Packen wir’s ein!

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 20/2024 vom 15. Mai 2024

Liebe Frau Andrea,
kürzlich war ich zu einem geburtstäglichen Mittagessen eingeladen und da in meiner Altersgruppe nicht mehr so heftig zugeschlagen wird wie ehedem, blieb doch vom Buffet so Einiges übrig. Das Personal des Lokals war aber so nett, die reichlichen Überbleibsel zu portionieren, transportfähig zu verpacken und uns zum Abschied zur Verfügung zu stellen. Unentgeltlich zudem, im Gegensatz beispielsweise zu Versailles, wo die „Reste“ des Mittagstischs an den Gittern des Schlosses ja gegen klingende Münze veräußert wurden. Und so fiel ein Wort, das mir nicht bekannt war und noch immer nicht ist: Das „Pschorr-Packerl“. Eine zugegebenermaßen oberflächliche Recherche führte mich einerseits in die Wirren der Heiratspolitik Münchner Brauereidynastien und andererseits in den Bezirk Mistelbach, zwei Stränge, die es mir nicht gelingt, zusammenzuführen.
Hätten Sie eine Idee? Mit besten Grüßen,
Andreas Willersinn, per Email

Lieber Andreas,

tatsächlich hat unser Wort nichts mit der Münchner Großbauerei und den namensgebenden Brauer-Familien Hacker und Pschorr zu tun. Auch die Mistelbachspur führt ins Leere, schreiben die dortigen Tourismusverbandler doch den Namen des gesuchten Gebindes falsch. Das Pschorr-Packerl ist in der Schreibweise „Bschoad-Packerl“ lexikalisch etabliert. Es bezeichnet eingepackte Speisen, traditionell das Essen, das bei Hochzeiten und anderen Festmahlen übrigblieb. Eine Etymologie will es von der Reiseverpflegung der zur Walz aufbrechenden Gesellen ableiten. Demnach käme es vom Bschoad (Bescheid), dem Gesellenbrief. Wahrscheinlicher ist eine Abkunft vom mittelhochdeutschen „bescheiden“, das in einer seiner Bedeutungen soviel hieß, wie „jemand etwas zuzuteilen“. Der Bschoad war also das Beschiedene, das Ausgeschiedene, Zugeteilte.

Das alte Wienerisch kannte das Bschadessn (Bescheidessen), das Bschadbinkal (Bescheidbinkerl) und das Bschaddiachchl, das Tuch, in die die Mitnehmsel eingebunden wurden. Versailler Zustände kannte das Alte Wien durchaus auch. Bei der „Schmauswaberl“, dem Gasthaus der Barbara Roman wurden die Reste der kaiserlichen Hoftafel und anderer herrschaftlicher Bankette zu moderaten Preisen abgegeben.


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Rätsel Leitkultur

Eine große Freude erfüllt die Österreicher·innen, wenn sie vor dem Rätsel stehen. Nichts kann mehr verzücken, als das Ungelöste, das Unverstandene, das Missverstandene.

Auch wenn sie sitzen, die Österreicherinnen und Österreicher und die mit ihnen mitgemeinten Neurästelnden, etwa beim Ausfüllen eines Erlagsscheines, einer Steuererklärung oder sonstwelcher schriftlicher und algebraischer Aufgaben, stehen sie vor einem Rätsel. Unbegreiflich sind immer auch die Segnungen der ditalen Welt, die digitale Signatur, wie immer sie auch gerade heißt, das Passwort für hier und dort, und wie man es wählt und allenfalls abruft, und besonders rätselhaft: Die Nummern auf den Ausweisen und Plastikkarten. Ebenso mysteriös für Österreicherinnen und Österreicher, und stets sitzend erfahren, sind die Hinweise im öffentlichen Raum. Verkehrszeichen und ihre wahre Bedeutung, die Zahlen auf Geschwindigkeitsbeschränkungen. Im trauten Heim lauern nicht weniger Rästel. Die Bedienungsanleitungen der Maschinen. Herde, Waschmaschinen, Heizungen und Heimwerkerzeug sind allesamt unverstanden im Wesen, undurchsichtig in der Bedienung. Als einziger durchschaut und deswegen so beliebt: Der Griller. Den Griller können auch die Rästelagnostiker bedienen. Einschalten. Grillen. Fertig.

Das einzige Rätsel, das die Landesbewohner·innen tatsächlich gelöst haben wollen, ist die Schuldfrage. In beliebiger Reihenfolge: Die Radfahrer, die Linken, die Rechten, die Pharmaindustrie, die Politiker, die Zeitungen und die großen Rätselwichte: Wladimir Putin, Donald Trump und Elon Musk. Und der galoppierende Genderwahn. Der besonders.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 11. Mai 2024.

Was ist eine Kut Kinder?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 19/2024 vom 8. Mai 2024

Liebe Frau Andrea,
meine Mutter, eine Südtirolerin, hat immer gesagt, jemand habe „eine Kut Kinder“, oder es seinen „eine Kut Leit“ (Leute) vorbeigegangen oder anwesend gewesen, oder ähnliches. Damit meinte sie eine größere, nicht näher definierte Menge oder Anzahl an Personen oder Tieren (aber nicht Sachen). Können Sie mir vielleicht bitte erklären, woher das Wort „Kut“ kommt?
Danke und Beste Grüße,
Rosa Santa, per Email

Liebe Rosa,

im Südtirolerischen hat sich ein Wort erhalten, das früher im ganzen deutschen Sprachraum gebräuchlich war. Die „Kut“, „Kutte“, „Kütte“ bezeichnete ursprünglich die Herde, Schar, und ganz im Sinne Ihrer Südtiroler Mutter, die kleinere oder größere Menschenansammlung.

Das Wort kommt über das althochdeutsche Neutrum „cuti“, „cutti“, „chutti“ vom mittelhochdeutschen „kütte“, „chütt“ oder „khüt“, wo es die Herde, meist die Schafherde bezeichnete. Niederländisch „cudde“ bezeichnete die Herde Kleinvieh, noch 1507 sprach man etwa in Köln von „eyn kudde schaefen of geyszen“ (einer Herde Schafe oder Geißen). Im Friesischen war „kedde“ die Schar, der Haufen von Menschen, und etwa „hirikedde“ der Heerhaufen. In Aachen bezeichnete „das kött“ einen Haufen von Menschen oder Sachen, es zirkulierte das Sprichwort „zwei es e paar, drej sönd e kött“ (zwei sind ein Paar, drei ein Kött).

Am längsten hat sich unser Wort, wie eingangs erwähnt, in Kärnten und Tirol (und immer mitgemeint: Südtirol) erhalten  Das Kärntnerische kannte und kennt für die Viehherde die „Kutte“ (Verkleinerungsform „Küttel“), das Tirolerische die „Kutten“, „Kutt“, „Kut“, die unbestimmte Menge, den Trupp, die Herde, zum Beispiel die „kutt facken“ (Schweineherde), „a kuttn saldotn“ (ein Trupp Soldaten), „a kutt mandar und weibarleut“ (eine Gruppe Männer und Frauen).

Im Schriftdeutschen ist von den vielen Varianten unseres Worts nur die jägersprachliche „Kette“ geblieben, womit in einer Reihe fliegende Feldhühner, Auerhühner, Birkhühner und Haselhühner bezeichnet werden. Ob insgesamt eine Verwandtschaft mit der metallischen Kette (lateinisch catena) besteht, ist noch unklar.


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Wie anscheinend ist scheinbar?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 18/2024 vom 2. Mai 2024

Liebe Frau Andrea,
ich trage seit einiger Zeit eine Frage mit mir herum, die ich vor kurzem in der Familie angesprochen habe, aber die Riege von Kindern und Enkelkindern hat mit Unverständnis reagiert und so frage ich Sie. Anscheinend ging im Laufe der Jahre die sprachliche Unterscheidung zwischen „anscheinend“ und „scheinbar“ verloren. Ich lese immer häufiger „scheinbar“ in der Bedeutung von „anscheinend“. Das mag ja normale Sprachentwicklung sein, aber braucht unsere Sprache wirklich den Unterschied zwischen nicht wahrscheinlich (scheinbar) und doch wahrscheinlich (anscheinend) nicht mehr? Oder haben sich etwa andere Ausdrucksformen für die Wahrscheinlichkeit einer Hypothese entwickelt, die ich nicht mitbekommen habe?
Mit freundlichen Grüßen und voller Spannung auf Ihre Analyse wartend,
Ihr Jörg Machek, per Email

Lieber Jörg,

für manche unter uns sind die Wörter „anscheinend“ und „scheinbar“ ident. Das Lager der Genauen legt indes Wert auf eine klare Unterscheidung. Mit dem Adverb „anscheinend“ wird für sie die Vermutung zum Ausdruck gebracht, dass etwas so ist, wie es „erscheint“: Augenscheinlich, also wahrnehmbar und faktisch ist es so und nicht anders. Diese Kolumne beantwortet anscheinend ihre Frage. Anscheinend ist ein gewisser Jörg der Fragende. Frau Andrea hat anscheinend auch hier sprachlichen Rat. Mit dem Adjektiv „scheinbar“ hingegen wird betont, dass etwas nur dem äußeren Erscheinungsbild nach, nicht aber in Wirklichkeit so ist: Scheinbar sind für andere die beiden Begriffe ident. Die Sache ist scheinbar einfach. Scheinbar liegt hier Sprachentwicklung vor.

Sehen wir uns eine Merkhilfe an: „Scheinbar“ und „anscheinend“ sind nur scheinbar dasselbe, was anscheinend viele nicht wissen. Ist das scheinbar alles? Anscheinend nicht, denn sonst endete die Kolumne hier. Ist doch die Unterscheidung zwischen den beiden Wörtern noch relativ jung, ihre Bedeutungen wurden erst im 18. Jahrhundert gegeneinander abgegrenzt. In der Alltagssprache wird weiterhin „scheinbar“ im Sinne von „anscheinend“ verwendet.

Die sehr ähnlichen Unterschiede zwischen „offenbar“ und „offensichtlich“ klären wir ein andermal.


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Österreichische Leit-Gegenstände

Sehen wir uns den Werte an, die es zu katalogisieren gilt. Die Kultur, die zur Debatte steht, in dem sie sich über jede Debatte stellen will. Schnitzel, Gulasch, Blasmusik. Osterhase, Krampus, Schifahren. Großglockner, Griassdi-Schnapserl, Schönbrunn. Die Liste steht für viele ähnlich lautende. Den Villacher Fasching könnte man noch dazunehmen, das Abschießen von Silvesterraketen, die Erinnerung an Cordoba.

Was aber, wenn der nördliche Nachbar daherkommt und das Schnitzel mit Tunke bestellt? Leiten ihn unsere Werte? Was, wenn den Vegetariern unter uns das Gulasch nicht mundet? Was, wenn wir unter Blasmusik eine Big Band verstehen oder eine Mardi-Gras-Kapelle? Was, wenn wir nicht an den Osterhasen glauben? Was, wenn wir mit dem Krampus Schwarze Pädagogik und Kindheits-Traumata verbinden? Was, wenn wir lieber wandern statt schifzufahren und bergzugondeln? Was, wenn wir den Bisamberg lieber haben, als den Glockner? Oder den Mönchsberg. Oder den Ruckerlberg. Oder schlicht den Strand in Caorle. Was, wenn wir Fernet trinken oder Wodka oder lieber gar nichts Alkoholisches? Und Schönbrunn? Kann uns Versailles nicht besser gefallen oder das Castel del Monte? Und was, wenn uns die Cheops-Pyramiden entzücken? Fallen wir dann aus der Leitkultur?

Wären leitkulturell nicht wichtiger die Kenntnis von und das Bekenntnis zu: Frauenrechten, Kinderrechten, Demokratie, Laizismus, Sozialstaat, Antifaschismus, Pluralismus, Wissenschaft, Republik, Gewaltentrennung, Menschenrechten?

Und scheitern an diesem Katalog nicht schon so manche Einheimische?

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 27. April 2024.

Zwickst du noch oder reißt du schon?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 17/2024 vom 24. April 2024

Liebe Frau Andrea,
letztes Wochenende, vor einem der wenigen Auftritte unserer Band, kam die essenzielle Frage auf: Woher kommt das Wort „aufzwicken“? Wir konnten es nicht klären, und zur späten Stunde hatten wir die Erkenntnis: Wenn uns jemand helfen kann, dann Sie, Frau Andrea. Warum wird „aufzwicken“ für „jemanden aufreißen“ verwendet? Natürlich lässt sich die Frage nach Bedeutung und Ursprung auch gleich bei „Aufreißen“ weiterführen. Können Sie uns weiterhelfen, damit wir uns bei der nächsten Probe wieder den Akkorddiskussionen widmen können?
Liebe Grüße,
Christian Hattinger, per Email

Lieber Christian, liebe Band,

lebten wir im benachbarten Bayern, verstünden wir unter aufzwicken das Hänseln, Necken und Verspotten eines Dirndls, eines Mädchens also. Leicht lässt sich damit pubertierendes Verhalten junger Burschen verbinden, die weder mit Gefühlen noch Umgangsformen im Reinen sind. Einige Sprachforscher wollen es aus dem Lateinischen ableiten, wo „accipere offensam“ sich über etwas ärgern bedeutet, wörtlich: Eine Unannehmlichkeit erfahren.

Die Sache liegt vermutlich einfacher. In der fälschlichen Annahme, Frauen wollten erstürmt und erobert werden wie eine widerspenstige Festung, haben sich Sprachbilder aus der handwerklichen Arbeit und dem schnellen Konsum etabliert. Frauen werden im scherzhaften Ton zu Verbrauchsgütern. Die Objekte der sexuellen Zuneigung werden aufgemacht wie Baustellengatter, aufgerissen wie Zementsäcke, aufgezwickt wie verperrte Zaunschlösser. Dem fügen sich andere Synonyme aus der Bauarbeitersprache an: Angraben und anbaggern.

Das Wienerische hat sich zum Thema in poetischer Breite aufgestellt. Zwar wird auch dort der Aufriss gemacht, meist aber wir etwas gefunden, etwa „a Hockn“ (eine Arbeit) aufgrissn oder „a Göd“ (Geld). A Foab (eine Farbe) aufreißn, bezeichnet das harmlose Erröten. Öfter und lieber wird aubandld (angebandelt), aubrodn (angebraten), schmeissd und wiaffd (schmeißt und wirft) ma sich an, schwimmd ma an. Derber und dem Aufreißen schon ähnlich: Das Aufhaun.

Große Poesie indes wäre: Si an Hosn eidsiagn (sich einen Hasen einziehen).


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Gesundes über den Krankensessel

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 16/2024 vom 17. April 2024

Liebe Frau Andrea,
im Zuge eines unguten Infektes habe ich mich daran erinnert, dass ich in meiner Kindheit (bin Jg. 62) für kranke Menschen ganz oft den Begriff „Krankensessel“ gehört habe. Beispielsweise von meinen Großeltern, durchaus in liebevollem Ton: „Du armer Krankensessel!“ Jetzt stellt sich mir die Frage, welcher Zusammenhang zwischen Marodsein und einer Sitzgelegenheit besteht, bzw. warum das eine Bezeichnung für einen Menschen ist. Über eine Antwort wäre ich hoch erfreut!
Mit herzlichen Grüßen,
Dagmar Fuchs, per Email

Liebe Dagmar,

als Angehörige der selben Erlebniskohorte kenne ich den Begriff ebenfalls aus meiner Kindheit. Im Kindergarten wurden krankheitshalber Abwesende als „Krankensesserl“ bezeichnet. Im Sitzkreis wurde ein leerer Kindersessel aufgestellt, was in der Remineszenz etwas spooky anmutet. In Infektionswellen fielen Sätze wie: „Heute haben wir aber viele Krankensesserl!“. Sehen wir uns die Genese des Begriffs an. Auch unsere bundesdeutschen und Schweizer Nachbarn kennen den Krankensessel, ein mittlweile historisches Möbel, einem Ohrensessel nicht unähnlich, in dem sitzfähige Kranke und Gebrechliche tagsüber der Gesundung harrten, mitunter auch ein kleines Nickerchen machen konnten. In der Literatur sehen wir Konjunkturen des Begriffs nach großen kriegerischen Ereignissen. Vor 1785 existiert der Begriff nicht, ähnliche Sitzgelegenheiten hießen „Ruhestuhl“. In Österreich (und nur hier) ist der Krankensessel zum Synonym für den Kranken selbst geworden.

Aus deutscher Perspektive ist ungeachtet dessen verwirrend, dass in Österreich auch Stühle traditionell als Sessel bezeichnet werden. Gilt doch jenseits des Weißwurstäquators als Sessel immer das größere, vornehmere, prächtigere oder bequemere Möbel. Möglicherweise hat in Österreich die Zweitbedeutung von „Stuhl“ sprachlichen Druck erzeugt und Präferenzen für „Sessel“ etabliert. Der mobile Toillettensessel mit Loch in der Sitzfläche heißt hierzulande aber noch ganz und gar unprosaisch „Leibstuhl“. Moderne Usancen in der Pflege werden den Begriff Krankensessel weiter erodieren.

Den Generation X, Y, Z und Alpha sagt er ohnedies nichts.


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Weisse Westen

Wann immer es um österreichische Vorgänge und heimische Sachlagen geht, ist die Verstehenskompetenz des gelernten Österreichers gefragt. Die gelernte Österreicherin ist immer mitgemeint, versteht sie doch auch noch den gelernten Österreicher selbst, den Mann, Vater, Bruder, Chef. Und natürlich den Mitarbeiter.

Im Verständnis der gelernten Österreicher und Österreicherinnen gibt es die hierarchisch-mechanische Zuschreibung derer „da oben“. Die, „die es sich richten können“. Den gelernten Österreicher·innen gelingt das natürlich nicht, sie können es sich eben nicht richten. Für hiesige Verhältnisse ist das unverrückbar wie ein Naturgesetz, mit dem Unterschied, das es kaum Empörung gibt gegen kosmische Konstanten. Gegen die da oben „allerweil“, also kontinuierlich. In Österreichpermanenz.

Nun zielt der Unmut gegen diese Verhältnisse garnicht gegen die Privilegien selbst, sondern gegen das von ihnen Ausgeschlossensein. Gelernte Österreicher·innen werden also daran arbeiten, selbst in den Genuss der Benefizien derer „da oben“ zu gelangen, also dorthin aufzusteigen, wo man „es sich richten“ kann. Sich. Nicht allen. Nicht jeder, nicht jedem. Und möglichen anderen nur, wenn es dem eigenen Vorteil dienlich ist. Bananenrepublikanische Vorgänge im Land der Hämmer, Äcker, Dome sind nur im Wissen um diese Mechanismen verstehbar.

Die Frage, was das mit den Menschen macht, die sich dieser Österreichkonstituente bewusst sind, sollten sich jene stellen, die dieser Frage duch Aufstieg in die Korruptionsetagen erfolgreich entkommen sind. Die da oben. Die es sich richten können. Sich.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 13. April 2024.

Foto Horowitz

In meinem Roadmovie „Blue Moon“ sucht der Held Johnny Pichler (Josef Hader) fieberhaft nach der Heldin (Viktoria Malektorovych), in die er sich unsterblich verliebt hat. Er kennt ihren Namen nicht, weiß nicht, woher sie überhaupt ist. Alles was er hat, um sie zu finden, ist der Stempel auf der Rückseite eines Streifens mit Passbildern von ihr. „Foto Horowitz, Lviv“ steht da. Nur deswegen ist Johnny Pichler überhaupt in die Ukraine gekommen. Wegen „Foto Horowitz, Lviv“.

„Foto Horowitz“ war meine Hommage an den großen Fotografen Michael Horowitz.

Wieso wir einen Stern reißen

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 15/2024 vom 10. April 2024

Liebe Frau Andrea,
kürzlich erzählte die Burgschauspielerin Anna Starzinger eine sehr schöne Geschichte. Sie fuhr mit dem Rad, als ihr ein Wiener nachrief: „Hearst, du wirst da an Stern reissn!“ Sie habe völlig perplex angehalten. Aufgeregt redete der Wiener weiter: „Se Bandl from your Gürtel is going into se Radl des tut ur weh!“ Starzinger blickte verzückt und bedankte sich. Ich aber frage mich, woher kommt die Wendung „An Stern reissen“, wenn man auf die Goschen fliegt. Und woher kommt der Ausdruck Goschen?
Fragt ihr Franz Leopold, per Email

Lieber Franz,

wen es in Wien und sprachverwandten Gegenden aufsdrahd (aufstreut) oder aufbladld (aufblättert), wer also spektakulär hinfällt, sei es im Gehen, Laufen oder Fahrradfahren, reißt einen sogenannten Stern. Eine Figur deren Endpunkt nicht selten einem fünfstrahligen Stern ähnelt. Das Reissen (des Sterns) kommt wohl aus der Handwerkssprache, wo das Anzeichen, Markieren als Anreißen, Reißen bezeichnet wird. Ein Synonym zum gerissenen Stern ist der „Fritzelack“, der auf ein legendär-populäres Werbesujet der rennomierten Lack-Firma O. Fritze referiert. Es zeigt einen Lehrbuben, der gerade auf einem Bretterfußboden nach vorne gefallen ist, alle Viere von sich gestreckt, gestraft mit dem Zusatz-Malheur aufgesprungener und am Boden ausgeronnener Lackdosen.

Die Gosche, Gosch(e)n ist älteren und weiter gereisten Ursprungs. Wir kennen sie aus der wienerischen Aufforderung „Gusch!“ oder „halt die Goschn!“ (sei still!) und dem Adjektiv „goschert“ (vorlaut, redefleissig, frech, prahlerisch, angeberisch). Wer jemand beleidigt, „hängt ihm eine Goschn an“. Das Wort wird vergeblich im Althochdeutschen oder Mitthochdeutschen gesucht, kommt es doch mit großer Wahrscheinlichkeit vom italienischen „gozzo“, Kropf, auch Hals, Gur-gel, Schlund. Es soll über (gar)gozza oder gargozzo vom vulgärlateinischen *gurgutia oder *gargutium kommen. Eine anderere Etymologie leitet gozzo von *guttium, einer Variante des lateinischen guttur, Kehle ab. Auch ein vulgärlateinisch vorgeschlagenes *gusia (vom spätlateinisch-gallischen geusiae) wird als Herkunft von gozzo, Gosche in Betracht gezogen.

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