Das Schweizerhaus. Der Nabel der Stadt

Das beste Bier der Welt, die knusprigsten „Stözzn“‚ und die unbestechlichsten Kellner des Praters: Das Schweizerhaus – wo sich Wien von seiner böhmischen Seite zeigt – hat eine lange Geschichte. Ein Portrait von ANDREA MARIA DUSL

In Sichtweite des Riesenrades, wo der Trubel und die Hetz der Schießbuden und Go-Cart-Bahnen, der Luftkutschen und Spiegelkabinette langsam ausdünnt, beginnt eine Welt, der lüsterne Sensationen ebenso fremd sind, wie der polternde Lärm rasender Maschinen.
Schweizerhaus Bierdeckerl.jpgDer Duft von Nußbäumen und blühenden Kastanien lockt unseren Schritt in eine Kathedrale unter den Wirtshäusern. Schlichte weiße Lettern bezeichnen diesen Ort. Unter schattigen Praterbäumen knirscht der Kies und vermischt sich mit dem Klirren dicker Gläser und dem Krachen berstender Schweinehaxen.
Bis zu 7000 Krügerl gehen hier allein an einem Sommertag über die Schank, ganz abgesehen von den Karpfen, Grillhendeln, Prager Kuttelflecksuppen oder eben schlicht den „Stözzn“ mit Senf, Kren und Brot. Hier kanns dir auch passieren, daß dein Bürgermeister neben dir sitzt und dich fragt, was der Unterschied sei „zwischen einem Schweizerhauskellner und einem Philharmoniker?“ Und dann wird er, mit seiner seidentuchumwickelten Briefbombenhand wachelnd, in dein Ohr flüstern: „Die Schweizerhauskellner haben die höhere Gage, und die Philharmoniker können im Sitzen hackeln!“ Das ist der ganze Unterschied.

Wie viele Geschichten aus dem alten Wien verlieren sich auch die Ursprünge des heute Schweizerhaus genannten Paradiesortes im Dunkel der Geschichte. Eine Schilderung der Lady Montague über den Prater, vor 1766 dem ordinären Publikum noch nicht zugänglich, entnehmen wir: „Ich war gestern in Gesellschaft des Vizekanzlers Grafen Schönhorn im Prater, einem reizenden und von vortrefflicher Weite strahlenden Park. Wir fanden es tunlich, jene große Allee wegen seiner Staubigkeit gegen den Wald zu verlassen, um in einem kleinen Wirtshause einzukehren, welches nach Auskunft meiner Begleitung ‚Zur Schweizer Hütte‘ genannt wurde. Vor Hunderten Jahren habe dort ein Einsiedler Fische und Pilze an die rastenden kaiserlichen Jagdknechte verkauft. Die Knechte seien Schweizer aus dem Sundgau gewesen, die für die Vortrefflichkeit und Ausdauer ihrer Treibkünste gerühmt waren, und es hätte sich der Name ,SchweizerHütte‘ aus jener Zeit erhalten. Der Wirt ist ein stiller Mann, welcher mit großem Geschick kleine Fische am Spieß bratet und dazu einen köstlichen Hollersaft kredenzt, von welchem wir zwei Krüge tranken …“

Jener „stille Wirt“ war ein Nachfahre des legendären Michael Ainöther, der am 1. Mai 1603 vielleicht das erste Lokal des Praters eröffnete. Über dem Eingangstor seines Wirtshauses stand: „Gott behuet dies Haus so lang, bis ein Schneck die Welt umgang. Und ein Ameis dürst so sehr, daß er’s austrinkt, ’s ganze Meer.

Noch im ausgehenden 18. Jahrhundert wurde die „Schweizer Hütte“, einer Mode der Zeit folgend, von seinem neuen Besitzer Cajetan Gasperl, einem geschäftstüchtigen Mann aus Mitterndorf im Ausseerland, in „Tabakspfeife“ umbenannt und „Zum Zwecke des süßen Qualmens“ ausgebaut. Nach Gasperls Tod verkaufte seine Witwe das Etablissement, das während der Zeit des Wiener Kongresses den Namen „Zum russischen Kaiser“ trug. Der neuen Besitzer trug den etymologischen Wurzeln des Hauses Rechnung und nannte seine Gaststätte wieder „Schweizer Meierei“.

Ein populärer Besitzer des Schweizerhauses war der Wirt vom „Alten Kühfuß“ in der Habsburgergasse, Jan Gabriel, unter dem das Wirtshaus ein Treffpunkt aller Freunde echten „Pilsners“ wurde. So mancher Firmgöd hat sich dort einen Rausch angetrunken. Ein berühmter Stammgast dieser Zeit war Albert Timmel, einer der legendären Timmelbrüder aus Ottakring, die mehr als einem festen Raufhandel des Praters Würze verliehen. Einer, der nicht trank im Schweizerhaus, war der Wärter der „Säugetierschaustellung“ im „Aquarium“: Er holte pünktlich um zehn Uhr vormittags drei Krügel für seine Affen, welche die mit sichtlichem Behagen getrunken haben sollen.

Einem „Naturgesetz“ folgend, hatte der Schweizer WeltausstellungspavilIon seinen Platz in unmittelbarer Nähe des heutigen Schweizerhauses. Vielen ist darum die Entstehung des Namens „Schweizerhaus“ aus dieser Tatsache erklärlich. Hier versagt aber die Grenzziehung zwischen Fama und Historia. Beliebtes Überbleibsel der Weltausstellungszeit blieben die sonntäglichen Konzerte der Deutschmeister.

1920 juckt einen jungen Wiener die geschäftstüchtige böhmische Nase. Der neunzehnjährige Sohn tschechischer Eltern, Karl Kolarik, übernimmt als Konzessionär das Schweiz,erhaus. Inflation und Wirtschaftskrise schütteln die junge Republik und somanchem stillen Bierzecher ist ein Besuch im Biergarten die einzige Freude. Karl Kolarik hat ein G’spür fürs Geschäft. Der gelernte Fleischer und Selcher errichtet Wiens „Erste englische Fischbratküche“ und einen Pavillon, „wo die berühmten Wiener Würsteln und Bratwürsteln vor den Gästen erzeugt werden“, wie ein zeitgenössisches Inserat stolz preist.

So nebenbei führt Kolarik eine andere Spezialität ein: Fein geschnittene Erdäpfeln, die berühmten, in heißem Fett herausgebratenen „Rohscheiben“.

Die köstlichste Delikatesse aber, das berühmte Budweiser, verdankt das Schweizerhaus einer Reise Kolariks in die böhmische Heimat seiner Eltern.
In der Nachkriegszeit des ersten Weltkrieges hatten die nationalistischen Tschechen als eine der ersten Maßnahmen ihrer jungen Republik den Bierexport verboten – weil sonst für die tschechischen Arbeiter zu wenig übrigbliebe. Dieser Maßnahme fiel die „Pilsner Bierklinik“ in der Innenstadt zum Opfer. Sie mußte auf das Gösser umsteigen und ihren Namen in „Gösser Bierklinik“ ändern. Diesem Grund verdankt das amerikanische, „Budweiser“ von AnheuserBusch seinen zweifelhaften Siegeszug. Mit dem echten Budweiser hat dieses nämlich nur den abgekupferten Namen gemeinsam.

Aber zurück ins Jahr 1926. Auf seiner Biersuche durch Böhmen stößt Kolarik auf das Budweiser, ein dunkelgelbes 12grädiges Lagerbier. Das Wasser, mit dem es gebraut wird, stammt aus 312 Metern Tiefe. Es ist Tausende Jahre alt und seidenweich, wie man als Schweizerhausbesucher mit jedem Schluck aufs neue bestätigen kann. Kolarik läßt seinen Gaumen entscheiden und kauft einen ganzen Waggon Budweiser, bringt ihn nach Wien und verleiht damit einer alten Liebe neue Triebe. Der nämlich, die die Wiener mit dem tschechischen Bier seit alten Zeiten verbindet.
Von Krieg und Gefangenschaft kehrt der Wirt mit dem guten böhmischen Bier in ein völlig zerstörtes Schweizerhaus zurück. Zwei Bäume stehen noch, mehr nicht. Die berühmten Nußbäume, in deren Schatten so mancher Sommertag seine lange Reise in die Nacht beginnt, pflanzt Kolarik 1947 mit eigenen Händen. Nußbäume ‚ weil deren Geruch die Gelsen vertreibt. Einfach, aber bis heute wirksam.

Karl Kolarik, einer der wichtigsten Wiener aller Zeiten, starb letztes Jahr im 92sten Lebensjahr. Sein Erbe führt sein Sohn indes weiter. Jan-Karl Kolarik jun. ist ein strenger Wirt. Das ist gut so, denn nur ein strenger Wirt ist ein guter Wirt. Und wenn seinen Argusaugen einer der vierzig Kellner entkommt und der dann auch noch Zeit hat und Lust und seine verschwiegene Pappn aufmacht, dann kann es passieren, daß er voller Stolz von berühmten Gästen erzählt. Von Peter Alexander und Bruno Marek, Slash von Guns ’n‘ Roses, einem sehr heimlichen Glenn Gould, einem noch heimlicheren Carlos Kleiber. Von Niki Lauda und Toni „two times“ Polster, Anton Benya, Bruno Kreisky und dem Mineralwasser trinkenden Arafat, „den kaner kennt, wenn er sein Tüchl ned aufhat“. Aber das ist eigentlich gar nicht so wichtig, meinen die echten „StelzenGeher“. Hier ist jeder willkommen, „wirklich a jeder“.

Und es mag vorkommen, daß Leut neben dir sitzen, von denen bekannt ist, daß sie eigentlich vor zwei Wochen für immer nach New York ausgewandert sind. Und dann fällt dir ein, du hast einen wichtigen Termin mit deiner besten Freundin verschwitzt, und jetzt rufst sie gschwind an ihrem Handy an vom Telefon neben der Häuslfrau. Und sie wird sagen: „Macht nichts, komm schnell ins Schweizerhaus.“ Und dann wirst sagen: „l sitz auf der Eck’n, waßt eh.“ Und dann gehst z’ruck zu dein Tisch, wo sie schon sitzt, deine beste Freundin mit ihrem Handy, vor dem goldgelben Wunderbier mit dem Hermelinkapperl drauf. Und dann wird dir die alte chinesische Weisheit einfallen: Jeder Tag, den du bist im Schweizerhaus, wird hinten an dein Leben nocheinmal drangehängt.

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Biergarten, Restaurant Schweizerhaus, 1020 Wien, Prater 116; Kein Ruhetag, tägl. von 10 bis 23 Uhr. Von 9. März bis 31. Oktober.

© Andrea Maria Dusl
Erschienen in Falter 20/94 Seite 64-65

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