Besuch

Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten 004 Jg.70, 2014.

Die einen sagen, es gehe bei Weihnachten und den daran hängenden Festen Sylvester und Dreikönig um die Geburt, religiös-spirituell betrachtet um die Niederkunft eines Gottes, astronomisch-profan gesehen um das (Wieder)-Länger-Werden der Tage. Die winterliche Fest-Trias gelte der Zeit an sich, ihrem Wesen und ihrer Verankerung im familiären und gesellschaftlichen Leben. Die Wintersonnenwende sei eine Art Uhrenvergleich. Immerhin werden die westlichen Kalender Schlag Mitternacht eines 31. Dezembers auf Null gestellt, um nicht nur eine neue Stunde, einen neuen Tag und einen neuen Monat, sondern gleich auch ein neues Jahr zu beginnen. Strenggenommen wäre der bessere Moment für diese Umstellung ja der 21. Dezember (die tatsächliche Sonnenwende) – die Verfügbarkeit dieses Datums für festliche Begehungen muss aber wohl bis zur nächsten grossen Kalenderreform warten.

Nada, sagen andere Kulturwissenschaftler, Weihnachten und seine Compagnions Sylvester und Dreikönig stehen in Diensten ein ganz anderen Themas. Dem des Besuchs. Blenden wir die Geburt des Jesusknaben, den Datumswechsel und den Stern von Betlehem aus, kann der Blick auf den doch sehr deutlichen Besuchs-Charakter der drei Feste geschärft werden. So stellt sich Weihnachten biblisch gesehen als Besuch des ‘Hochheiligen Paares’ im Örtchen Betlehem dar. Der Anlass, eine Volkszählung könnte profaner nicht sein. Aus dem bürokratischen Besuch wird eine schicksalshafte Herbergsuche und das Logis-Nehmen in schlechter Unterkunft. Weihnachten in moderner Ausprägung ist Familienbesuchszeit. Erwachsene Kinder reisen zu den Zimmertannen ihrer Eltern oder umgekehrt, bringen Elektroartikel, Anziehsachen und Hochprozentiges. Eine Woche später wiederholt sich der Besuchsspuk in feuchtfröhlicher, weniger düsterer, und von heiligem Klingeling emanzipierter Weise, zu Sylvester. Diesmal werden Freunde und öffentliche Plätze heimgesucht. Zu Dreikönig schliesslich besuchen verkleidete Kinder die Gegend, um zu singen und mit der Sammelbüchse zu scheppern. Dass Migration und Asylsuche ebenfalls Aspekte des Besuches repräsentieren, wird zu den Kalenderfesten ausgeblendet. Prosit!

Advent mit Faymann und Spindelegger

Für meine ‚illustrierte Kolumne‘ in den Salzburger Nachrichten Wochenende vom 14.12.2013, Seite VIII.

Das Jahr senkt sein müdes Haupt, die Krise, oder was man dafür hielt, hat weiße Strähnen in seinem Haar hinterlassen. Meteorologischer liegt über dem geistigen Nebel. Punschkranke sitzen im sportlich-utilitarem Vehikel, im Obus und in der Lokalbahn. Sie riechen streng. Nach Tschick und Erschöpfung und Seelennässe. Das müsste man bejubeln, hätte man die Kraft dazu. Noch gibt es Zigaretten in diesem Land, noch wird Leistung erbracht, noch leisten wir uns Gefühle. Auch wenn sie seltener werden.

Wie sagte Karl Farkas: „Die Optimisten leiden, ohne zu klagen, die Pessimisten klagen, ohne zu leiden.“ Zu Weihnachten steigt die Selbstmordrate signifikant an. Die Brandopferrate geht durch die Decke und zu keiner Zeit werden mehr goldene Schüsse gesetzt. Oh Pium!

Die Adventzeit war ursprünglich Fastenzeit, es durfte nicht gefeiert werden, nicht getanzt, nicht geheiratet. Das Tempus Adventus Domini, die Zeit der Ankunft des Herrn, dauert vier Sonntage. In christlicher Metaphorik standen sie ursprünglich für die viertausend Jahre paradieslosen Wartens auf den Erlöser. Der heißt jetzt Christkind, trägt Glitzerkleid und weißblonde Locken. Über Christkindls Geschlecht ist sich die Verkleidungsindustrie nicht ganz im Klaren, in Nürnberger Tradition ist es eher ein Mädchen denn ein Jesusknabe. Wem das Christkindl jenseits der Gender-Debatte zu christlich ist, lässt sich mit dem Weihnachtsmann ein, Chimäre aus Nikolo und Coca-Cola-Opa. Wir sind wieder bei der normativen Kraft des Faktischen. Der Diktatur der Ökonomie. Auf den schlotternden Knien der Obusfahrenden lastet schwer der Kleingeschenke Segen für die Lieben daheim und die Kollegen in den rauchigen Büros.

Noch bläst der Krisenföhn durch alle Ritzen. Auch wenn die Rezession schon vorbei ist, wie der Gouverneur sagt. Bevor die Welt aufersteht, kommen die Geschenke. Beinhart. Und bevor sich Christkind, Weihnachtsmann und Jahresendperson einstellen, kommen die Wünsche. So sei denn gewünscht: 1. Die Wiedereinführung der Zukunft. 2. Die Restauration der Visionen. 3. Das Musikgedudelverbot im öffentlichen Raum.

Das Paket

Für meine ‚illustrierte Kolumne‘ in den Salzburger Nachrichten Wochenende vom 7.12.2013, Seite VIII.

Zu Weihnachten kommt das Paket. Ganz sicher. Und es wird groß sein. Ein großes Paket. Mit Masche. Es wird eine Masche geben. Eine Masche gibt es immer. Am Paket ist das Wichtigste die Masche. Eventuell gibt es eine Verpackung. Eventuell. Ganz sicher ist es noch nicht. Die Masche ist sicher. Das Weihnachtspaket für Kevin und Chantal Österreicher wird eine große Masche haben. Eine riesige Masche. Die größte Masche, die je um ein Paket gebunden war. Zumindest in Österreich. In Griechenland haben sie sich schon an diese Pakete gewöhnt. Es muss gespart werden. Eisern. Stählern. Ultrahart muss gespart werden.

Das wird die Masche sein. Die Masche um das Sparpaket. Die Sparpaketmasche. Jetzt muss gespart werden. Jetzt. Alles muss zurückgezahlt werden. Alles. Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt, das ist klar. Völlig klar. Alle haben es gewusst. Alle. Zu viel Pendlerpauschale abgehoben, zu viel studiert, zu viel Pension bezogen, zu früh oder überhaupt. Zu oft beim Zahnarzt gewesen, zu viel im Spital gelegen. Dem Staat auf der Tasche gelegen, statt Leistung zu erbringen. Wird es heißen, bei der Auslieferung des Pakets. Dass es geliefert wird, steht außer Zweifel. Das Paket kommt so sicher wie das Amen im Gebet, vielleicht sogar sicherer. Das Paket ist notwendig, denn: Die Wirtschaft muss geschont werden! Die hohen Vermögen! Die höchsten Vermögen! Die Vermögen aus Vermögen! Danke! Wird Chantal sagen, nochmal gut gegangen, wir haben die Banken gerettet, den Standort, die Wirtschaft. Die Zukunft des Landes.

Das Kapital ist scheu wie ein Reh, wird Kevin sagen, und zärtlich über die Masche des Pakets streichen, scheu ist es, man darf es nicht stören, das Reh. Das Kapitalreh, es läuft weg, wenn es gestört wird. Es will nicht umverteilt werden. Es will am Waldesrand herumstehen, die Lauscher im Wind. Maximal. Das feine Reh! Unumverteilt. So schön war die Masche noch nie, wird Chantal sagen. So groß war das Paket noch nie, wird Kevin sagen. Überhaupt kein Problem, wird Kevin beim Nichteinschlafenkönnen sagen. So ein schönes Paket, wird Chantal sagen. Immer wieder. Bis zum Morgengrauen. So ein schönes Paket.

Andrea Maria Dusl

Koalition

Für meine ‚illustrierte Kolumne‘ in den Salzburger Nachrichten Wochenende vom 30.11.2013, Seite VIII.

Du. Nein du. Du zuerst. Nein du, dann ich. Eventuell. Wer sich bewegt im Verhandlungsmikado, hat schon verloren. Wer signalisiere, verhandlungsbereit zu sein, habe die Verhandlung schon verloren, heißt es. Wohin das führt, wenn es das heißt, haben die Interessenvertreter der Unterrichtenden vorexerziert. Man wagt es kaum, das L-Wort auszusprechen. L wie Lehrergewerkschafter. Fröstel. Seit Jahr und Tag verteidigen sie die Pfründen der Kollegenschaft. Dass die Pfründen gar keine sind, sondern zusammengepfuschte Regelungen aus den letzten dreihundert Jahren, ist längst vergessen. Die Gewerkschafter verteidigen unhaltbare Zustände aus Angst vor unhaltbaren Zuständen. Kein Wunder, dass nichts weitergeht.

Das andere Pech, das die Lehrer haben: Normalerweise sind Schulkinder ihre Verhandlungspartner. Und die dazugehörigen Eltern. Jausengegner. Wir schweifen ab. Der Kampf Regierung gegen Lehrer ist ein Scheinkampf. Der tatsächliche Kampf ist der Verhandlungskampf der Regierung, richtiger: Der Verhandlungskampf der Koalitionsverhandler. Er findet hinter Polstertüren statt. Es gilt die Mikado-Maxime: Wer signalisiert, verhandlungsbereit zu sein, hat die Verhandlung schon verloren. Also wird zwischendurch das deutliche Signal gegeben, man könne auch anders. Mit wem anderen zum Beispiel. Oder gar nicht, was realistischer wäre und worauf es dann eine Neuwahl gäbe. Die zu schlagen keiner der Verhandler ernsthaft anstreben dürfte. Weshalb mit diesem Szenario auch nicht erfolgreich gedroht werden kann.

Der Verhandlungskampf der Kampfverhandler ist also kein Kampf mehr, sondern längst ein Krampf. Eine lustlose Umarmung, die nur aus Gründen der Taktik zum Ringergriff erklärt wird. Welche Taktik aber? Die Taktik eines alten, mieselsüchtigen Ehepaars, das sich wechselseitig mit der Drohung erheitert, die Beziehung jederzeit beenden zu können. Porzellan muss dabei nicht mehr zerschmissen werden. Porzellan ist gar keines mehr im Haus. Das Silber ist auch längst verkauft. Im Keller liegen weder Kohlen noch Kartoffeln, denn Keller haben die Miesel keinen mehr. Der Keller gehört den Nachbarn. Die sind keinen Deut besser.
Andrea Maria Dusl

Nebelzeit

Für meine ‚illustrierte Kolumne‘ in den Salzburger Nachrichten Wochenende vom 23.11.2013, Seite VIII.

Wenn die Temperaturen in den Keller fallen und der Nebel sich über das Land legt, werden die Österreicher sentimental. Aber statt daheim den Zimmerkamin zu entfachen, sich aufs Sofa zu legen, gemütlich Nietzsche zu lesen und einer gepflegten Harfensonate zu lauschen, sich also einzustimmen auf das Kommen des Winters, drängen die Österreicher ins Freie. Sie fürchten die Freiheit, aber sie lieben das Freie. Der Österreicher und die Österreicherin. Aber nicht gemeinsam. Der Österreicher geht zum Glühweinstand. Die Österreicherin auch. Zu einem anderen. Gleich nach der Arbeit. Statt der Arbeit. Es mag Menschen geben, die kein Dach über dem Kopf haben. Nicht so der Glühwein.

Der Glühwein hat immer ein Dach über dem Kopf. So stehen also Österreicherin und Österreicher beim Glühweinstand, jeder bei einem anderen und trinken sich den Herbst schön. Den Herbst und die Probleme, die Sorgen und die Angst. Wenn der Glühwein durch die Kehle rinnt, seine Süße das Herz aufweicht und der Alkohol die Zunge lockert, beginnt das große Vergessen.

Am Glühweinstand steht der Österreicher zwar nicht gemeinsam, aber nicht allein. Stets sind Mitleidende da, die an derselben Krankheit laborieren. Am Schmerz der Zeit. An der Regierung. An der Firma. An der Gattin und am Gatten. Am Dasein. Elend wäre das, gäbe es das Vergessen nicht, das im Glühwein sitzt und in die Tiefe will. Dorthin, wo das Gehirn sitzt. Zwischen den Beinen. Das Gehirn in der Tiefe drängt zum nächsten Glühweinstand, weit ist er nicht weg, gleich Giebel an Giebel, dort wo so laut gelacht wird. Wo gelacht wird, hat das Vergessen schon eingesetzt und die Gatter der Lustigkeit geöffnet. Wo die Lustigkeit spaziert, ist die Lust nicht weit. Nach Hause ist es nicht weit. Man könnte ja jetzt geschwind. Obwohl: Der nächste Glühweinstand gehört auch noch ausprobiert . Wie ja überhaupt ein Glühwein nie wie der andere schmeckt. Der Nebel kriecht jetzt in den Österreicher und ein paar Giebel weiter auch in die Österreicherin, legt sich über beider inneres Land. Angst hat jetzt keiner mehr, auch keine Sorgen mehr. Einen Glühwein noch, dann geht’s nach Hause. Die Harfe spielt schon. Die innere. Ihre ist lauter.

Das Loch

Für meine ‚illustrierte Kolumne‘ in den Salzburger Nachrichten Wochenende vom 16.11.2013, Seite VII.

Es ist jetzt doch nicht so groß wie ursprünglich befürchtet. Das Loch. Das Budgetloch. Der grantige Michl, der Buagamasta von Wien, schwang sich überhaupt zur Diagnose auf, so etwas wie ein Loch existiere nicht. Es gebe von den Prognosen her eine Vorausschau, dass Ausgaben und Einnahmen auseinanderliefen. Mehr nicht. Aha. Kein Loch also, sondern ein Problem des Laufens. Des Auseinanderlaufens. Ein Problem der Bewegung, ein Verkehrsproblem. Kurt Tucholsky hatte einst die Definition der Angelegenheit geliefert, demnach ein Loch da sei, wo etwas nicht sei. Das hilft uns insofern nicht weiter, als ein Loch, so gedacht, auch da ist, wo keines ist. Das hat der Bürgermeister gemeint! Und er war nicht allein mit der Entlochung des Lochs. Kaum hatten die einen Experten das Loch ausgerufen, traten andere auf den Plan, die das Loch schrumpften. Zusätzliche Verwirrung stiftete die Berechnungsmethode der Lochgröße. Nahm man den Blick auf die nächsten fünf Jahre, wuchs das Loch. Betrachtete man einen kleineren Zeitraum, wurde es kleiner. Das Tagesloch ist, richtig berechnet, kaum der Rede wert. Hand aufs Herz! Das Loch ist nichts Schlechtes! Ohne Loch im Gesicht, wir nennen es Mund, könnten wir weder atmen noch essen noch über Löcher sprechen. Ohne zwei andere Löcher im Gesicht könnten wir ein Loch auch nicht sehen. Löcher sind in uns und das ist gut so. Löcher sind im Nudelsieb, gewiss kein schlechtes Ding, auf dem Golfplatz, in der Flöte. Ein großes Loch gar ist in der Konzertgitarre! Türen sind, topologisch gesehen, Löcher in der Wand, Fenster sowieso. Was täten wir ohne Schlüsselloch? Auch der Kosmos ist voller Löcher. In der Mitte unserer Milchstraße sitzt ein riesiges Schwarzes Loch. Es ist so groß und so massereich, dass es alles ansaugt, was in seine Nähe kommt. Es wird größer, indem es Nichtlöcher verschlingt. Böses Loch, würden wir Nichtahnende jetzt sagen, böse wie das Budgetloch! Keineswegs, antworten die Kosmologen und rechnen uns glaubhaft vor, dass es unsere Galaxis ohne Loch in der Mitte gar nicht gäbe. Ohne Galaxis kein Sonnensystem, ohne Sonnensystem keine Erde, kein Europa, kein Österreich, keine Regierung, kein Budgetloch.

Was uns fehlt

Für meine ‚illustrierte Kolumne‘ in den Salzburger Nachrichten Wochenende vom 9.11.2013, Seite VIII.

Wir sitzen im Bus, stehen im Lift und neben uns quasselt jemand mit Überlautstärke ins Handy. Uninteressantes aus dem Büro, Nerviges aus der Beziehungskiste, Medizinisches aus der Körpersaftregion. Die meisten von uns ertragen solche Grenzüberschreitungen mit stoischer Ruhe aber schwer gemeisterter Friedfertigkeit. Jetzt müsste man einen ‘Handyabsteller’ haben! Ein Gerät, das mit Funksignalen oder anderem unsichtbaren Zauber das gegnerische Handy einfach abdreht. Gibt es. Den Handyabsteller. Leider ist sein Betrieb illegal. Wir stehen im Stau, vor der ewig roten Ampel. Wäre jetzt nicht ein Grün-Umschalter die Rettung? Haben Sie nicht schon oft ein Gerät vermisst und insgeheim ausgerufen: “Das müsste man haben!” Den Akku, der nie leer wird? Den verlegten Schlüsselbund, der sich auf Zuruf meldet? Die Rückstelltaste an jedem Gerät! Einen Undo-Knopf an der Waschmaschine, in der eine rote Socke alles rosa gefärbt hat! Oder einen an der Kaffeemaschine, wo gerade alles neben die Tasse gelaufen ist.

Haben sie nicht auch schon oft den falschen Schraubenzieher zur richtigen Schraube gehabt? Mit der Zange den Nagel ins Holz geschlagen? Konservendosen mit der Schere geöffnet und eine Schnur mit einem unscharfen Messer zu kappen versucht? Wären selbstdenkende, universalpassende und dauerscharfe Werkzeuge nicht ein Segen für die Menschheit? Ausgenommen von diesen Überlegungen sind die Kubaner. Wer schon mal auf Fidel Castros Zigarreninsel war, wird bestätigen: Kubaner können alles mit allem reparieren. Da sie nicht alles haben, sondern nur weniges, und nicht wenige Probleme haben, sondern alle, ist ihre Fähigkeit des Zangelns mit erfundenen Werkzeugen schlicht pänomenal. Gut, wer ist schon Kubaner! Wir beschränken uns also auf die Welt der Wünsche. Das ist kubanisch genug.

Manche von uns haben ganz andere Sorgen. Ihnen fehlt Fundamentales. Geld, um zu heizen, Versicherungsschutz für neue Zähne, oder schlicht: Ein Dach über dem Kopf. Eine Generalhilfe wäre doch was, ein Menschenaufrichtewerkzeug! Gibt es. Wir müssen es nur anwenden. Es heisst Solidarität.

Die Untoten und ihre Laternen

Für meine ‚illustrierte Kolumne‘ in den Salzburger Nachrichten Wochenende vom 2.11.2013, Seite VIII.

Für westösterreichische Ohren hat die korrekte englische Aussprache des herbstlichen Festes eine seltsame Zusatzbedeutung. Halloween, Hellowien klingt wie ein Gruß an den Wasserkopf an der Donau. Damit hat der amerikanische Verkleidungsfeiertag nun aber auch gar nichts zu tun. Halloween, eigentlich All Hallows’ Eve, ist der Abend vor All Hallows, Allerheiligen, und kommt eigentlich aus dem vorchristlichen, heidnisch-keltischen Irland. Gefeiert wurde das Sommerende und der Einzug des Viehs in die Ställe.

Halloween ist also eine Kombination aus Erntedank und Almabtrieb. Wären da nicht auch die Toten und das Gedenken an sie, wie es hierzulande ja ebenfalls zu Allerheiligen/Allerseelen stattfindet. Auch in Halloween ist die uralte heidnische Angst konserviert, dass mit Beginn der kühlen Jahreszeit und dem Rückzug der Menschen in die geheizten Stuben die Toten aus ihren Gräbern steigen, nach Hause kommen und dort Unfug und Schabernack treiben. Zombie-Alarm also! Zauber ist am besten mit Gegenzauber zu begegnen, weswegen sich die Menschen als Geister verkleideten und an die Häuser klopften, um Einlass und Wiederaufnahme zu begehren. Statt die Untoten reinzulassen, wurden diese mit Essen abgespeist und wieder zurückgeschickt. „Trick or treat“, „List oder Leckeres“ heißt das heute. Wer keine Süßigkeiten spendet, dem wird übel mitgespielt. Der Brauch, Kürbisse aufzustellen, stammt ebenfalls aus Irland. Durch List hatte der Bösewicht Jack Oldfield dem Teufel das Versprechen abgerungen, ihn für immer ihn Ruhe zu lassen. Bei seinem Tod war ihm der Himmel versperrt, kraft seines Pakts mit dem Teufel aber auch die Hölle. Fortan blieb Jack untot. Aus Mitleid schenkte der Teufel ihm eine Rübe und eine glühende Kohle. Mit dieser billigen Laterne konnte Jack durch das Dunkel wandern. Irische Amerikaner machten aus der Rübe einen Kürbis. Aus Amerika büxte Halloween spät, aber nachhaltig aus. Film und Fernsehen hatten den Boden dafür bereitet. Dass der Beginn der neuen Gesetzgebungsperiode auf Halloween fällt, ist indes Zufall. „List oder Leckeres“ spielt es im österreichischen Parlament schon lang.

Untote wandern dort auch seit jeher herum.

Nationalheilgtümer

Für meine ‚illustrierte Kolumne‘ in den Salzburger Nachrichten Wochenende vom 25.10.2013, Seite VIII.

Am Anfang war die Urkunde. In einem lateinischen Pergament, an einem nebeligen 1. November 996 im schwäbischen Bruchsal verfasst, taucht das erste Mal ein seltsamer Name auf: Ostarrichi. In Österreichs wichtigstem Dokument, einer Schenkungsurkunde Kaiser Ottos III. an den Freisinger Bischof, wird festgehalten, diese betreffe 30 Hufen (Bauernhöfe) in einem Landstrich, der „in der Sprache der Einheimischen Ostarrichi“ heiße. Die Urkunde wird im Bayerischen Hauptstaatsarchiv aufbewahrt. Nicht in der Schatzkammer in Wien, nicht in der Nationalbibliothek, nicht im Staatsarchiv. Der Taufschein von Schnitzelland wird in München aufbewahrt.

Ausgerechnet. Dabei ist in dem alten Schriftstück gar nicht von einem Öster-Reich, einem Reich im Osten, die Rede, denn in keinem bekannten Dialekt hieß oder heißt der Osten „Oster“ geschweige denn „Öster“. Wie denn auch. In Ostarrichi sprach man gar nicht Deutsch. Die Bauern des 10. Jahrhunderts sprachen eine frühe Form des heutigen Slowenisch. Mit Ostriki bezeichneten sie „die Leute beim steilen Berg“. Der „steile Berg“ (ostra gora) ist nach slawistikprofessoraler Lehrmeinung die steil bergauf führende Umgehungsstraße des Strudengaus.

Macht nichts, dachten sich die Steilberger, wählen wir uns andere Nationalheiligtümer als den knitternden Wisch. Schönbrunn, Schönsalzburg, den Schöngroßglockner! Auch große Söhne wurden im Land der Hämmer zukunftsreich. Der Wolferl (aus der Getreidegasse), der Kaiser Franz Josef (aus dem Hause Habsburg), der Kaiser Franz (aus dem Hause Klammer). Auch ein Jubeltag musste her! Als Nationalfeiertag firmiert hierzulande nicht der Jahrestag der Ausrufung der Republik (12. November), die Wiederkehr des Tages der Unterzeichnung des Staatsvertrags (15. Mai) oder die Erinnerung an die Ausreise des letzten russischen Besatzungssoldaten (19. September), sondern der Tag, an dem die immerwährende Neutralität in die Verfassung geschrieben wurde. Der 26. Oktober wird mit Fitmärschen und Massenangelobungen begangen. Auf dem Heldenplatz sind Turngeräte aufgestellt. Heldenkopter und Heldenpanzer. Zum Angreifen gibt es Sportler. Zum Essen Gulasch aus der Kanone.

Erntedank

Für meine ‚illustrierte Kolumne‘ in den Salzburger Nachrichten Wochenende vom 19.10.2013, Seite X.

Diesmal war es nicht ganz einfach. Mit der Ernte. Und mit dem Dank. Denn diesmal hat des Wetters Unbill zugeschlagen. Mit grausamer Keule. Rücksichtslos und nachhaltig. Und wiederholt. Erst gab es sibirisches Klirren bis in den Mai, dann ein Jahrhunderthochwasser. Kaum waren die Fluten Richtung Osten abgeflossen, schlug der Sommer zu. Mit saharischer Hitze und gewitterloser Trockenheit. Seit Schulbeginn haben wir NNN. Nebel, Nässe, November. Österreichs Erntedankfeste, üblicherweise Prozessionen der Üppigkeit, glichen Trauermärschen. Mussten andernjahrs die Hänger des ganzen Dorfes beladen werden, reichte diesmal ein Leiterwagerl. Für die zwei kleinen Kürbisse, die halbe Garbe Korn und das Gurkerl. Auch auf politischem Parkett, traditionell herrschen hier Sprache und Sitten aus der Landwirtschaft, wurde Ernte eingefahren. Und auch hier war das Ergebnis traurig. Kein Wunder, es wurde an Urnen abgestimmt. Bitter liegen geblieben waren die orangen Früchte – viele waren es, seit die Sonne vom Himmel gefallen war, ohnedies nicht mehr gewesen. Grünes, bei den Städtern seit jeher beliebter als auf dem Land, schaffte es zwar in die Scheunen, die Schnitter beklagten aber Verluste durch Schafe und Affen. Weit unter den Erwartungen blieb auch die Ernte von Onkel Fränk aus Kanada. Kritiker bemängeln, hier wurden zu viele Flaschen zugekauft. Alten Wein panschten erwartungsgemäß die Nächstenlieblinge der sozialen Heimatpartie, noch älteren wollen jetzt Schwarze und Rote in die Fässer füllen. Der Heurige ist diesmal giftrosa und heißt Neos. Prost. Ein Jammer, das Erntejahr 2013, gäbe es nicht auch Erfreuliches zu berichten. Hermann Maier hat an die Zukunft gedacht und Zwillingstöchter ausbrüten lassen. Lieselotte und Valentina Schneller (guter Name übrigens!) werden spätestens 2027 Goldmedaillen einbringen. Die Fußballnationalmannschaft der Herren hat den Hafer nicht geschnitten und den anstrengenden Traum vom Rasentanz in Brasilien eingeackert. Manchmal müssen Opfer gebracht werden.

Wir wollen dankbar sein.