mit dem Spiel zu weit getrieben hatten, wenn sie die Tante also verärgert hatten. Mimmi meinte, sie habe nie herausgefunden, was die Tante wohl damit gemeint hat, würde es heute aber liebend gerne wissen. Ich würde Mimmi wahnsinnig gerne mit der Auflösung dieses Kinderrätsels überraschen. Und hier kommen Sie ins Spiel. Ist Ihnen der Begriff schon jemals untergekommen? Zur Verortung des Begriffs: Die liebevolle Beschimpfung hat in Groß St. Florian, in der Weststeiermark, in den 30er Jahren des letzten Jahrhundert stattgefunden.
Hochachtungsvoll, mit freundlichen Grüßen
Gertraud Freiberger, Leopoldstadt, per Email

Liebe Gertraud,

die meisten von uns kennen als Zwiebelsack ein weitmaschiges, rötlich gefärbtes Netz aus unzerreißbaren Kunststofffasern. Die Zwiebel unser Großeltern und Urgroßeltern aber waren in der Regel in Säcke aus blickdichtem Hanf- und Jute-Gewebe gepackt. Säcke, die die Sportart „Sackhüpfen“ hervorbrachten. Desgleichen kennen wir den despektierlichen Ausdruck „Kartoffelsack“ für den unförmigen, übergewichtigen jungen Mann.

Sehen wir uns nun „karniert“ an. Ein altes, kaum noch bekanntes Wort für die lederne Schultasche, den Ranzen, ursprünglich die Hirtentasche (zur Aufbewahrung von Brot) ist der „Karnier“ oder „Carnier“. Es kommt vom lateinischen „carneria“, Fleischbehälter. Trugen doch Jäger erlegtes Wild, und Falkner das Fleisch für die Falken in solcher Tasche. Ist der „karnierte Zwiebelsack“ ein in der Ledertasche aufbewahrter Jutesack?

Wahrscheinlich nicht, denn wir kennen noch ein anderes Wort für karniert. Es kommt von lateinisch „caro, Gen. carnis“, Fleisch. Karniert bedeutet wörtlich „fleischgeworden“, wir kennen es aus den religiösen Begriffen Inkarnation und Re-Inkarnation. Der „karnierte Zwiebelsack“ ist demnach (sehr wahrscheinlich) der übel riechende, ausgebeulte und unförmige Mensch, in billigen Stoff gewandet. Ein Schimpfwort dessen Herkunft auf studentische und militärakademische Insult-Traditionen verweist.


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Billig: Der Beserlpark

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 48/2024 vom 27. November 2024

Liebe Frau Andrea,
ein geheimer Spielplatz meiner Kindheit war der sogenannte „Beserlpark“. Viele lange Nachmittage haben wir uns dort zum „kicken“ herumgetrieben. Man traf dort auf schimpfende alte Damen mit Hut und Hunterl, und auch das berühmte Lied „Tauben vergiften im Park“ kann nur dort entstanden sein. Warum aber hieß der Beserlpark so? Gekehrt wurde dort ja nicht, der Beserlpark war immer sehr staubig.
Ihre geschätzte Antwort erwartet
Martin Zachon, Leopoldstadt, per Email

Lieber Martin,

das Wienerische kennt den Baak (Park), den Goatn (Garten), die Gstättn (das verwilderte Grundstück) und den Besalbaak (Beserlpark). Oft zwischen Hauptstraße und Nebenfahrbahn angelegt, kommt sein Name nicht von den an Rutenbesen erinnernden dürren Sträuchern, sondern von seiner Eigenschaft als Wirkungsstätte der „Beserl“ oder „Besen“. Darunter verstand man im alten Wien die „leichtsinnige, junge Weibsperson“, nach heutigem Verständnis die unkontrollierte Geheimprostituierte. Im 1886 erschienenen Werk „Die Prostitution in Wien“ des Wiener Polizeiarztes Josef Schrank heißt es dazu: „Bei Tage treiben sich [die] Schanddirnen in den öffentlichen Gärten Wiens, welche bei Eintritt der Dunkelheit geschlossen werden, herum. Im Volksgarten ist die sogenannte Seufzerallee als Rendezvous für Liebesbedürftige allgemein bekannt. […] Die gemeinsten, meist mit keinem Gesundheitsbuch versehenen Prostituierten benützen zur Ausübung ihres Schandgewerbes bei Nacht die öffentlichen Parkanlagen, besonders den Stadtpark, den Rathauspark, den Park am Franz-Josefs-Kai (Beserlpark)“. Der langgezogene Park auf der stadtnahen Seite des Donaukanals dürfte demnach der erste Beserlpark Wiens gewesen sein.

Der Ausdruck „Beserl“ für die junge Sexarbeiterin kommt wie so Vieles im Wienerischen über Vermittlung des Rotwelschen aus dem Jiddischen, wo Besel, Pesel, Pëisel den schönen Mensch, aber auch das schöne Kind, das Mädchen bezeichnet, Besile, Besule und Beselein die Jungfrau, das Mädchen, die Dienstbotin. Zur despektierlichen Bedeutung des „Beserls“ und seiner Wirkungsstätte, des „Beserlparks“ hat möglichereise auch ein anderes jiddisches Wort beigetragen haben: „Besoll“, soviel wie billig.


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