Leise, schreiend, vertrottelt und genial

An einer Akademie muss nichts vermittelt, sondern der Austausch von Ideen in jede Richtung ermöglicht werden, erklärt Andrea Maria Dusl, Filmregisseurin, Cartoonistin und Kolumnistin für die Stadtzeitung „Falter“, im Gespräch mit Anne Katrin Feßler.

Originalfassung des Emailinterviews über mein Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Wien, das am 22.6.2006 im Standard erschien. Das Bild von mir war mal Falter-Cover und ist von Heribert Corn vor der Gartenfassade des Café Rüdigerhof geknipst worden

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Anne Katrin Feßler: Rückblickend auf ihre Ausbildungszeit an der Akademie: Worin bestand die Ausbildung?

AMD: Vier Jahre Bühnenbildstudium. Das waren eine Menge Vorlesungen. Bühnentechnik und Lichtmachen, technisches Zeichnen, Kostümkunde, was weiss ich, was noch alles, Dramaturgie, Kunstgeschichte, ein dicker Katalog an Lehrfächern.
Aber für mich war die Akademie morgens Frühstücken mit Lois Egg, dem Meisterschulleiter, einem feinen, eleganten und weltoffenem Herrn. Er trug feinste italienische und englische Anzüge und konnte unfassbar gut zeichnen. Wen er mochte, den lehrte er, die Welt zu sehen. Nach einem Jahr war ich seine Assistentin und arbeitete am Theater. Am richtigen Theater! Ich baute Modelle, leitete Bauproben, sass mich müde in Proben. An der Akademie entwickelten wir Ideen für Eigenes. Von meinen Kolleginnen und Kollegen Stefan Riedl, Ulf Stengl und Raja Reichmann habe ich Zeichnen und Malen gelernt, von Josef Mikl in vier Jahren täglichen Aktzeichnens das Schauen, in der Bibliothek die Bewunderung für alte Bücher. Dazwischen sassen wir mit den narrischen Malern beim Smutny, tranken Budweiser und assen Gulasch.

Was ist Ihnen gut in Erinnerung geblieben?

Der Geruch des Leinöls aus den Malerklassen. Das Haus am Schillerplatz und sein stiller Zauber. Die vielen, vielen Feste. Das aussergewöhnliche dieses „Studiums“. Lois Eggs Turm. Das Zimmer, in dem Professor Griepenkerl den jungen Adolf Hitler abgelehnt hat. Dort habe ich mir mit einem Stanleymesser fast die Zeigefingerspitze abgeschnitten. Es hat Hölle geblutet.

Vermisst habe ich Sloterdijk. Für Sloterdijks gesprochene Sprache kann ich mich begeistern. Den hätte ich gerne während des Studiums kennengelernt. Den hätte ich zum Smutny geschleppt.

Was soll Ihrer Meinung nach den StudentInnen an der Akademie vermittelt werden?

Vermittelt soll gar nichts werden, ich halte diesen ganzen neoliberalen Vermittlungsquatsch nicht mehr aus. Die Akademie soll den Austausch von Ideen zwischen Professoren und Studenten, Studenten und Studenten und Professoren untereinander ermöglichen. Das ist das Wesen einer Akademie. Seit den griechischen Akademien ist das so. Kunst kann nicht gelernt werden, sondern nur gesucht und gefunden. Die meisten Künstler kommen schon als Künstler auf die Welt, das kann nicht gelehrt werden. Nur ermöglicht. Oder verunmöglicht, wie unter dem Krixikraxizeichner Wolfgang Schüssel, der den Künstlern aus persönlicher Perfidie das soziale Messer angesetzt hat.

Was hat Ihnen persönlich die Ausbildung gebracht?

Alles. Ich habe gelernt, mich zu entschulen, mich selbst zu entdecken.

In künstlerischer Hinsicht oder hinsichtlich der Positionierung am Kunstmarkt ?

Den „Kunstmarkt“ halte ich für eine Perversion. Der Kunstmarkt hat mit Markt zu tun, nicht mit Kunst. So wie eine Schlafzimmerausstellung nichts mit Liebemachen zu tun hat.

Was fehlt in der Ausbildung? Was sollte anders gemacht werden?

Wie das jetzt ist, weiss ich nicht, 1981 fand ich die Akademie sehr gut. Sie war alles: Verstaubt und modern, leise und schreiend, vertrottelt und genial.

Von wann bis wann haben Sie an der Akademie studiert und in welcher Klasse/Professor?

1981 bis 1985. In der Meisterschule für Bühnenbild bei Lois Egg. Diplomiert habe ich mit zwölf riesigen Illustrationen eines fantastischen Bühnenbilds für Goethes Faust. Das war ein Quantensprung für mich. Der Zwängler Wonder, der in meinem Diplomjahr Lois Egg beerbt hatte, hat meinen Faust nicht begriffen, Arnulf Rainer und Josef Mikl schon. Damals gab es noch Diplombegehungen des Kollegiums. Das Kollegium und nicht der zuständige Professor hat die Diplome und den Magistertitel verliehen. Ich glaube, heute ist das alles wie bei den Juristen. Das läuft heute vielleicht sogar vollautomatisch.

Alles ist Input…

Andrea Maria Dusl über social skills wie Erfindungsreichtum und Hartnäckigkeit sowie das Switchen zwischen einzelnen Kunstsprachen. Interview von SABINE PERTHOLD.

Sie haben an der Akademie der bildenden Künste die Meisterklasse für Bühnengestaltung absolviert. Seit etlichen Jahren beliefern Sie die Stadtzeitung FALTER mit gesellschaftskritischen Kolumnen und das Magazin FORMAT mit Zeichnungen und Karikaturen. Wer waren Ihre Lehrer und wie vollzog sich die Abwendung vom groß dimensionierten Bühnenbild hin zur Vorliebe für schrullig-satirische Petitessen?

Mein Lehrer an der Akademie war Lois Egg, ein Gentleman und Künstler wie ich später wenige kennengelernt habe, mit Ausnahme von Michael Haneke vielleicht. Lois Egg hat uns vor allem beigebracht, an uns selbst zu glauben. Im zweiten Jahr an der Akademie war ich dann schon seine Assistentin. Zeichnen habe ich von meinem Vater und meinem Onkel gelernt, beide waren Architekten. Zum Falter bin ich eigentlich zufällig gekommen, die haben einfach angerufen und Illustrationen für einen philosophischen Essay gebraucht. Das war lange, nachdem ich begonnen habe, Filme zu machen. Vom Bühnenbild habe ich mich nach sieben Jahren am Theater eigentlich deshalb entfernt, weil mir das Regieführen, die Arbeit mit Schauspielern und Text viel mehr zugesagt hat. Das war während der Produktion von MEIN KAMPF von George Tabori am Akademietheater. Wenn man so will, war also auch Tabori ein Lehrer von mir. Und Thomas Bernhard. Ohne dass er das wusste. Und während einer sehr sehr langen Zeit bin ich täglich ein paar mal im Kino gesessen, im Filmmuseum, um die Filmgeschichte in mich aufzunehmen, in den anderen Kinos, um das zu sehen, was gerade Mainstream war oder in zerkratzten Kopien für Verrückte wie mich gezeigt wurde.

„Blue Moon, you saw me standing alone
Without a dream in my heart,
Without a love of my own…”

…heißt es in dem berühmten Lied von Julie London, das titelgebend war für Ihren preisgekrönten Erstlingsfilm BLUE MOON, einem modernen Märchen über die Liebe zwischen Ost und West. 12 Jahre haben Sie an diesem Projekt gearbeitet, das ursprünglich in mehreren Folgen á zwei Minuten mit dem Titel „In 80 Tagen um die Welt“ geplant war. Welche Faktoren haben Sie über eine so lange Zeit an die Realisierung des Projektes glauben lassen?

Meine sechs Kurzfilme AROUND THE WORLD IN EIGHTY DAYS waren eine unmittelbare Antwort auf die Weigerung der Färderungen, sich mit meinen Stoffen auseinanderzusetzen. Zu dieser Zeit kämpfte Ulrich Seidl gerade darum, seinen Film GOOD NEWS überhaupt ins Kino zu bringen. Wir hatten damals viel Kontakt und die Hartnäckigkeit, mit der Ulrich gegen den Strom schwamm, hat mich sehr bestärkt. Ich habe ein Konzept entwickelt, Kurzfilme zu finanzieren, zu drehen und im Werbeblock der Kinos unterzubringen. Diese 35mm-Zweiminüter habe ich selbst produziert und mit meinem damaligen Freund, dem Kameramann Peter Zeitlinger realisiert. Unsere virtuelle Firma hieß „Pokorny und Prohaska“. Ohne Firma durfte man beim Monopol-Kopierwerk „Listo“ nämlich keine Kopien ziehen lassen. Teile des Materials hat mir Michael Synek geschenkt und die Figur des Pichler hat Rainer Egger mit mir auf zahlreichen Recherchereisen in den Osten entwickelt. Die „Achtzig Tage“ habe ich auf der DVD von BLUE MOON als Bonus untergebracht, weil sie die genetischen Eltern von BLUE MOON sind. Aus der Idee dieser Kurzfilmserie habe ich dann das Drehbuch für BLUE MOON entwickelt. Die erste Version war Anfang der 90er-Jahre fertig, es hat aber schließlich bis 1998 gedauert, bis der Stoff bei Erich Lackners Produktionsfirma Lotus-Film gelandet ist. In dieser langen Zeit waren es Rainer Egger, Michael Synek und Michael Glawogger, die immer wieder an das Projekt geglaubt haben. (Von mir mal abgesehen!) Die Arbeit am Drehbuch selbst hat nicht länger gedauert, als bei anderen Stoffen. Eher im Gegenteil. Ich bin sehr schnell im Schreiben. Die harte Nuss war, um mit Achternbusch zu sprechen, die Chance zu nutzen, die ich nicht hatte.

Sie sind Multifunktionärin: Neben Schriftstellerin, Kolumnistin (Ihre Bonmots als Comandantina Dusilova unter www.geocities.com/Pentagon/4404/ werden von Havanna bis Moskau zum Frühstück gereicht) und Drehbuchautorin sind Sie auch „Sophistin“; Ihr virtuelles Hangout kann man unter www.digitalien.org/sofa genießen. Woher beziehen Sie den Input für Ihre Geschichten und treffenden Satiren?

Ich bin eigentlich keine Multifunktionärin, weil alles gleichzeitig in mir abläuft. Die Bilder, die Geschichten und die Dialoge. Film ist also das Normale, und das andere die Spezialdisziplinen, in denen ich Teile dessen ablade, was sich ununterbrochen anhäuft. Für den Input brauche ich mich nicht sorgen. Alles ist Input. Eher geht es darum, das Naheliegende, das Banale aus seinem Zusammenhang zu nehmen und wie eine seltene Pflanze zu untersuchen.

Welche Auswirkungen hat die eindeutige Entscheidung für den Beruf der Künstlerin auf Ihr Lebenskonzept, hinsichtlich Arbeitszeit, Verdienstmäglichkeiten und Einklang mit Privatsphäre?

Ich habe kein Lebenskonzept. Eher hat das Leben mich. Ich habe keine Berufsentscheidung getroffen, jedenfalls nicht wissentlich und kenne keinen Unterschied zwischen privat und äffentlich. Das verschmilzt mir immer zu einem Ganzen. Die einzigen Disziplin, die ich mir inzwischen zugelegt habe, ist hin und wieder nein zu sagen, an Tagen, an denen die Kalenderblätter rot sind, nicht an Geld zu denken und dann zu schlafen, wenn ich müde bin. Manchmal läse ich Probleme im Schlaf. Dazu sind Träume nämlich da.

Wie sehen Sie sich als Frau im Kontext des aktuellen ästerreichischen Kunstgeschehens eingebunden, was Auftragslage und Nachfrage betrifft?

Frauen haben es schwer, erstens überhaupt und zweitens in Österreich. Frauen haben es aber andererseits auch wieder leichter, weil sie mehrdimensional denken, horizontale Netzwerke aufbauen statt vertikaler Aufstiegshilfen und das Geld nicht in Autos und Männerspielsachen investieren müssen. Dass das international akklamierte ästerreichische Filmwunder zum großen Teil von Frauen realisiert wird, ist doch fantastisch!

Sie bedienen in den bereits angesprochenen Medien unterschiedliche Bildsprachen mit unterschiedlicher Methodik. Welches ästhetische Konzept verfolgen Sie beim Switchen quer durch die Gattungen und Genres? Welche Aspekte interessieren Sie so sehr, dass sie Sie in Ihrer Arbeit hervorheben und bewusst machen wollen?

Jedes Genre hat seine Gesetze und Grenzen. Ich versuche herauszufinden, was diese Gesetze sind und wo die Grenzen verlaufen. Daraus ergibt sich die Form. Sobald ich das für mich herausgefunden haben, habe ich innerhalb dieser Grenzen alle Freiheiten, eingeschlossen die, die Grenzen auch zu sprengen. Ich bin zweisprachig aufgewachsen, meine Mutter ist Schwedin. Das Denken in zwei Sprachen macht das Switchen zwischen Sprachen, und etwas anderes sind künstlerische Genres ja nicht, mäglicherweise einfacher. Keine Ahnung, das müsste man neurologisch erforschen. Das einzige was ich nicht kann, ist zu sprechen, während ich ein Instrument spiele. Vermutlich, weil bei mir Sprache und Musik im selben Gehirnareal ablaufen. Andere können das.

Sie sagten einmal: Film ist vermutlich die anstrengendste Selbstverwirklichung, die die Menschheit hervorgebracht hat. Wie sieht es mit Ihren filmischen Zukunftsplänen aus?

Ich denke, ich kännte gesagt haben, Film sei möglicherweise die anstrengendste, ganz sicher aber die teuerste Selbstverwirklichung. Ich schreibe gerade das Drehbuch zu meinem nächsten Spielfilm CHANNEL 8 wird sehr spannend werden. Da geht es um die Frage, was passiert, wenn das Leben eines Menschen im Traum eines anderen auftaucht, wenn Traum und Wirklichkeit ineinander laufen. Der Film spielt in Paris und Sankt Petersburg und handelt von einem Fernsehkorrespondenten und einer Malerin, deren Gedankenradios auf der selben Frequenz senden. CRAZY DAY, die Geschichte des Tages, an dem die Amerikaner in Bagdad einmarschierten, musste ich verschieben, weil Recherche in Bagdad momentan lebensgefährlich wäre. Vom Drehen ganz abgesehen. Und dann habe ich noch ein paar andere Stoffe in der Pipeline.


Dr. Sabine Perthold /GF Drehbuchforum Wien, Wien im Mai 2004. Aus den Interviews mit den österreichischen Filmemacherinnen Barbara Albert, Hilde Berger, Andrea Maria Dusl, Barbara Gräftner, Jessica Hausner, Kitty Kino, Käthe Kratz, Gabriele Mathes, Ulrike Schweiger und Amaryllis Sommerer für den Kulturbericht 2003 der Stadt Wien.

Blue Moon. „Man macht es einfach“

Nach zwölf Jahren Vorbereitung kommt „Blue Moon“, der erste Spielfilm von „Falter“-Mitarbeiterin Andrea Maria Dusl, ins Kino. Ein Gespräch über eine Parallelwelt namens Osten, über österreichische und ukrainische Josef Haders, über die Farbe Rot und die Heimeligkeit von Beton. WOLFGANG KRALICEK und KLAUS NÜCHTERN

Originaltext aus Falter 42/02 vom 16.10.2002

cover02_42.jpgDas Spielfilmdebüt von Andrea Maria Dusl beginnt auf hohem Niveau: Eine Frau geht eine lange, steile Stiege hinab – es handelt sich um die wohl berühmteste Stiege der Filmgeschichte. Hier, in der ukrainischen Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer, wurde Sergej Eisensteins Stummfilmklassiker „Panzerkreuzer Potemkin“ (1925) gedreht. Wie die Frau auf die Stiege gekommen ist, erfährt das Publikum erst neunzig Minuten später – dazwischen liegt „Blue Moon“, ein Roadmovie, das vom Stadtrand Wiens über Bratislava und Kiev bis nach Odessa führt.
Nach einer missglückten kriminellen Transaktion flieht Johnny Pichler (Josef Hader) gemeinsam mit dem Callgirl Shirley (Viktoria Malektorovych) in Richtung Osten. Er verliert die mysteriöse Fremde wieder, fährt ihr nach – und findet im ukrainischen Lviv (dem ehemaligen Lemberg) ihre nicht minder geheimnisvolle Schwester Jana, eine Taxifahrerin. Erst nach zahlreichen Hindernissen und Umwegen endet die Reise, auf der Pichler zwischendurch von dem im wilden Osten gestrandeten Geschäftsmann Ignaz (gespielt vom deutschen Komödienregisseur Detlev Buck) begleitet wird, schließlich am Fuße der Stiege, im Hafen von Odessa.

Mit ihren 41 Jahren ist Andrea Maria Dusl als Filmemacherin eine Spätstarterin. Die Wienerin studierte Bühnenbild an der Akademie am Schillerplatz (Meisterklasse Erich Wonder) und Medizin (abgebrochen) und ist Falter-Lesern seit 1993 als Zeichnerin, Autorin und Kolumnistin („Fragen Sie Frau Andrea“) ein Begriff. Das Spielfilmprojekt hat Dusl seit ungefähr zwölf Jahren im Kopf – die Idee kam ihr knapp nach dem Fall der Berliner Mauer. Uraufgeführt wurde „Blue Moon“ im vergangenen August beim Internationalen Festival von Locarno; es gab zwar keinen Preis, aber gute Presse, Einladungen zu anderen Festivals – und erfolgreiche Verkaufsgespräche: Bereits Ende Oktober startet „Blue Moon“ in den deutschen Kinos; die Schweiz, Holland und Italien folgen nächstes Jahr.

FALTER: Ich habe dir vor über zehn Jahren einmal Geld gegeben und damit einen Kader eines noch nicht existierenden Films von dir gekauft. Kann ich den Kader jetzt haben? Ist „Blue Moon“ endlich der Film, den ich co-finanziert habe?

ANDREA MARIA DUSL: Nein, du hast das Vorläuferprojekt unterstützt: „In achtzig Tagen um die Welt“. Der Plan war, achtzig zweiminütige Kurzspielfilme zu machen, sie mit privaten Sponsoren zu finanzieren und ins Kino zu bringen. Ich habe aber nur die ersten sechs Tage geschafft.

Geht „Blue Moon“ auf dieses Projekt zurück?

In Ansätzen, weil das Thema der Reise in den Osten schon vorhanden war. Allerdings haben sich in den zwölf Jahren, die mittlerweile vergangen sind, die Schauplätze so radikal gewandelt, dass ich das immer wieder umschreiben musste.

Wobei der Film ja keinen dokumentarischen Charakter hat, sondern eher einem Märchen gleicht. In Wirklichkeit wäre Johnny Pichler vermutlich knapp nach der Grenze erschossen worden.

Nein, gar nicht. Ich kann euch versichern, dass alle Geschichten, die in den Film eingeflossen sind, so oder so ähnlich tatsächlich passiert sind!

Was fasziniert dich denn am Osten?

Dass er eine Parallelwelt war. Wir sind ja in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass hinter dem Eisernen Vorhang der so genannte Russe nur darauf wartet, uns in den Weltkommunismus einzugemeinden, was auch längst schon geschehen wäre, wenn es die Amerikaner und das Gleichgewicht des Schreckens nicht gegeben hätte. Aber diese Propaganda habe ich nie geglaubt. Schon als Kind nicht. Man hat immer nur Militär und Paraden gesehen, und ich habe mir gedacht: Da muss es doch auch Menschen geben. Außerdem kommt meine Familie ja ursprünglich aus Tschechien, und die Familiengeschichten waren genau das Gegenteil von böse. Diese Wurzeln wollte ich wieder finden.

Wann bist du denn zum ersten Mal in den Osten gereist?

Mit vier Jahren. Und die Ästhetik der Moderne, die dort viel stärker präsent war, hat einen so starken Eindruck hinterlassen, dass ich mich an Orten wie dem Stadionbad immer sehr wohl gefühlt habe. Alles, was aus Beton ist, hat für mich immer etwas sehr Heimeliges gehabt. Das dürfte aus dieser Zeit stammen. Als ich dann später, zu Beginn meines Studiums, nach Prag gefahren bin, war das auch eine Begegnung mit der Wirklichkeit: Es war schlimm zu sehen, dass der Kommunismus die Menschen nicht nur unfrei gemacht, sondern einfach gebrochen hat.

Aber „Blue Moon“ spielt ja in der Gegenwart. Was hat dich daran interessiert?

Diese Mischwelt aus dem, was der Kommunismus aus der Vergangenheit herausgeschnitzt hat, und dem, was an Neuem aus dem Westen importiert wird.

Wobei der Westen ja eigentlich nicht vorkommt: Man sieht keinen McDonald’s und kein einziges Coca-Cola-Schild.

Das sieht man im normalen Straßenbild auch kaum. Die Abwesenheit von Coca-Cola-Schildern hat aber einen anderen Grund: Aus ästhetischem Kalkül haben wir auf Rot und Gelb verzichtet.

Rot ist doch das Kleid des Püppchens in der Flasche, die Johnny und Jana im Motel finden.

Genau. Und damit das eine größere Wertigkeit bekommt, habe ich alle anderen Rots aus dem Film verbannt.

Gibts nicht einmal rote Ampeln?

Ich glaube, ich habe sogar die roten Ampeln verhindert. Es gibt aber natürlich rote Fahnen.

Und Gelb?

Gelb ist das Taxi von Jana. Und das muss als Signal natürlich auch unverbraucht bleiben.

Wie waren die Drehbedingungen?

Sehr charmant.

War es so, wie man sich das vorstellt – dass man ständig Leute schmieren muss und dauernd mit Mafiosi zu tun hat?

Ganz anders. Das Vorurteil besagt, dass alles voller Mafiosi ist, dass Urteil jedoch lautet, dass alles mit Geschäftsmännern voll ist.

Westlichen?

Östlichen. Die westlichen Geschäftsmänner sind den östlichen untertan.

Und welche davon haben nun die Dreharbeiten ermöglicht?

Es ist so, dass man im Wesentlichen einen großzügigen Vertrag mit einer Sicherheitsfirma abschließt und damit alles paletti ist. Mit irgendeiner Mafia hat man nicht den geringsten Kontakt.

Wer weiß, wem die Sicherheitsfirma gehört?!

Unsere hieß „Titan“. Die Leute hatten sehr hübsche, schwarze Uniformen und blank geputzte, frisch geölte Kalaschnikovs und haben uns extrem gut betreut.

Und du konntest dann überall drehen?

Fast. Ich wollte unbedingt in Dnjepropetrowsk drehen, der Stahlmetropole der Ukraine, in der zweieinhalb Millionen Menschen leben. Die Security-Firma hat allerdings gesagt, dass wir überall sonst, nur nicht in Dnjepropetrowsk drehen können. Dort könnten sie für unsere Sicherheit nicht mehr garantieren, weil die Security-Firma von Dnjepropetrowsk mit den Sicherheitsfirmen der Rest-Ukraine nicht zusammenarbeitet.

Aber in dem Film steigen Johnny und Ignaz ja in Dnjepropetrowsk aus dem Bus?

Sie steigen nicht wirklich in Dnjepropetrowsk aus, die Szene ist in Kiew gedreht. Aber wären sie in Dnjepropetrowsk ausgestiegen, hättest du den Unterschied nicht gemerkt.

Du hast zwölf Jahre an dem Projekt gearbeitet – was hat denn so lange gedauert?

Es hat ja niemand auf dieses Thema gewartet oder gesagt: „Frau Dusl, machen Sie doch endlich einen Film mit uns!“ Wenn ich vor zehn Jahren jemand gefunden hätte, der das auch produzieren wollte, wäre es natürlich wesentlich schneller gegangen.

Du hast ein Bühnenbilddiplom, zeichnest, hast begonnen, Medizin zu studieren … Warst du „eigentlich“ schon immer Filmemacherin?

Ja, genau. Im Ernst. Meinen ersten Film habe ich mit zwölf gemacht – eine Super-8-Dokumentation einer Londonreise mit meiner Mutter. Alle anderen Unternehmungen waren eigentlich Erfüllungsgehilfen meiner Sehnsucht nach dem Kino.

Deine legendären Panoramazeichnungen für das „FORVM“ …

… waren im weitesten Sinne Cinemascopefilme.

Wie soll man sich deine Sehnsucht nach dem Kino vorstellen? Bist du eine Cineastin?

Es hat eine Zeit gegeben, in der bin ich zweimal täglich ins Kino gegangen.

Der Film beginnt ja auch mit einem großen Zitat. Eine Hommage?

Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ wurde genau auf dieser Stiege in Odessa gedreht – allerdings wurden die Stufen in der Zwischenzeit ausgewechselt; bei Eisenstein sind sie sehr abgewetzt. Ich wollte mit dieser Treppe aber kein Zitat bringen, sondern den Ort mit ganz normalen Bildern neu besetzen.

Wie hat denn das Casting funktioniert? Wie wichtig war es, dass Josef Hader und Detlev Buck marktgängige und populäre Namen sind?

Ich war in erster Linie der Geschichte verpflichtet, aber natürlich wird es in Hinblick auf die Finanzierung einfacher, wenn da klingende Namen dabei sind.

Mit anderen Worten: Es wäre komplizierter gewesen, die Hauptrolle nicht mit Hader zu besetzen als einen Star wie Hader für ein Regiedebüt zu kriegen?

Genau. Und nachdem ich in der österreichischen Kinowirklichkeit damals nicht gerade als Star gehandelt wurde, mussten das andere übernehmen.

Hattest du keine Angst, dass sich ein arrivierter Regisseur wie Detlev Buck bei deinem Regiedebüt einmischen wird?

Nein, denn eine Qualität von Regisseuren ist es ja, zu wissen, was sie tun. Und genau das hat der Detlev gewusst: dass er hier eben als Schauspieler engagiert ist. Wenn er gesagt hat, dass er etwas anders machen würde, dann in dem Sinne, dass die einen halt Kaffee und die anderen eben Tee trinken.

Was wurden eigentlich aus den beiden schwulen Dentisten aus Bochum, die von Tex Rubinowitz und Thomas Kussin dargestellt werden hätten sollen?

Die sind im weitesten Sinne der Stringenz der Handlung zum Opfer gefallen. Ursprünglich hätten sich die in einem ungarischen Dampfbad an Johnny Pichler heften und ihn für die Suche nach der Tochter von Marcello Mastroianni missbrauchen sollen, von der sie behauptet hätten, dass sie jetzt Opernsängerin in Dnjepropetrowsk sei.

Jetzt verstehen wir, dass du das lieber nicht verwendet hast. Überhaupt sind wir sehr erleichtert, dass „Blue Moon“ kein Kabarettfilm geworden ist.

Ich weiß wirklich nicht, was das ist! Ich kenne viele Kabarettisten und bin mit manchen befreundet, war aber mein Leben lang nur zwei Mal im Kabarett – einmal mit Wolfgang Kralicek bei Alfred Dorfer und ein anderes Mal mit Willi Resetarits in einem Programm von dessen Bruder Lukas. Ich habe auch den Josef Hader nur in Filmen im Fernsehen gesehen und nicht als Kabarettisten.

Wie macht man eigentlich einen Film, wenn man noch nie einen Film gemacht hat?

Die kurze Antwort lautet: Man macht es einfach. Die lange Antwort lautet: Es geht eh fast von selbst. Filmemachen ist keine solitäre Angelegenheit, und das Team macht das ja nicht zum ersten Mal. Ich habe zwar keine Ausbildung im akademischen Sinne, habe aber sehr viel in minderen Positionen beim Film gearbeitet – habe an der Ausstattung mitgearbeitet, Regieassistenz gemacht, am Drehbuch mitgeschrieben, beim Schnitt assistiert …

Was waren das für Filme?

Am Anfang Filme der Filmakademie, weswegen ich sehr viele Protagonistinnen des österreichischen Filmwunders auch persönlich kenne. Und als ich am Akademietheater bei George Taboris „Mein Kampf“ Bühnenbildassistentin war, habe ich sämtliche Zeit dazu genutzt, Tabori und Ignaz Kirchner über alle Parameter des Schreibens, Inszenierens und Spielens auszufragen. Das hat mir sehr viel gebracht.

Dass Josef Hader der einzige österreichische Darsteller ist, fällt eigentlich angenehm auf. Wie hast du denn die ukrainischen Schauspieler gefunden?

Das sind die Haders und Julia Stembergers der Ukraine und Slowakei! Es gibt keine Nebenrolle, die nicht mit Topleuten besetzt ist. Der Polizist im Gefängnis ist einer der wichtigsten ukrainischen Schauspieler, der LKW-Fahrer ist ein gefeierter Serienheld, und Viktoria Malektorovych ist der absolute Star: Sie musste während der Dreharbeiten ständig Autogramme geben. Auf der Stiege von Odessa waren siebzig Maturaklassen unterwegs – es ist lokaler Brauch, dass die Maturanten ihre Ausgewählte der Klasse da hochtragen müssen. Da war es selbst der Security unmöglich, die Stiege zu räumen. Also habe ich einen simplen, bösen Trick angewandt und mit Megaphonen verkünden lassen, dass jeder, der in dem Film im Bild sein möchte, zehn Dollar zahlen muss: Die Stiege war sofort leer!

Erstlingswerke sind meistens autobiografisch. Was steckt von dir in Johnny Pichler?

Gar nichts. Dieser Johnny Pichler ist wie ein Bruder für mich, den ich dabei beobachte, wie er seine Geschichte erlebt. Ich weiß von dem selbst gar nicht viel. Ich weiß aber sehr viel von der Jana, die ist mir viel näher. Von allen Figuren bin ich dort am meisten drinnen. Der Johnny ist zwar die Hauptfigur, aber sie ist für die Geschichte mindestens genau so wichtig.

Er ist der Fahrer, der durch den Film fährt, die Kamera.

Er hat viele Funktionen, das hat es auch für den Josef so spannend gemacht, diese Rolle, die so minimalistisch angelegt ist, mit seinem Feuer zu entzünden. Es hat mich manchmal geschreckt, wie sehr er mit dieser Rolle verwachsen ist, die ich mir ausgedacht hab!

Was ist dein nächstes Projekt?

Es wird CHANNEL 8 heißen und sich im weitesten Sinne mit Wahrnehmung und in engerem Sinne mit der Geschichte zweier Menschen beschäftigen: ein Fernsehjournalist und eine junge Malerin, die in St. Petersburg und Paris leben und auf eine atemberaubend unglaubliche Art miteinander verbunden sind.

Dauert das jetzt wieder zwölf Jahre?

Nein, das geht schneller. Die Startbedingungen der kleinen Andrea haben sich jetzt ja ein bisschen verbessert.

Wie viel verdient man eigentlich als Filmregisseurin?

Es ist kein Geheimnis: Film ist gut bezahlt und findet selten statt. Also, es gibt Berufe, in denen man sich blöder verdienen kann.

Bleibst du dem „Falter“ erhalten?

Da fährt die Eisenbahn darüber.


Bei der Viennale läuft „Blue Moon“ am 26.10., 11 Uhr, im Metro und am 28.10., 20.30 Uhr, im Gartenbau. Kinostart ist am 8.11.2002

La Luna azul austriaca en Roma

Blue Moon Poster.jpgSerá Blue Moon que inaugure la muestra “Nuevo Cine de Austria”, en Roma del 14 al 17 de octubre. Primer película de la directora vienesa que mezcla de road-movie y comedia romántica por Valeria Chiari.

 

14 octubre 2002

Cineuropa.org


Será la luna azul de Andrea Maria Dusl la que inaugure la muestra cinematográfica “Nuevo Cine de Austria”, en Roma del 14 al 17 de octubre, en la que se presentarán once películas producidas en Austria, ocho de ellas todavía inéditas en Italia.

Primer largometraje de la directora vienesa, Blue moon, se presentó a concurso en el Festival de Locarno de este año, donde obtuvo el mismo éxito que en su país. Mezcla de road-movie y comedia romántica, la película de Dusl combina géneros y varios países por los que el protagonista viaja para seguir los pasos de una mujer que se ha dado a la fuga. Un viaje que empieza en Austria y termina en Odessa, pasando por Eslovaquia.

Inspirada en las numerosas exploraciones que ha hecho la directora en los países del Este tras la caída del muro de Berlín, la película se había concebido originalmente como una serie de cortometrajes, de fotografías breves de esa parte del mundo, abierta después de muchos años de dolorosa clausura. “Fue una experiencia maravillosa explorar un mundo tan distinto y cercano a la vez, profundamente desconocido todavía”, cuenta Dusl, en Roma para presentar su película y promover su distribución en Italia. Blue moon ha terminado por ser un relato acabado que, a través de las acciones de sus personajes, revela las reflexiones de la directora.

Una historia romántica pero también una investigación y un descubrimiento

“Pensaba en una Odisea, en el descubrimiento de un continente y de las relaciones de interdependencia entre el Este y el Oeste. Blue moon puede analizarse en distintos planos, y la historia de amor entre Jana y Johnny es una metáfora de las profundas relaciones entre el Este y el Oeste. Es una historia sobre el deseo y el temor, el valor y la debilidad, lo establecido y el cambio”.

¿Es una historia verdadera?

“No solamente una; hay muchas historias que he recogido durante mis numerosos viajes al Este y que luego he fundido en una sola al escribir el guión. Por ejemplo, la historia del protagonista, obligado por un grupo de maleantes a dar todo su dinero para comprar un ladrillo, en lugar de robarle abiertamente, es verdadera”.

Terminar la película le ha llevado casi doce años…

“Sí, porque al principio había pensado en hacer una serie de cortos que se proyectarían por separado en las salas antes de las películas. Hice seis cortos, de dos minutos cada uno. El proyecto se iba a llamar La vuelta al mundo en ocho días. Mi idea era relatar ocho historias, pero mientras las hacía me di cuenta de que debía cambiar el enfoque que tenía previsto al principio. Y así, poco a poco nació Blue moon, aunque tardé otro tanto en encontrar un productor que tuviera el valor de apoyarla”.

Un road-movie por la Europa del Este no debe de ser precisamente un paseo. ¿Qué problemas tuvo en el rodaje?

“Rodar ya es de por sí tan difícil como nadar en el lodo. A menudo, la realidad de las cosas es distinta de las ideas que una tiene. Dirigir una película es probablemente la forma de realización personal más compleja que se haya inventado. E indudablemente es la más costosa. Teniendo esto en mente, y con la intención de hacer todo más fácil, rodé en secuencia todas las escenas para que los actores pudieran adquirir mayor espontaneidad. Por lo demás, es como un circo; siempre el mismo espectáculo pero nunca en el mismo lugar. Y al final, el espectáculo acaba por ser también siempre distinto”.

Interview with Andrea Maria Dusl

October 14, 2002

An Austrian Moon in Rome

Rome will host the “New Austrian Cinema” review from 14 to 17 October under Andrea Maria Dusl’s Blue moon when 11 Austrian films, eight of which have never been seen before in Italy, will be screened.

Blue Moon is the Viennese director’s first feature film, and it received the same warm reception at this year’s Locarno Festival that it did at home. Falling somewhere between a road movie and a romantic comedy, Dusl’s film mixes genres and the countries visited by the protagonist as he travels from Austria to Odessa in the Ukraine via Slovacchia.

Dusl’s frequent travels through former Eastern Bloc countries (after the Fall of the Berlin Wall) inspired this story. Initially she thought it would be a series of short films, snapshots of a part of the world that has returned to the light after long years of lacerating closure. “It was very positive and enthusiastic for me to explore a world that is so close but so very different. A world that we still know very little about,” said Dusl at today’s presentation of this film in Rome. That is how Blue Moon became a complete story that reflects its director’s point of view through the protagonist’s actions.

This film is both a romantic story and a search and discovery.

„I was thinking about an Odyssey to discover a continent and also about the condition of mutual dependence that exists between the East and the West. Blue Moon can be interpreted on various levels and the love story between Jana and Johnny is a metaphor for the profoudn relations between East and West. This is a story of fear and desire, courage and weakness, status quo and change.“

Is it a true story?

„Not just one, but many true stories that I collected during my numerous foreign trips to Eastern Europe. I mixed them up into a single story during one extenuating writing session. For example, the story of the protagonist being forced by a gang of lowlifes to give them all his money to buy a brick instead of stealing it, really happened.“

It took you almost twelve years to make this film…

„Because I first thought that this would be a series of short films. They were to have been screened in theatres prior to the main film. I made 6 2-minute films and the project was to have been called Around the world in eight days. I wanted to tell eight stories, but as time went by I realised that I had to take a different approach to my earlier plans. That is how Blue Moon came to be made. It took me as much time again to find a producer with the guts to board the project.“

A road movie that crosses Eastern Europe cannot have been easy. What problems did you come across during the production process?

„Making a film is in itself as difficult as swimming through wet cement. Reality is often so very different from the initial idea. Directing a film is probably the most personal form and most complicated form of creativity ever invented by man. And certainly the most expensive.

Having said that, I tried to make it easier on myself by shooting all the scenes sequentially. That enabled the actors to be more spontaneous. As far as everything else is concerned, I can only compare the process to a circus: the same show repeated over and over again but never in the same place. In the end, each show is different from the last.“

Valeria Chiari

Interview avec Andrea Maria Dusl

14 Octobre 2002

Une Lune autrichienne à Rome

C’est la lune bleue d’Andrea Maria Dusl qui ouvre la manifestation cinématographique «Nouveau Cinéma Autriche» à Rome du 14 au 17 octobre, au cours de laquelle seront présentée 11 films produits en Autriche dont huit encore inédits en Italie.

Premier long-métrage de la réalisatrice viennoise, Blue Moon a été présenté en compétition à Locarno cette année en remportant le même succès obtenu en Autriche. Entre le road-movie et la comédie romantique, le film de la Dusl mélange les genres et le paysage que le protagoniste traverse, pour suivre une femme qui s’échappe en cherchant de la retrouver. Un voyage qui débute en Autriche et se termine à Odessa, en Ukraine tout en passant par la Slovaquie.

Inspiré des nombreuses explorations de la cinéaste dans les Pays de l’Est après la chute du mur de Berlin et du rideau de fer, le film était à l’origine conçu comme une série de courts, de brèves photos de cette partie du monde revenu à la lumière après des années de fermeture déchirante. «Une expérience enthousiasmante qu’explorer un monde aussi différent et toutefois si proche et encore profondément méconnu» a révélé Andrea Maria Dusl, à Rome pour accompagner son film et le promouvoir auprès des distributeurs italiens. Blue Moon est devenue une histoire et à travers les actions des personnages, elle dévoile les réflexions personnelles de la réalisatrice.

Une histoire romantique mais aussi une recherche et une découverte de soi?

„Je pensais à un Odyssée, à la redécouverte d’un continent et des rapports d’interdépendance entre l’Est et l’Ouest. Blue Moon peut être compris sur différent niveaux et l’histoire d’amour entre Jana et Johnny est une métaphore des relations profondes entre Ouest et Est. C’est une histoire sur le désir et la peur, le courage et la faiblesse, le status quo et le changement.“

S’agit-il d’une histoire vraie?

„Non seulement ; il y en a plusieurs d’histoires vraies que j’ai recueilli au cours de mes nombreux voyages à l’Est en les réunissant après en une seule au moment de l’écriture. Par exemple l’histoire du protagoniste obligé par un groupe de voyous à donner tout son argent pour acheter une brique, au lieu de la voler, est vraie.“

erminer le film vous a coûté presque 12 ans…

„Oui, parce qu’au début j’avais pensé réaliser une série de courts qui auraient été projetés comme des clips avant le film. J’en ai réalisés six de deux minutes chacun. Le projet se serait appelé Tour du monde en huit jours. L’idée était de raconter huit histoires, mais en cours de route je me suis rendue compte que je devais avoir une autre approche par rapport à celle que j’avais prévu au départ. Et tout doucement Blue Moon a pris forme. J’ai eu besoin de beaucoup de temps aussi pour trouver un producteur assez courageux pour le soutenir.“

Un road-movie à travers l’Europe de l’Est n’a probablement pas été une promenade : quels genre de problèmes avez-vous rencontré sur le tournage?

„Tourner est en soi difficile comme nager dans la boue. La réalité des choses est souvent différente des idées de départ. Diriger un film est probablement la forme de réalisation personnelle plus complexe que l’homme ai jamais inventée. Et sans doute la plus chère.

Ceci dit dans l’espoir de rendre les choses plus faciles j’ai réalisé en séquence toutes les scènes du film pour que les acteurs puissent acquérir plus de spontanéité. Pour le reste tout ressemble à un cirque : toujours le même spectacle mais jamais dans le même endroit. Mais à la fin chaque spectacle finit par être toujours différent.“

Valeria Chiari

Intervista con Andrea Maria Dusl

14 Ottobre 2002

Una Luna austriaca a Roma

E’ la luna blu di Andrea Maria Dusl a inaugurare la rassegna cinematografica “Nuovo Cinema Austria”, a Roma dal 14 al 17 ottobre, nel corso della quale verranno presentate 11 pellicole austriache, di cui otto ancora inedite in Italia.

Primo lungometraggio della regista viennese, Blue moon è stato presentato in competizione al Festival di Locarno di quest’anno riscuotendo lo stesso successo ottenuto in patria. Tra road movie e commedia romantica, il film della Dusl mescola i generi e anche i paesi che il protagonista attraversa per seguire una donna in fuga tentando poi di rintracciarla. Un viaggio che inizia in Austria e si conclude a Odessa, in Ucraina, passando per la Slovacchia.

Ispirato dalle numerose esplorazioni della regista nei paesi dell’Est dopo la caduta del muro di Berlino e della cortina di ferro, il film era originariamente concepito come una serie di corti, brevi fotografie di quella parte di mondo ritornato alla luce dopo anni di lacerante chiusura. “E’ stata un’esperienza entusiasmante esplorare un mondo così diverso e sebbene tanto vicino, ancora profondamente sconosciuto” ha rivelato la Dusl, a Roma per accompagnare il suo film ed eventualmente promuoverlo alla distribuzione italiana. Blue Moon è così diventato un racconto compiuto che, attraverso le azioni dei personaggi, rivela le personali riflessioni della regista.

Una storia romantica ma anche ricerca e scoperta di sé.

“Pensavo a una Odissea, alla riscoperta di un continente e dei rapporti di interdipendenza tra Est e Ovest. Blue moon può essere inteso su vari livelli e la storia d’amore tra Jana e Johnny è una metafora delle relazioni profonde tra Ovest ed Est. E’ una storia sul desiderio e la paura, sul coraggio e la debolezza, lo status quo e il cambiamento”.

Si tratta di una storia vera?

“Non una sola; ce ne sono moltissime di storie vere che ho raccolto nel corso dei miei numerosi viaggi all’Est mescolandole poi in una sola in corso di scrittura. E‘ vera, per esempio, la storia del protagonista obbligato da un gruppo di balordi a dare tutti i suoi soldi per comprare un mattone, anziché derubarlo apertamente”.

Portare a termine il film le ha preso quasi 12 anni…

“Si, perché inizialmente avevo pensato di realizzare una serie di corti, che sarebbero stati proiettati come spot prima del film in sala. Ne ho realizzati 6 di due minuti ciascuno. L’intero progetto si sarebbe chiamato Giro del mondo in otto giorni. L’idea era quella di raccontare 8 storie, ma in corso d’opera mi sono resa conto che dovevo assumere un approccio diverso da quello previsto in principio. E così piano piano è nato Blue Moon, per il quale ho impiegato altrettanto tempo per trovare un produttore abbastanza coraggioso da portarlo avanti”.

Un road-movie attraverso l’Europa dell’Est non deve essere stata proprio una passeggiata: quali problemi ha incontrato durante le riprese?

“Girare è di per sé difficile come nuotare nel fango. La realtà delle cose è spesso diversa dalle idee di partenza. Dirigere un film è probabilmente la forma di realizzazione personale più complessa che l’uomo abbia mai inventato. E indubbiamente la più costosa.

Premesso questo, nel tentativo di rendere le cose più facili ho girato in sequenza tutte le scene in modo che gli attori potessero acquistare maggior spontaneità. Per il resto assomiglia ad un circo: sempre lo stesso spettacolo ma mai nello stesso posto. Ma alla fine anche lo spettacolo finisce per essere sempre diverso”.

Valeria Chiari

Entrevista con Andrea Maria Dusl

14 octubre 2002

La Luna azul austriaca en Roma

Será la luna azul de Andrea Maria Dusl la que inaugure la muestra cinematográfica “Nuevo Cine de Austria”, en Roma del 14 al 17 de octubre, en la que se presentarán once películas producidas en Austria, ocho de ellas todavía inéditas en Italia.

Primer largometraje de la directora vienesa, Blue moon, se presentó a concurso en el Festival de Locarno de este año, donde obtuvo el mismo éxito que en su país. Mezcla de road-movie y comedia romántica, la película de Dusl combina géneros y varios países por los que el protagonista viaja para seguir los pasos de una mujer que se ha dado a la fuga. Un viaje que empieza en Austria y termina en Odessa, pasando por Eslovaquia.

Inspirada en las numerosas exploraciones que ha hecho la directora en los países del Este tras la caída del muro de Berlín, la película se había concebido originalmente como una serie de cortometrajes, de fotografías breves de esa parte del mundo, abierta después de muchos años de dolorosa clausura. “Fue una experiencia maravillosa explorar un mundo tan distinto y cercano a la vez, profundamente desconocido todavía”, cuenta Dusl, en Roma para presentar su película y promover su distribución en Italia. Blue moon ha terminado por ser un relato acabado que, a través de las acciones de sus personajes, revela las reflexiones de la directora.

Una historia romántica pero también una investigación y un descubrimiento

“Pensaba en una Odisea, en el descubrimiento de un continente y de las relaciones de interdependencia entre el Este y el Oeste. Blue moon puede analizarse en distintos planos, y la historia de amor entre Jana y Johnny es una metáfora de las profundas relaciones entre el Este y el Oeste. Es una historia sobre el deseo y el temor, el valor y la debilidad, lo establecido y el cambio”.

¿Es una historia verdadera?

“No solamente una; hay muchas historias que he recogido durante mis numerosos viajes al Este y que luego he fundido en una sola al escribir el guión. Por ejemplo, la historia del protagonista, obligado por un grupo de maleantes a dar todo su dinero para comprar un ladrillo, en lugar de robarle abiertamente, es verdadera”.

Terminar la película le ha llevado casi doce años…

“Sí, porque al principio había pensado en hacer una serie de cortos que se proyectarían por separado en las salas antes de las películas. Hice seis cortos, de dos minutos cada uno. El proyecto se iba a llamar La vuelta al mundo en ocho días. Mi idea era relatar ocho historias, pero mientras las hacía me di cuenta de que debía cambiar el enfoque que tenía previsto al principio. Y así, poco a poco nació Blue moon, aunque tardé otro tanto en encontrar un productor que tuviera el valor de apoyarla”.

Un road-movie por la Europa del Este no debe de ser precisamente un paseo. ¿Qué problemas tuvo en el rodaje?

“Rodar ya es de por sí tan difícil como nadar en el lodo. A menudo, la realidad de las cosas es distinta de las ideas que una tiene. Dirigir una película es probablemente la forma de realización personal más compleja que se haya inventado. E indudablemente es la más costosa. Teniendo esto en mente, y con la intención de hacer todo más fácil, rodé en secuencia todas las escenas para que los actores pudieran adquirir mayor espontaneidad. Por lo demás, es como un circo; siempre el mismo espectáculo pero nunca en el mismo lugar. Y al final, el espectáculo acaba por ser también siempre distinto”.

Valeria Chiari

Blue Moon Interview Skip

Osterweiterung
Erschienen im September 2002 in der Kinozeitschrift SKIP


Ein österreichisches Road-Movie, das in eine ungewohnte Richtung geht. PETER KROBATH und KLAUS HÜBNER erfuhren von Andrea Maria Dusl, warum ihre Prärie im Wilden Osten liegt.

Andrea Fahnenzimmer.jpgSKIP: Wir haben in Blue Moon eine berühmte Location ausgemacht…

Andrea Maria Dusl: Ja, das ist die Stiege im Hafen von Odessa, auf der Sergeij Eisenstein die legendären Szenen für Panzerkreuzer Potemkin drehte. Diese Stiege hat nicht nur filmhistorisch, sondern vor allem auch politisch eine enorme Bedeutung – sie ist ein Symbol des Kommunismus. In Blue Moon wollte ich der Frage nachgehen, was von diesem sogenannten „Reich des Bösen“ heute überhaupt noch übrig ist. So war klar, dass ich auf Eisensteins Stiege nicht verzichten kann.

Bei Eisenstein wirkt die Stiege aber weit imposanter als bei dir…

Eisenstein hat das eben so monumental inszeniert. Ich wollte das nicht. Mir war wichtig zu zeigen, wie diese Stiege heute verwendet wird. Das man auf ihren Stufen sitzen und die Schiffe im Hafen beobachten oder einfach nur rauf und runter gehen kann. Bei mir hat diese Stiege eine andere Bedeutung als bei Eisenstein. Bei ihm war sie ein Symbol für den Ausbruch der Revolution, bei mir ist sie ein Symbol für den Ausbruch von Normalität – wobei die Normalität eine westliche Normalität ist. Denn natürlich hat es in diesen Ländern auch schon vorher eine Normalität gegeben, allerdings war die noch nicht von den Segnungen des Kapitalismus vergiftet.

Blue Moon ist ein Road-Movie, das von der Slowakei bis in den ukrainischen Schwarzmeer-Hafen Odessa führt. Wie ist diese Idee entstanden?

1989, während des Falls des Eisernen Vorhangs, bin ich gleich am ersten Tag, wo das möglich war, in Richtung Osten aufgebrochen. Ich wollte mir das alles anschauen. Plötzlich wurde man als Touristin nicht mehr vom Staat bewacht. Man konnte den Osten entdecken – in all seiner Hässlichkeit und all seiner Schönheit. Ich war begeistert von der Andersartigkeit dieser Welt, das wollte ich unbedingt einfangen und so vielen Menschen wie möglich zeigen. Und die beste Möglichkeit dazu war diesen Film zu drehen.

Zeigen deine Bilder die Realität des Ostens oder ist das doch schon künstlich aufbereitete Kommunismus-Nostalgie?

Natürlich kann ein Film immer nur eine Verdichtung der Realität sein. Aber im wesentlichen schaut es dort wirklich so aus – auch wenn wir unsere Motive sorgfältig ausgesucht haben, um die spezielle Stimmung dieser Länder auf den Punkt zu bringen. Das ist alles Realität, die im Moment dabei ist, zu Geschichte zu werden. Diese Welt stirbt gerade. Solche Bilder wird es nicht mehr lange geben. Irgendwie sind das alles Momentaufnahmen eines todgeweihten Patienten.

Wieso hast du dem Johnny Pichler, der von Josef Hader gespielt wird, so wenig persönlichen Hintergrund gegeben? Wir sehen zwar, wo er hinfährt, aber wo er herkommt, wissen wir nicht.

Ich wollte den Helden meiner Geschichte völlig entwurzeln. Die Geschichte hat das einfach verlangt. Er ist da – und das genügt. Johnny Pichler ist wie ein Cowboy. Da fragt auch keiner, wo war der vorher, was hat der getan, bevor er in die Prärie gekommen ist!
>>> Skip

Blue Moon. How did you do it?

VERONIKA FRANZ interviewte ANDREA MARIA DUSL für das offizielle Presseheft von Blue Moon.

Download ⇒ Blue Moon Press Folder. Erschienen für Locarno 2002, wo Blue Moon am 5. August in Competition lief.

Blue Moon Poster.jpgEin Mond steht am Anfang und am Ende des Films am Himmel wie eine formale Klammer. Wofür stehen die beiden Vollmonde?

Es gibt im angloamerikanischen Sprachraum den Mythos des “Blue Moon”. So ein “Blauer Mond” ist der zweite Vollmond in einem Monat. Weil dieses kalendarische Phänomen nur alle heiligen Zeiten auftritt, bezeichnet man mit damit auch andere Seltenheiten. Wenn etwas sehr selten ist, ist es so rar wie ein Blue Moon. Die Liebe ist so ein rares Phänomen. Es ist wie in dem berühmten Song „Blue Moon“:

Blue moon, you saw me standing alone
Without a dream in my heart,
without a love of my own…

Das Lied ist die Story meines Films.

War das Lied die Idee zum Film?

Ich habe viele Monate, ja Jahre versucht, diese Platte antiquarisch zu finden. Vergeblich. Bei meiner ersten Reise nach Odessa ist etwas Magisches passiert. Ich war ja konditioniert darauf, bei jeder sich bietenden Gelegenheit in Plattengeschäfte zu gehen, um nach Musik zu suchen. Immer war die Frage nach “Blue Moon” von Julie London dabei. In einem kleinen Elektrogeschäft in Odessa, im Februar 1996, fragte ich also wie so oft, ob sie Musik hätten. Darauf öffnete er eine Lade. Darin lag, ich konnte es nicht fassen, eine einzelne Cassette. Es waren Songs von Julie London, selbst aufgenommen. Der 14te Song war “Blue Moon“. Seither weiss ich, dass es keine Zufälle gibt.

Was hat Dich am Osten von vornherein so fasziniert?

Unsere Generation ist aufgewachsen in dem Bewusstsein, dass da drüben im Osten das Reich des Bösen ist. Da war der Eiserne Vorhang und dahinter der Kommunismus und die Raketen, und alles war gefährlich. Als 1989 der Eiserne Vorhang fiel, war es blitzartig möglich, ohne Visum hinüberzufahren. Am ersten Tag fuhren wir nach Bratislava, es war November, regnerisch und neblig und in ihrer ganzen Hässlichkeit war das eine sehr romantische Welt voller Menschen, die Sehnsüchte und Paradiese in ihren Herzen hatten, von denen ich nie auch nur etwas geahnt hatte. Wir beschlossen, sofort wieder zu fahren, jedes Mal ging es weiter in den Osten. Es war aufregend, eine völlig andere Welt zu entdecken. Darüber musste ich einen Film machen! Über die Entdeckung dieser anderen Welt.

„Blue Moon“ ist eine Liebesgeschichte, aber auch ein Roadmovie. Was hat dich daran interessiert, einem Film über Fortbewegung zu machen?

Ich wollte eine Odyssee erzählen, die Wiederentdeckung unseres Kontinents beschreiben. Ich haben meinen Protagonisten in ein Auto gesetzt und auf die Reise in den Osten geschickt.

Der Film hat mehrere erzählerische Ebenen: Die konkrete der Liebesgeschichte und eine symbolische der Beziehungen zwischen Ost und West…

Ost und West haben keine symbolischen Beziehungen. Die Liebesgeschichte von Jana und Johnny ist die Metapher für die sehr konkrete Beziehung des Ostens mit dem Westen. Eine Geschichte von Sehnsucht und Angst, von Urteilen und Vorurteilen, Stillstand und Veränderung. Es ist also genau umgekehrt. Die Liebesgeschichte ist das Symbol und die Realität das Konkrete.

Bleiben wir bei der Symbolik: In dem Film spielt eine Flasche, in der eine tanzende Ballerinapuppe eingesperrt ist, eine wichtige Rolle. Ist sie ein Symbol für den Osten?

Ja, sie ist ein Symbol für Jana, die wiederum ein Symbol für den Osten ist. Jana ist eine Gefangene ihrer eigenen Geschichte… Sie kann nicht raus, obwohl die Flasche offen ist. In ihrem schönen roten Kleid tanzt sie auf der Stelle.

Heißt das der Osten braucht den Westen zu seiner Befreiung?

Nein, es heißt der Westen glaubt, der Osten brauche ihn dazu.

Das Datum des Fährenunglücks bei dem Jana ihre Familie verliert, ist genau das Datum des Niedergangs des Eisernen Vorgangs? Warum? Und gibt es noch mehr versteckte Anspielungen auf die Geschichte des Ostens?

Der Untergang der Fähre ist der Untergang des Kommunismus. Die Menschen haben sich 1989 nicht nur von Unterdrückung befreit, sie haben auch ihre Geschichte verloren. Eine ganze Welt ist für immer untergegangen. Das Zimmer, das Johnny an seinem ersten Tag in Janas Haus entdeckt, ist ein Teil dieser untergegangenen Welt. Die roten Fahnen, die Leninbüste, das Raketenmodell an der Wand.

Die berühmte Treppe aus Eisensteins “Panzerkreuzer Potemkin“ hast Du gleich am Anfang auch zitiert…

Mir war klar, dass ich die Treppe nicht auslassen konnte. Jeder kennt sie, weil Sergej Eisenstein 1925 dort seine berühmte Szene mit dem Kinderwagen, den Soldaten und Bürgern von Odessa gedreht hat. Ich hab die Treppe auf das reduziert, was sie ist: Eine Verbindung von oben nach unten. Wenn Jana hinuntergeht, dann ist das wie das Überschreiten einer Grenze. Für mich hat das Bild der leeren Treppe von Odessa die Bilder vom Eisernen Vorhang abgelöst.

Fiel deshalb die Wahl auf Odessa?

Hinter Odessa steht die Idee, einen Punkt zu finden, der das Ende und Anfang der Welt markiert. Ein Ort, wo ein Hafen ist, wo man nicht mehr weiter kann, ohne ein Schiff zu nehmen oder ins Meer zu springen. Es ist kein Zufall, dass der Name der Stadt an Homer’s Odyssee erinnert. Hier sollen die Argonauten an Land gegangen sein, und also wurde die Stadt, als sie im 18ten Jahrhundert von Katharina der Grossen gegründet wurde, in Anspielung auf diese mythische Dimension Odessa genannt.

Inwieweit basiert “Blue Moon” auf wahren Geschichten?

Es sind viele echte, erlebte Geschichten, die mir Menschen auf meinen Recherchereisen erzählt haben, ins Drehbuch eingeflossen. Die Ziegelstein-Geschichte ist eine wahre Geschichte und auch die von der Lehrerin mit ihrem kleinen Mädchen. Ich hab auch im Internet noch sehr viele Geschichten gefunden.

Formal gibt es in “Blue Moon“ auch eine Videoebene. Ihr bedient sich Johnny Pichler, der sonst eher wortlos ist, als Sprache. Wie bist Du auf diese Idee gekommen?

Mit dieser kleinen Kamera wollte ich ihm ein Mittel geben, von dem er gar nicht gewusst hat, dass es auch eine Art von Sprache ist: Das Medium Film. Er benützt die Kamera am Anfang ganz zufällig. Er fängt Wirklichkeit ein, ohne dass er sie in größerem Zusammenhang sieht. Am Schluss, in der letzten Videosequenz sehen wir, wie er die Welt wahrgenommen hat.

Die Filmmusik, komponiert von Christian Fennesz, ist sowas wie eine dritte erzählerische Ebene? War Dir der Soundtrack besonders wichtig?

Extrem wichtig. Ich wollte keine folkloristische Musik im Film haben. Christian Fennesz macht urbane Musik. Sie ist entwurzelt wie die Figuren im Film, auf einer unsichtbaren Reise, wie er selbst, der zwischen Paris, Tokio und New York pendelt. Die Zusammenarbeit mit ihm war mindestens so intensiv, wie die Arbeit mit den Schauspielern. Eine andere Musikebene hat mir der berühmte russische Bluesgitarrist Yuri Naumov erzeugt. Er arbeitet völlig anders als Fennesz mit seinem, auf einem Apple Laptop verzauberten Samples. Sein unverwechselbares Gittarenspiel habe ich während der Dreharbeiten beim Frühstück in unserem Kiever Hotel zum ersten mal gehört. Einen Teil der Score Music hat mein Bruder Peter Dusl (>>> Petnic ) gemacht. Weil wir Geschwister sind, sind wir beim Arbeiten völlig ohne Worte ausgekommen.

Im Film herrscht ziemliches Sprachengewirr. Die Menschen sprechen Originalsprache: Ukrainisch, Russisch, Slowakisch, Englisch. Warum war dir das wichtig?

Weil es die Wirklichkeit wiederspiegelt. Ich wollte, dass es Dinge gibt, die man nicht versteht, ich wollte eine Sprachebene, die man nicht als Inhalt wahrnimmt sondern als Musik. Wir sind völlig überspachtelt mit Dauerverständnis, alles wird ununterbrochen übersetzt oder untertitelt. Das Leben ist ja gar nicht so. Wenn wir nur 80 Kilometer nach Osten fahren, verstehen wir nichts mehr, alles kann alles bedeuten und die Missverständnisse, die sich aus dem Nichtverstehen ergeben, sind das Salz in der Suppe unserer Erinnerungen.

Hast Du deshalb nach einer ukrainischen Hauptdarstellerin gesucht?

Wir haben Castings in Kiew gemacht. Ich habe die Bänder in Wien angesehen. Viktoria Malektorovych war ein singuläres Naturereignis. Sie hatte eine Präsenz, die atemberaubend war. Sie hat gleichzeitig Zerbrechlichkeit und Kraft, das war die Kombination, die diese Figur gebraucht hat. Für “Blue Moon” hat sie Deutsch, ja sogar Autofahren gelernt.

Du hast zwölf Jahre an dem Projekt gearbeitet, bis Du es realisieren konntest. Wieso hat es so lange gedauert?

Ursprünglich hatte ich die Geschichte in Fragmenten geplant. Jedes davon wollte ich privat finanzieren und wie Werbespots ins Kino bringen. Ich habe sechs solcher Folgen tatsächlich gedreht: Jeweils zwei Minuten lang, auf 35 mm. Das Projekt hieß „In 80 Tagen um die Welt.“ Mit Jules Verne hatte das aber nichts zu tun, ich wollte einfach 80 kleine Geschichten erzählen. Bis mir bewusst wurde, dass ich einen anderen Weg gehen musste. Ich packte die Geschichten alle in eine, und so entstand “Blue Moon”. Es hat ein bisschen gedauert, bis ich Erich Lackner, meinen Produzenten, gefunden habe, der mit mir diese Geschichte realisieren wollte. Die anderen hatten nicht genug Mut dazu.

Du hast Bühnenbild studiert, bist Zeichnerin und Kolumnistin. Wieso hat Deine Filmlaufbahn solche Umwege genommen?

Ich habe mit Film begonnen, als ich 15 war. Alles andere kam erst später dazu. Wollen wir es mal so sagen: Zeichnen und Schreiben sind Dinge, die man beim Filmemachen ganz gut brauchen kann.

Was war für Dich das Schwierigste bei den Dreharbeiten?

Das Drehen war wie Schwimmen in flüssigem Beton. Für die Menschen am Beckenrand sieht das vielleicht komisch aus. Aber schwimm Du mal schönen Stil in einem Zementbecken! Der Beton war umso dicker, je mehr die Wirklichkeit von meinen Idealen abwich. Film ist vermutlich die anstrengendste Selbstverwirklichung, die die Menschheit hervorgebracht hat. Die teuerste in jedem Fall. (lacht…) Leichter hat es mir gemacht, dass wir extensive Proben hatten und chronologoisch gedreht haben. Wir haben beim Drehen nicht mehr nach Worten, sondern nach etwas anderem gesucht. Es hatte etwas von Wanderzirkus, die gleiche Show an verschiedenen Orten aufzuführen, und wie beim Zirkus war es dann immer eine andere Show.

Wie wichtig sind für Dich die Schauplätze des Films und der Look?

Die Schauplätze sind essentiell. Bei meinen Reisen in den Osten habe ich immer konkretere Vorstellungen davon entwickelt, wie die Wirklichkeit aussehen muss, um meinem Bild der Wirklichkeit zu entsprechen. Das ging so weit, dass ich Originaldekors völlig umbauen liess, damit sie wieder so aussahen, wie bei meinen ersten Besuchen. Einer der Eckpfeiler des Films war der Kameramann Wolfgang Thaler und nicht nur was die Ästhetik betrifft. Seine Handkamera ist so ruhig, dass man sie oft gar nicht als Handkamera wahrnimmt. Sie atmet mit den Menschen und mit den Räumen.

Selten hat man Josef Hader so ernst, so minimalistisch gesehen. Warum hast du ihn, der ja sonst für den Kabarettfilm steht, besetzt?

Ich hatte bei Josef Hader das Gefühl, er würde Johnny Pichler sein. Nicht mehr und nicht weniger. Dieses Gefühl hat mich nicht betrogen. Josef Hader war genau der Johnny Pichler, den ich mir Jahre zuvor ausgedacht hatte. Die Konfrontation mit dieser Figur hat uns beide sehr gefordert. Am Ende habe ich Josef nicht mehr als Josef wahrgenommen, sondern als die Figur des Johnny, die in ihn geschlüpft ist.

Du wolltest also explizit keinen Kabarettfilm machen?

Ich weiss gar nicht, was das ist.

Detlev Buck ist ein weiteres komödiantische Kaliber…

… für eine tragische Figur: Ignaz Springer ist ein Ostdeutscher ist, der im ehemaligen Osten hängengeblieben ist. Detlev Buck ist für diese Rolle sehr früh auf meiner Wunschliste gestanden.Um ihn an Bord zu bekommen, haben wir einen dreitägigen Testdreh mit ihm und Josef Hader in Kiev gemacht. Der Wodka war gut, die Ukraine gefiel ihm. Und das Drehbuch, glaube ich, mochte er auch.

Blue Moon ist ein hochromantischer Film mit Happy End… Glaubst du an das Happy End? Auch im Leben?

Ja.


Veronika Franz für das Presseheft von Blue Moon.

Blue Moon

Ein Gespräch mit Andrea Dusl, Wiener Zeitung, 22. Nov. 1996

Das Café Lapinski in der Wiener Marc-Aurel-Straße atmet den Charme von Bars in Brüssel, Paris oder Stockholm. Andrea Dusl hat größere Augenringe als andere Mitdreißigerinnen. Noch dunkler als diese Spuren der letzten Nacht ist nur ihre St. Petersburger Kapitänsjacke. Im Café Lapinski ist es nicht kalt, dennoch hat Dusl den Kragen hochgestellt.

Auf ihre Empfehlung löffeln wir Muligatawny, eine indische Suppe, die Dusl zur Geschmacksverstärkung mit einer unglaublichen Dosis von Chillipaste verschärft.

„Wiener Zeitung“: Sie schreiben, zeichnen, lomografieren, jerzt machen sie Film, was sind sie eigentlich, Journalistin, Illustratorin, Lomografin oder Filmemacherin?

Andrea Dusl: Ich weiß es selbst nicht. Es hat sich einfach ergeben. Das eine hat sich aus dem anderen ergeben. Um ein Sprichwort abzuwandeln – ich tanze nicht auf vielen Kirtagen, es ist eigentlich alles ein einziger Kirtag.

„W.Z.“: „Blue Moon, die Abenteuer von Steinyo Pichler“ ist einer von elf Filmen, die Michael Glawogger in seinem Film „Kino im Kopf“ porträtiert. War das ihre erste cinematografische Arbeit?

Andrea Dusl: Eigentlich nicht. Die Geschichte hat vor einigen Jahren mit einer Fotografie begonnen. Rainer Egger und ich sind zum Pferderennen gegangen. Ich habe mit einer alten Canon und einem ganz langsamen Schwarzweiß-Diamaterial fotografiert. Eines dieser Bilder (siehe großes Bild oben) hat in mir eine Flut von Geschichten ausgelöst. Das sollte mein Held sein, der Mann auf dem Foto, der über die Schulter zur Seite sieht. Also sind Rainer und ich am nächsten Wochenende in die Slowakei gefahren, um Geschichten für diesen Mann zu finden. Aus den Erlebnissen, die wir dort hatten, hat sich die Geschichte für einen Film herausgelöst. Ich habe zunächst kurze Szenen geschrieben, zweiminütige Episoden, so eine Art filmischer Schnappschüsse schwebte mir da vor.

„W.Z.“: Haben Sie versucht, diese Skizzen zur Förderung einzureichen?

Andrea Dusl: Zwei von ihnen. Ich nannte das Ding „In 80 Tagen um die Welt, Tag 1 und Tag 2″. Die Stadt Wien stellte mir 20.000 Schilling zur Verfügung. Das Material schenkte mir Michael Synek, zwei Rollen 35 mm, schwarzweiß. Mein Compañero Peter Zeitlinger, der beste Kameramann, den ich kenne, lieh sich eine alte Wochenschau-Arri. Wir fuhren los, ein kleines Team von professionellen Filmmenschen und ich. Wir drehten vier Minuten Spielfilm.

„W. Z.“. Wie ging’s dann weiter?

Andrea Dusl: Peter Zeitlinger und ich haben das Material in einem obskuren Hinterzimmer in fünf langen Nächten geschnitten, vertont und um – für meine damaligen Verhältnisse – ungeheuer viel Geld kopieren lassen. Mit diesen zwei kleinen Filmen habe ich dann Subventionen für vier weitere Episoden aufstellen können.

„W. Z.“: Sind das die Szenen, die in „Kino im Kopf“ zu sehen sind?

Andrea Dusl: Nein. Aus diesen zwölf Minuten Film hat sich erst die Idee zum Roadmovie „Blue Moon“ entwickelt. Die Geschichte einer Odyssee in den Osten, der Sehnsucht nach Frauen, nach dem Meer. Ich bin mit meinem Hauptdarsteller nach Polen, in die Slowakei und die Ukraine gefahren. Dort hat sich unsere Geschichte erst geschrieben. Dieses Drehbuch gibt es, das wollen wir verfilmen.

„W. Z.“. Wurden die Szenen für „Kino im Kopf“ extra gedreht?

Andrea Dusl: Ich habe drei exemplarische Szenen aus meinem Buch ausgewählt und umgeschrieben, damit sie, auch aus dem Zusammenhang gerissen, ihre Geschichte erzählen können. Leider sieht man in „Kino im Kopf“ nicht mehr viel davon. Die Stimmung, das Spiel, der Rhythmus unserer Arbeit ging in der Montage verloren. Wir haben unsere Geschichte nicht wiedererkannt.

„W.Z.“ Sind sie enttäuscht?

Andrea Dusl: Enttäuscht? Nicht wirklich. Ich habe es befürchtet. Beim ersten Sehen war ich allerdings entsetzt. Unsere Arbeit, die fertigen Szenen, das war alles noch wunderbar. Das war noch unser Film.

„W. Z.“: Wie geht es weiter mit „Blue Moon“?

Andrea Dusl: Ich war gerade in Paris, dort sind sie sehr interessiert an solchen Geschichten Sie ist nicht mehr nur im Kopf, sie ist auch auf Papier und in den Köpfen anderer und, wenn nicht alle Stricke reißen, bald auch auf Leinwand. 

Vorerst jedoch sind nur Bruchstücke von „Blue Moon“ in dem Film „Kino im Kopf“ zu sehen, der zur Zeit im Metro-Kino in Wien läuft.

Regie und Kamera: Michael Glawogger. Schnitt: Christof Schertenleib, Musik: Armin Pokorn, Ton: Ekkehart Baumung.

Andere Teile für Kino im Kopf“ lieferten Ip Wischin, Willy Puchner, Carl Andersen, Christoph Mayr, Viktor Tremmel, Hans Weingartner, Hans Hermann Fink, Susanne Strobl, Richard Blue Lormand, Peter Budil und Boris Schafgans.

Mitgewirkt haben Rainer Egger, Gabriela Skrabakova, Andreas Sobik, Tex Rubinowitz, Thomas Kussin, Johannes Silberschneider, Barbara de Koy u. v. a.

Zu den Abbildungen:
oben: Rainer Egger als Steinyo Pichler
unten links: 1988, Hotel Modra, Slowakei
unten rechts: 1996, am Stadtrand von Odessa