Tv or not tv. Mit Emergency Broadcast Network im Puff

Die Mitglieder der US-amerikanischen Multimedia-Combo Emergency Broadcast Network sind nicht nur profunde Kenner der amerikanischen Gegenwartskultur, sondern auch geeichte Besucher des Wiener Nachtlebens.

Andrea Maria Dusl für Falter ~1996.

„You know were we are?“ frage ich Bandmitglied Joshua Pearson. „Sure, great place, let´s stay here, it´s logical“. Wir stehen am Tresen einer intimen Bar, zwanglos umgeben von alleinstehenden jungen Damen. „So ähnlich“, erklärt mir Josh und stößt mit mir auf den fortgeschrittenen Abend an, „so ähnlich logisch war auch unser erstes Treffen auf der Rhode Island School of Design. Gardener Post und ich kamen durch die sehr wissenschaftliche Methode der alphabetischen Reihung im gleichen Zimmer zu liegen. Ähnlich könnte man unser Hiersein sehen: Wir sind in die Bar neben unserem Hotel gegangen,weil es eine geographische Notwendigkeit dazu gab. Jetzt sind wir in der Bar neben der Bar. Channel-Switching und Bar-Hopping sind verwandte Disziplinen und in höchstem Maße demokratisch.“ Während mir Chef-Netzwerker Pearson am Beispiel audivisueller Loops die musikalisch-technischen Zusammenhänge der Emergency Broadcast Network-Show erklärt, switche ich auf den Kanal links von mir.

Gerhard, ein profunder Kenner der Örtlichkeit referiert über Schleifen ganz anderer Art. Absolutes Muß unter ausgewählten Stammkunden dieses Etablissements sei nämlichder Lauf um den Häuserblock. Nackt, versteht sich. Das interaktive Element hierbei sei das Mitbringen der Getränkekarte aus einem Lokal an der anderen Ecke des Häuserblocks. Und so wie Emergency Broadcast Network ihre Shows mit T-Shirts promoten, gäbe es auch für den hier verkehrenden Kreis von Interaktiven spezielle Uniformierungen: Einen Bademantel, bestickt mit der eindeutig zweideutigen Message „Mitglied“.

„’S war‘ net Wean, waun ned duat wo ka Gfret is, ans wuat“, schießt es mir durch den Kopf, als aus einem der Separees das Knallen teurer Sektflaschen und der zärtliche Klang berstender Gläser dringt. EBN-Plattenreiter Ron O´Donnel, von seiner ethnischen Kondition, wie mir gesagt wird, „black irish“, hat seine Sektflöte zu heftig an die von Chefprogrammierer Gardener Post gestoßen. In logischer Konsequenz zum Vergießen des sündteueren Sprudels läßt der hauseigene CD-Player plötzlich Songs der 70ties Gitarrenband Credence Clearwater Revival vom Stapel.

Mid-Twen-Girlie Mrs. Pearson, animieren die zutiefst amerikanischen Texte von CCR und das mit größter Verve vorgetragene Desamusement der anwesenden Animiermädchen zu rythmischem Kreisen ihres Beckens. „Let´s dance“, haucht sie einen Stammgast an. Gatte Josh studiert derweil drei Trennwände weiter meinen nachmittags gekauften Mr.President-and-Mrs. Bush-Ausschneidebogen und läßt sich in eine sehr zwanglose Diskussion über die Unterwäschetrends unter den white Anglo-Saxon Protestants verwickeln. Die Damen des Lokals fühlen sich trotzdem unterbeschäftigt, und wippen gelangweilt mit ihren hochentwickelten Beinen. Sie halten unseren höchst unerotischen Austausch von Barbara-Bush-Witzen für mädchenzimmerhaft und lassen keinen Zweifel daran aufkommen, daß Sitzen Jazz ist, Liegen jedoch stets Rock & Roll.

„Fuck Frank Zappa“, entfährt es Josh. Er hechtet zur Bar, um das scheinbar unvermeidliche zu verhindern. Eine Bar-Dame mit professionell großem Busen hat aus Anlaß des hohen amerikanischen Besuchs den Plattenwechsler mit einer Silberscheibe des Bürgerschrecks gefüttert. „Das wäre so“ , erklärt mir Josh, „als wärst Du bei uns in Providence und wir würden Dir zu Ehren Falco spielen“.

Gerhard, der Impressario der Bar einigt sich indes mit dem Bar-Tender darauf, aus Gründen der Völkerverständigung Lieder des bekannten britischen Pop-Trios Police vorzuspielen. „Des heat die Heh a recht gern!“. Zu vorgerückter Stunde outet sich Computer-Programmierer und Eckpfeiler der Band Greg DeoCampo einerseits als Kenner der Schießeisenmaterie und andererseits als musikalisches Ex-Wunderkind. Daß er beide Wahrheitsbeweise nicht antreten kann, macht ihn nicht unsympathischer, unser Gehen hingegen zwingend.

Und daß Emergency Broadcast Network trotz einträglicher Jobs für die irische Band U2 und die Schuhfirma Nike klasse Burschen mit Verständnis für kleine Probleme geblieben sind, beweisen sie mir beim Besteigen meines Rades auf eindrückliche Art. „No light, girl, wait!“ Chefbastler Gardener Post schnalzt mit dem Zeigefinger auf mein unreparierbares Rücklicht. Das Schnippen hilft. Denn wer tennisplatzgroße Videoleinwände zum Leuchten bringen kann, für den ist auch ein kleines Rotlicht kein Problem.

Kirtag in Altaussee. Hietzinger Schuhplattler

Jedes erste Septemberwochenende ist im kleinen obersteirischen Salzkammergut der Teufel los. Tausende von Wienern hupfen in Lederhosen und Ausseerdirndln herum, Altgrafen wie Neureiche, Dichterlinge wie Medienmenschen.

 Andrea Maria Dusl für Falter 37/95.

Kirtag Altaussee.jpgAlle Jahre wieder, wenn sich zum Ausklang der Sommerfrische im kleinen Zweitausendseelennest Altaussee den hier seit Generationen urlaubenden Großbürger- und Grafenfamilien 7000 weitere Salonsteirer aus der Metropole anschließen, platzt der Ort am Fuße des Toten Gebirges aus allen Unterhosennähten.

Alle wollen vom großen Kuchen „Tradition“ naschen. Den haben die hier schon seit langem in ihren Salzkammergutvillen sitzenden altösterreichischen Magnatenfamilien zwar auch nicht selber gebacken, Graf Krethi und Komtesserl Plethi aber noch nie daran gehindert haben, in maßgeschneiderten Lodenjopperln den Einheimischen mit gespieltem Rustikalismus auf die Nerven zu gehen.

Großes und altehrwürdiges Vorbild für die bisweilen grotesken, stets aber peinlichen Formen des Wiener Verkleidungswahns ist der Nationalheld der Gegend, Erzherzog Johann. Dieser hat sich, wie an allen Ecken und Enden des Winkels auf Gedenktaferin und in Gästepostillen ausgebreitet wird, hier am 22. August 1819 in die Postmeisterstochter Anna Plochl verknallt. Mit des Erzherzogs Worten: „Ist sie mir guth?“ hat der ganze Rummel damals angefangen. Lange vor der um einiges bekannteren Romanze zwischen Franzl und Sisi in Ischl.

Schon zu Johanns Zeiten notierten die Chronisten des Salzkammergutes: „Aus der Fäulnis der Wiener Zeit unter Franz stammten auch die falschen Steyrer. Sie meinten, dem löblichen Beispiel des Erherzoges Johann nachzueifern, allein dieser Prinz hatte durch sein inniges Zusamrnenleben mit dem steyrischen Volke ein gewisses Recht auf den großen Lodenrock erworben. Die falschen Steyrer hingegen waren meist blasierte Gecken aus der Residenz.“

Seit den Tagen der Postkutschen hat sich daran nicht wesentlich viel geändert. Mit GTI und BMW kommt die „Jeunesse doree“ aus der Bundeshauptstadt auf Kurzbesuch in die Domizite der hier logierenden Eltern. Im Reisegepäck blähen sich die Koffer über Loden-Plankl-Jankern und Gexi-Tostmann-Dirndln. Wer auf sich hält, beeindruckt mitgebrachte Freunde mit uralten „Hirschledernen“. Nicht irgendwelche Lederhosen, sondern Altausseer müssen es sein, mit weißem „Bürsl“ einer kleinen weißen, aber wahnsinnig wichtigen Naht, zwei Fingerbreit überm Knie. Der Vorsprung an Einheimischkeit, der mit dieser stilistischen Marginalie gegenüber ähnlichen Produkten des Ausseerlands gewonnen wird, ist in irdischen Dimensionen nicht zu messen.

Das Alter der Hose muß dem des eigenen Großvaters nahekommen, was daran zu erkennen ist, daß das ursprüngliche Schwarz des Leders einem sandfarbenen, verschlissenen Teint gewichen ist. Mit einer Sepplhose vom Flohmarkt oder gar einer Bikerjean aus Favoriten anzutanzen gilt als Mißgriff und wird als proletenhafte Minderschätzung der hochnoblen Region und ihrer Sommerbewohner ausgelegt.

Den Gipfel der Verkleidungskunst stellt jedoch die Auswahl des richtigen Schuhwerkes dar. Die Debatte, welche Version zu welchem Zustand des Bodens paßt, ist um einiges schwieriger zu führen als die, welche violette Dirndlschürzenfarbe zu welcher Sorte grellrosa Kittel passen könnte. Der Aussee-Novize ist verblüfft, wie viele Farbnuancen der gelernte Sommerfrischler zwischen „grellrosa“ und „grellrosa“ zu unterscheiden vermag. Wirkliche Profis in dieser Disziplin sind die Bubis und Mädis aus „gutem Haus“, Hietzing und Pötzleinsdorf, natürlich nie und nimmer. Trotz redlicher und finanzintensivster Bemühungen kommen sie über den Status des „Postkartenausseers“ nie hinaus. Und so wundern sie sich Jahr für Jahr aufs Neue, wenn sie von den Einheimischen mit zugehaltenen Augen und Ohren und gegen den Wind als „Scheißweana“ entlarvt werden.

40er Kirtagszelt.jpgAlljährlicher Höhepunkt des Verkleidens und Enttarntwerdens ist der traditionelle „Altausseer Kirtag“ am ersten Septemberwochenende. Begonnen hat das Fest vor 35 Jahren relativ klein und bescheiden. Es dauerte zwei Tage, wegen des großen Erfolgs wurde jedoch in Anlehnung an den Faschingsmontag der sogenannte“Kirimontag“ dazugenommen, eine sehr raffinierte Idee der Altausseer, denen Samstag und Sonntag zu sehr verwienerten und die sich auf diese Art einen eigenen Einheimischen-Tag anhängen wollten. Mittlerweile ist auch der Kirimontag“ fest in den Händen der Horden aus der Wienerstadt.

Drehscheibe des Kirtages ist das Bierzelt, umringt von den für alpine Kirchweihfeste obligatorischen Vergnügungsattraktionen wie Schießstände, Autodromanlagen, Schaukeln und Ringelspiel. Mit der Eröffnung beginnt ein erbitterter Kampf zwischen Wienern und den Bewohnern der drei Ausseerlandgemeinden Altaussee, Grundlsee und Bad Aussee um Einlaß und Sitzplatz. Als Verstärkung der Ausseer sind auch noch Mitterndorfer, Goiserer, Hallstätter und andere Salzkammergutbewohner mit im Rennen.

Das Innere des Kirtagstempels ähnelt einer dreischiffigen Basilika. Im linken Seitenschiff blasen sich die Altausseer und Lupitscher Feuerwehrmusiker die Wangen blutig. Im rechten Seiten-Schiff bieten NebenkapelIen, die den Göttern „Nikotin“, „Pommes-frites“ und „Sprit“ gewidmet sind, Anlaß zur Einkehr. Die Apsis wird vom Hauptaltar „Alkoholfrei“ beherrscht, flankiert, von St. Mokka und St. Zirbenschnaps. Die linke Seitenapsis huldigt dem Martyrium der Heiligen Würstel, Räuchersaibling und Grillhenderl, die rechte ist den Anhängern der Volksheiligen Bier und Selbstbedienung geweiht.

40er Grillhendl.jpg250 Altausseer arbeiten sich die Hände wund, bringen an die 40.000 Biere, 6000 Hendln, 7000 Paar Bratwürstel, 14.000 Semmeln, 1500 Liter Wein und 7000 Liter Kracherl unter die Leute. Einen ersten Gipfel der Stimmung erklimmen die Festzeltbesucher während des Einzugs der 40köpfigen Delegation aus Ebensee. Der zweitägige Fußmarsch übers schneeverwehte Tote Gebirge wird unter großem Gejohle und Intonierung des „Ebenseer Fetzenmarsches“ im Zeit beendet. 14 Tage später gibt es den Gegenbesuch aus Aussee.

Absoluter Höhepunkt und größte Attraktion des Dreitagefestes in Altaussee ist der Auftritt von Emil. Emil ist der berühmteste Ausseer, fast so berühmt wie Klaus Maria, der wider die landläufige Meinung der „Zuagrasten“ tatsächlich von hier ist. Emil Strenberger ist pensionierter Müllmann, seine famose Karriere als Bierzelt-Entertainer begann vor 15 Jahren, sein lokaler Ruhm hat Phettberg’sche Dimensionen und die Wiener Freizeitsteirer versuchen so zu tun, als wären sie mit Emil groß und lustig geworden.

Kirimontag pünktlich um 21 Uhr – um diese Zeit trifft der von ihm rituell verwendete Postautobus ein, klatscht das Zeit mit Emil-Rufen den Mistkübler auf die Bühne. Sein Repertoire ist bescheiden und umfaßt die vier Megahits. „Und wenn du eine böse Schwiegermutter hast“, „Im Wald, da sind die Räuber“, „Ja, mir san min Radl da“ und „Wenn auf Capri…“
Emil freut sich das ganze Jahr auf seinen Auftritt nicht zuletzt, weil Klaus Maria Brandauer jedes Jahr hinter der Bühne steht und ihm nach vollbrachtem Sangeswerk anerkennend auf die Schulter klopft. Der Mime genießt den Rummel um die eigene Person nicht wirklich und verbringt den Kirtag hinter den Kulissen. Im Vergleich zu denen, die sich hier ins Rampenlicht drängen, strahlt sein Licht aber umso angenehmer.

Kirtag Innen.jpgZwischen all den echten Grafen, den Eltz‘ und Czernins, Merans, Harnoncours und Hohenlohe-Schillingsfürsten zeigt auch Horst Friedrich Mayer, Ritter von Küniglberg, gern die Schönheit seiner von abgewetzten Lederhosen nur notdürftig bekleideten Säbelbeine. Doch des Marinekenners Beine sind nicht die einzigen falschen Promihaxen vor Ort. Frisch gekampelt und geschneuzt, das Gamsjopperl und die jahrzehntealte Krachledeme angelegt, zieht Hannes Androsch, seine Mutter Lia am Arm und eine Truppe Ditndlträgerinnen im Schlepptau, in großer Prozession ins Zelt ein. Nichts an seinem Habitus erinnert an Floridsdorf, nichts an Sozialdemokratie und höchstens ein bißchen noch an seine Jugendtage als Kronprinz des alten Sonnenkönigs Kreisky. Alles am „Schönen Hannes“ sieht statt dessen nach gekauftem Landadel aus und fügt sich harmonisch ins Bild der hier vertretenen Seitenblicke-Prominenz.

Das Defilee und Herumgesitze bekannter Kapazunder dürfte nicht unwesentlich am ungebrochenen Erfolg Altaussees als supermegatrendige Sommerfrische verantwortlich sein.

Wie fast immer, entdeckte der Geldadel die Gegend erst, nachdem Künstler die Region für sich erobert hatten. Schon Thornas Bernhard graute in „Elizabeth 11“ vor dem angereisten Klüngel: „Schriftsteller Komponisten Komödianten/dieses ganze Gesindel“, schimpfte er“, gehen in Dirndlkleidern herum und in Lederhosen und machen sich mit Fleischhauern und Holzhackern gemein.“

Doch die Fratemisierungsversuche der Wiener fruchten wenig, die Ausseer lieben ihre Gäste nicht wirklich, tun ihnen nur schön und reiben sich die Hände. Besonders einträglich und beliebt ist alles, was dem Besucher die Illusion des alpinen Waidwerkes vermittelt. So gibt ein ausgiebiger Besuch des Armbrustschießzeltes jedem Wannabee-Wilderer die Chance, mit kleinen Armbrüsten auf kleine Scheiben zielen zu dürfen. Im direkten Wettkampf mit den real existierenden und anwesenden „Jagern“ der Gegend haben die Besucher aber keine Chance. Den von der Freiwilligen Feuerwehr Lupitsch ausgesetzten Schützenpreis – meist ein Fernsehapparat – will dennoch jeder gewinnen.

Im Zelt sitzen zumeist auch Lupitscher mit Knopferlharmonikas und spielen Marathons von Steirern und Gstanzln, meist mit schweinischen Texten. Dazu klatschen sie mehrstimmig. Das nennen sie „Paschen“. Die Wiener paschen sofort mit, worauf die „Musi“ verstummt, weil die Wiener weder Einsatz noch Lautstärke der rhythmischen Handschläge kennen und den Ausseern damit jeden Spaß verderben.

Gegen vier Uhr nachts versiegen die Bierquellen, die letzten Autodromaddicts drehen einsame Runden, Graf Krethi und Komtesserl Plethi treten den Heimweg an. Familienvilla, Ferienwohnung und Frühstückspension werden wankenden Schritts oder schlingender Fahrt angesteuert, der Tanz aus der lehmbeschmierten Lederhose und das Abwickeln der brathendlsaftverschmierten Dirndln beginnt.

Mit der Abreise der Wiener nach dem Kirtag wird es abrupt leer im Tal. Tennisplätze und Paragliding-Rampen verwaisen, Elektroboote und Erlebnisplätten werden eingewintert. Gaststätten kürzen ihre Speisekarten, und die Promenaden sind aper von urlaubenden Prominenten und Sommerfrischlern. Die Einheimischen genießen ihre Gegend und Schulkinder sprechen wieder ungeniert im Dialekt. Ein, zwei Monate lang. Bis die Schifahrer kommen. Dann beginnt alles von neuem.

Das Schweizerhaus. Der Nabel der Stadt

Das beste Bier der Welt, die knusprigsten „Stözzn“‚ und die unbestechlichsten Kellner des Praters: Das Schweizerhaus – wo sich Wien von seiner böhmischen Seite zeigt – hat eine lange Geschichte. Ein Portrait von ANDREA MARIA DUSL

In Sichtweite des Riesenrades, wo der Trubel und die Hetz der Schießbuden und Go-Cart-Bahnen, der Luftkutschen und Spiegelkabinette langsam ausdünnt, beginnt eine Welt, der lüsterne Sensationen ebenso fremd sind, wie der polternde Lärm rasender Maschinen.
Schweizerhaus Bierdeckerl.jpgDer Duft von Nußbäumen und blühenden Kastanien lockt unseren Schritt in eine Kathedrale unter den Wirtshäusern. Schlichte weiße Lettern bezeichnen diesen Ort. Unter schattigen Praterbäumen knirscht der Kies und vermischt sich mit dem Klirren dicker Gläser und dem Krachen berstender Schweinehaxen.
Bis zu 7000 Krügerl gehen hier allein an einem Sommertag über die Schank, ganz abgesehen von den Karpfen, Grillhendeln, Prager Kuttelflecksuppen oder eben schlicht den „Stözzn“ mit Senf, Kren und Brot. Hier kanns dir auch passieren, daß dein Bürgermeister neben dir sitzt und dich fragt, was der Unterschied sei „zwischen einem Schweizerhauskellner und einem Philharmoniker?“ Und dann wird er, mit seiner seidentuchumwickelten Briefbombenhand wachelnd, in dein Ohr flüstern: „Die Schweizerhauskellner haben die höhere Gage, und die Philharmoniker können im Sitzen hackeln!“ Das ist der ganze Unterschied.

Wie viele Geschichten aus dem alten Wien verlieren sich auch die Ursprünge des heute Schweizerhaus genannten Paradiesortes im Dunkel der Geschichte. Eine Schilderung der Lady Montague über den Prater, vor 1766 dem ordinären Publikum noch nicht zugänglich, entnehmen wir: „Ich war gestern in Gesellschaft des Vizekanzlers Grafen Schönhorn im Prater, einem reizenden und von vortrefflicher Weite strahlenden Park. Wir fanden es tunlich, jene große Allee wegen seiner Staubigkeit gegen den Wald zu verlassen, um in einem kleinen Wirtshause einzukehren, welches nach Auskunft meiner Begleitung ‚Zur Schweizer Hütte‘ genannt wurde. Vor Hunderten Jahren habe dort ein Einsiedler Fische und Pilze an die rastenden kaiserlichen Jagdknechte verkauft. Die Knechte seien Schweizer aus dem Sundgau gewesen, die für die Vortrefflichkeit und Ausdauer ihrer Treibkünste gerühmt waren, und es hätte sich der Name ,SchweizerHütte‘ aus jener Zeit erhalten. Der Wirt ist ein stiller Mann, welcher mit großem Geschick kleine Fische am Spieß bratet und dazu einen köstlichen Hollersaft kredenzt, von welchem wir zwei Krüge tranken …“

Jener „stille Wirt“ war ein Nachfahre des legendären Michael Ainöther, der am 1. Mai 1603 vielleicht das erste Lokal des Praters eröffnete. Über dem Eingangstor seines Wirtshauses stand: „Gott behuet dies Haus so lang, bis ein Schneck die Welt umgang. Und ein Ameis dürst so sehr, daß er’s austrinkt, ’s ganze Meer.

Noch im ausgehenden 18. Jahrhundert wurde die „Schweizer Hütte“, einer Mode der Zeit folgend, von seinem neuen Besitzer Cajetan Gasperl, einem geschäftstüchtigen Mann aus Mitterndorf im Ausseerland, in „Tabakspfeife“ umbenannt und „Zum Zwecke des süßen Qualmens“ ausgebaut. Nach Gasperls Tod verkaufte seine Witwe das Etablissement, das während der Zeit des Wiener Kongresses den Namen „Zum russischen Kaiser“ trug. Der neuen Besitzer trug den etymologischen Wurzeln des Hauses Rechnung und nannte seine Gaststätte wieder „Schweizer Meierei“.

Ein populärer Besitzer des Schweizerhauses war der Wirt vom „Alten Kühfuß“ in der Habsburgergasse, Jan Gabriel, unter dem das Wirtshaus ein Treffpunkt aller Freunde echten „Pilsners“ wurde. So mancher Firmgöd hat sich dort einen Rausch angetrunken. Ein berühmter Stammgast dieser Zeit war Albert Timmel, einer der legendären Timmelbrüder aus Ottakring, die mehr als einem festen Raufhandel des Praters Würze verliehen. Einer, der nicht trank im Schweizerhaus, war der Wärter der „Säugetierschaustellung“ im „Aquarium“: Er holte pünktlich um zehn Uhr vormittags drei Krügel für seine Affen, welche die mit sichtlichem Behagen getrunken haben sollen.

Einem „Naturgesetz“ folgend, hatte der Schweizer WeltausstellungspavilIon seinen Platz in unmittelbarer Nähe des heutigen Schweizerhauses. Vielen ist darum die Entstehung des Namens „Schweizerhaus“ aus dieser Tatsache erklärlich. Hier versagt aber die Grenzziehung zwischen Fama und Historia. Beliebtes Überbleibsel der Weltausstellungszeit blieben die sonntäglichen Konzerte der Deutschmeister.

1920 juckt einen jungen Wiener die geschäftstüchtige böhmische Nase. Der neunzehnjährige Sohn tschechischer Eltern, Karl Kolarik, übernimmt als Konzessionär das Schweiz,erhaus. Inflation und Wirtschaftskrise schütteln die junge Republik und somanchem stillen Bierzecher ist ein Besuch im Biergarten die einzige Freude. Karl Kolarik hat ein G’spür fürs Geschäft. Der gelernte Fleischer und Selcher errichtet Wiens „Erste englische Fischbratküche“ und einen Pavillon, „wo die berühmten Wiener Würsteln und Bratwürsteln vor den Gästen erzeugt werden“, wie ein zeitgenössisches Inserat stolz preist.

So nebenbei führt Kolarik eine andere Spezialität ein: Fein geschnittene Erdäpfeln, die berühmten, in heißem Fett herausgebratenen „Rohscheiben“.

Die köstlichste Delikatesse aber, das berühmte Budweiser, verdankt das Schweizerhaus einer Reise Kolariks in die böhmische Heimat seiner Eltern.
In der Nachkriegszeit des ersten Weltkrieges hatten die nationalistischen Tschechen als eine der ersten Maßnahmen ihrer jungen Republik den Bierexport verboten – weil sonst für die tschechischen Arbeiter zu wenig übrigbliebe. Dieser Maßnahme fiel die „Pilsner Bierklinik“ in der Innenstadt zum Opfer. Sie mußte auf das Gösser umsteigen und ihren Namen in „Gösser Bierklinik“ ändern. Diesem Grund verdankt das amerikanische, „Budweiser“ von AnheuserBusch seinen zweifelhaften Siegeszug. Mit dem echten Budweiser hat dieses nämlich nur den abgekupferten Namen gemeinsam.

Aber zurück ins Jahr 1926. Auf seiner Biersuche durch Böhmen stößt Kolarik auf das Budweiser, ein dunkelgelbes 12grädiges Lagerbier. Das Wasser, mit dem es gebraut wird, stammt aus 312 Metern Tiefe. Es ist Tausende Jahre alt und seidenweich, wie man als Schweizerhausbesucher mit jedem Schluck aufs neue bestätigen kann. Kolarik läßt seinen Gaumen entscheiden und kauft einen ganzen Waggon Budweiser, bringt ihn nach Wien und verleiht damit einer alten Liebe neue Triebe. Der nämlich, die die Wiener mit dem tschechischen Bier seit alten Zeiten verbindet.
Von Krieg und Gefangenschaft kehrt der Wirt mit dem guten böhmischen Bier in ein völlig zerstörtes Schweizerhaus zurück. Zwei Bäume stehen noch, mehr nicht. Die berühmten Nußbäume, in deren Schatten so mancher Sommertag seine lange Reise in die Nacht beginnt, pflanzt Kolarik 1947 mit eigenen Händen. Nußbäume ‚ weil deren Geruch die Gelsen vertreibt. Einfach, aber bis heute wirksam.

Karl Kolarik, einer der wichtigsten Wiener aller Zeiten, starb letztes Jahr im 92sten Lebensjahr. Sein Erbe führt sein Sohn indes weiter. Jan-Karl Kolarik jun. ist ein strenger Wirt. Das ist gut so, denn nur ein strenger Wirt ist ein guter Wirt. Und wenn seinen Argusaugen einer der vierzig Kellner entkommt und der dann auch noch Zeit hat und Lust und seine verschwiegene Pappn aufmacht, dann kann es passieren, daß er voller Stolz von berühmten Gästen erzählt. Von Peter Alexander und Bruno Marek, Slash von Guns ’n‘ Roses, einem sehr heimlichen Glenn Gould, einem noch heimlicheren Carlos Kleiber. Von Niki Lauda und Toni „two times“ Polster, Anton Benya, Bruno Kreisky und dem Mineralwasser trinkenden Arafat, „den kaner kennt, wenn er sein Tüchl ned aufhat“. Aber das ist eigentlich gar nicht so wichtig, meinen die echten „StelzenGeher“. Hier ist jeder willkommen, „wirklich a jeder“.

Und es mag vorkommen, daß Leut neben dir sitzen, von denen bekannt ist, daß sie eigentlich vor zwei Wochen für immer nach New York ausgewandert sind. Und dann fällt dir ein, du hast einen wichtigen Termin mit deiner besten Freundin verschwitzt, und jetzt rufst sie gschwind an ihrem Handy an vom Telefon neben der Häuslfrau. Und sie wird sagen: „Macht nichts, komm schnell ins Schweizerhaus.“ Und dann wirst sagen: „l sitz auf der Eck’n, waßt eh.“ Und dann gehst z’ruck zu dein Tisch, wo sie schon sitzt, deine beste Freundin mit ihrem Handy, vor dem goldgelben Wunderbier mit dem Hermelinkapperl drauf. Und dann wird dir die alte chinesische Weisheit einfallen: Jeder Tag, den du bist im Schweizerhaus, wird hinten an dein Leben nocheinmal drangehängt.

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Biergarten, Restaurant Schweizerhaus, 1020 Wien, Prater 116; Kein Ruhetag, tägl. von 10 bis 23 Uhr. Von 9. März bis 31. Oktober.

© Andrea Maria Dusl
Erschienen in Falter 20/94 Seite 64-65