Kirtag in Altaussee. Hietzinger Schuhplattler

Jedes erste Septemberwochenende ist im kleinen obersteirischen Salzkammergut der Teufel los. Tausende von Wienern hupfen in Lederhosen und Ausseerdirndln herum, Altgrafen wie Neureiche, Dichterlinge wie Medienmenschen.

 Andrea Maria Dusl für Falter 37/95.

Kirtag Altaussee.jpgAlle Jahre wieder, wenn sich zum Ausklang der Sommerfrische im kleinen Zweitausendseelennest Altaussee den hier seit Generationen urlaubenden Großbürger- und Grafenfamilien 7000 weitere Salonsteirer aus der Metropole anschließen, platzt der Ort am Fuße des Toten Gebirges aus allen Unterhosennähten.

Alle wollen vom großen Kuchen „Tradition“ naschen. Den haben die hier schon seit langem in ihren Salzkammergutvillen sitzenden altösterreichischen Magnatenfamilien zwar auch nicht selber gebacken, Graf Krethi und Komtesserl Plethi aber noch nie daran gehindert haben, in maßgeschneiderten Lodenjopperln den Einheimischen mit gespieltem Rustikalismus auf die Nerven zu gehen.

Großes und altehrwürdiges Vorbild für die bisweilen grotesken, stets aber peinlichen Formen des Wiener Verkleidungswahns ist der Nationalheld der Gegend, Erzherzog Johann. Dieser hat sich, wie an allen Ecken und Enden des Winkels auf Gedenktaferin und in Gästepostillen ausgebreitet wird, hier am 22. August 1819 in die Postmeisterstochter Anna Plochl verknallt. Mit des Erzherzogs Worten: „Ist sie mir guth?“ hat der ganze Rummel damals angefangen. Lange vor der um einiges bekannteren Romanze zwischen Franzl und Sisi in Ischl.

Schon zu Johanns Zeiten notierten die Chronisten des Salzkammergutes: „Aus der Fäulnis der Wiener Zeit unter Franz stammten auch die falschen Steyrer. Sie meinten, dem löblichen Beispiel des Erherzoges Johann nachzueifern, allein dieser Prinz hatte durch sein inniges Zusamrnenleben mit dem steyrischen Volke ein gewisses Recht auf den großen Lodenrock erworben. Die falschen Steyrer hingegen waren meist blasierte Gecken aus der Residenz.“

Seit den Tagen der Postkutschen hat sich daran nicht wesentlich viel geändert. Mit GTI und BMW kommt die „Jeunesse doree“ aus der Bundeshauptstadt auf Kurzbesuch in die Domizite der hier logierenden Eltern. Im Reisegepäck blähen sich die Koffer über Loden-Plankl-Jankern und Gexi-Tostmann-Dirndln. Wer auf sich hält, beeindruckt mitgebrachte Freunde mit uralten „Hirschledernen“. Nicht irgendwelche Lederhosen, sondern Altausseer müssen es sein, mit weißem „Bürsl“ einer kleinen weißen, aber wahnsinnig wichtigen Naht, zwei Fingerbreit überm Knie. Der Vorsprung an Einheimischkeit, der mit dieser stilistischen Marginalie gegenüber ähnlichen Produkten des Ausseerlands gewonnen wird, ist in irdischen Dimensionen nicht zu messen.

Das Alter der Hose muß dem des eigenen Großvaters nahekommen, was daran zu erkennen ist, daß das ursprüngliche Schwarz des Leders einem sandfarbenen, verschlissenen Teint gewichen ist. Mit einer Sepplhose vom Flohmarkt oder gar einer Bikerjean aus Favoriten anzutanzen gilt als Mißgriff und wird als proletenhafte Minderschätzung der hochnoblen Region und ihrer Sommerbewohner ausgelegt.

Den Gipfel der Verkleidungskunst stellt jedoch die Auswahl des richtigen Schuhwerkes dar. Die Debatte, welche Version zu welchem Zustand des Bodens paßt, ist um einiges schwieriger zu führen als die, welche violette Dirndlschürzenfarbe zu welcher Sorte grellrosa Kittel passen könnte. Der Aussee-Novize ist verblüfft, wie viele Farbnuancen der gelernte Sommerfrischler zwischen „grellrosa“ und „grellrosa“ zu unterscheiden vermag. Wirkliche Profis in dieser Disziplin sind die Bubis und Mädis aus „gutem Haus“, Hietzing und Pötzleinsdorf, natürlich nie und nimmer. Trotz redlicher und finanzintensivster Bemühungen kommen sie über den Status des „Postkartenausseers“ nie hinaus. Und so wundern sie sich Jahr für Jahr aufs Neue, wenn sie von den Einheimischen mit zugehaltenen Augen und Ohren und gegen den Wind als „Scheißweana“ entlarvt werden.

40er Kirtagszelt.jpgAlljährlicher Höhepunkt des Verkleidens und Enttarntwerdens ist der traditionelle „Altausseer Kirtag“ am ersten Septemberwochenende. Begonnen hat das Fest vor 35 Jahren relativ klein und bescheiden. Es dauerte zwei Tage, wegen des großen Erfolgs wurde jedoch in Anlehnung an den Faschingsmontag der sogenannte“Kirimontag“ dazugenommen, eine sehr raffinierte Idee der Altausseer, denen Samstag und Sonntag zu sehr verwienerten und die sich auf diese Art einen eigenen Einheimischen-Tag anhängen wollten. Mittlerweile ist auch der Kirimontag“ fest in den Händen der Horden aus der Wienerstadt.

Drehscheibe des Kirtages ist das Bierzelt, umringt von den für alpine Kirchweihfeste obligatorischen Vergnügungsattraktionen wie Schießstände, Autodromanlagen, Schaukeln und Ringelspiel. Mit der Eröffnung beginnt ein erbitterter Kampf zwischen Wienern und den Bewohnern der drei Ausseerlandgemeinden Altaussee, Grundlsee und Bad Aussee um Einlaß und Sitzplatz. Als Verstärkung der Ausseer sind auch noch Mitterndorfer, Goiserer, Hallstätter und andere Salzkammergutbewohner mit im Rennen.

Das Innere des Kirtagstempels ähnelt einer dreischiffigen Basilika. Im linken Seitenschiff blasen sich die Altausseer und Lupitscher Feuerwehrmusiker die Wangen blutig. Im rechten Seiten-Schiff bieten NebenkapelIen, die den Göttern „Nikotin“, „Pommes-frites“ und „Sprit“ gewidmet sind, Anlaß zur Einkehr. Die Apsis wird vom Hauptaltar „Alkoholfrei“ beherrscht, flankiert, von St. Mokka und St. Zirbenschnaps. Die linke Seitenapsis huldigt dem Martyrium der Heiligen Würstel, Räuchersaibling und Grillhenderl, die rechte ist den Anhängern der Volksheiligen Bier und Selbstbedienung geweiht.

40er Grillhendl.jpg250 Altausseer arbeiten sich die Hände wund, bringen an die 40.000 Biere, 6000 Hendln, 7000 Paar Bratwürstel, 14.000 Semmeln, 1500 Liter Wein und 7000 Liter Kracherl unter die Leute. Einen ersten Gipfel der Stimmung erklimmen die Festzeltbesucher während des Einzugs der 40köpfigen Delegation aus Ebensee. Der zweitägige Fußmarsch übers schneeverwehte Tote Gebirge wird unter großem Gejohle und Intonierung des „Ebenseer Fetzenmarsches“ im Zeit beendet. 14 Tage später gibt es den Gegenbesuch aus Aussee.

Absoluter Höhepunkt und größte Attraktion des Dreitagefestes in Altaussee ist der Auftritt von Emil. Emil ist der berühmteste Ausseer, fast so berühmt wie Klaus Maria, der wider die landläufige Meinung der „Zuagrasten“ tatsächlich von hier ist. Emil Strenberger ist pensionierter Müllmann, seine famose Karriere als Bierzelt-Entertainer begann vor 15 Jahren, sein lokaler Ruhm hat Phettberg’sche Dimensionen und die Wiener Freizeitsteirer versuchen so zu tun, als wären sie mit Emil groß und lustig geworden.

Kirimontag pünktlich um 21 Uhr – um diese Zeit trifft der von ihm rituell verwendete Postautobus ein, klatscht das Zeit mit Emil-Rufen den Mistkübler auf die Bühne. Sein Repertoire ist bescheiden und umfaßt die vier Megahits. „Und wenn du eine böse Schwiegermutter hast“, „Im Wald, da sind die Räuber“, „Ja, mir san min Radl da“ und „Wenn auf Capri…“
Emil freut sich das ganze Jahr auf seinen Auftritt nicht zuletzt, weil Klaus Maria Brandauer jedes Jahr hinter der Bühne steht und ihm nach vollbrachtem Sangeswerk anerkennend auf die Schulter klopft. Der Mime genießt den Rummel um die eigene Person nicht wirklich und verbringt den Kirtag hinter den Kulissen. Im Vergleich zu denen, die sich hier ins Rampenlicht drängen, strahlt sein Licht aber umso angenehmer.

Kirtag Innen.jpgZwischen all den echten Grafen, den Eltz‘ und Czernins, Merans, Harnoncours und Hohenlohe-Schillingsfürsten zeigt auch Horst Friedrich Mayer, Ritter von Küniglberg, gern die Schönheit seiner von abgewetzten Lederhosen nur notdürftig bekleideten Säbelbeine. Doch des Marinekenners Beine sind nicht die einzigen falschen Promihaxen vor Ort. Frisch gekampelt und geschneuzt, das Gamsjopperl und die jahrzehntealte Krachledeme angelegt, zieht Hannes Androsch, seine Mutter Lia am Arm und eine Truppe Ditndlträgerinnen im Schlepptau, in großer Prozession ins Zelt ein. Nichts an seinem Habitus erinnert an Floridsdorf, nichts an Sozialdemokratie und höchstens ein bißchen noch an seine Jugendtage als Kronprinz des alten Sonnenkönigs Kreisky. Alles am „Schönen Hannes“ sieht statt dessen nach gekauftem Landadel aus und fügt sich harmonisch ins Bild der hier vertretenen Seitenblicke-Prominenz.

Das Defilee und Herumgesitze bekannter Kapazunder dürfte nicht unwesentlich am ungebrochenen Erfolg Altaussees als supermegatrendige Sommerfrische verantwortlich sein.

Wie fast immer, entdeckte der Geldadel die Gegend erst, nachdem Künstler die Region für sich erobert hatten. Schon Thornas Bernhard graute in „Elizabeth 11“ vor dem angereisten Klüngel: „Schriftsteller Komponisten Komödianten/dieses ganze Gesindel“, schimpfte er“, gehen in Dirndlkleidern herum und in Lederhosen und machen sich mit Fleischhauern und Holzhackern gemein.“

Doch die Fratemisierungsversuche der Wiener fruchten wenig, die Ausseer lieben ihre Gäste nicht wirklich, tun ihnen nur schön und reiben sich die Hände. Besonders einträglich und beliebt ist alles, was dem Besucher die Illusion des alpinen Waidwerkes vermittelt. So gibt ein ausgiebiger Besuch des Armbrustschießzeltes jedem Wannabee-Wilderer die Chance, mit kleinen Armbrüsten auf kleine Scheiben zielen zu dürfen. Im direkten Wettkampf mit den real existierenden und anwesenden „Jagern“ der Gegend haben die Besucher aber keine Chance. Den von der Freiwilligen Feuerwehr Lupitsch ausgesetzten Schützenpreis – meist ein Fernsehapparat – will dennoch jeder gewinnen.

Im Zelt sitzen zumeist auch Lupitscher mit Knopferlharmonikas und spielen Marathons von Steirern und Gstanzln, meist mit schweinischen Texten. Dazu klatschen sie mehrstimmig. Das nennen sie „Paschen“. Die Wiener paschen sofort mit, worauf die „Musi“ verstummt, weil die Wiener weder Einsatz noch Lautstärke der rhythmischen Handschläge kennen und den Ausseern damit jeden Spaß verderben.

Gegen vier Uhr nachts versiegen die Bierquellen, die letzten Autodromaddicts drehen einsame Runden, Graf Krethi und Komtesserl Plethi treten den Heimweg an. Familienvilla, Ferienwohnung und Frühstückspension werden wankenden Schritts oder schlingender Fahrt angesteuert, der Tanz aus der lehmbeschmierten Lederhose und das Abwickeln der brathendlsaftverschmierten Dirndln beginnt.

Mit der Abreise der Wiener nach dem Kirtag wird es abrupt leer im Tal. Tennisplätze und Paragliding-Rampen verwaisen, Elektroboote und Erlebnisplätten werden eingewintert. Gaststätten kürzen ihre Speisekarten, und die Promenaden sind aper von urlaubenden Prominenten und Sommerfrischlern. Die Einheimischen genießen ihre Gegend und Schulkinder sprechen wieder ungeniert im Dialekt. Ein, zwei Monate lang. Bis die Schifahrer kommen. Dann beginnt alles von neuem.

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