Ins Hotel konnte ich ihn nicht mitnehmen

 

Ins-Hotel-Cover-100.jpg»Ich kann die Welt nur aus mir heraus sehen und beschreiben. Was ich nicht erlebt habe, existiert nicht.“ Ein Glück: Andrea Maria Dusl erlebt viel. Ein größeres Glück: die stilistische Brillanz und sprachliche Originalität, mit der die Autorin von »Boboville« ihre vielen Erlebnisse beschreibt. In sieben skurrilen Odysseen entführt uns die begnadete Beobachterin Dusl via sechs traumhaften Metropolen zu ihrer schwarz-weiß changierenden Seele. Voll Witz und Selbstironie. Was anderes sollte man von jemandem erwarten, der über sich selbst sagt: »Und der Stil, ach weißt du, der Stil, ich schreibe, wie es will in mir, ich habe hochblühende Schreibtourette.“

Ins Hotel konnte ich ihn nicht mitnehmen
Kein Roman
160 Seiten, 11,5 x 18,5 cm. Gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen, € 19,90


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Channel 8 – Rezensionen ::: Deutschlandfunk

Michaela Schmitz vom Deutschlandfunk hat mein Roman „Channel 8“ sichtlich gefallen.

Hier geht’s zum mp3 davon —> mp3 Channel 8 Rezension

Hier die ungekürzte Textversion:

Zwischen Traum und Wirklichkeit
Andrea Maria Dusl: „Channel 8“. Residenz Verlag
Von Michaela Schmitz

Channel-8-Cover-100.jpgValentin arbeitet als Pariser Korrespondent für den österreichischen Fernsehsender „Chanel 8“. Denkt zumindest der Fernsehzuschauer. In Wahrheit finden seine Aufnahmen im Studio statt. Für Valentin beginnt ein Trip zwischen Schein und Sein.

 

Ist es eigentlich der Regisseur, der im Skript die Rolle seiner Hauptfigur festlegt? Oder ist es der Filmheld, der schließlich über das Drehbuch des Regisseurs entscheidet? Das ist doch die Frage. „Channel 8“ ist Andrea Maria Dusls Antwort darauf. „Channel 8“ heißt der österreichische Fernsehsender, für den Valentin als Pariser Korrespondent arbeitet. Vor den Wahrzeichen von Paris spricht Valentin seine Kommentare. So sieht es zumindest für den Zuschauer aus. In Wahrheit finden die Aufnahmen im Studio statt. Und damit geht es schon los – mit der Frage nach Schein und Wirklichkeit nämlich. Medien-Profi Valentin sollte sich eigentlich damit auskennen. Aber ausgerechnet ihm geraten die Grenzen zwischen Sehen und Vorstellen, Erleben und Träumen, Denken und Sprechen urplötzlich durcheinander. Seine Gedanken werden von einer ihm völlig unbekannten Russin besetzt. In ungeschnittenem Filmmaterial von Sankt Petersburg erkennt er sie dann tatsächlich wieder: Anastasija. Er hat sie nie zuvor gesehen. Valentin steht völlig neben sich. Und das buchstäblich: Denn neben seinen eigenen Gedanken und Träumen sendet irgendjemand auf genau derselben Frequenz. Es ist die Russin. Das fühlt er genau.
„Es war mehr und schräger als normaler Jetlag, verdrehter und verirrter als die Müdigkeit nach einem Flug über den eigenen Schatten. Es war, als wäre die Zeit in beide Richtungen gelaufen, vorwärts und rückwärts zugleich. Und als hätte einer der beiden Zeitzwillinge einen Looping gemacht. ( … ) Es war, als ob Erinnerung und Vorahnung gleichzeitig existierten.“

Die Signale in seinem Kopf werden immer stärker. Weder Freundin Monique, mit der er im Marais lebt, noch den anderen Bobovillans kann er davon erzählen. Nur seiner Busenfreundin, Kamerafrau Nina, vertraut er sich schließlich an. Zusammen mit Nina im martialischen Camo-Outfit und dem wortkargen Toningenieur Lars fliegt Valentin auf der Suche nach Anastasija nach Sankt Petersburg. Aber wo soll er anfangen? Langsam wird ihm klar: Sie ist nur über seine eigenen Träume zu finden. Schlaftabletten sollen die Suche beschleunigen. Man verkauft ihm Drogen. Die schießen ihn in einen absurd-skurillen Horrortrip. Sein Bewusstsein zappt durch einen immer weiter abdriftenden Sampler: ein Remix aus Filmen wie Luc Bessons „Nikita“ oder Jean-Jaques Beineix‘ „Diva“ mit verschiedenen James-Bond- und Hitchcock-Szenen. Genau in dem Moment, als er dem Geheimnis aller Geheimnisse auf die Spur kommt, wacht Valentin auf. Er liegt auf seinem Bett im Petersburger Hotelzimmer.

„Bin ich tot?, fragte Valentin. Anastasija schüttelte den Kopf. Du bist bei mir. ( … ) Es war warm, schrieb Anastasija in ihr schwarzes Buch. ( … ) Ein Schmetterling flatterte auf. Wind stob durch Valentins Haar. ( … ) Was schreibst du?, fragte Valentin. Ich schreibe meine Geschichte auf, sagte Anastasija.“

Anastasijas Geschichte wiederholt, mit wenigen Änderungen, die Anfangspassage des Romans „Channel 8″. Ist ihre Geschichte also nur ein Screenplay, das sie gerade selbst entwirft? Oder sind sie und Valentin Helden im Drehbuch irgendeines ihnen unbekannten Regisseurs? Die Frage bleibt offen. Wie in der Geschichte aus dem kleinen Büchlein von Valentins esoterischem Therapeuten Kifti. Dort träumte Zhuāngzĭ, er sei ein glücklicher Schmetterling. Als er aufwacht, wird ihm klar, er ist Zhuāngzĭ. Oder war er ein Schmetterling, der gerade geträumt hatte, Zhuāngzĭ zu sein? Der Schmetterlingstraum ist ein bekanntes chinesisches Gleichnis von der Relativität menschlicher Wahrnehmung, persönlicher Identität und der Unmöglichkeit der Erkenntnis letztgültiger Wahrheit.

“
Channel 8″ stellt eine intelligente und humorvolle Transkription dieser Parabel auf die moderne Medienwelt dar. Andrea Maria Dusl entwickelt aus dem alten asiatischen Sinnbild einen amüsanten, spannenden und philosophisch hintersinnigen „Film in Worten“ mit hoher Erzähldynamik. Durch ihre filmische Erzählweise gelingt es der Autorin, Regisseurin und Illustratorin Dusl, Valentins und Anastasjas Blickwinkel geschickt ineinander zu montieren. In parallelen Kamerafahrten, Szenen- und Perspektivwechseln schneidet Dusl die beiden Figuren so eng ineinander, dass sie immer mehr ineinander übergehen. Schließlich werden sie so frappierend überblendet, dass man meint, den einen aus den Augen des anderen blicken zu sehen. Dusl illustriert fremde Gedanken, Träume und Gefühle so verblüffend, dass sie sich gleichsam zu materialisieren scheinen. Der Roman selbst findet ein treffendes Bild dafür. Valentin erinnert sich, wie in Krakau eine Fremde unbelichtete Polaroids seiner Kamera auf ihre Handfläche legt. Als sie ihn auffordert, an irgendetwas zu denken, erscheinen auf dem Grau schemenhaft Schnappschüsse seiner geheimsten Gedanken und Erinnerungen. Auslöser eines Wahrnehmungsschocks, den Andrea Maria Dusl sich für ihren Roman zunutze macht. In „Channel 8“ fängt auch sie mit ihrer Erzähl-Kamera mehr ein, als man zu sehen gewohnt ist. Sie bewirkt damit viel: die erfrischende Verunsicherung unserer längst entmythisierten Seh- und Denkgewohnheiten.

Andrea Maria Dusl: „Channel 8“. Residenz Verlag 2010. 256 Seiten, 21,90 EUR.
……….
„Channel 8“ bestellen oder Dusl buchen? Hier geht’s zur —> Residenz-Homepage von Channel 8. Und hier zur —> Channel-8-Community-Seite auf Facebook. Schon mal was lesen von Valentin, Anastasija, Rotor und Kifti Rost?

–> Vorabdruck in der Presse.

Showtime ::: Channel 8 – Lesung: 27.5. Leobersdorf


Channel-8-Cover-100.jpgEs gibt nur eine Frage: Wer bist du?
Andrea Maria Dusl
liest aus ihrem neu erschienenen Roman
Channel 8
Kommet!

 

Donnerstag, 27.5.2010 – 19:30h
Vinothek bel vino
Hauptstr. 30-32
2544 Leobersdorf
Tel: 01 9081326
leobersdorf@buecher-hikade.at
www.buecher-hikade.at

EINTRITT € 5,-
(Eintrittskarte gilt als fünf Euro Gutschein,
einzulösen binnen einer Woche nach Ausstellung
bei Bücher Hikade Leobersdorf, Hauptstr. 14.)
Platzreservierung unter 02256/65 824
oder: leobersdorf@buecher-hikade.at empfohlen.

 

Showtime ::: Channel 8 Lesungen: 18.5. Tiempo – 20.5. Thalia

Channel-8-Cover-100.jpgEs gibt nur eine Frage: Wer bist du?
Andrea Maria Dusl liest aus ihrem neu erschienenen Roman Channel 8
Kommet!

 

Am Dienstag, 18.5.2010 – 19:30h
in der Buchhandlung Tiempo Nuevo
Taborstraße 17a, 1020 Wien
Tel: 01 9081326
nuevo @ tiempo.at
www.tiempo.at

und

am Donnerstag, 20.5.2010 – 19h
in der Buchhandlung Thalia
Mariahilferstraße 99, 1060 Wien
Tel: 01 5954550
mh99@thalia.at
www.thalia.at

 

Channel 8 – Warum mein Roman zwei Seiten 150 hat.

Andrea Maria Dusl, 16. Mai 2010.

In Channel 8, der seltsam schwebenden, irisiserenden Liebesgeschichte zwischen einem Pariser Fernsehreporter und einer Sankt Petersburger Taschendiebin geht es um Sehnsucht, um Geheimnisse, um Traum- und Trugbilder.

In einem Antiquariat in Sankt Petersburg entdeckt Valentin, der Protagonist des Romans, ein Buch. Zwischen Puschkins und Dostojewskis, gefälschten Leninbriefen und dem Französisch-Vokabel-Heft Nabokovs. Es ist eine, 1528 erschienene Übersetzung der “Elemente”, des Hauptwerks des griechischen Mathematikers Euklid. Vertraut streicht Valentins Hand über das alte Papier, Valentin kennt dieses Buch, obwohl er es noch nie in der Hand hatte. Es ist eines jener Dejavues, die ihn in Laufe des Romans verfolgen. Im fün!en Band der Elemente schlägt Valentin die Seite 55 auf.

Capvt Quintvm. De Triangulis, über die Dreiecke, steht dort zu lesen. Valentin bemerkt, dass die beiden Seiten in dem Buch identisch sind, die linke wie die rechte. Euklid beschreibt die geometrischen Grundlagen des räumlichen Sehens. Und jetzt erinnert sich Valentin daran, wie er als Kind das Schielen übte. Und wie es ihm, als er es konnte, gelang, bei Suchbildern immer den Fehler vor allen anderen zu entdecken. Einfach, weil er durch Schielen die scheinbar identen Bilder übereinander legte und ihm so der eingebaute Fehler sofort und unmittelbar in Erscheinung trat. Solch ein Suchbild ist auch die doppelt gedruckte Seite 150 in meinem Roman Channel 8.

”Und jetzt lag Euklids Buch in seinen Händen und Valentin sagte sich, die Wahrheit liegt vor dir, hier irgendwo nach Passagen, hinter Durchgängen, und sie ist nur dir zugänglich, Valentin, dir dem Auge, das die Worte vor dem Text lesen kann. (…) Veritas post ocvlum, die Wahrheit liegt hinter dem Auge.”

Channel 8 ::: Präsentation bei Anna Jeller

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Buchhandlung Anna Jeller

Samstag, 15. Mai 2010
10 bis 13h
Margaretenstraße 35
1040 Wien
Tel.: 586 13 53
Fax.: 586 67 47

Andrea Maria Dusl stellt Ihren neuen, bei Residenz erschienenen Roman CHANNEL 8 vor.

Durch Zufall erfährt Valentin, erfolgreicher Fernsehjournalist für den internationalen Pariser Nachrichtensender CHANNEL 8, dass seine verstörenden Träume höchst real sind. Verwirrt begibt er sich auf die Suche nach den seltsamen Bildern, die in seinen nächtlichen Visionen herumspuken. Er reist in die Stadt, die ganz offenbar der Schauplatz dieser Träume ist.

Valentin ist auf unheimliche Weise mit einer russischen Künstlerin verbunden, die als Taschendiebin in Sankt Petersburg arbeitet…

Eine atemberaubende Liebesgeschichte voll transzendentaler Schönheit!

Welchen Tag haben wir heute?
Dienstag, sagte der Barkeeper und stellte
einen zwiefachen Martell auf den Zinc.
Und welche Stadt?
Paris.
Sind Sie sicher?
Ich bin mir sicher, sagte der Barkeeper.
Und gestern?
Montag. Auch Paris. Hier ist immer Paris,
Monsieur, seit ich mich erinnern kann.
Seltsame Dinge passieren, sagte Valentin.

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Telefon 0043 2742 802 1411
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Residenz Verlag

Es ist warm

Über den ersten Satz
Andrea Maria Dusl für die 2009er-Weihnachtsausgabe der Salzburger Nachrichten.
Der erste Satz ist immer der schwierigste. So könnte ich anfangen. Aber so fängt man nicht an. Man fängt an wie Günter Grass. Man schreibt ein Buch über die Geschichte der Welt, führt einen sprechenden Fisch ein, nennt ihn Butt und dann beginnt man den Ziegel mit dem Satz der Sätze: Ilsebill salzte nach. So macht man sich bei den Romananfängeanalysten beliebt. Überhaupt sollte man dem animalischen sich verpflichten. Auch zweite Plätze im Romangutanfangen lassen sich mit Geschichten über sprechende Tiere gewinnen. Franz Kafka gelang dies mit dem Einstieg in seine Erzählung “Die Verwandlung”: “Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.“ So macht man das. So fängt man an. So wie Grass. So wie Kafka.
Was mache ich? Lerne ich bei den Meistern? Lasse ich mich von der Aussicht auf Spitzenplätze in Romananfängewettbewerben verführen? Nein. Mein Roman “Boboboville” beginnt mit dem kurzen Befund: “Es ist kalt.” Kein schöner Satz. Kein wärmender. Kein einladender. Aber ein erster. Der erste Satz des Romans. In einem zwiefachen Sinn. Es ist der erste, den ich tatsächlich für diesen Textkörper schrieb, der allererste, der Geschichten erster Gedanke, und es ist auch der erste, den man zu lesen bekommt. Darf man das? Darf man schreiben “Es ist kalt”? Sollte man nicht schreiben: “Ilsebill salzte nach”? So begönne man Romane und so begann Grass den Butt. Und wenn einem das nicht gelänge, weil es ein Titan schon davor getan hätte, dann müsste man nachdenken und sinnen und vielleicht eine Asymptote zu Papier bringen:
“Ilsebill salzte nach, so stand es in dem Buch vom Butt, dem Grassziegel, dem Satzanfangemeisterbuch, und ebendieses lag vor mir, leuchtete mich an und mahnte und liess mich den Ilsebillsatz schreiben, als meinen eigenen Romananfang ausgeben, raffiniert durch Sätze taumeln und atemlos nach eigenem ringen, nach kahlem, kurzem, nach einem Satz wie dem: Es ist kalt.”
So ginge das. So liesse sich die Klippe umschiffen. Ich gestehe, dass ich daran dachte, Ilsebill nachsalzen zu lassen. Aber dann war ich streng zu mir, einsame Waldviertler Scheunenwände, fröstelndschroffe Tirolerberge und das schüttere Grau der Wiener Zinshausschluchten flogen an mir vorbei und noch bevor mir Worte durch den Kopf gingen, stand der Satz da: Es ist kalt.
Dabei war es gar nicht kalt, es war Sommer, es war: kühl. Ein Tiefdruckgebiet peitschte durch die Stadt, kroch unter die wärmenden Luftpolster, die sich in den Wohnungen versteckt hatten. Fritzl, der Tresorkinderbesitzer war das Thema der Tage, und das Feuilleton stapfte durch Charlotte Roches Feuchtgebiete. Für die Kälte des Sommers hätte ich andere Worte finden können, “Der Sommer war kühl”, oder “Sommers Kälte griff nach mir.” Aber ich beschrieb die Kälte der Seele. Ich dachte an den Namensgeber des Platzes, an dem ich wohnte, Hugo Wiener, ich erinnerte mich an seine Emigration nach Caracas und dass er, heimgekehrt mit Cissy Craner, seine Wiener Wohnung jahrein jahraus, ungeachtet jeglicher Jahreszeit, auf tropische Wärme hochgeheizt hatte. Daran dachte ich, als ich beim Fenster hinaussah auf die Hugo-Wiener-Platz-Platanen und der Frost der Geschichte in mich hineinkroch. Deswegen war mir kalt. Und deswegen schrieb ich den Satz. Es ist kalt.

Showtime ::: Universität für Angewandte Kunst ::: Vorlesung

Boboville-100.jpgBoboville goes University. Im Rahmen des Vorlesungszyklus „Backlist 20th Century: Raum, Zeit und Krise des Erzählens“ von ao. Univ-Prof. Dr. Ernst Strouhal werde ich aus meinem Roman „Boboville“ lesen.

 

Donnerstag, 26. November 2009
um 17:00 Uhr

Universität für angewandte Kunst
Abt. f. Kunst- und Kultursoziologie
Neubau; Hörsaal 3/Kl. Seminarraum
Oskar Kokoschka-Platz 2
A-1010 Wien
Der Eintritt ist frei!
Es lebe die Wissenschaft.

 

Boboville ::: Der Bäcker

Boboville-100.jpgUm zehn, so spät war es geworden, hatte mein Bäcker noch offen. Mein Bäcker. Er trug ein mehlstaubiges Unterhemd und eine mehlstaubige Bermuda, sprang aus dem heißen Keller in den Laden herauf. Es war nicht das Springen eilfertiger Haster, es war ein schwebendes Springen, ein Flug. Mein Bäcker war ein Krieger, über seine Muskeln spannte sich die Haut alter Hippies, ein ledriges Braunrot, wie das der Bäuche von Füchsen. Es konnte nicht von den Öfen kommen, meinte ich, aus den Öfen kommt trockene Hitze, kein Licht, Hitze kann doch Haut nicht bräunen, Sonne macht das. Ich dachte an die Bäcker meiner Kindheit, sie waren allesamt bleiche Gestalten gewesen, blutleer und teigig, sonnenfern. Sie schufteten in der Unterwelt, in den heißen Kellern, wo die Mauern dick waren und die Fenster klein. Woher hatte mein Bäcker diese Bräune, hatte er künstliche Sonnen in seinen Kellerlampen? Schlief er im Park, wenn er ruhte, am Strand? Von zwölf bis sechs, in der sengenden Glut?
Mein Bäcker hatte LSD-farbige Haare, von Mehl gestärkt, sie liefen in ein armdickes Haartau aus, das filzig und fest an seinem Rücken hing, wie ein Keulengriff. Ein Stirnband verbarg seinen Haaransatz, es war feuerrot. Nun war es zehn, spät für den Bäcker, er war schon müde, und sprach nicht mehr, aber mochte es Mitternacht sein, zwei oder drei, dann dampfte es aus dem Hippiekeller und staubte, dann gelang sie, die Sprache, dem Hippiebäck. Durchs offene Bäckerfenster reichte er dann Milch und Weißbrot, Marmelade und Käse. Und verschwand wieder, für Minuten, in den Bäckerkellern, um Brötchen in die Vulkane zu schieben. Eine kleine Oase der Unversperrtheit, die mehlstaubige Bäckerei schräg gegenüber von meinem französischen Atelierfenster.
Welche Farbe hat LSD, fragte ich den Bäcker. Ich frage das jetzt mal so aus dem Bauch raus, es ist schon spät am Morgen, ich möchte mir die Antwort aufs Brötchen tun. Welche Farbe hat C20H25N3O? Lucy in the Sky, sagte der Bäcker mit einer Langsamkeit, die mich an den Wurm in den Mezkalflaschen erinnerte, mit Diamanten. Lucy ist rosa mit rotierenden Spinellen und Spiralen aus Turmalin. In der Mitte des Himmels wabern amethystfarbene Blitze und grellazurne Saphire. Aus dem musivischen Pflaster aus Carrara und Basalt können Büschel aus singenden Türkisen wachsen. Sie zeigen sich nicht immer, denn sie sind scheu. Zehzwanzig Hafünfundzwanzig Enndrei Oh, LSD, die blauen Bäckeraugen leuchteten wie das Meer in einem Atoll.
Das hier, der Bäcker bohrte seinen Finger in ein Säckchen mit Traubenzucker, ist C6H12O6. Das nehmen die Läufer, wenn sie nach den Endorphinen hecheln. Um Lucy zu sehen, muss man nicht in den Endorphinen laufen. Um Lucy im Himmel zu sehen, mit Diamanten, muss man nur Mutterkorn aus dem Mehl holen. Das hat Albert Hofmann von uns gelernt. Und dann stieg er in den Bus. Das Mountain Girl, Carolyn Adams, weißt du, sie wurde dann Jerry Garcias Alte, sie war die Fahrerin vom Further. Der bemalte Bus von den Merry Pranksters. Der Hippiebus. Der einzige, der Echte. Hier vorne, er deutete nach draußen, am Hugo-Wiener-Platz, in der Verlängerung von wo die Friseure ihren Salon haben, da war die Haltestelle vom Further. Glaub mir. So war das. Ein Ticket nach Haight-Ashbury kostete nicht die Welt. Einen Tag Arbeit, junge Frau, mehr nicht. Einen Tag Arbeit für einen Monat mit dem Further.
Am Steuer vom Further saß Carolyn. Und warum war sie das, warum war Carolyn die Fahrerin? Sie war eine Bäckerstochter aus Poughkeepsie, Newboboyork. Du bist zu jung, sagte der Bäcker und schaufelte Semmeln, nicht viel zu jung, aber sieben Jahre zu jung. Sieben Jahre älter, und du wärst mit uns gekommen, mit dem Further gefahren. Nach Esseff. Hinter die große rote Brücke, an den Strand, wo dich der Ozean holt. Alle waren sie Bäckerkinder, der ganze Hippieadel. Mutterkornkinder, Lucys Diamantenbrut. Jerry Garcia von den Grateful Dead, Paul Kantner von Jefferson Airplane und Maya Gegeris, sie wohnte in 908 Steiner. Alles Kinder von Bäckern, zu Hochmittag gezeugt, in der Sonne. Sonnenkinder, Bäckerkinder.
…………..
Textpassage aus meinem Roman „Boboville“, erschienen 2008 bei Residenz.