Die Predigt an der Gardine

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 6/2024 vom 7. Februar 2024

Liebe Frau Andrea,
heute (30.12.2023) am frühen Nachmittag spielte Chris Tina Tengel in einer höchst interessanten und unterhaltsamen Sendung u.a. ein Musikstück namens „Gardinenpredigt“ von Julius Fučik. Da habe ich mich gefragt (und da ich keine Antwort wusste, frage ich nun Sie), ob dieses Wort etwas mit unseren Vorhängen zu tun hat. Und wenn ja, was? Oder woher kommt es sonst?
Mit dem Dank im Voraus für Ihre Antwort auf meine Frage verbinde ich den Dank für Ihre Kolumne, die ich sehr schätze, und die besten Wünsche für das neue Jahr.
Maria Eisenreich, per Email

Liebe Maria,

der Verursacher ihrer spätdezemberlichen Nachmittagserheiterung ist ein alter Bekannter. Hat doch der altösterreichische Militärkapellmeister und Dvořák-Schüler Julius Fučik (1872-1916) eines der bekanntesten Stücke des Universums geschaffen, den weltberühmten „Einzug der Gladiatoren“, 1899 in Sarajewo komponiert. „Die Gardinenpredigt, op. 268, etwas später entstanden, aber von ähnlicher musikalischer Raffinesse, ist eine rasant-pfiffige Burleske für Klarinette, Fagott und Klavier. Auch bekannt als „Ehedialog“ spielt sie musikalisch auf die Standpauke des verspätet heimgekommenen, sturzbetrunkenen Mannes im bürgerlichen Ehegemach an, dem Zeitgeist folgend hinter halbdurchsichtigen Fenster-Gardinen.

Der Ursprung des Sprichwortes reicht in eine frühere Epoche zurück, in jene des Ehebetts mit schwereren Vorhängen. Das Wort Gardine kommt über das niederrheinische gardyn (1477), gardijn (1495), mittelniederdeutsch gardīne, gardīn Anfang des 17. Jahrhunderts ins Hochdeutsche, wird aber im Oberdeutschen nicht heimisch, weil dort die Bezeichnung „Vorhang“ dominiert. Die Gardine ist aus gleichbedeutender altfranzösischer cortine aus dem kirchenlateinischen cortina (Vorhang), einem substantivierten Adjektiv zu cohors, oder kurz cors (Hof, Hofraum) entlehnt.

Die gängige Form „Gardinenpredigt“ verbindet in metaphorischer Weise textile bürgerliche Distinktionstraditionen mit klerikalen Moralvorstellungen von Treue und puritanischer Lebensgestaltung. Ganz diffus scheinen emanzipatorische Mechanismen durch. Im ländlichen Österreich dominiert indes das Bild der Ehefrau mit dem strafenden Nudelwalker.


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