Der Bücha schlechter Leumund

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 4/2024 vom 24. Jänner 2023

Liebe Frau Andrea,
wenn meine Mutter wütend auf Leute ist, die mir trickreich Geld abgeknöpft haben, nennt sie diese „Bücher“. Woher kommt die Bezeichnung für eine·n oder mehrere Gauner·innen, wo doch der (häufig gewinnbringende) Lesestoff ganz offensichtlich nicht der Ursprung sein kann? Oder etwa doch?
Es danken/zanken,
Steffi Kitzberger und Chri Scherrer, per Email

Liebe Steffi, lieber Chri,

das gefragte Wort ist tiefstes Wienerisch, wir haben es im Ohr als Bücha, Pücha. Das Buch, egal welchen Inhalts, bezeichnet das Wienerische als Biachl oder Buach. Unser Begriff kann also nicht vom gebundenen Leseexemplar kommen. Mit Bücha, Pücha, Pülcher wird in Wien der Gauner, der Strizzi, der kleine oder große Verbrecher bezeichnet. Deren Idiom, die Pülcher-Sprache lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen, seit Jahrhunderten erforschen Sprachlüsterne und Kriminalisten ihre Begrifflichkeiten und Etymologien, erstellen Lexika und ergehen sich in kriminalsoziologisch-anthropologischer Grundlagenforschung. Diesem Interesse ist es zu verdanken, dass wir die Herkunft des Wortes Pülcher kennen, es ist der Pilger, der Wallfahrende, der als gottgefälliger Reisender Unterkunft und Verpflegung erbettelte. Nicht immer zum Wohlgefallen der Angeschnorrten. Aus dem edlen Pilger wurde in der Welthauptstadt der Durchreise also bald der Pülcher, der unangenehme, der Vagabondage und der dunklen Geschäfte bezichtigte Dahergelaufene.

Pilger, althochdeutsch piligrim, mittelhochdeutsch bilgerim ist eine Entlehnung aus spatlateinisch pelegrinus, dissimiliert aus lateinisch peregrinus (fremd, auslän-disch). Es kommt vom lateinischen Adverb peregrē (aus, in der, in die Fremde), all das, was über (per) den eigenen Acker (ager), das eigene Siedlungsgebiet, speziell den ager Romanus, also über Rom hinausgeht. Man versucht, die Änderung von peregrin zu pilgerim auf den Einfluß des althochdeutschen Mannernamens Piligrim zurückzu-führen, eine Kombinaton aus „billi“ (Streit-axt, Schwert) und „grim“ (Wut, Zorn, wie in Ingrimm und Grimasse). Aus dem wallfahrenden „Uberackerer“ ist der streitlustige Wüterich geworden, wienerisch der übel beleumundete Pülcher, Pücha, Bücha.

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