Das furchtbare Märzenkalb

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 12/2024 vom 20. März 2024

Liebe Frau Andrea,
vor einem halben Jahrhundert war der März im Mostviertel anders als heutzutage noch ein Wintermonat. Trotzdem jagte der Schreiber dieser Zeilen bereits vor Ostern auf kaum ausgeaperten Wiesen dem runden Leder oder Plastik nach. Die Oma warnte die erhitzten und daher leicht gewandeten Fußballer vor Verkühlung und Ärgerem: „Euch wird noch das Miaznkeuwi (März-Kalb) holen!“ Warum interessierte sich das Kalb für uns und wohin wollte es uns bringen?
Danke für späte Aufklärung
Robert Hülmbauer, Mostviertel

Lieber Robert,

aus der Erfahrung erhöhter Erkältungsgefahr im trügerisch sonnigen März und den anekdotischen Evidenzen, dass in diesem Monat viele alte oder chronisch kranke Menschen starben, hat der Volksmund in unseren Breiten eine Warnung vor einem immaginären tiergestaltigen Dämon gemacht. Erkrankte früher jemand im März an einer starken Verkühlung, oder starb, sagte man: „den hots Mirzenkaibl ghoit“ (den hat das Märzenkalb geholt).

Die Warnungen vor dem frischgeborenen und jungen Rind gehen auf vorchristliche, in ganz Europa verbreitete Mythologien zurück, die von der Forschung als Korngeister bezeichnet werden. Auch andere Tiere zogen durch die Felder. Strich etwa der Wind durchs Getreide, hieß es, der Wolf ginge durch. Mit der Erntezeit auf den Kornfeldern verband die bäuerliche Gesellschaft die Vorstellung, ein altes (unsichtbares, weil geistwesenhaftes) Rind verbleibe am Feld und bewache dieses. Mit dem Wiedererstarken der Natur im Frühling trat an dessen Stelle ein junges Rind, das besagte Märzenkalb. Als energetischem, wilden jungen Wesen wurden ihm dämonische Eigenschaften zugesprochen.

In der Gegend von Gaming, das ebenfalls in dem von Ihnen erwähnten niederösterreichischen Mostviertel liegt, erzählte man von den Kindern der Sagengestalt Perscht (Percht), von Gagarauntzl, Thomaszoll, Zudarn, Zadarwaschl, und dem gefährlichen Märzenkalbl. Ähnlich dem Kinderschreck Habergeiß (auf der der Teufel reitet) war das Märzenkalb ein erzieherisches Drohgespenst, das unfolgsame Kinder fraß oder mitnahm.

Mit oder ohne Fußball.


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Österreichs wichtigste Instrumente

Das Land und seine Bevölkerung kann in drei Gruppen eingeteilt werden: Diejenigen, die mit Werkzeugen umgehen können, diejenigen, die Musikinstrumente bedienen können, und schließlich all jene, die weder das eine noch das andere beherrschen. Letztere rühmen sich wenigstens, mit Gabel und Messer speisen zu können. Auch das Autofahren ist ihnen in die Wiege gelegt, zumindest glauben sie dies.

Sehen wir uns die Handwerker an. Sie arbeiten auf Goldenem Boden, wir treffen sie alltäglich in den Baumärkten des Landes, wo sie sich mit Werkzeug und Maschinen eindecken, mit Bau- und Bastelmaterial. Die Regalbetreuer in diesen Etablissements gehören nicht zu dieser Kohorte, immerhin beherrschen sie das Handwerk der Dislokation.

Die manuell Unbegabten im Land der Hämmer sind nicht weniger wichtig als die Begabten, ohne sie gäbe es keine Nachfrage, ohne sie keine tropfenden Wasserhähne, keine leckenden Waschmaschinen und kein ausgefallenes WLAN-Netz. Sie sorgen für Konjunktur und Wachstum, gemeinsam mit den Kolleg·innen vom Handwerk versorgen sie die Unfallchirurgie mit Patienten.

Bleiben die Musiker und Musikerinnen. Sie halten Österreich spirituell am Laufen. In Blasmusikkapellen, Orchestern und allerlei krachmachenden Bands organsiert, tragen sie die Last der Zerstreuung. Sie hängen die Geigen in den Himmel, beschallen die Kirtage und Hochzeiten, sie fetzen, trällern und schnulzen was das Zeug hält. Das Zeug sind in aufsteigender Wichtigkeit: Die Blockflöte, die Wandergitarre, und das gelbe Blech, das uns allen den Marsch bläst.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 16. März 2024.

Wer ist hier der Schwarze?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 11/2024 vom 13. März 2024

Liebe Frau Andrea,
was bedeutet, beziehungsweise woher stammt das „einen Schwarzen geben“? In einem Feldpostbrief schreibt mein Vater, dass er Sehnsucht danach habe, meiner Mutter wieder „einen Schwarzen geben“ zu können. Instinktiv erfasse ich den Sinn dieser Floskel, bin aber irritiert, dass hier die Sexualität im Spiel ist, die in unserem streng katholischen Haushalt nie explizit zur Sprache kam. Mundartwörterbücher konnten keine Auskunft geben. Einzig Theodor Kramer verwendet diese Wendung in einem Gedicht; es gelingt ihm immer Vulgäres mit intimer Zärtlichkeit zu verbinden. 
Danke für die Hilfe!
Christiane Mayer Mixer, Mauerbach

Liebe Christiane,

bei der Lektüre von Korrespondenzen sind wir in die Zeit und die Umstände ihres Entstehens geworfen, mehr noch in die individuelle Sprache und ihre scheinbare Verrätselung. Mit Vorwissen können wir in das Dickicht des Privaten vordringen, vieles aber bleibt ungelöst. Mit dem Hinweis auf den streng katholischen Haushalt deuten Sie bereits mögliche sprachliche Tabus und Maskierungen an. Auch meine Befragung der umfangreichen spezifischen Literatur führt zu keinem verwertbaren Ergebnis. Wir alle kennen die Bedeutung des „Schwarzen“ für alles Verbotene, Illegale, wie „schwarz zu fahren“ (ohne Fahrschein fahren) oder schwarz zu brennen (illegal Schnaps zu produzieren). Der Schwarzmarkt schließlich ist der verbotene, behördlich nicht geregelten Handelsplatz. Vermeintliche rassistische Untertöne dazu werden immer wieder gehört, liegen den erwähnten Beispielen aber meist nicht zu Grunde. 

Dass Ihr Vater Ihrer Mutter „einen Schwarzen“ (also eine Tasse Mokka) kredenzen wollte, können wir fast ausschließen, bliebe die, von Ihnen schon insinuierte, eindeutig sexuelle Bedeutung. „Der Schwarze“ gilt in katholischen Zusammenhängen als Hüllwort für den Teufel, die lautliche Ähnlichkeit zum Penilwort „Schwanz“ liegt ebenfalls vor. In der Perspektive eines Soldaten mag daher das ersehnte ehelichen Beiwohnen durchaus als „teuflisch“, im Sinne von „teuflisch gut“ erscheinen.


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Grünweiße Schlachtgesänge

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 10/2024 vom 6. März 2024

Liebe Frau Andrea,
Medien und Fans werfen Funktionären und Spielern des SK Rapid gerade Homophobie vor, weil sie nach dem gewonnenen Derby gegen die Austria „Wir sind keine oaschwoamen Veilchen“ sangen. Ich hatte den Begriff „oaschwoam“ bisher eher als fad/uninteressant/luschenhaft verstanden. Bezieht er sich wirklich auf die Sexualität?
Danke fürs Herleiten,
Gerfried Wick aus Wien

Lieber Gerfried,

als Nichtteilnehmerin am lokalen Fußballgeschehen kann ich Ihre Frage nur aus der tribünenlosen Entfernung beantworten. Dass ein Fußballstadion kein Mädchenpensionat ist, dürfen wir als bekannt voraussetzen. Die Schlachtgesänge und Transparente der diversen Fangemeinden sind für ihre einfache Lyrik und ihre tabulose Nähe zu rassistischen und chauvinistischen, nicht selten homophoben Inhalten bekannt. 

In meiner Volksschulzeit brachten meine Brüder die eher harmlosen Reime „Rapid Stürmer, kriechen wie die Würmer“ und „Rapid ist super, Austria braucht Milupa“ mit nach Hause. Dem aktuell beanstandeten Begriff „oaschwoam“ wohnt im Wienerischen unzweideutig homophobe Semantik inne, die einhergeht mit den von ihnen berichteten Nebenbedeutungen. Allesamt insultfähige Eigenschaften, die die Fans gerne der gegnerischen Mannschaft zuschreiben. In diesem Fall die der grünweißen Rapid aus Hütteldorf den „Veilchen“ von der violetten Favoritner Austria.

Aber auch die Austrianer können böse singen. Etwa von „Bomben auf Hütteldorf, Shalalalala“ (zur Melodie von Boney M’s Disco-Hit „Brown Girl in the Ring“), oder die Textvariante des Kirchenlieds: „Kommt, sagt es allen Leuten, die Scheiße ist in Hütteldorf zu Haus, kommt, sagt es allen Leuten, die Scheiße ist Grün-Weiß und stinkt nach Fisch!“ Dem kann im Derby von den Rapidlern sexistisch entgegengeworfen werden: „Oh Austrianer, Hurensöhne aus Wien 10, eure Mütter haben wir ge****t die ganze Nacht, sie stöhnten schon beim Anblick unsrer grünen Farbenpracht“.

Wir empfehlen zur Abkühlung Schlichtes: „Auf der Donau schwimmt ein Fußball, und der Fußball schwimmt ins Meer, und der Fußball der geht unter, und die Austria hinterher, valeri, valera …“


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Frühlingsdüfte

Was dürfen wir zu den eindeutigen Gerüchen des Frühlings zählen? Die Experten (also alle Österreicherinnen und Österreicher) sind sich nicht ganz einig. Manche erkennen im Fehlen von Schneeluft erste Boten des kommenden Lenz. Dem widersprechen die Wintersportler. Solange es oben am Berg nach dem Schmieröl der Lift-Motoren riecht und die würzige Hüttenluft nach Zielwasser und dampfenden Anoraks, kann von Frühling keine Rede sein. Unten im Tal taut es längst, wenn denn überhaupt je etwas Abzutauendes gelegen ist. Manche erinnern sich noch an das Wort: Schnee. Junge Menschen haben kaum noch welchen gesehen. Im Tal riecht es nach dem heimeligen Bukett der Transportfahrzeuge. Sie kommen von weither und bringen die bekannten Gerüche: Den ätherische Stingelduft spanischer Cocktailtomaten, die zarte Würzigkeit holländischer Baumarkt-Tulpenzwiebeln und das metallisch-ölige Aroma der Rasenmähergeneration 2024.

Die neueste Frühjahrsmode riecht streng und ungesund nach asiatischen Sweatshops, nach brackiger Containerluft und den leisen Parfums der Zöllner in den Tiefseehäfen. Das knisternd-pelzige Ozon wollen wir nicht vergessen. Es entsteht immer dann, wenn wir schon darauf vergessen haben. Wir kennen es vom Erstanziehen luftiger Kunststoffpullover.

Auch die politische Luft ist voller Frühling. Es riecht nach neuen schlechten Plastikkarten für Ausländer, und guten altem Bargeld für Einheimische. Nach Neuwahlen vor dem Sommer, im Sommer und nach dem Sommer, nach Rechtsruck und Linksgefahr, nach Koalitionsmief und Shitstorm, und hin und wieder auch nach Superkleber und Ungeimpftenschweiß.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 2. März 2024.

Wo genau ist von und zu?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 9/2024 vom 28. Februar 2024

Liebe Frau Andrea,
wir sitzen in geselliger Runde in einer Gasthausbrauerei, die am Gelände einer bekannten Wiener Sehenswürdigkeit angesiedelt ist. Das Deckblatt der Speisekarte lesend geraten wir in einen Disput, den wir nicht aufzulösen vermögen. Wir hoffen daher nun auf Ihre Expertise und die Entwirrung des sprachlichen Rätsels. Heißt es tatsächlich „Restaurantbrauerei zu Belvedere“? Für mich klingt das nicht richtig. Michael Niavarani griff für das benachbarte Gartentheater zum Wörtchen „im“, um das Theater im Park zu verorten. Wie verhält es sich mit der Verwendung von Präpositionen in diesem Falle?
Beste Grüße,
Frank Lieber, zu Wien Meidling.

Lieber Frank,

die Gaststätten und Beherbergungsbetriebe sind den Konjunkturen der Aufmerksamkeit ausgeliefert. Sie wollen die richtige Klientel mit dem richtigen Ambiente bedienen. Der Name eines Lokals spielt dabei keine geringe Rolle. Nicht immer gelingt diese Übung. Gleichwohl steht es jeder gastronomischen Unternehmung frei, mit der Sprache und ihren Effekten spielerisch umzugehen. Selbst das Geschraubte ist nicht verboten. Sehen wir uns die Begriffe an. Restaurant und Brauerei sind erst in jüngster Vergangenheit einander zugewachsen, frühere Zeiten kannten Bierkeller, Stiftsbrauereien, eleganztechnisch eher der Wirtshauskultur denn der haute gastronomie und grande cuisine der Citoyens zugeneigt.

Wie steht es um das „zu“? Wir kennen es aus der Aristokratie, und diese Anmutung will der beschriebene Fall gewiss erzeugen. Hier sind die Verhältnisse seit dem Mittelalter klar. Die Partikel „von“ ist dem Familiennamen (dem urprünglichen Herkunftssitz) vorgestellt, „zu“ bezeichnet den aktuellen Wohnsitz. Eine durchlauchte Familie hätte standesgerecht etwa „Fürsten von Hopfenburg zu Malzhofen“ geheißen, also ursprünglich aus Hopfenburg stammend, jetzt aber zu (in) Malzhofen residierend.

Sprachberatlicherseits hätte ein Namensvorschlag zu Ihrer Speisekartenlektüre lauten können: „Schlossbrauerei nächst dem Belvedere“, „Restaurant und Brauerei beim Belvedere zu Wien“.

Zu wenig geschraubt? Von wegen.

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Wie riechen tausend Rosen?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 8/2024 vom 21. Februar 2024

Liebe Frau Andrea,
Tante Helly ist in unserer Familie verlässliche Quelle für Wiener Dialektausdrücke und althergebrachte Besonderheiten der deutschen Sprache. Immer wieder verwendet sie in einem Zustand leichter Verärgerung den Ausdruck „Tausend Rosen“. Auf der Suche nach Deutung komme ich nicht weiter, als dass zu viel des Guten eben nicht immer gut ist. Und die Zahl 1000 führt nur direkt zur Assoziation der finstersten Zeit deutscher Geschichte.
Ich hoffe, die wahre Herkunft ist eine freudig-komische, damit ich den Ausdruck auch endlich in meinen Sprachgebrauch aufnehmen kann.
Vielen lieben Dank im Voraus für Ihre Expertise!
Katharina Kohlen, per Email

Liebe Katharina,

die von Ihrer Tante Helly bewahrte Redewendung gilt als Ausdruck der Ablehnung oder der Gleichgültigkeit gegenüber einem Geschehen, einer Tatsache, einer Person. Die Mengenangabe tausend verwenden wir, wenn in Floskeln eine große Anzahl bezeichnet werden will, wenn etwa in „tausend Zungen gepredigt“ wird, oder jemand (aus Angst) „tausend Tode gestorben“ ist. Nach dem Essen sollen wir bekanntlich ruhen oder „tausend Schritte“ tun. Wer sich aufregt, ist sprichwörtlich gesehen, bald „auf tausend“. Das Wienerische kennt die „tausend Rosen“ gut, besser aber das dahinter verborgene, ganz gegenteilige Abgangsgeschenk. In der Abfälligkeit über eine Person oder eine Sache genehmigt sich das Wienerische traditionell den Ausdruck „Tausend Schas!“ (die Kiloflatulenz). Die Rosen (und ihr Duft) sind also nur das Hüllwort für den diffamierend gebrauchten, sprachlich oder körpertechnisch gesetzten Darmwind.

In der Zusammenschau dieser Ergebnisse darf nicht fehlen, auch die Tausendzahl selbst zu demaskieren. Wir alle kennen die flapsige, etwas angejährte  Redewendung „Ei der Daus“, eigentlich „Ei der Tausend“, gebräulich in Ausrufen wie „Ei der tausend, das ist aber eine schöne Überraschung!“ oder „Ei der Tausend, wo kommt denn das plötzlich her?“ Hier steht das „Ei“ für „ah“, „oh“, „uh“, die primäre Interjektion, als Ausdruck des Erstaunens und „Tausend“ verhüllend für den Teufel.

Tausend Rosen!

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Das Packerl

Wir erinneren uns. An eine Zeit vor dieser. Das Wissen der Welt war noch zwischen Buchdeckel gebunden, in Archiven gelagert, und in Schuhschachteln mit Erinnerungen. Zum Telefonieren gab es Apparate. Man tippte ausschließlich in Schreibmaschinen und „mail“ hieß noch Brief. In ein Kuvert gesteckt und mit einer Marke beklebt wurde er von Postlern durch die Welt getragen. Postämter waren noch Orte des Vertrauens, beliebt und gut besucht wie der Kirchenwirt und der Greisler am Dorfplatz (beide heute verwaist). Egal, ob auf anderen Kontinenten aufgegeben, oder im Postkasten gegenüber, die Briefe, Packerl und Pakete kamen verlässlich an, noch kannte man den Witz nicht vom „aufgegebenem Brief“. Statt ein irritierendes SMS ins Smartphone zu tippen, begab man sich zum Postamtschalter des Vertrauens und diktierte ein Telegramm: „Ankomme Samstagabend“, „Gesamtfamiläre Geburtagsgrüße“, „Ich liebe Dich, Franz“.

Kinder und Junggebliebene mit Sammelbedürfnis schnitten Briefmarken von den Kuverts und horteten sie in Steckalben. Brieffreundinnen und Brieffreunde berichteten dazu aus fernen Ländern. Aus den diversen Urlaubsdomizilen von Freunden und Familienmitgliedern erreichten uns knallbunte, nach Sonne und Meer duftende Postkarten. Und landauf, landab hörte man das vertraute Zweitakt-Knattern des Posterlmopeds. In seiner schwarzen Tasche brachte der Postler Omas Pension (das waren die Tage, wo die Schnapserl auf ihn warteten), den Liebesbrief vom Herzensmenschen, und manchmal auch, so gern hatte man es dann doch nicht, was er brachte: einen blauen Brief vom Amt, einen Unterschreiber.

Ich wünsche mir diese Zeit zurück. Na gut, den Einschreiber nicht.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 17. Februar 2024.

Wie spooky ist das Putzi?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 7/2024 vom 14. Februar 2024

Liebe Frau Andrea,
seit Kurzem bereichert unser Sohn Jonas das Leben von meiner Frau und mir. Zuweilen nennen wir den Kleinen auch gerne unser „Butzi“. Nun habe ich gelesen, dass der „Butz“ eine Bezeichnung für den „Schabernack liebenden Hauswicht“ der nordischen Mythologie ist. Nun bin ich von meiner Profession her Naturwissenschaftler und kenne mich mit Etymologie so gar nicht aus. Daher bitte ich Sie, mich zu erhellen: Besteht hier ein begrifflicher Zusammenhang? Vielen Dank!
Mit besten Grüßen aus Salzburg,
Dr. Moritz Mirna, per Email

Lieber Dottore,

die österreichische Alltagssprache kennt Butzi, Putzi, als liebevolle Bezeichnung für das Kleinstkind, denglisch „baby“ genannt. Tatsächlich gibt es im süddeutschen, schweizerischen, aber auch im norddeutschen, anglosächsischen und skandinavischen Raum eine koboldhafte Gespensterfigur, die als Butz, Bütze, Butze, Putz, Boz, Buz, Bugimann, Bullebeiß, Busemand, Buhmann, Boesman, Böölimann, oder Böög Streiche spielt und Angst verbreitet. Kindergartenabsolvent·innen ist gewiss der Bi-Ba-Butzemann, der lustig tanzende Zwerg erinnerlich, der brave Kinder mit Äpfeln aus seinem Säcklein beschenkt. Die meisten dieser Bezeichnungen verschränken sich mit dem frühneuhochdeutschen Wort butze (Larve, Maske). Im angelsächsischen Raum zirkuliert dazu der schreckliche Boggart oder Bogeyman, der nachts aus Kleiderschränken kommt oder am Fenster erscheint. Bekanntester Kobold in dieser Etymologie ist Shakespeares Puck, aber auch der finnische Joulupukki reiht sich hier ein, eigentlich der nordisch-germanische Jul-Púki (Weihnachts-Bock), jetzt der harmlose Weihnachtsmann. Das Wienerische wiederum kennt die Putz, die Polizisten, diese beziehen ihre Wörtlichkeit vom Romani-Wort Pust, Spieß, wie ihn die mittelalterliche Stadtwache trug.

Mit höchster Wahrscheinlichkeit kommt unser Putzi aber vom barocken Kirchenengel, dem Putto (Plural: Putti), der Figur eines kleinen, nackten, oft geflügelten Knaben. Italienisch putto (Knäblein) kommt vom lateinischen putus (Knabe), in seinen Nebenbedeutungen nicht überraschend gleichbedeutend mit unserem „putzig“: Rein, glänzend, gereinigt, herausgeputzt.


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Die Predigt an der Gardine

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 6/2024 vom 7. Februar 2024

Liebe Frau Andrea,
heute (30.12.2023) am frühen Nachmittag spielte Chris Tina Tengel in einer höchst interessanten und unterhaltsamen Sendung u.a. ein Musikstück namens „Gardinenpredigt“ von Julius Fučik. Da habe ich mich gefragt (und da ich keine Antwort wusste, frage ich nun Sie), ob dieses Wort etwas mit unseren Vorhängen zu tun hat. Und wenn ja, was? Oder woher kommt es sonst?
Mit dem Dank im Voraus für Ihre Antwort auf meine Frage verbinde ich den Dank für Ihre Kolumne, die ich sehr schätze, und die besten Wünsche für das neue Jahr.
Maria Eisenreich, per Email

Liebe Maria,

der Verursacher ihrer spätdezemberlichen Nachmittagserheiterung ist ein alter Bekannter. Hat doch der altösterreichische Militärkapellmeister und Dvořák-Schüler Julius Fučik (1872-1916) eines der bekanntesten Stücke des Universums geschaffen, den weltberühmten „Einzug der Gladiatoren“, 1899 in Sarajewo komponiert. „Die Gardinenpredigt, op. 268, etwas später entstanden, aber von ähnlicher musikalischer Raffinesse, ist eine rasant-pfiffige Burleske für Klarinette, Fagott und Klavier. Auch bekannt als „Ehedialog“ spielt sie musikalisch auf die Standpauke des verspätet heimgekommenen, sturzbetrunkenen Mannes im bürgerlichen Ehegemach an, dem Zeitgeist folgend hinter halbdurchsichtigen Fenster-Gardinen.

Der Ursprung des Sprichwortes reicht in eine frühere Epoche zurück, in jene des Ehebetts mit schwereren Vorhängen. Das Wort Gardine kommt über das niederrheinische gardyn (1477), gardijn (1495), mittelniederdeutsch gardīne, gardīn Anfang des 17. Jahrhunderts ins Hochdeutsche, wird aber im Oberdeutschen nicht heimisch, weil dort die Bezeichnung „Vorhang“ dominiert. Die Gardine ist aus gleichbedeutender altfranzösischer cortine aus dem kirchenlateinischen cortina (Vorhang), einem substantivierten Adjektiv zu cohors, oder kurz cors (Hof, Hofraum) entlehnt.

Die gängige Form „Gardinenpredigt“ verbindet in metaphorischer Weise textile bürgerliche Distinktionstraditionen mit klerikalen Moralvorstellungen von Treue und puritanischer Lebensgestaltung. Ganz diffus scheinen emanzipatorische Mechanismen durch. Im ländlichen Österreich dominiert indes das Bild der Ehefrau mit dem strafenden Nudelwalker.


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Beste Berufe

Fernsehhistorisch alerten Österreichern und Österreicherinnen aus der Boomer-Generation (vorsicht Pensionsantritt!) ist das heitere Beruferaten „Was bin ich?“ von Fernsehonkel Robert Lembke noch in bester Erinnerung. Obzwar sie auf identischen Vorbildern aus der US-amerikanischen Fernsehlandschaft fußte, wurde sie als genuin deutsch, wegen des bairischen Dialekts des Moderators gar als österreichisch, jedenfall aber als heimatlich-heimisch wahrgenommen.

Das Show-Konzept war in bestechende Einfachheit geworfen, ein Studiogast mit seltenem Beruf (Rauchfangkehrerin, Zahnradbahnchauffeur, Wildbienenimker) wurde von einem redegewandten (sprich: g’feanzten) Viererteam zu Umständen der jeweiligen Profession befragt, wobei die Fragen so gestellt werden mussten, dass sie eindeutig mit Ja oder Nein beantwortbar waren. Für jedes Nein (insgesamt zehn davon waren möglich) bekam der Studiogast ein Fünfmarkstück in ein Sparschweinderl, ging also im beruflichen Unerratbarkeitsfall mit 50 Mark Salär (und lokaler Fernseh-Berühmtheit) nach Hause. Im Finale jeder Sendung musste eine anwesende Person von Prominenz (Vico Torriani, Inge Meysel, Rosi Mittermaier) erraten werden, dem Konzept folgend nur stumm lächelnd. In diesem eben so schwierigen wie nervenzerrüttenden Finale trug das Rateteam Augenmasken. Rate-Neins wurden statt Geld mit roten Rosen quittiert.

Robert Lembke war zur Glanzzeit seines Wirkens weltberühmt in Österreichisch. Die vorgestellten seltenen Berufe haben Millionen junger Menschen dazu animiert, weniger seltene Berufe zu ergreifen: Automechaniker, Friseurin und Einzelhandelsverkaufsperson.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 3. Februar 2024.

Generation G wie Genderdebatte

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 5/2024 vom 31. Jänner 2023

Liebe Frau Andrea,
falls Sie über dieses Thema schon geschrieben haben, bitte ich Sie um Entschuldigung, aber: Mir geht es um die Rückkehr zu einer schnelleren Sprachart, welche existierte, bevor, der Gendergerechtigkeit wegen, viele Substantiva wiederholt werden mussten. Ich habe gelesen, dass Ihr Falterkollege, Herr Phettberg, eine verallgemeinernde Endung, -y bzw. -ys, manchmal verwendet: “die Ärztys” anstatt “die Ärztinnen und die Ärzte”, oder “ein Lesy” anstatt “ein Leser oder eine Leserin”. Ich mag diese Kürze, aber eine traditioneller klingende Endung wäre vielleicht besser. Was würden Sie gern sagen in solchen Fällen, um alle möglichen Geschlechter in einem klar verständlichen Wort zu inkludieren? Gibt’s ein hilfreiches Beispiel aus früheren Zeiten, die wir alle mühelos aussprechen könnten?
Schöne Grüße
Steven Flitton, Wien Alsergrund, per Email

Lieber Steven,

sämtliche Entschuldigungsansuchen werden zurückgewiesen, weil erstens keine Schuld erwachsen ist und zweitens keine je erlassen werden könnte, jedenfalls nicht kolumnistisch. Was die hier schon behandelten Fälle ähnlicher Art betreffen, kann das Diktum in Stellung gebracht werden, nach dem Journalismus Wiederholung sei. In der Sache selbst gibt es weniger Klarheit. Sprache und in besonderem Maße jene des Alltags ist den Diktaten der Nützlichkeit, Verständlichkeit und Genauigkeit unterworfen. Sie ist eingebettet in persönliche und gesellschaftliche Befindlichkeiten, dem, was Transzendental-Aphoristiker als „Zeitgeist“, Feinhörige als „Stimmung in der Bevölkerung“ bezeichnen. Der Heimatforscher Udo Landbauer und der Zirkusdirektor Karl Nehammer sind dem Ruf nach alten Mustern insoferne gefolgt, als sie die Verwendung des Binnen-I, des Asterisk und des Glottisschlags (der Gender-Pause) behördlich verbieten (Niederösterreich) und verbieten wollen (Ganzösterreich). Diese Diskussion schlägt Wellen, wenn auch keine von der Größe eines Tsunamis. Der genderneutrale Vorschlag von Kollegy Hermes Phettberg findet meine künstlerische und poetische Zustimmung, wiewohl ich verstehe, dass er sich noch in einer Minderheitenpostion befindet.


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