Alles ist Input…

Andrea Maria Dusl über social skills wie Erfindungsreichtum und Hartnäckigkeit sowie das Switchen zwischen einzelnen Kunstsprachen. Interview von SABINE PERTHOLD.

Sie haben an der Akademie der bildenden Künste die Meisterklasse für Bühnengestaltung absolviert. Seit etlichen Jahren beliefern Sie die Stadtzeitung FALTER mit gesellschaftskritischen Kolumnen und das Magazin FORMAT mit Zeichnungen und Karikaturen. Wer waren Ihre Lehrer und wie vollzog sich die Abwendung vom groß dimensionierten Bühnenbild hin zur Vorliebe für schrullig-satirische Petitessen?

Mein Lehrer an der Akademie war Lois Egg, ein Gentleman und Künstler wie ich später wenige kennengelernt habe, mit Ausnahme von Michael Haneke vielleicht. Lois Egg hat uns vor allem beigebracht, an uns selbst zu glauben. Im zweiten Jahr an der Akademie war ich dann schon seine Assistentin. Zeichnen habe ich von meinem Vater und meinem Onkel gelernt, beide waren Architekten. Zum Falter bin ich eigentlich zufällig gekommen, die haben einfach angerufen und Illustrationen für einen philosophischen Essay gebraucht. Das war lange, nachdem ich begonnen habe, Filme zu machen. Vom Bühnenbild habe ich mich nach sieben Jahren am Theater eigentlich deshalb entfernt, weil mir das Regieführen, die Arbeit mit Schauspielern und Text viel mehr zugesagt hat. Das war während der Produktion von MEIN KAMPF von George Tabori am Akademietheater. Wenn man so will, war also auch Tabori ein Lehrer von mir. Und Thomas Bernhard. Ohne dass er das wusste. Und während einer sehr sehr langen Zeit bin ich täglich ein paar mal im Kino gesessen, im Filmmuseum, um die Filmgeschichte in mich aufzunehmen, in den anderen Kinos, um das zu sehen, was gerade Mainstream war oder in zerkratzten Kopien für Verrückte wie mich gezeigt wurde.

„Blue Moon, you saw me standing alone
Without a dream in my heart,
Without a love of my own…”

…heißt es in dem berühmten Lied von Julie London, das titelgebend war für Ihren preisgekrönten Erstlingsfilm BLUE MOON, einem modernen Märchen über die Liebe zwischen Ost und West. 12 Jahre haben Sie an diesem Projekt gearbeitet, das ursprünglich in mehreren Folgen á zwei Minuten mit dem Titel „In 80 Tagen um die Welt“ geplant war. Welche Faktoren haben Sie über eine so lange Zeit an die Realisierung des Projektes glauben lassen?

Meine sechs Kurzfilme AROUND THE WORLD IN EIGHTY DAYS waren eine unmittelbare Antwort auf die Weigerung der Färderungen, sich mit meinen Stoffen auseinanderzusetzen. Zu dieser Zeit kämpfte Ulrich Seidl gerade darum, seinen Film GOOD NEWS überhaupt ins Kino zu bringen. Wir hatten damals viel Kontakt und die Hartnäckigkeit, mit der Ulrich gegen den Strom schwamm, hat mich sehr bestärkt. Ich habe ein Konzept entwickelt, Kurzfilme zu finanzieren, zu drehen und im Werbeblock der Kinos unterzubringen. Diese 35mm-Zweiminüter habe ich selbst produziert und mit meinem damaligen Freund, dem Kameramann Peter Zeitlinger realisiert. Unsere virtuelle Firma hieß „Pokorny und Prohaska“. Ohne Firma durfte man beim Monopol-Kopierwerk „Listo“ nämlich keine Kopien ziehen lassen. Teile des Materials hat mir Michael Synek geschenkt und die Figur des Pichler hat Rainer Egger mit mir auf zahlreichen Recherchereisen in den Osten entwickelt. Die „Achtzig Tage“ habe ich auf der DVD von BLUE MOON als Bonus untergebracht, weil sie die genetischen Eltern von BLUE MOON sind. Aus der Idee dieser Kurzfilmserie habe ich dann das Drehbuch für BLUE MOON entwickelt. Die erste Version war Anfang der 90er-Jahre fertig, es hat aber schließlich bis 1998 gedauert, bis der Stoff bei Erich Lackners Produktionsfirma Lotus-Film gelandet ist. In dieser langen Zeit waren es Rainer Egger, Michael Synek und Michael Glawogger, die immer wieder an das Projekt geglaubt haben. (Von mir mal abgesehen!) Die Arbeit am Drehbuch selbst hat nicht länger gedauert, als bei anderen Stoffen. Eher im Gegenteil. Ich bin sehr schnell im Schreiben. Die harte Nuss war, um mit Achternbusch zu sprechen, die Chance zu nutzen, die ich nicht hatte.

Sie sind Multifunktionärin: Neben Schriftstellerin, Kolumnistin (Ihre Bonmots als Comandantina Dusilova unter www.geocities.com/Pentagon/4404/ werden von Havanna bis Moskau zum Frühstück gereicht) und Drehbuchautorin sind Sie auch „Sophistin“; Ihr virtuelles Hangout kann man unter www.digitalien.org/sofa genießen. Woher beziehen Sie den Input für Ihre Geschichten und treffenden Satiren?

Ich bin eigentlich keine Multifunktionärin, weil alles gleichzeitig in mir abläuft. Die Bilder, die Geschichten und die Dialoge. Film ist also das Normale, und das andere die Spezialdisziplinen, in denen ich Teile dessen ablade, was sich ununterbrochen anhäuft. Für den Input brauche ich mich nicht sorgen. Alles ist Input. Eher geht es darum, das Naheliegende, das Banale aus seinem Zusammenhang zu nehmen und wie eine seltene Pflanze zu untersuchen.

Welche Auswirkungen hat die eindeutige Entscheidung für den Beruf der Künstlerin auf Ihr Lebenskonzept, hinsichtlich Arbeitszeit, Verdienstmäglichkeiten und Einklang mit Privatsphäre?

Ich habe kein Lebenskonzept. Eher hat das Leben mich. Ich habe keine Berufsentscheidung getroffen, jedenfalls nicht wissentlich und kenne keinen Unterschied zwischen privat und äffentlich. Das verschmilzt mir immer zu einem Ganzen. Die einzigen Disziplin, die ich mir inzwischen zugelegt habe, ist hin und wieder nein zu sagen, an Tagen, an denen die Kalenderblätter rot sind, nicht an Geld zu denken und dann zu schlafen, wenn ich müde bin. Manchmal läse ich Probleme im Schlaf. Dazu sind Träume nämlich da.

Wie sehen Sie sich als Frau im Kontext des aktuellen ästerreichischen Kunstgeschehens eingebunden, was Auftragslage und Nachfrage betrifft?

Frauen haben es schwer, erstens überhaupt und zweitens in Österreich. Frauen haben es aber andererseits auch wieder leichter, weil sie mehrdimensional denken, horizontale Netzwerke aufbauen statt vertikaler Aufstiegshilfen und das Geld nicht in Autos und Männerspielsachen investieren müssen. Dass das international akklamierte ästerreichische Filmwunder zum großen Teil von Frauen realisiert wird, ist doch fantastisch!

Sie bedienen in den bereits angesprochenen Medien unterschiedliche Bildsprachen mit unterschiedlicher Methodik. Welches ästhetische Konzept verfolgen Sie beim Switchen quer durch die Gattungen und Genres? Welche Aspekte interessieren Sie so sehr, dass sie Sie in Ihrer Arbeit hervorheben und bewusst machen wollen?

Jedes Genre hat seine Gesetze und Grenzen. Ich versuche herauszufinden, was diese Gesetze sind und wo die Grenzen verlaufen. Daraus ergibt sich die Form. Sobald ich das für mich herausgefunden haben, habe ich innerhalb dieser Grenzen alle Freiheiten, eingeschlossen die, die Grenzen auch zu sprengen. Ich bin zweisprachig aufgewachsen, meine Mutter ist Schwedin. Das Denken in zwei Sprachen macht das Switchen zwischen Sprachen, und etwas anderes sind künstlerische Genres ja nicht, mäglicherweise einfacher. Keine Ahnung, das müsste man neurologisch erforschen. Das einzige was ich nicht kann, ist zu sprechen, während ich ein Instrument spiele. Vermutlich, weil bei mir Sprache und Musik im selben Gehirnareal ablaufen. Andere können das.

Sie sagten einmal: Film ist vermutlich die anstrengendste Selbstverwirklichung, die die Menschheit hervorgebracht hat. Wie sieht es mit Ihren filmischen Zukunftsplänen aus?

Ich denke, ich kännte gesagt haben, Film sei möglicherweise die anstrengendste, ganz sicher aber die teuerste Selbstverwirklichung. Ich schreibe gerade das Drehbuch zu meinem nächsten Spielfilm CHANNEL 8 wird sehr spannend werden. Da geht es um die Frage, was passiert, wenn das Leben eines Menschen im Traum eines anderen auftaucht, wenn Traum und Wirklichkeit ineinander laufen. Der Film spielt in Paris und Sankt Petersburg und handelt von einem Fernsehkorrespondenten und einer Malerin, deren Gedankenradios auf der selben Frequenz senden. CRAZY DAY, die Geschichte des Tages, an dem die Amerikaner in Bagdad einmarschierten, musste ich verschieben, weil Recherche in Bagdad momentan lebensgefährlich wäre. Vom Drehen ganz abgesehen. Und dann habe ich noch ein paar andere Stoffe in der Pipeline.


Dr. Sabine Perthold /GF Drehbuchforum Wien, Wien im Mai 2004. Aus den Interviews mit den österreichischen Filmemacherinnen Barbara Albert, Hilde Berger, Andrea Maria Dusl, Barbara Gräftner, Jessica Hausner, Kitty Kino, Käthe Kratz, Gabriele Mathes, Ulrike Schweiger und Amaryllis Sommerer für den Kulturbericht 2003 der Stadt Wien.

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