Weihnachtswünsche

„Ich kann euch zu Weihnachten nichts geben. Ich kann euch für den Christbaum, wenn ihr überhaupt einen habt, keine Kerzen geben, kein Stück Brot, keine Kohle zum Heizen, kein Glas zum Einschneiden. Wir haben nichts.“ Die Sätze gehören zum österreichischen Erinnerungsschatz, insbesondere zum weihnachtlich-sentimentalen, multipliziert und verewigt vom Erklärbären der Nation, Hugo Portisch. Der da geprochen hatte zu Christbaum und Brot, Kohle und Glas war Leopold Figl, der erste Bundeskanzler der Zweiten Republik. Figls Stimme tönte zu Weihnachten 1945 aus den Radios eines zerbombten und besetzten Landes. „Ich kann euch nur bitten“, appellierte Figl an die Menschen, „glaubt an dieses Österreich!“

Ganz Österreich kennt diese Tonaufnahme. Nur wurde sie nicht in der Stunde Null des Jahres 1945, sondern erst zwanzig Jahre später eingesprochen. Vom da schon schwerkranken Figl, inszeniert von rührigen jungen Kräften aus seinem Umkreis, anlässlich des Porzellan-Jubiläums des Kriegsendes. Warum erst jetzt? Zum Anlaßzeitpunkt waren Radiosendungen noch nicht auf Band aufgenommen worden. Die Original-Rede des Bundeskanzlers an seine hungernden und vom Krieg gezeichneten Landsleute gab es nur in der Erinnerung. Um die Ansprache zu rekonstruieren, hatte man alte Unterlagen durchforstet. Beim Abspielen seines Remakes vor dem Stephansdom soll Figl feuchte Augen bekommen haben. Hunderte von Zuhörern, die von der Neueinspielung keine Ahnung hatten, brachen in Tränen aus. Ohrenzeugen der Original-Ansprache waren sicher, eine historische Aufnahme zu hören.

Die Produktion von Wahrheit hat Tradition in Österreich.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 15. Dezember 2023.

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