Blue Moon Interview Skip

Osterweiterung
Erschienen im September 2002 in der Kinozeitschrift SKIP


Ein österreichisches Road-Movie, das in eine ungewohnte Richtung geht. PETER KROBATH und KLAUS HÜBNER erfuhren von Andrea Maria Dusl, warum ihre Prärie im Wilden Osten liegt.

Andrea Fahnenzimmer.jpgSKIP: Wir haben in Blue Moon eine berühmte Location ausgemacht…

Andrea Maria Dusl: Ja, das ist die Stiege im Hafen von Odessa, auf der Sergeij Eisenstein die legendären Szenen für Panzerkreuzer Potemkin drehte. Diese Stiege hat nicht nur filmhistorisch, sondern vor allem auch politisch eine enorme Bedeutung – sie ist ein Symbol des Kommunismus. In Blue Moon wollte ich der Frage nachgehen, was von diesem sogenannten „Reich des Bösen“ heute überhaupt noch übrig ist. So war klar, dass ich auf Eisensteins Stiege nicht verzichten kann.

Bei Eisenstein wirkt die Stiege aber weit imposanter als bei dir…

Eisenstein hat das eben so monumental inszeniert. Ich wollte das nicht. Mir war wichtig zu zeigen, wie diese Stiege heute verwendet wird. Das man auf ihren Stufen sitzen und die Schiffe im Hafen beobachten oder einfach nur rauf und runter gehen kann. Bei mir hat diese Stiege eine andere Bedeutung als bei Eisenstein. Bei ihm war sie ein Symbol für den Ausbruch der Revolution, bei mir ist sie ein Symbol für den Ausbruch von Normalität – wobei die Normalität eine westliche Normalität ist. Denn natürlich hat es in diesen Ländern auch schon vorher eine Normalität gegeben, allerdings war die noch nicht von den Segnungen des Kapitalismus vergiftet.

Blue Moon ist ein Road-Movie, das von der Slowakei bis in den ukrainischen Schwarzmeer-Hafen Odessa führt. Wie ist diese Idee entstanden?

1989, während des Falls des Eisernen Vorhangs, bin ich gleich am ersten Tag, wo das möglich war, in Richtung Osten aufgebrochen. Ich wollte mir das alles anschauen. Plötzlich wurde man als Touristin nicht mehr vom Staat bewacht. Man konnte den Osten entdecken – in all seiner Hässlichkeit und all seiner Schönheit. Ich war begeistert von der Andersartigkeit dieser Welt, das wollte ich unbedingt einfangen und so vielen Menschen wie möglich zeigen. Und die beste Möglichkeit dazu war diesen Film zu drehen.

Zeigen deine Bilder die Realität des Ostens oder ist das doch schon künstlich aufbereitete Kommunismus-Nostalgie?

Natürlich kann ein Film immer nur eine Verdichtung der Realität sein. Aber im wesentlichen schaut es dort wirklich so aus – auch wenn wir unsere Motive sorgfältig ausgesucht haben, um die spezielle Stimmung dieser Länder auf den Punkt zu bringen. Das ist alles Realität, die im Moment dabei ist, zu Geschichte zu werden. Diese Welt stirbt gerade. Solche Bilder wird es nicht mehr lange geben. Irgendwie sind das alles Momentaufnahmen eines todgeweihten Patienten.

Wieso hast du dem Johnny Pichler, der von Josef Hader gespielt wird, so wenig persönlichen Hintergrund gegeben? Wir sehen zwar, wo er hinfährt, aber wo er herkommt, wissen wir nicht.

Ich wollte den Helden meiner Geschichte völlig entwurzeln. Die Geschichte hat das einfach verlangt. Er ist da – und das genügt. Johnny Pichler ist wie ein Cowboy. Da fragt auch keiner, wo war der vorher, was hat der getan, bevor er in die Prärie gekommen ist!
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