Channel 8 – Warum mein Roman zwei Seiten 150 hat.

Andrea Maria Dusl, 16. Mai 2010.

In Channel 8, der seltsam schwebenden, irisiserenden Liebesgeschichte zwischen einem Pariser Fernsehreporter und einer Sankt Petersburger Taschendiebin geht es um Sehnsucht, um Geheimnisse, um Traum- und Trugbilder.

In einem Antiquariat in Sankt Petersburg entdeckt Valentin, der Protagonist des Romans, ein Buch. Zwischen Puschkins und Dostojewskis, gefälschten Leninbriefen und dem Französisch-Vokabel-Heft Nabokovs. Es ist eine, 1528 erschienene Übersetzung der “Elemente”, des Hauptwerks des griechischen Mathematikers Euklid. Vertraut streicht Valentins Hand über das alte Papier, Valentin kennt dieses Buch, obwohl er es noch nie in der Hand hatte. Es ist eines jener Dejavues, die ihn in Laufe des Romans verfolgen. Im fün!en Band der Elemente schlägt Valentin die Seite 55 auf.

Capvt Quintvm. De Triangulis, über die Dreiecke, steht dort zu lesen. Valentin bemerkt, dass die beiden Seiten in dem Buch identisch sind, die linke wie die rechte. Euklid beschreibt die geometrischen Grundlagen des räumlichen Sehens. Und jetzt erinnert sich Valentin daran, wie er als Kind das Schielen übte. Und wie es ihm, als er es konnte, gelang, bei Suchbildern immer den Fehler vor allen anderen zu entdecken. Einfach, weil er durch Schielen die scheinbar identen Bilder übereinander legte und ihm so der eingebaute Fehler sofort und unmittelbar in Erscheinung trat. Solch ein Suchbild ist auch die doppelt gedruckte Seite 150 in meinem Roman Channel 8.

”Und jetzt lag Euklids Buch in seinen Händen und Valentin sagte sich, die Wahrheit liegt vor dir, hier irgendwo nach Passagen, hinter Durchgängen, und sie ist nur dir zugänglich, Valentin, dir dem Auge, das die Worte vor dem Text lesen kann. (…) Veritas post ocvlum, die Wahrheit liegt hinter dem Auge.”

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