Tschari gehen, tschari sein

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 46/2023 vom 15. November 2023

Liebe Frau Andrea,
mein Mann und ich rätseln, woher der Begriff „tscharre gehen“ kommt – zumindest in dieser Schreibweise gibt auch das Internet nicht viel her.
Besten Dank!
Karin Mayr, Ottakring, per Email

Liebe Karin,

wie Sie schon dem Titel dieser Kolumne entnehmen können, schreibt sich unser gesuchtes Wort tschari“ (ausgesprochen dschari, dschare), in der Bedeutung „verloren gehen“, „verschwinden“. Es ist bestes, blumiges Urwienerisch. Lange bemühten die Sprachforscher das tschechisch-ziegelböhmische čáry (Zauber, Hexerei) als Ursprung von „tschari“, indem sie sich der durchaus schlüssigen Interpretation hingaben, das Verschwinden von Pretiosen, Geld und Möglichkeiten sei als Verzauberung aufgefasst worden.

Eine etwas bessere Etymologie führt tschari auf ein westösterreichisch-alemannisches, jedenfalls aber lautmalerisches schädern, tschädern (zerspringen, zerbrechen) und tschäderig, schätterig (klirrend, scheppernd, gebrechlich, hinfällig) zurück. Dass hier alte germanische Verwandtschaften vorliegen, liegt nahe. So bedeuten mittelenglisch „scateren“, altniederländisch „schetteren“, und niederdeutsch „schateren“ zerbrechen, in Stücke bersten, auseinanderfliegen. Modernes englisch „to shatter“ heißt noch heute zerbrechen, zerschmettern, zerreißen, zerrütten.

Eine weniger bekannte Variante unseres tschari ist tschali (dschali, auch dschäuli ausgesprochen), es bedeutet ebenfalls „verloren gehen“. Für diese Form ist das jiddische challa, schalet, scholent, tscholent (Opferkuchenteig) produktiv gewesen. Dieser wird am Nachmittag vor dem arbeitsfreien Sabbath von der Hausfrau gebacken und als (die) chále zeremoniell als Opfergabe ins Feuer geworfen, womit der Bedeutungszusammenhang mit „verloren, verschwunden“ gegeben ist. Die chále, Tschale kommt nicht, wie volksetymologisch nahe läge, von der zerbrechlichen Schale, sondern über das altfranzösische chauld, spanische caliente, cálido (warm) vom lateinischen calidus (warm, heiß).

Wem das alles noch nicht zu kompliziert ist, kann zum Verlustiggehen auch „futsch“ sagen, oder noch schöner: Futschigatto.

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