Wie spooky ist das Putzi?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 7/2024 vom 14. Februar 2024

Liebe Frau Andrea,
seit Kurzem bereichert unser Sohn Jonas das Leben von meiner Frau und mir. Zuweilen nennen wir den Kleinen auch gerne unser „Butzi“. Nun habe ich gelesen, dass der „Butz“ eine Bezeichnung für den „Schabernack liebenden Hauswicht“ der nordischen Mythologie ist. Nun bin ich von meiner Profession her Naturwissenschaftler und kenne mich mit Etymologie so gar nicht aus. Daher bitte ich Sie, mich zu erhellen: Besteht hier ein begrifflicher Zusammenhang? Vielen Dank!
Mit besten Grüßen aus Salzburg,
Dr. Moritz Mirna, per Email

Lieber Dottore,

die österreichische Alltagssprache kennt Butzi, Putzi, als liebevolle Bezeichnung für das Kleinstkind, denglisch „baby“ genannt. Tatsächlich gibt es im süddeutschen, schweizerischen, aber auch im norddeutschen, anglosächsischen und skandinavischen Raum eine koboldhafte Gespensterfigur, die als Butz, Bütze, Butze, Putz, Boz, Buz, Bugimann, Bullebeiß, Busemand, Buhmann, Boesman, Böölimann, oder Böög Streiche spielt und Angst verbreitet. Kindergartenabsolvent·innen ist gewiss der Bi-Ba-Butzemann, der lustig tanzende Zwerg erinnerlich, der brave Kinder mit Äpfeln aus seinem Säcklein beschenkt. Die meisten dieser Bezeichnungen verschränken sich mit dem frühneuhochdeutschen Wort butze (Larve, Maske). Im angelsächsischen Raum zirkuliert dazu der schreckliche Boggart oder Bogeyman, der nachts aus Kleiderschränken kommt oder am Fenster erscheint. Bekanntester Kobold in dieser Etymologie ist Shakespeares Puck, aber auch der finnische Joulupukki reiht sich hier ein, eigentlich der nordisch-germanische Jul-Púki (Weihnachts-Bock), jetzt der harmlose Weihnachtsmann. Das Wienerische wiederum kennt die Putz, die Polizisten, diese beziehen ihre Wörtlichkeit vom Romani-Wort Pust, Spieß, wie ihn die mittelalterliche Stadtwache trug.

Mit höchster Wahrscheinlichkeit kommt unser Putzi aber vom barocken Kirchenengel, dem Putto (Plural: Putti), der Figur eines kleinen, nackten, oft geflügelten Knaben. Italienisch putto (Knäblein) kommt vom lateinischen putus (Knabe), in seinen Nebenbedeutungen nicht überraschend gleichbedeutend mit unserem „putzig“: Rein, glänzend, gereinigt, herausgeputzt.


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Die Predigt an der Gardine

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 6/2024 vom 7. Februar 2024

Liebe Frau Andrea,
heute (30.12.2023) am frühen Nachmittag spielte Chris Tina Tengel in einer höchst interessanten und unterhaltsamen Sendung u.a. ein Musikstück namens „Gardinenpredigt“ von Julius Fučik. Da habe ich mich gefragt (und da ich keine Antwort wusste, frage ich nun Sie), ob dieses Wort etwas mit unseren Vorhängen zu tun hat. Und wenn ja, was? Oder woher kommt es sonst?
Mit dem Dank im Voraus für Ihre Antwort auf meine Frage verbinde ich den Dank für Ihre Kolumne, die ich sehr schätze, und die besten Wünsche für das neue Jahr.
Maria Eisenreich, per Email

Liebe Maria,

der Verursacher ihrer spätdezemberlichen Nachmittagserheiterung ist ein alter Bekannter. Hat doch der altösterreichische Militärkapellmeister und Dvořák-Schüler Julius Fučik (1872-1916) eines der bekanntesten Stücke des Universums geschaffen, den weltberühmten „Einzug der Gladiatoren“, 1899 in Sarajewo komponiert. „Die Gardinenpredigt, op. 268, etwas später entstanden, aber von ähnlicher musikalischer Raffinesse, ist eine rasant-pfiffige Burleske für Klarinette, Fagott und Klavier. Auch bekannt als „Ehedialog“ spielt sie musikalisch auf die Standpauke des verspätet heimgekommenen, sturzbetrunkenen Mannes im bürgerlichen Ehegemach an, dem Zeitgeist folgend hinter halbdurchsichtigen Fenster-Gardinen.

Der Ursprung des Sprichwortes reicht in eine frühere Epoche zurück, in jene des Ehebetts mit schwereren Vorhängen. Das Wort Gardine kommt über das niederrheinische gardyn (1477), gardijn (1495), mittelniederdeutsch gardīne, gardīn Anfang des 17. Jahrhunderts ins Hochdeutsche, wird aber im Oberdeutschen nicht heimisch, weil dort die Bezeichnung „Vorhang“ dominiert. Die Gardine ist aus gleichbedeutender altfranzösischer cortine aus dem kirchenlateinischen cortina (Vorhang), einem substantivierten Adjektiv zu cohors, oder kurz cors (Hof, Hofraum) entlehnt.

Die gängige Form „Gardinenpredigt“ verbindet in metaphorischer Weise textile bürgerliche Distinktionstraditionen mit klerikalen Moralvorstellungen von Treue und puritanischer Lebensgestaltung. Ganz diffus scheinen emanzipatorische Mechanismen durch. Im ländlichen Österreich dominiert indes das Bild der Ehefrau mit dem strafenden Nudelwalker.


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Generation G wie Genderdebatte

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 5/2024 vom 31. Jänner 2023

Liebe Frau Andrea,
falls Sie über dieses Thema schon geschrieben haben, bitte ich Sie um Entschuldigung, aber: Mir geht es um die Rückkehr zu einer schnelleren Sprachart, welche existierte, bevor, der Gendergerechtigkeit wegen, viele Substantiva wiederholt werden mussten. Ich habe gelesen, dass Ihr Falterkollege, Herr Phettberg, eine verallgemeinernde Endung, -y bzw. -ys, manchmal verwendet: “die Ärztys” anstatt “die Ärztinnen und die Ärzte”, oder “ein Lesy” anstatt “ein Leser oder eine Leserin”. Ich mag diese Kürze, aber eine traditioneller klingende Endung wäre vielleicht besser. Was würden Sie gern sagen in solchen Fällen, um alle möglichen Geschlechter in einem klar verständlichen Wort zu inkludieren? Gibt’s ein hilfreiches Beispiel aus früheren Zeiten, die wir alle mühelos aussprechen könnten?
Schöne Grüße
Steven Flitton, Wien Alsergrund, per Email

Lieber Steven,

sämtliche Entschuldigungsansuchen werden zurückgewiesen, weil erstens keine Schuld erwachsen ist und zweitens keine je erlassen werden könnte, jedenfalls nicht kolumnistisch. Was die hier schon behandelten Fälle ähnlicher Art betreffen, kann das Diktum in Stellung gebracht werden, nach dem Journalismus Wiederholung sei. In der Sache selbst gibt es weniger Klarheit. Sprache und in besonderem Maße jene des Alltags ist den Diktaten der Nützlichkeit, Verständlichkeit und Genauigkeit unterworfen. Sie ist eingebettet in persönliche und gesellschaftliche Befindlichkeiten, dem, was Transzendental-Aphoristiker als „Zeitgeist“, Feinhörige als „Stimmung in der Bevölkerung“ bezeichnen. Der Heimatforscher Udo Landbauer und der Zirkusdirektor Karl Nehammer sind dem Ruf nach alten Mustern insoferne gefolgt, als sie die Verwendung des Binnen-I, des Asterisk und des Glottisschlags (der Gender-Pause) behördlich verbieten (Niederösterreich) und verbieten wollen (Ganzösterreich). Diese Diskussion schlägt Wellen, wenn auch keine von der Größe eines Tsunamis. Der genderneutrale Vorschlag von Kollegy Hermes Phettberg findet meine künstlerische und poetische Zustimmung, wiewohl ich verstehe, dass er sich noch in einer Minderheitenpostion befindet.


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Der Bücha schlechter Leumund

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 4/2024 vom 24. Jänner 2023

Liebe Frau Andrea,
wenn meine Mutter wütend auf Leute ist, die mir trickreich Geld abgeknöpft haben, nennt sie diese „Bücher“. Woher kommt die Bezeichnung für eine·n oder mehrere Gauner·innen, wo doch der (häufig gewinnbringende) Lesestoff ganz offensichtlich nicht der Ursprung sein kann? Oder etwa doch?
Es danken/zanken,
Steffi Kitzberger und Chri Scherrer, per Email

Liebe Steffi, lieber Chri,

das gefragte Wort ist tiefstes Wienerisch, wir haben es im Ohr als Bücha, Pücha. Das Buch, egal welchen Inhalts, bezeichnet das Wienerische als Biachl oder Buach. Unser Begriff kann also nicht vom gebundenen Leseexemplar kommen. Mit Bücha, Pücha, Pülcher wird in Wien der Gauner, der Strizzi, der kleine oder große Verbrecher bezeichnet. Deren Idiom, die Pülcher-Sprache lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen, seit Jahrhunderten erforschen Sprachlüsterne und Kriminalisten ihre Begrifflichkeiten und Etymologien, erstellen Lexika und ergehen sich in kriminalsoziologisch-anthropologischer Grundlagenforschung. Diesem Interesse ist es zu verdanken, dass wir die Herkunft des Wortes Pülcher kennen, es ist der Pilger, der Wallfahrende, der als gottgefälliger Reisender Unterkunft und Verpflegung erbettelte. Nicht immer zum Wohlgefallen der Angeschnorrten. Aus dem edlen Pilger wurde in der Welthauptstadt der Durchreise also bald der Pülcher, der unangenehme, der Vagabondage und der dunklen Geschäfte bezichtigte Dahergelaufene.

Pilger, althochdeutsch piligrim, mittelhochdeutsch bilgerim ist eine Entlehnung aus spatlateinisch pelegrinus, dissimiliert aus lateinisch peregrinus (fremd, auslän-disch). Es kommt vom lateinischen Adverb peregrē (aus, in der, in die Fremde), all das, was über (per) den eigenen Acker (ager), das eigene Siedlungsgebiet, speziell den ager Romanus, also über Rom hinausgeht. Man versucht, die Änderung von peregrin zu pilgerim auf den Einfluß des althochdeutschen Mannernamens Piligrim zurückzu-führen, eine Kombinaton aus „billi“ (Streit-axt, Schwert) und „grim“ (Wut, Zorn, wie in Ingrimm und Grimasse). Aus dem wallfahrenden „Uberackerer“ ist der streitlustige Wüterich geworden, wienerisch der übel beleumundete Pülcher, Pücha, Bücha.

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Wie gut ist Lepschi?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 3/2024 vom 17. Jänner 2023

Liebe Frau Andrea,
neulich steh’n um 6h früh zwei Müllmänner, also die in Orange, vor meinem Schlafzimmerfenster und unterhalten sich. Der eine, offensichtlich etwas aufgebracht, beschwert sich über seine Frau: „… und die ganze Hausarbeit muss ich alleine machen, und das Kind versorgen noch dazu. Und was macht sie? Sie geht nach ihrer Arbeit am Abend auf Lepschi.“
Muss nun sagen, mein Mitleid hält sich in Grenzen, aber danach hab ich mir lange Gedanken gemacht, was das Wort eigentlich bedeutet, weil das hat schon meine Oma dauernd zu mir gesagt: „gehst schon wieder auf Lepschi?“. Nun sagt das Internet, es kommt, wie so viele Worte aus Tschechien und bedeutet weggehen.
Ich würde aber gerne noch ein bisschen mehr wissen. Vor allem, warum hat es so einen negativen Beigeschmack, fast schon verrucht?

Danke und liebe Grüße,
Sabine Lasar, Alsergrund, per Email

Liebe Sabine,

zur Konversation der beiden Herrn vom Orangen Ballet der MA 48 (wie die Mistkübler inzwischen liebevoll genannt werden) kann ich nur sprachlich beitragen, Gründe und Hintergründe der ehelichen Verstimmung müssen andere Instanzen klären. Das von Ihnen befragte Internet geht insoferne fehl, als es nur die halbe Wahrheit berichtet. Tatsächlich kommt unser Lepschi aus dem Tschechischen, dort ist lepší (besser) der Komparativ zu dobrý (gut). Die Steigerung von lepschi wäre übrigens nejlepší (am besten). Die Gattin des Betroffenen könnte die Krise also noch vergrößern.

Das Wienerische hat lange Zeit die tschechischen Wurzeln des Ausdrucks bewahrt, und den Fremdgang oder die sonstige Fortgeh-Belustigung als „na Lepschi geh’n“ bezeichnet. „Auf Lepschi geh’n“ ist inzwischen die gebräuchliche Form. Noch zur Jahrhundertwende war Lepschi auch ein Schmähname für einen trägen Burschen, sehr ähnlich lautend wie der Leschak, der Faulenzer und Lümmel, in dem sich tschechisch lesák (Waldbewohner) und ležák (Lagerbier) vermischten.

Das Gegenwort zu lepschi kennen wir auch: Horší (schlechter, oasch) – zu špatný (schlecht) und nejhorší (am schlechtesten). Mistkübler hergehört!


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Das Wesen der Tschesn

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 1.2/2024 vom 10. Jänner 2024

Liebe Frau Andrea,
meine Wurzeln liegen im Waldviertel. Dort bezeichnet man alte, aber dennoch fahrtüchtige Autos entweder als „Graxn“ oder auch als „Tschesn“. Gerade die Herkunft und Entstehung des Wortes „Tschesn“ ist mir ein Rätsel. Ich bitte Sie, könnten Sie in diese Sache vielleicht etwas Licht hineinbringen?
Vielen Dank und freundliche Grüße
Markus Rauscher-Riedl, Waldviertel, per Email

Lieber Markus,

schalten wir die Untersuchungslampe an und sehen uns die erwähnten Wörter an. Die Graxn, Kraxn, mittelhochdeutsch Krechse, Krächse, bezeichnet ursprünglich ein hölzernes, am Rücken getragenes Gestell, mit dem allerlei Sperriges, wie Kisten, Packen, Körbe, Butten, oder auch Brennholz oder Reisig transportiert wurden. Die Slawistiker, in Fragen österreichischer Dialektformen immer bemüht, Erkenntnis beizusteuern, wollen es aus einem, in allen slawischen Sprachen zirkulierenden, in etwa krosno, kroschno lautenden Wort entlehnt wissen, das wohl urprünglich alles bezeichnete, was zu einem Gestell zusammengebaut war, Rückentragen, Webstühle und ähnliches.

Unsere Dialekte haben aus der Kraxn das Kraxln geformt, das Bergaufsteigen mit einer Last am Rücken, dazu das buckelkraxn Getragenwerden, und die, an die Trageriemen der Kraxn erinnernden Hosenträger der alpinen Lederhose, in anderer Bedeutung die eckige, krakelige Unterschrift, und schließlich das klapprige Wagerl, im heutigen Verständnis ein dringend reparaturbedürftiges altes Auto.

Anders die Etymologie der Tschesn. Sie kommt von der französischen Chaise de poste, einem 1664 von einem Sieur de la Gruyère erfundenen, zweirädigen, zweisitzigen, an eine Sänfte erinnernden Postkutschengefährt. Chaise, verwandt mit chair und lateinisch cathedra, ist bekannterweise der Stuhl, manchen noch als elongiertes Lehnmöbel Chaiselongue bekannt.

Dass die Wörter im traditionellen patriarchalen Rollenverständnis auch verwendet wurden, um ältere Frauen zu beleidigen, will aus feministischer Perspektive bedauert und dem Mistkübel der historischen Blödheiten überantwortet werden.


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Comandantinas Weihnachts-Wünsche 2023

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 51.52/2023 vom 20. Dezember 2023

Liebe Fragende! Liebe Antwortsuchende!

Das Wetter war sus, die Leute cringe, die Punsche schal. Innenpolitisch dominierte Blödestes, weltlagemäßig Bösestes. Idole wurden zur Kenntlichkeit entstellt, Held·innen taumelten, nur die Schlimmwichte surften im Oberwasser.

Weihnachtlich wähnten sich Wandernde wie Weilende, Wappler wie Wissende. Die Wohnungen blieben warm, wenn auch nur für Wohlhabende. Wird es wonniglicher? Wohlan! Unser Wandelstern willkürt seinen Wechselschwung am Wendepunkt des Winterwegs. Ab morgen werden die Tage wieder länger. Das Licht kommt zurück! Die Zirbeldrüse jubiliert und stellt sich auf das ferne Kommen des Frühlings ein. Zeit für Tradition.

Seit nunmehr 22 Jahren beantwortet die Comandantina Fragen an dieser Stelle. Bis auf die Nummer am Ende des Jahres, da fordert sie Unerhörtes. Auch diesmal ergeht die Liste mit den Wünschen an ein Institut von bestem Ruf: Das Salzamt! In seinen Gängen duftet es nach Creeds Millésime Impérial, nach den süßen Schwaden frischoxiderter Partagas, nach Weihrauch, Myrrhe, und den goldenen Äthern in Dalwhinnies Highland Single Malt. Unsere Freunde von der Wunscherfüllung tagen in Eintracht: Angesäuselt die gekrönte Teenagerin im Engelskleid: Das Christkind! Ihr zur Seite der gemütliche Boomer im roten Wams, Joulupukki, Sinterklaas, der Weihnachtsmann! In knisternder Hochlaune der elegante Herr in Possanners double breasted blue pinstripe suit. Genagelt sind seine Double Monkstraps, eau-de-toilette-betäubt seine Schläfen, handgemachtes Konfetti staubt von seinen Epauletten. Es ist der Cavaliere Corrado di Molinalibera, Kennern dieser Kolumne als die Jahresendperson bekannt.

Liebes Christkind, lieber Weihnachtsmann, Carissimo signore di fine anno! Dies wünsche ich mir zum Lichterfest:

1. Die Wiedereinführung der Zukunft, 2. Die Wiederkehr der Visionen. 3. Die Solidarität mit Vulnerablen. 4. Die Umverteilung von Oben nach Unten, und 5. von Deppert nach Gscheit. 6. Die Trennung von Kirche und Staat, Religion und Individuum. 7. Die Trennung von Staat und Bosheit. 8. Ein Musikgedudelverbot in Gaststätten und Geschäften. 9. Die Einführung von 24-Stunden-Delis nach New Yorker Vorbild. 10. Die Fortführung des „Unendlichen Panoramas‘ in einer Stadtzeitung von Welt.

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Blackouts beim Vorstellen

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 50/2023 vom 13. Dezember 2023

Liebe Frau Andrea,
ich bin zwar nicht die herzige Mirjam [die 7jährige Fragende der letzten Woche; Anm.], aber habe Blackouts wie Sie, wenn ich zwei Leute einander vorstellen soll. Beide Namen sind dann nämlich futsch! Damit ich erfahre, um wen es sich handelt, habe ich die Formel „Bitte macht euch miteinander bekannt“ entwickelt. Wirkt freilich nur, wenn die Vorzustellenden den eigenen Namen parat haben, was unter Stress nicht immer der Fall ist. Wie zieht man sich dann aus der Affäre?
Ihre treue Leserin
Griselda Matura, Wien Mariahilf, per Email

Liebe Griselda,

als Expertin auf dem Minenfeld des individuellen Spontanvergessens kenne ich die von Ihnen vorgestellte Situation bestens. Sie tritt mit verlässlicher Regelmäßigkeit besonders dann auf, wenn die einander Vorzustellenden größten Wert auf Genauigkeit und Etikette legen. Auch im Vergessen des eigenen Namens oder seiner richtigen Aussprache bin ich bewandert.

Ihre Formel „Bitte macht euch miteinander bekannt“ funktioniert nach eigener Erfahrung nur dann, wenn wir sicher sind, dass die uns Entfallenen mit einander per Du wären. Auch diese wichtige Information kann abkommen. Wie peinlich, ein fälschliches Sie in einer Du-Situation zu verwenden!

Die bürgerliche Gesellschaft hat auf die beschriebenen und weit verbreiteten Unpässlichkeiten schon früh mit der Figur der Salonnière geantwortet, eines stilbewussten Wesens, das nichts besser beherrschte, als die von uns geschilderten Vorgänge. Ihr natürliches Habitat war der Salon, ein privater Ort formalen Aufeinandertreffens, in Oszillation seiner Wichtigkeit mal Stehempfang genannt, mal Soirée, mal „Abend für“, und in der Blüte der Boomerzeit „Party“.

Auf den Spielfeldern der Eleganz, Weltläufigkeit und Intrigenschmiedekunst darf an die Referenzfigur einer Vorstellerin von Welt erinnert werden: Die österreichische Salonnière Pauline Clementine Marie Walburga Fürstin von Metternich-Winneburg zu Beilstein, kurz Pauline von Metternich – in Anspielung auf ihre Klatschlust „Mauline von Petternich“ genannt. Sie und ihre Nachfolgerinnen beherrschten die Kunst einander Unbekannte vorzustellen in blendender Perfektion. Wo sie fehlen, irren wir.

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Vergessen, was ich sagen wollte

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 49/2023 vom 6. Dezember 2023

Liebe Frau Andrea,
meine Tochter Mirjam hat eine Frage an Sie (im Anhang 🙂
Liebe Grüße,
Laurenz Schiffermüller, per Email

„Liebe Frau Dusel!
Manchmal möchte ich etwas sagen. Aber dann habe ich es vergessen. Meine Muter sagt: Wenn es wichtig war wird es dir wieder einfalen. Warum ist das so?
Liebe Grüse
Mirjam 7 Jahre“

Liebe Mirjam,

da geht es Dir wie uns allen. Dauernd vergessen wir etwas, und noch öfter vergessen wir, was wir gerade sagen oder denken wollten. Das hat damit zu tun, dass unser Gehirn, unser Kopf alles ordnet. Wichtiges wird gemacht, Unwichtiges nicht. Es ist zwar in Wirklichkeit komplizierter, aber so können wir es uns besser vorstellen. Wäre das mit dem Vergessen nicht so, würden wir viele Sachen auf einmal machen, die nicht zusammenpassen. Unser Gehirn macht also alles super ordentlich. Auch wenn wir das oft gar nicht merken.

Wenn wir etwas sagen wollen, denken wir es. Das ist wie sprechen, ohne es zu sagen. Sprechen ist für das Gehirn auch eine Art Machen. Deswegen können wir nicht zwei Sachen auf einmal sprechen. Wenn jetzt etwas anderes daherkommt, das wichtiger ist, als das, was wir gerade sagen wollten, legt das Gehirn (also wir selbst) das, was wir sagen wollen in eine unsichtbare Lade. Und wenn es da drinnen ist, vergessen wir, was es ist, und auch wo die Lade ist. Uns allen geht es so. Und es ist nicht Schlimmes, es ist ganz normal. Und ja, Deine Mama hat recht, wenn es wichtig war, was Du sagen wolltest, wird es Dir wieder einfallen.

Manchmal fallen uns übrigens Dinge nicht ein, die wir zwar wissen, aber die jemand anderem nicht einfallen. Dann vergessen wir gemeinsam, was wir sagen wollten. Ich zum Beispiel vergesse die Namen von Freundin-nen, wenn ich sie anderen vorstellen will. Wie peinlich! Ich weiß aber, warum das so ist. Ich will mich nicht irren, und einen falschen Namen sagen. Das ist die Lade, in die die Namen kommen. Aber nur dann, wenn ich sie sagen will. Später fällt mir dann alles wieder ein. So hat jede von uns ganz eigene Laden mit Vergessenem.

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Ottakringer Spezialwappelei

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 48/2023 vom 29. November 2023

Liebe Frau Andrea,
ich bin ein alter (Jg. 1941) Ottakringer, einst mehr als „blutrot“ eingefärbt. Wie es Hans Krankl von sich behauptet, geht’s auch mir genauso, ich kann nur den Dialekt meiner Jugend. Und wenn ich den heutigen Namen des SPÖ-Vorsitzenden vernehme, erinnere ich mich. Nämlich dass damals das Wort „Babler“ als Bezeichnung für einen eher bedürftigen – in jeglicher Hinsicht – Menschen (Mann) angewendet wurde. Ich besitze das schöne und lehrreiche „Wörterbuch der Wiener Mundart“, ohne bei Babler und ähnlichen Formen, wie Baperl, Pabler etc. fündig zu werden. Habt ihr dieses Wort in weiser Vorahnung gestrichen oder gab es diese Bezeichnung nur in Ottakring, im Bereich der Wichtelgasse/Thaliastraße?
Ich hoffe, noch in meinem Leben (siehe Ablaufdatum!) entsprechende Belehrung zu erhalten.
In bester Erwartung,
Ferdinand (Ferry) Kovarik, Ottakring

Lieber Ferdinand,

zur Ottakringer Gassendialektik kann ich wenig beitragen. Das erwähnte Standardwerk Maria Hornungs haben „wir“ nicht umgeschrieben, weder in weiser, noch sonstiger Vorahnung. Als Trägerin eines exponierten Familiennamens lehne ich Namenswitze ab, notabene sie wenig über die realen Eigenschaften der Trägerinnen berichten.

Das Wienerische kennt die Pappn (Bappn), den Mund, davon abgeleitet das Papperl, das Essen des Kindes. Dieses bezieht seine Wörtlichkeit vom breiartigen Papp, verwandt mit Pappe und Papier. Weiters kennen wir bopeln, boweln, das unverständliche und gedankenlose Lallen, auch das geschwätzige Betteln. Es ist eine lautmalende Wortmischung mit papperln, bapaln.

Sehr wahrscheinlich verwechseln wir den unauffindbaren Bappler mit dem bestens bekannten Wappler. Dieser hat die von ihnen insinuierten Eigenschaften eines, in jeder Hinsicht bedürftigen Menschen. Der Wapla, Wappler, der unbedeutende, nicht ernstzunehmende Mensch kommt von einem, in vielen Dialekten und germanischen Sprachen zirkulierenden wappeln, wabbeln, sich schwankend bewegen, herumirren, undeutlich reden. Als bekennende Bableristin kann ich das im Genossen Andreas Babler nicht erkennen.

Freundschaft!

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Sakra und andere wilde Sachen

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 47/2023 vom 22. November 2023

Liebe Frau Andrea,
mein vor ein paar Jahren verstorbener Opa pflegte als Ausruf von Ärgernis stets „Sackara“ zu rufen. Eine kurze Online-Recherche meinerseits lieferte leider keine Ergebnisse. Vielleicht haben Sie ja die Auflösung parat? Meine Mutter meinte, es würde wohl etwas mit sakral (heilige Sch*#*$, heiliger Bimbam, etc.) zu tun haben? Freue mich auf eine Antwort 🙂
Liebe Grüße,
Florian Pukal, per Email

Lieber Florian,
wenn etwas misslingt, wenn uns Unschönes widerfährt und Unbill die Gestade unseres Seins erreicht, greifen wir zum Fluch. Im säkularer Hinsicht haben sich moderne Anglizismen wie „fuck“ (Fick) und „shit“ (Scheiße) etabliert. Frühere Zeiten, die noch nicht dem Hegemon der Geschwindigkeit ausgeliefert waren, fluchten länger und ausgiebiger, in der Regel auch poetisch. Die Generation unserer Eltern, Großeltern und Urgroßeltern griffen im Fluchfalle zu Ausrufen wie „Fixnoamal“, „Zefix“ und „Hardex“ – die Reihe kann lange und blumig fortgesetzt werden. Die Ausrufe, in denen wird die Silbe „fix“ hören, [verwenden zwar das lautmalerische Tabuwort „fick“], kommen aber vom katholischen Wort Kruzifix (von lateinisch cruci fixus, ans Kreuz geheftet), das den leidenden Christus bezeichnet. Der Fluch war wohl ursprünglich eine Anrufung und keine durch Verkürzung verhüllte Invektive. In diese Kategorie fällt auch das von Ihnen mitgebrachte „Sackara“, eigentlich „Sakra“. Wie Ihre Frau Mama sehr richtig vermutet, kommt es ebenfalls aus dem Lateinischen, vom Adjektiv sacer/sacra/sacrum (heilig, geweiht). Schon in der polytheistischen Antike hatte das Wort auch eine ins Gegenteil schlagende Nebenbedeutung, sobald etwas einer unterirdischen Gottheit zur Vernichtung geweiht war, kennzeichnete es das Verfluchte, Verwünscht und Abscheuliche.

Wem der gekreuzigte Jesus und das Heilige zu katholisch sind, darf zum Wienerischen Hardek, Hardex (tirolerisch Hardigatti) greifen. Es kommt aus dem fluchtechnisch hoch versierten Ungarischen. „Ördögatta“ ist dort die Ausgeburt des Teufels. Heute milde Schimpfworte, waren das früher mittelschwere Beleidigungen. Die schweren Kanonen „teremtette“, gar „bassza teremtette“ – „der Kreator“, das heißt Gott, „soll seine Kreatur ficken“ sind ausgestorben.

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Tschari gehen, tschari sein

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 46/2023 vom 15. November 2023

Liebe Frau Andrea,
mein Mann und ich rätseln, woher der Begriff „tscharre gehen“ kommt – zumindest in dieser Schreibweise gibt auch das Internet nicht viel her.
Besten Dank!
Karin Mayr, Ottakring, per Email

Liebe Karin,

wie Sie schon dem Titel dieser Kolumne entnehmen können, schreibt sich unser gesuchtes Wort tschari“ (ausgesprochen dschari, dschare), in der Bedeutung „verloren gehen“, „verschwinden“. Es ist bestes, blumiges Urwienerisch. Lange bemühten die Sprachforscher das tschechisch-ziegelböhmische čáry (Zauber, Hexerei) als Ursprung von „tschari“, indem sie sich der durchaus schlüssigen Interpretation hingaben, das Verschwinden von Pretiosen, Geld und Möglichkeiten sei als Verzauberung aufgefasst worden.

Eine etwas bessere Etymologie führt tschari auf ein westösterreichisch-alemannisches, jedenfalls aber lautmalerisches schädern, tschädern (zerspringen, zerbrechen) und tschäderig, schätterig (klirrend, scheppernd, gebrechlich, hinfällig) zurück. Dass hier alte germanische Verwandtschaften vorliegen, liegt nahe. So bedeuten mittelenglisch „scateren“, altniederländisch „schetteren“, und niederdeutsch „schateren“ zerbrechen, in Stücke bersten, auseinanderfliegen. Modernes englisch „to shatter“ heißt noch heute zerbrechen, zerschmettern, zerreißen, zerrütten.

Eine weniger bekannte Variante unseres tschari ist tschali (dschali, auch dschäuli ausgesprochen), es bedeutet ebenfalls „verloren gehen“. Für diese Form ist das jiddische challa, schalet, scholent, tscholent (Opferkuchenteig) produktiv gewesen. Dieser wird am Nachmittag vor dem arbeitsfreien Sabbath von der Hausfrau gebacken und als (die) chále zeremoniell als Opfergabe ins Feuer geworfen, womit der Bedeutungszusammenhang mit „verloren, verschwunden“ gegeben ist. Die chále, Tschale kommt nicht, wie volksetymologisch nahe läge, von der zerbrechlichen Schale, sondern über das altfranzösische chauld, spanische caliente, cálido (warm) vom lateinischen calidus (warm, heiß).

Wem das alles noch nicht zu kompliziert ist, kann zum Verlustiggehen auch „futsch“ sagen, oder noch schöner: Futschigatto.

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