Boboville ::: Der Bäcker

Boboville-100.jpgUm zehn, so spät war es geworden, hatte mein Bäcker noch offen. Mein Bäcker. Er trug ein mehlstaubiges Unterhemd und eine mehlstaubige Bermuda, sprang aus dem heißen Keller in den Laden herauf. Es war nicht das Springen eilfertiger Haster, es war ein schwebendes Springen, ein Flug. Mein Bäcker war ein Krieger, über seine Muskeln spannte sich die Haut alter Hippies, ein ledriges Braunrot, wie das der Bäuche von Füchsen. Es konnte nicht von den Öfen kommen, meinte ich, aus den Öfen kommt trockene Hitze, kein Licht, Hitze kann doch Haut nicht bräunen, Sonne macht das. Ich dachte an die Bäcker meiner Kindheit, sie waren allesamt bleiche Gestalten gewesen, blutleer und teigig, sonnenfern. Sie schufteten in der Unterwelt, in den heißen Kellern, wo die Mauern dick waren und die Fenster klein. Woher hatte mein Bäcker diese Bräune, hatte er künstliche Sonnen in seinen Kellerlampen? Schlief er im Park, wenn er ruhte, am Strand? Von zwölf bis sechs, in der sengenden Glut?
Mein Bäcker hatte LSD-farbige Haare, von Mehl gestärkt, sie liefen in ein armdickes Haartau aus, das filzig und fest an seinem Rücken hing, wie ein Keulengriff. Ein Stirnband verbarg seinen Haaransatz, es war feuerrot. Nun war es zehn, spät für den Bäcker, er war schon müde, und sprach nicht mehr, aber mochte es Mitternacht sein, zwei oder drei, dann dampfte es aus dem Hippiekeller und staubte, dann gelang sie, die Sprache, dem Hippiebäck. Durchs offene Bäckerfenster reichte er dann Milch und Weißbrot, Marmelade und Käse. Und verschwand wieder, für Minuten, in den Bäckerkellern, um Brötchen in die Vulkane zu schieben. Eine kleine Oase der Unversperrtheit, die mehlstaubige Bäckerei schräg gegenüber von meinem französischen Atelierfenster.
Welche Farbe hat LSD, fragte ich den Bäcker. Ich frage das jetzt mal so aus dem Bauch raus, es ist schon spät am Morgen, ich möchte mir die Antwort aufs Brötchen tun. Welche Farbe hat C20H25N3O? Lucy in the Sky, sagte der Bäcker mit einer Langsamkeit, die mich an den Wurm in den Mezkalflaschen erinnerte, mit Diamanten. Lucy ist rosa mit rotierenden Spinellen und Spiralen aus Turmalin. In der Mitte des Himmels wabern amethystfarbene Blitze und grellazurne Saphire. Aus dem musivischen Pflaster aus Carrara und Basalt können Büschel aus singenden Türkisen wachsen. Sie zeigen sich nicht immer, denn sie sind scheu. Zehzwanzig Hafünfundzwanzig Enndrei Oh, LSD, die blauen Bäckeraugen leuchteten wie das Meer in einem Atoll.
Das hier, der Bäcker bohrte seinen Finger in ein Säckchen mit Traubenzucker, ist C6H12O6. Das nehmen die Läufer, wenn sie nach den Endorphinen hecheln. Um Lucy zu sehen, muss man nicht in den Endorphinen laufen. Um Lucy im Himmel zu sehen, mit Diamanten, muss man nur Mutterkorn aus dem Mehl holen. Das hat Albert Hofmann von uns gelernt. Und dann stieg er in den Bus. Das Mountain Girl, Carolyn Adams, weißt du, sie wurde dann Jerry Garcias Alte, sie war die Fahrerin vom Further. Der bemalte Bus von den Merry Pranksters. Der Hippiebus. Der einzige, der Echte. Hier vorne, er deutete nach draußen, am Hugo-Wiener-Platz, in der Verlängerung von wo die Friseure ihren Salon haben, da war die Haltestelle vom Further. Glaub mir. So war das. Ein Ticket nach Haight-Ashbury kostete nicht die Welt. Einen Tag Arbeit, junge Frau, mehr nicht. Einen Tag Arbeit für einen Monat mit dem Further.
Am Steuer vom Further saß Carolyn. Und warum war sie das, warum war Carolyn die Fahrerin? Sie war eine Bäckerstochter aus Poughkeepsie, Newboboyork. Du bist zu jung, sagte der Bäcker und schaufelte Semmeln, nicht viel zu jung, aber sieben Jahre zu jung. Sieben Jahre älter, und du wärst mit uns gekommen, mit dem Further gefahren. Nach Esseff. Hinter die große rote Brücke, an den Strand, wo dich der Ozean holt. Alle waren sie Bäckerkinder, der ganze Hippieadel. Mutterkornkinder, Lucys Diamantenbrut. Jerry Garcia von den Grateful Dead, Paul Kantner von Jefferson Airplane und Maya Gegeris, sie wohnte in 908 Steiner. Alles Kinder von Bäckern, zu Hochmittag gezeugt, in der Sonne. Sonnenkinder, Bäckerkinder.
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Textpassage aus meinem Roman „Boboville“, erschienen 2008 bei Residenz.

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