Beste Berufe

Fernsehhistorisch alerten Österreichern und Österreicherinnen aus der Boomer-Generation (vorsicht Pensionsantritt!) ist das heitere Beruferaten „Was bin ich?“ von Fernsehonkel Robert Lembke noch in bester Erinnerung. Obzwar sie auf identischen Vorbildern aus der US-amerikanischen Fernsehlandschaft fußte, wurde sie als genuin deutsch, wegen des bairischen Dialekts des Moderators gar als österreichisch, jedenfall aber als heimatlich-heimisch wahrgenommen.

Das Show-Konzept war in bestechende Einfachheit geworfen, ein Studiogast mit seltenem Beruf (Rauchfangkehrerin, Zahnradbahnchauffeur, Wildbienenimker) wurde von einem redegewandten (sprich: g’feanzten) Viererteam zu Umständen der jeweiligen Profession befragt, wobei die Fragen so gestellt werden mussten, dass sie eindeutig mit Ja oder Nein beantwortbar waren. Für jedes Nein (insgesamt zehn davon waren möglich) bekam der Studiogast ein Fünfmarkstück in ein Sparschweinderl, ging also im beruflichen Unerratbarkeitsfall mit 50 Mark Salär (und lokaler Fernseh-Berühmtheit) nach Hause. Im Finale jeder Sendung musste eine anwesende Person von Prominenz (Vico Torriani, Inge Meysel, Rosi Mittermaier) erraten werden, dem Konzept folgend nur stumm lächelnd. In diesem eben so schwierigen wie nervenzerrüttenden Finale trug das Rateteam Augenmasken. Rate-Neins wurden statt Geld mit roten Rosen quittiert.

Robert Lembke war zur Glanzzeit seines Wirkens weltberühmt in Österreichisch. Die vorgestellten seltenen Berufe haben Millionen junger Menschen dazu animiert, weniger seltene Berufe zu ergreifen: Automechaniker, Friseurin und Einzelhandelsverkaufsperson.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 3. Februar 2024.

Generation G wie Genderdebatte

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 5/2024 vom 31. Jänner 2023

Liebe Frau Andrea,
falls Sie über dieses Thema schon geschrieben haben, bitte ich Sie um Entschuldigung, aber: Mir geht es um die Rückkehr zu einer schnelleren Sprachart, welche existierte, bevor, der Gendergerechtigkeit wegen, viele Substantiva wiederholt werden mussten. Ich habe gelesen, dass Ihr Falterkollege, Herr Phettberg, eine verallgemeinernde Endung, -y bzw. -ys, manchmal verwendet: “die Ärztys” anstatt “die Ärztinnen und die Ärzte”, oder “ein Lesy” anstatt “ein Leser oder eine Leserin”. Ich mag diese Kürze, aber eine traditioneller klingende Endung wäre vielleicht besser. Was würden Sie gern sagen in solchen Fällen, um alle möglichen Geschlechter in einem klar verständlichen Wort zu inkludieren? Gibt’s ein hilfreiches Beispiel aus früheren Zeiten, die wir alle mühelos aussprechen könnten?
Schöne Grüße
Steven Flitton, Wien Alsergrund, per Email

Lieber Steven,

sämtliche Entschuldigungsansuchen werden zurückgewiesen, weil erstens keine Schuld erwachsen ist und zweitens keine je erlassen werden könnte, jedenfalls nicht kolumnistisch. Was die hier schon behandelten Fälle ähnlicher Art betreffen, kann das Diktum in Stellung gebracht werden, nach dem Journalismus Wiederholung sei. In der Sache selbst gibt es weniger Klarheit. Sprache und in besonderem Maße jene des Alltags ist den Diktaten der Nützlichkeit, Verständlichkeit und Genauigkeit unterworfen. Sie ist eingebettet in persönliche und gesellschaftliche Befindlichkeiten, dem, was Transzendental-Aphoristiker als „Zeitgeist“, Feinhörige als „Stimmung in der Bevölkerung“ bezeichnen. Der Heimatforscher Udo Landbauer und der Zirkusdirektor Karl Nehammer sind dem Ruf nach alten Mustern insoferne gefolgt, als sie die Verwendung des Binnen-I, des Asterisk und des Glottisschlags (der Gender-Pause) behördlich verbieten (Niederösterreich) und verbieten wollen (Ganzösterreich). Diese Diskussion schlägt Wellen, wenn auch keine von der Größe eines Tsunamis. Der genderneutrale Vorschlag von Kollegy Hermes Phettberg findet meine künstlerische und poetische Zustimmung, wiewohl ich verstehe, dass er sich noch in einer Minderheitenpostion befindet.


comandantina.com
dusl@falter.at
@comandantina.bsky.social

Der Bücha schlechter Leumund

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 4/2024 vom 24. Jänner 2023

Liebe Frau Andrea,
wenn meine Mutter wütend auf Leute ist, die mir trickreich Geld abgeknöpft haben, nennt sie diese „Bücher“. Woher kommt die Bezeichnung für eine·n oder mehrere Gauner·innen, wo doch der (häufig gewinnbringende) Lesestoff ganz offensichtlich nicht der Ursprung sein kann? Oder etwa doch?
Es danken/zanken,
Steffi Kitzberger und Chri Scherrer, per Email

Liebe Steffi, lieber Chri,

das gefragte Wort ist tiefstes Wienerisch, wir haben es im Ohr als Bücha, Pücha. Das Buch, egal welchen Inhalts, bezeichnet das Wienerische als Biachl oder Buach. Unser Begriff kann also nicht vom gebundenen Leseexemplar kommen. Mit Bücha, Pücha, Pülcher wird in Wien der Gauner, der Strizzi, der kleine oder große Verbrecher bezeichnet. Deren Idiom, die Pülcher-Sprache lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen, seit Jahrhunderten erforschen Sprachlüsterne und Kriminalisten ihre Begrifflichkeiten und Etymologien, erstellen Lexika und ergehen sich in kriminalsoziologisch-anthropologischer Grundlagenforschung. Diesem Interesse ist es zu verdanken, dass wir die Herkunft des Wortes Pülcher kennen, es ist der Pilger, der Wallfahrende, der als gottgefälliger Reisender Unterkunft und Verpflegung erbettelte. Nicht immer zum Wohlgefallen der Angeschnorrten. Aus dem edlen Pilger wurde in der Welthauptstadt der Durchreise also bald der Pülcher, der unangenehme, der Vagabondage und der dunklen Geschäfte bezichtigte Dahergelaufene.

Pilger, althochdeutsch piligrim, mittelhochdeutsch bilgerim ist eine Entlehnung aus spatlateinisch pelegrinus, dissimiliert aus lateinisch peregrinus (fremd, auslän-disch). Es kommt vom lateinischen Adverb peregrē (aus, in der, in die Fremde), all das, was über (per) den eigenen Acker (ager), das eigene Siedlungsgebiet, speziell den ager Romanus, also über Rom hinausgeht. Man versucht, die Änderung von peregrin zu pilgerim auf den Einfluß des althochdeutschen Mannernamens Piligrim zurückzu-führen, eine Kombinaton aus „billi“ (Streit-axt, Schwert) und „grim“ (Wut, Zorn, wie in Ingrimm und Grimasse). Aus dem wallfahrenden „Uberackerer“ ist der streitlustige Wüterich geworden, wienerisch der übel beleumundete Pülcher, Pücha, Bücha.

comandantina.com
dusl@falter.at
@comandantina.bsky.social

Weiß in Österreich

Entfernt man aus der Österreichischen Fahne das gefährliche Rot (Achtung Sozialdemokratie! Vorsicht Kommunismus!), bleibt ein blütenweißer Streifen. Ein Farbton, auf den sich alle einigen können, durch Kochwaschgänge und Bleichmittel jederzeit erneuerbar. Die Couleur tritt uns als jene der politisch Weißen Weste entgegen und ohne jede Konkurrenz als nationale Unterwäschefarbe. Im Tourismus geht nichts ohne weiße Pisten und die blendende Schönheit frischbezogener Hotelbetten.

Auch Neutralität und Friedensnähe wird gerne mit der Farbe Weiß verbunden, in österreichisches Tun gefallen war sie jahrzehntelang die Leitkolorierung eines erleuchteten Orginals. Ludwig „Wickerl“ Weinberger, Schildermaler in Rente, erarbeitete sich als Friedensapostel internationalem Ruhm. Tagaus, tagein spazierte er Ende des vergangenen Jahrhunderts durch die Touristengruppen der Wiener Fußgängerzone, in den ausgestreckten Armen eine Friedensfahne mit dem Spruch Waluliso (für Wasser-Luft-Licht-Sonne) und einen Apfel haltend. Sandalen und eine blütenweiße Tunika waren dem Olivenzweigbekränzten sommers wie winters die einzige Bekleidung. Waluliso verließ Wien aber auch gerne und wurde so international bekannt. Er fuhr zu Gipfeltreffen nach Genf und Reykjavík, kletterte nach dem Fall der Berliner Mauer auf das eingerissene Bollwerk, und schüttelte die Hände von Weltpolitikern. Die schüttelten die Köpfe.

Ein anderer Nationalheld wurde mit eindeutig zweideutigen Texten weltberühmt. In seinem hedonistisch-verrätselten Weltschlager „Der Kommissar“ besang Hans Hölzel vulgo Falco die hellste der österreichischen Farben: „… sie war jung, das Herz so rein und weiß, und jede Nacht hat ihren Preis, (…) den Schnee auf dem wir alle talwärts fahr’n, kennt heute jedes Kind.“

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 20. Jänner 2024.

Wie gut ist Lepschi?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 3/2024 vom 17. Jänner 2023

Liebe Frau Andrea,
neulich steh’n um 6h früh zwei Müllmänner, also die in Orange, vor meinem Schlafzimmerfenster und unterhalten sich. Der eine, offensichtlich etwas aufgebracht, beschwert sich über seine Frau: „… und die ganze Hausarbeit muss ich alleine machen, und das Kind versorgen noch dazu. Und was macht sie? Sie geht nach ihrer Arbeit am Abend auf Lepschi.“
Muss nun sagen, mein Mitleid hält sich in Grenzen, aber danach hab ich mir lange Gedanken gemacht, was das Wort eigentlich bedeutet, weil das hat schon meine Oma dauernd zu mir gesagt: „gehst schon wieder auf Lepschi?“. Nun sagt das Internet, es kommt, wie so viele Worte aus Tschechien und bedeutet weggehen.
Ich würde aber gerne noch ein bisschen mehr wissen. Vor allem, warum hat es so einen negativen Beigeschmack, fast schon verrucht?

Danke und liebe Grüße,
Sabine Lasar, Alsergrund, per Email

Liebe Sabine,

zur Konversation der beiden Herrn vom Orangen Ballet der MA 48 (wie die Mistkübler inzwischen liebevoll genannt werden) kann ich nur sprachlich beitragen, Gründe und Hintergründe der ehelichen Verstimmung müssen andere Instanzen klären. Das von Ihnen befragte Internet geht insoferne fehl, als es nur die halbe Wahrheit berichtet. Tatsächlich kommt unser Lepschi aus dem Tschechischen, dort ist lepší (besser) der Komparativ zu dobrý (gut). Die Steigerung von lepschi wäre übrigens nejlepší (am besten). Die Gattin des Betroffenen könnte die Krise also noch vergrößern.

Das Wienerische hat lange Zeit die tschechischen Wurzeln des Ausdrucks bewahrt, und den Fremdgang oder die sonstige Fortgeh-Belustigung als „na Lepschi geh’n“ bezeichnet. „Auf Lepschi geh’n“ ist inzwischen die gebräuchliche Form. Noch zur Jahrhundertwende war Lepschi auch ein Schmähname für einen trägen Burschen, sehr ähnlich lautend wie der Leschak, der Faulenzer und Lümmel, in dem sich tschechisch lesák (Waldbewohner) und ležák (Lagerbier) vermischten.

Das Gegenwort zu lepschi kennen wir auch: Horší (schlechter, oasch) – zu špatný (schlecht) und nejhorší (am schlechtesten). Mistkübler hergehört!


comandantina.com
dusl@falter.at
@comandantina.bsky.social
Newsletter abonnieren:
https://tinyletter.com/Comandantina

Das Wesen der Tschesn

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 1.2/2024 vom 10. Jänner 2024

Liebe Frau Andrea,
meine Wurzeln liegen im Waldviertel. Dort bezeichnet man alte, aber dennoch fahrtüchtige Autos entweder als „Graxn“ oder auch als „Tschesn“. Gerade die Herkunft und Entstehung des Wortes „Tschesn“ ist mir ein Rätsel. Ich bitte Sie, könnten Sie in diese Sache vielleicht etwas Licht hineinbringen?
Vielen Dank und freundliche Grüße
Markus Rauscher-Riedl, Waldviertel, per Email

Lieber Markus,

schalten wir die Untersuchungslampe an und sehen uns die erwähnten Wörter an. Die Graxn, Kraxn, mittelhochdeutsch Krechse, Krächse, bezeichnet ursprünglich ein hölzernes, am Rücken getragenes Gestell, mit dem allerlei Sperriges, wie Kisten, Packen, Körbe, Butten, oder auch Brennholz oder Reisig transportiert wurden. Die Slawistiker, in Fragen österreichischer Dialektformen immer bemüht, Erkenntnis beizusteuern, wollen es aus einem, in allen slawischen Sprachen zirkulierenden, in etwa krosno, kroschno lautenden Wort entlehnt wissen, das wohl urprünglich alles bezeichnete, was zu einem Gestell zusammengebaut war, Rückentragen, Webstühle und ähnliches.

Unsere Dialekte haben aus der Kraxn das Kraxln geformt, das Bergaufsteigen mit einer Last am Rücken, dazu das buckelkraxn Getragenwerden, und die, an die Trageriemen der Kraxn erinnernden Hosenträger der alpinen Lederhose, in anderer Bedeutung die eckige, krakelige Unterschrift, und schließlich das klapprige Wagerl, im heutigen Verständnis ein dringend reparaturbedürftiges altes Auto.

Anders die Etymologie der Tschesn. Sie kommt von der französischen Chaise de poste, einem 1664 von einem Sieur de la Gruyère erfundenen, zweirädigen, zweisitzigen, an eine Sänfte erinnernden Postkutschengefährt. Chaise, verwandt mit chair und lateinisch cathedra, ist bekannterweise der Stuhl, manchen noch als elongiertes Lehnmöbel Chaiselongue bekannt.

Dass die Wörter im traditionellen patriarchalen Rollenverständnis auch verwendet wurden, um ältere Frauen zu beleidigen, will aus feministischer Perspektive bedauert und dem Mistkübel der historischen Blödheiten überantwortet werden.


comandantina.com
dusl@falter.at
@comandantina.bsky.social
Newsletter abonnieren:
https://tinyletter.com/Comandantina

Sternsinger

Alle kennen die drei Herren, sie knien andächtig und würdevoll in jeder Krippe, und wenn sie nicht knien, dann nur deshalb, weil sie die dicken Aristomäntel (und das edle Alter) daran hindern. Schon in der Bezeichnung der Weitgereisten gibt es Diskrepanz, die Italiener nennen sie Santi Magi d’Oriente (Heilige Magier des Orients), die Franzosen und Spanier Reyes Magos und Rois mages (Magier-Könige) und die Anglosachsen schlicht Three Wise Men (Drei Weise Männer). Hierzulande sind die Gabenbringer als die Heiligen Drei Könige bekannt, wiewohl die Bibel (Matthäus 2) im griechischen Ausgangstext nur von Magoi, Magiern spricht. Die Erstbesucher des Weihnachtswunders sind hier weder heilig noch Könige, und auch ihre Anzahl oder Hautfarbe wird nicht erwähnt. Der Mitbringsel sind jedenfalls drei, und ab dem 6. Jahrundert kennen wir auch die Namen der Bethlehem-Besucher: Caspar, Melchior und Balthasar. Dem Dreifachbeschenkten haben sie Gold (weil König) mitgebracht, Weihrauch (weil Gott), Myrrhe (weil Mensch). Zu ihrem heimtückischen Entsender Herodes kehren die Morgenländer nicht zurück, wurde ihnen doch im Traum davon abgeraten, den Geburtsort Jesu bekanntzugeben.

Mit etwas geschichtlicher Phantasie wurden die drei Weisen wegen ihrer Bezeichnung Magoi als persische oder chaldäische Zauberer und Sterndeuter identifiziert, wahrsagende zoroastrische Priester. Heute würden sie wegen ihrer esoterisch-spirituellen Gesamtneigung liebevoll als Schwurbler firmieren.

Die Knochen der Heiligen Drei Reisenden liegen jedenfalls mit anderen Reliquienpartikeln im Dreikönigenschrein im Kölner Dom. Ob es ihre eigenen sind, wird sich bis auf weiteres nicht klären lassen.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 5. Jänner 2024.

Silvester

Der Wechsel vom alten ins neue Jahr ist nur selten ein abrupter. Die wenigsten haben je einen Übergang erlebt, der einer tatsächlichen Zäsur gleichgekommen wäre. Ganz im Gegenteil, das Neue Jahr beginnt verlässlich, wie das alte endet, nur das Datum ändert sich, und mit ihm ein Fremdeln bezüglich der neuen Ziffernkombination. Noch tagelang werden wir uns beim Notieren der Kalender-Chiffre irren und die alte hinschreiben. Macht der Gewohnheit.

Um Punkt Mitternacht springt jedenfalls die Jahreszahl, und seit es Handys gibt, lässt sich das sogar in Echtzeit verfolgen. Aber auch diese Erfahrung ist trügerisch. Im antipodischen Neuseeland sind die Leute schon seit Mittag im neuen Jahr unterwegs, dann folgt Australien, Japan, China – im Stundentakt schmeißen uns die Medien neue Jahresübergänge, mit allelei Raketengeschieße, fernöstlichem Jahresendgebimmel und spektakulären Großfeuerwerken in die Timeline. Dazwischen gewiss auch Beschauliches, Einsameres aus dünkleren Gegenden.

Hartgesottene haben das deutsche Fernsehen mit seiner krachenden Lustigkeit laufen. Traditionalisten feiern im Schnee (wo einer liegt), mit Freundinnen und Freunden, im Schoß der Familie oder, weil sie schlicht arbeiten müssen, mit Ausgelassenen, die abgefüllt werden wollen. Die späteste Stunde des Jahres ist also auch eine sehr unterschiedlich erfahrene.

Die Autorin dieser Zeilen hat Silvester auch schon anders erlebt. Fern jeder Festlaune etwa, auf der Intensivstation oder geographisch entrückt, im Taxi auf einer Brücke über den Nil. Nicht die schlechtesten indes waren die Jahreswechsel zuhause, im trauten Heim, selbst wenn ihre Bedingungen waren: Glück allein.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 29. Dezember 2023.

Stille Nacht im Hohen Haus

Es wird ganz still sein und dunkel, fast heilig, abends am 24. Dezember. Draussen vor der Parlamentsrampe, unter der goldenen Statue der Pallas Athene werden ein paar verirrte Schneeflocken tanzen (Beschneiungsanlagen gibt es keine in Wien) und vielleicht ein paar einsame Touristen auf weihnachtlichem Hauptstadt-Trip.

Drinnen im Plenarsaal wird gespenstische Ruhe eingekehrt sein, marginal unterbrochen von den Kontrollgängen der Sicherheitsbeauftragten, die auch an Heiligen Festen dienstlich-wachhabend an das Haus gebunden sind. Aber niemand wird die Glocke läuten, die an anderen Tagen zum akustischen Programm des Ortes gehört, niemand wird eine flammende, rauchende, oder auch nur lähmend glimmende Rede halten, kein Zwischenruf wird stören, kein Applaus aufbranden, und auch von der Galerie wird niemand Unmut in die Tiefe schmettern. Es wird still sein hier wie selten.

Krippenzeit in Österreich. Maria und Josef, Ochs und Esel, stehen verträumt um eine Futter-Krippe, in der ein frischgeborenes Jesukindlein liegt, gebettet auf Stroh. Seine Eltern, das vergessen wir gerne, sind Flüchtlinge ohne feste Unterkunft, ins Prekariat gestossen von schlechter Gesetzgebung. Bedenken wir das, wenn wir uns der Einkehr hingeben. Der nun stillste Ort des Landes, das Hohe Haus, sollte, wenn er wieder laut ist und lärmen, jener sein, an dem gute Gesetze gefasst werden. Niemand soll sein Kind in Armut und Kälte in die Welt setzen müssen. Auch wenn Ochs und Esel das anders sehen.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 22. Dezember 2023.

Comandantinas Weihnachts-Wünsche 2023

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 51.52/2023 vom 20. Dezember 2023

Liebe Fragende! Liebe Antwortsuchende!

Das Wetter war sus, die Leute cringe, die Punsche schal. Innenpolitisch dominierte Blödestes, weltlagemäßig Bösestes. Idole wurden zur Kenntlichkeit entstellt, Held·innen taumelten, nur die Schlimmwichte surften im Oberwasser.

Weihnachtlich wähnten sich Wandernde wie Weilende, Wappler wie Wissende. Die Wohnungen blieben warm, wenn auch nur für Wohlhabende. Wird es wonniglicher? Wohlan! Unser Wandelstern willkürt seinen Wechselschwung am Wendepunkt des Winterwegs. Ab morgen werden die Tage wieder länger. Das Licht kommt zurück! Die Zirbeldrüse jubiliert und stellt sich auf das ferne Kommen des Frühlings ein. Zeit für Tradition.

Seit nunmehr 22 Jahren beantwortet die Comandantina Fragen an dieser Stelle. Bis auf die Nummer am Ende des Jahres, da fordert sie Unerhörtes. Auch diesmal ergeht die Liste mit den Wünschen an ein Institut von bestem Ruf: Das Salzamt! In seinen Gängen duftet es nach Creeds Millésime Impérial, nach den süßen Schwaden frischoxiderter Partagas, nach Weihrauch, Myrrhe, und den goldenen Äthern in Dalwhinnies Highland Single Malt. Unsere Freunde von der Wunscherfüllung tagen in Eintracht: Angesäuselt die gekrönte Teenagerin im Engelskleid: Das Christkind! Ihr zur Seite der gemütliche Boomer im roten Wams, Joulupukki, Sinterklaas, der Weihnachtsmann! In knisternder Hochlaune der elegante Herr in Possanners double breasted blue pinstripe suit. Genagelt sind seine Double Monkstraps, eau-de-toilette-betäubt seine Schläfen, handgemachtes Konfetti staubt von seinen Epauletten. Es ist der Cavaliere Corrado di Molinalibera, Kennern dieser Kolumne als die Jahresendperson bekannt.

Liebes Christkind, lieber Weihnachtsmann, Carissimo signore di fine anno! Dies wünsche ich mir zum Lichterfest:

1. Die Wiedereinführung der Zukunft, 2. Die Wiederkehr der Visionen. 3. Die Solidarität mit Vulnerablen. 4. Die Umverteilung von Oben nach Unten, und 5. von Deppert nach Gscheit. 6. Die Trennung von Kirche und Staat, Religion und Individuum. 7. Die Trennung von Staat und Bosheit. 8. Ein Musikgedudelverbot in Gaststätten und Geschäften. 9. Die Einführung von 24-Stunden-Delis nach New Yorker Vorbild. 10. Die Fortführung des „Unendlichen Panoramas‘ in einer Stadtzeitung von Welt.

dusl@falter.at
@comandantina.bsky.social
Newsletter abonnieren:
https://tinyletter.com/Comandantina

Weihnachtswünsche

„Ich kann euch zu Weihnachten nichts geben. Ich kann euch für den Christbaum, wenn ihr überhaupt einen habt, keine Kerzen geben, kein Stück Brot, keine Kohle zum Heizen, kein Glas zum Einschneiden. Wir haben nichts.“ Die Sätze gehören zum österreichischen Erinnerungsschatz, insbesondere zum weihnachtlich-sentimentalen, multipliziert und verewigt vom Erklärbären der Nation, Hugo Portisch. Der da geprochen hatte zu Christbaum und Brot, Kohle und Glas war Leopold Figl, der erste Bundeskanzler der Zweiten Republik. Figls Stimme tönte zu Weihnachten 1945 aus den Radios eines zerbombten und besetzten Landes. „Ich kann euch nur bitten“, appellierte Figl an die Menschen, „glaubt an dieses Österreich!“

Ganz Österreich kennt diese Tonaufnahme. Nur wurde sie nicht in der Stunde Null des Jahres 1945, sondern erst zwanzig Jahre später eingesprochen. Vom da schon schwerkranken Figl, inszeniert von rührigen jungen Kräften aus seinem Umkreis, anlässlich des Porzellan-Jubiläums des Kriegsendes. Warum erst jetzt? Zum Anlaßzeitpunkt waren Radiosendungen noch nicht auf Band aufgenommen worden. Die Original-Rede des Bundeskanzlers an seine hungernden und vom Krieg gezeichneten Landsleute gab es nur in der Erinnerung. Um die Ansprache zu rekonstruieren, hatte man alte Unterlagen durchforstet. Beim Abspielen seines Remakes vor dem Stephansdom soll Figl feuchte Augen bekommen haben. Hunderte von Zuhörern, die von der Neueinspielung keine Ahnung hatten, brachen in Tränen aus. Ohrenzeugen der Original-Ansprache waren sicher, eine historische Aufnahme zu hören.

Die Produktion von Wahrheit hat Tradition in Österreich.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 15. Dezember 2023.

Blackouts beim Vorstellen

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 50/2023 vom 13. Dezember 2023

Liebe Frau Andrea,
ich bin zwar nicht die herzige Mirjam [die 7jährige Fragende der letzten Woche; Anm.], aber habe Blackouts wie Sie, wenn ich zwei Leute einander vorstellen soll. Beide Namen sind dann nämlich futsch! Damit ich erfahre, um wen es sich handelt, habe ich die Formel „Bitte macht euch miteinander bekannt“ entwickelt. Wirkt freilich nur, wenn die Vorzustellenden den eigenen Namen parat haben, was unter Stress nicht immer der Fall ist. Wie zieht man sich dann aus der Affäre?
Ihre treue Leserin
Griselda Matura, Wien Mariahilf, per Email

Liebe Griselda,

als Expertin auf dem Minenfeld des individuellen Spontanvergessens kenne ich die von Ihnen vorgestellte Situation bestens. Sie tritt mit verlässlicher Regelmäßigkeit besonders dann auf, wenn die einander Vorzustellenden größten Wert auf Genauigkeit und Etikette legen. Auch im Vergessen des eigenen Namens oder seiner richtigen Aussprache bin ich bewandert.

Ihre Formel „Bitte macht euch miteinander bekannt“ funktioniert nach eigener Erfahrung nur dann, wenn wir sicher sind, dass die uns Entfallenen mit einander per Du wären. Auch diese wichtige Information kann abkommen. Wie peinlich, ein fälschliches Sie in einer Du-Situation zu verwenden!

Die bürgerliche Gesellschaft hat auf die beschriebenen und weit verbreiteten Unpässlichkeiten schon früh mit der Figur der Salonnière geantwortet, eines stilbewussten Wesens, das nichts besser beherrschte, als die von uns geschilderten Vorgänge. Ihr natürliches Habitat war der Salon, ein privater Ort formalen Aufeinandertreffens, in Oszillation seiner Wichtigkeit mal Stehempfang genannt, mal Soirée, mal „Abend für“, und in der Blüte der Boomerzeit „Party“.

Auf den Spielfeldern der Eleganz, Weltläufigkeit und Intrigenschmiedekunst darf an die Referenzfigur einer Vorstellerin von Welt erinnert werden: Die österreichische Salonnière Pauline Clementine Marie Walburga Fürstin von Metternich-Winneburg zu Beilstein, kurz Pauline von Metternich – in Anspielung auf ihre Klatschlust „Mauline von Petternich“ genannt. Sie und ihre Nachfolgerinnen beherrschten die Kunst einander Unbekannte vorzustellen in blendender Perfektion. Wo sie fehlen, irren wir.

dusl@falter.at
@comandantina.bsky.social
Newsletter abonnieren:
https://tinyletter.com/Comandantina