Blue Moon. How did you do it?

VERONIKA FRANZ interviewte ANDREA MARIA DUSL für das offizielle Presseheft von Blue Moon.

Download ⇒ Blue Moon Press Folder. Erschienen für Locarno 2002, wo Blue Moon am 5. August in Competition lief.

Blue Moon Poster.jpgEin Mond steht am Anfang und am Ende des Films am Himmel wie eine formale Klammer. Wofür stehen die beiden Vollmonde?

Es gibt im angloamerikanischen Sprachraum den Mythos des “Blue Moon”. So ein “Blauer Mond” ist der zweite Vollmond in einem Monat. Weil dieses kalendarische Phänomen nur alle heiligen Zeiten auftritt, bezeichnet man mit damit auch andere Seltenheiten. Wenn etwas sehr selten ist, ist es so rar wie ein Blue Moon. Die Liebe ist so ein rares Phänomen. Es ist wie in dem berühmten Song „Blue Moon“:

Blue moon, you saw me standing alone
Without a dream in my heart,
without a love of my own…

Das Lied ist die Story meines Films.

War das Lied die Idee zum Film?

Ich habe viele Monate, ja Jahre versucht, diese Platte antiquarisch zu finden. Vergeblich. Bei meiner ersten Reise nach Odessa ist etwas Magisches passiert. Ich war ja konditioniert darauf, bei jeder sich bietenden Gelegenheit in Plattengeschäfte zu gehen, um nach Musik zu suchen. Immer war die Frage nach “Blue Moon” von Julie London dabei. In einem kleinen Elektrogeschäft in Odessa, im Februar 1996, fragte ich also wie so oft, ob sie Musik hätten. Darauf öffnete er eine Lade. Darin lag, ich konnte es nicht fassen, eine einzelne Cassette. Es waren Songs von Julie London, selbst aufgenommen. Der 14te Song war “Blue Moon“. Seither weiss ich, dass es keine Zufälle gibt.

Was hat Dich am Osten von vornherein so fasziniert?

Unsere Generation ist aufgewachsen in dem Bewusstsein, dass da drüben im Osten das Reich des Bösen ist. Da war der Eiserne Vorhang und dahinter der Kommunismus und die Raketen, und alles war gefährlich. Als 1989 der Eiserne Vorhang fiel, war es blitzartig möglich, ohne Visum hinüberzufahren. Am ersten Tag fuhren wir nach Bratislava, es war November, regnerisch und neblig und in ihrer ganzen Hässlichkeit war das eine sehr romantische Welt voller Menschen, die Sehnsüchte und Paradiese in ihren Herzen hatten, von denen ich nie auch nur etwas geahnt hatte. Wir beschlossen, sofort wieder zu fahren, jedes Mal ging es weiter in den Osten. Es war aufregend, eine völlig andere Welt zu entdecken. Darüber musste ich einen Film machen! Über die Entdeckung dieser anderen Welt.

„Blue Moon“ ist eine Liebesgeschichte, aber auch ein Roadmovie. Was hat dich daran interessiert, einem Film über Fortbewegung zu machen?

Ich wollte eine Odyssee erzählen, die Wiederentdeckung unseres Kontinents beschreiben. Ich haben meinen Protagonisten in ein Auto gesetzt und auf die Reise in den Osten geschickt.

Der Film hat mehrere erzählerische Ebenen: Die konkrete der Liebesgeschichte und eine symbolische der Beziehungen zwischen Ost und West…

Ost und West haben keine symbolischen Beziehungen. Die Liebesgeschichte von Jana und Johnny ist die Metapher für die sehr konkrete Beziehung des Ostens mit dem Westen. Eine Geschichte von Sehnsucht und Angst, von Urteilen und Vorurteilen, Stillstand und Veränderung. Es ist also genau umgekehrt. Die Liebesgeschichte ist das Symbol und die Realität das Konkrete.

Bleiben wir bei der Symbolik: In dem Film spielt eine Flasche, in der eine tanzende Ballerinapuppe eingesperrt ist, eine wichtige Rolle. Ist sie ein Symbol für den Osten?

Ja, sie ist ein Symbol für Jana, die wiederum ein Symbol für den Osten ist. Jana ist eine Gefangene ihrer eigenen Geschichte… Sie kann nicht raus, obwohl die Flasche offen ist. In ihrem schönen roten Kleid tanzt sie auf der Stelle.

Heißt das der Osten braucht den Westen zu seiner Befreiung?

Nein, es heißt der Westen glaubt, der Osten brauche ihn dazu.

Das Datum des Fährenunglücks bei dem Jana ihre Familie verliert, ist genau das Datum des Niedergangs des Eisernen Vorgangs? Warum? Und gibt es noch mehr versteckte Anspielungen auf die Geschichte des Ostens?

Der Untergang der Fähre ist der Untergang des Kommunismus. Die Menschen haben sich 1989 nicht nur von Unterdrückung befreit, sie haben auch ihre Geschichte verloren. Eine ganze Welt ist für immer untergegangen. Das Zimmer, das Johnny an seinem ersten Tag in Janas Haus entdeckt, ist ein Teil dieser untergegangenen Welt. Die roten Fahnen, die Leninbüste, das Raketenmodell an der Wand.

Die berühmte Treppe aus Eisensteins “Panzerkreuzer Potemkin“ hast Du gleich am Anfang auch zitiert…

Mir war klar, dass ich die Treppe nicht auslassen konnte. Jeder kennt sie, weil Sergej Eisenstein 1925 dort seine berühmte Szene mit dem Kinderwagen, den Soldaten und Bürgern von Odessa gedreht hat. Ich hab die Treppe auf das reduziert, was sie ist: Eine Verbindung von oben nach unten. Wenn Jana hinuntergeht, dann ist das wie das Überschreiten einer Grenze. Für mich hat das Bild der leeren Treppe von Odessa die Bilder vom Eisernen Vorhang abgelöst.

Fiel deshalb die Wahl auf Odessa?

Hinter Odessa steht die Idee, einen Punkt zu finden, der das Ende und Anfang der Welt markiert. Ein Ort, wo ein Hafen ist, wo man nicht mehr weiter kann, ohne ein Schiff zu nehmen oder ins Meer zu springen. Es ist kein Zufall, dass der Name der Stadt an Homer’s Odyssee erinnert. Hier sollen die Argonauten an Land gegangen sein, und also wurde die Stadt, als sie im 18ten Jahrhundert von Katharina der Grossen gegründet wurde, in Anspielung auf diese mythische Dimension Odessa genannt.

Inwieweit basiert “Blue Moon” auf wahren Geschichten?

Es sind viele echte, erlebte Geschichten, die mir Menschen auf meinen Recherchereisen erzählt haben, ins Drehbuch eingeflossen. Die Ziegelstein-Geschichte ist eine wahre Geschichte und auch die von der Lehrerin mit ihrem kleinen Mädchen. Ich hab auch im Internet noch sehr viele Geschichten gefunden.

Formal gibt es in “Blue Moon“ auch eine Videoebene. Ihr bedient sich Johnny Pichler, der sonst eher wortlos ist, als Sprache. Wie bist Du auf diese Idee gekommen?

Mit dieser kleinen Kamera wollte ich ihm ein Mittel geben, von dem er gar nicht gewusst hat, dass es auch eine Art von Sprache ist: Das Medium Film. Er benützt die Kamera am Anfang ganz zufällig. Er fängt Wirklichkeit ein, ohne dass er sie in größerem Zusammenhang sieht. Am Schluss, in der letzten Videosequenz sehen wir, wie er die Welt wahrgenommen hat.

Die Filmmusik, komponiert von Christian Fennesz, ist sowas wie eine dritte erzählerische Ebene? War Dir der Soundtrack besonders wichtig?

Extrem wichtig. Ich wollte keine folkloristische Musik im Film haben. Christian Fennesz macht urbane Musik. Sie ist entwurzelt wie die Figuren im Film, auf einer unsichtbaren Reise, wie er selbst, der zwischen Paris, Tokio und New York pendelt. Die Zusammenarbeit mit ihm war mindestens so intensiv, wie die Arbeit mit den Schauspielern. Eine andere Musikebene hat mir der berühmte russische Bluesgitarrist Yuri Naumov erzeugt. Er arbeitet völlig anders als Fennesz mit seinem, auf einem Apple Laptop verzauberten Samples. Sein unverwechselbares Gittarenspiel habe ich während der Dreharbeiten beim Frühstück in unserem Kiever Hotel zum ersten mal gehört. Einen Teil der Score Music hat mein Bruder Peter Dusl (>>> Petnic ) gemacht. Weil wir Geschwister sind, sind wir beim Arbeiten völlig ohne Worte ausgekommen.

Im Film herrscht ziemliches Sprachengewirr. Die Menschen sprechen Originalsprache: Ukrainisch, Russisch, Slowakisch, Englisch. Warum war dir das wichtig?

Weil es die Wirklichkeit wiederspiegelt. Ich wollte, dass es Dinge gibt, die man nicht versteht, ich wollte eine Sprachebene, die man nicht als Inhalt wahrnimmt sondern als Musik. Wir sind völlig überspachtelt mit Dauerverständnis, alles wird ununterbrochen übersetzt oder untertitelt. Das Leben ist ja gar nicht so. Wenn wir nur 80 Kilometer nach Osten fahren, verstehen wir nichts mehr, alles kann alles bedeuten und die Missverständnisse, die sich aus dem Nichtverstehen ergeben, sind das Salz in der Suppe unserer Erinnerungen.

Hast Du deshalb nach einer ukrainischen Hauptdarstellerin gesucht?

Wir haben Castings in Kiew gemacht. Ich habe die Bänder in Wien angesehen. Viktoria Malektorovych war ein singuläres Naturereignis. Sie hatte eine Präsenz, die atemberaubend war. Sie hat gleichzeitig Zerbrechlichkeit und Kraft, das war die Kombination, die diese Figur gebraucht hat. Für “Blue Moon” hat sie Deutsch, ja sogar Autofahren gelernt.

Du hast zwölf Jahre an dem Projekt gearbeitet, bis Du es realisieren konntest. Wieso hat es so lange gedauert?

Ursprünglich hatte ich die Geschichte in Fragmenten geplant. Jedes davon wollte ich privat finanzieren und wie Werbespots ins Kino bringen. Ich habe sechs solcher Folgen tatsächlich gedreht: Jeweils zwei Minuten lang, auf 35 mm. Das Projekt hieß „In 80 Tagen um die Welt.“ Mit Jules Verne hatte das aber nichts zu tun, ich wollte einfach 80 kleine Geschichten erzählen. Bis mir bewusst wurde, dass ich einen anderen Weg gehen musste. Ich packte die Geschichten alle in eine, und so entstand “Blue Moon”. Es hat ein bisschen gedauert, bis ich Erich Lackner, meinen Produzenten, gefunden habe, der mit mir diese Geschichte realisieren wollte. Die anderen hatten nicht genug Mut dazu.

Du hast Bühnenbild studiert, bist Zeichnerin und Kolumnistin. Wieso hat Deine Filmlaufbahn solche Umwege genommen?

Ich habe mit Film begonnen, als ich 15 war. Alles andere kam erst später dazu. Wollen wir es mal so sagen: Zeichnen und Schreiben sind Dinge, die man beim Filmemachen ganz gut brauchen kann.

Was war für Dich das Schwierigste bei den Dreharbeiten?

Das Drehen war wie Schwimmen in flüssigem Beton. Für die Menschen am Beckenrand sieht das vielleicht komisch aus. Aber schwimm Du mal schönen Stil in einem Zementbecken! Der Beton war umso dicker, je mehr die Wirklichkeit von meinen Idealen abwich. Film ist vermutlich die anstrengendste Selbstverwirklichung, die die Menschheit hervorgebracht hat. Die teuerste in jedem Fall. (lacht…) Leichter hat es mir gemacht, dass wir extensive Proben hatten und chronologoisch gedreht haben. Wir haben beim Drehen nicht mehr nach Worten, sondern nach etwas anderem gesucht. Es hatte etwas von Wanderzirkus, die gleiche Show an verschiedenen Orten aufzuführen, und wie beim Zirkus war es dann immer eine andere Show.

Wie wichtig sind für Dich die Schauplätze des Films und der Look?

Die Schauplätze sind essentiell. Bei meinen Reisen in den Osten habe ich immer konkretere Vorstellungen davon entwickelt, wie die Wirklichkeit aussehen muss, um meinem Bild der Wirklichkeit zu entsprechen. Das ging so weit, dass ich Originaldekors völlig umbauen liess, damit sie wieder so aussahen, wie bei meinen ersten Besuchen. Einer der Eckpfeiler des Films war der Kameramann Wolfgang Thaler und nicht nur was die Ästhetik betrifft. Seine Handkamera ist so ruhig, dass man sie oft gar nicht als Handkamera wahrnimmt. Sie atmet mit den Menschen und mit den Räumen.

Selten hat man Josef Hader so ernst, so minimalistisch gesehen. Warum hast du ihn, der ja sonst für den Kabarettfilm steht, besetzt?

Ich hatte bei Josef Hader das Gefühl, er würde Johnny Pichler sein. Nicht mehr und nicht weniger. Dieses Gefühl hat mich nicht betrogen. Josef Hader war genau der Johnny Pichler, den ich mir Jahre zuvor ausgedacht hatte. Die Konfrontation mit dieser Figur hat uns beide sehr gefordert. Am Ende habe ich Josef nicht mehr als Josef wahrgenommen, sondern als die Figur des Johnny, die in ihn geschlüpft ist.

Du wolltest also explizit keinen Kabarettfilm machen?

Ich weiss gar nicht, was das ist.

Detlev Buck ist ein weiteres komödiantische Kaliber…

… für eine tragische Figur: Ignaz Springer ist ein Ostdeutscher ist, der im ehemaligen Osten hängengeblieben ist. Detlev Buck ist für diese Rolle sehr früh auf meiner Wunschliste gestanden.Um ihn an Bord zu bekommen, haben wir einen dreitägigen Testdreh mit ihm und Josef Hader in Kiev gemacht. Der Wodka war gut, die Ukraine gefiel ihm. Und das Drehbuch, glaube ich, mochte er auch.

Blue Moon ist ein hochromantischer Film mit Happy End… Glaubst du an das Happy End? Auch im Leben?

Ja.


Veronika Franz für das Presseheft von Blue Moon.

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