Neue Aversionsfront in Candyland

Neueste Aversionsfront. Manche hier in Candyland finden es empörend, dass Flüchtlinge Mineralwasser mit Kohlensäure ablehnen. Sollen gefälligst trinken, was wir ihnen anbieten. Beschämende Einblicke in den Empathiehaushalt der Senfgebenden. Ähnlich gelagert die Aufpudlerei jener, die sich jegliche Assoziationen der staatlichen ungarischen Umgangsformen mit den „dunkelsten Zeiten des Kontinents“ verbieten. Selbst wenn diese von Auschwitzüberlebenden und Oberrabinern vorgebracht werden. Hauptsache der Taxifahrer kriegt eins übergebraten. Merke: Was Antisemitismus ist, bestimmt der Antisemit.

An die Österreicher!

An die Österreicher unter Euch. Ich komme aus einer Familie mit Migrationshintergrund. Verfolgung, Flucht, Angst, Leid ist mir nicht fremd. Als ich in die Schule ging, wurde meinen Eltern geraten, meine Muttersprache zu verleugnen, es ginge mir dann besser so. Ich hörte also die Sprache meiner Mutter stets mit der Scham der Heimlichkeit. Das war nicht schön. Das war nicht lustig. Meine Wurzeln verheimlicht zu wissen. Sie verheimlichen zu müssen, weil eine andere Herkunft als die österreichische mir „geschadet“ hätte, wie die wohlmeinenden Stimmen meinten. Ich bitte also, anderen hier, Neuankommenden, nicht auch noch ihre Muttersprache zu rauben. Wie man sich hier unterhält, ist ja nicht so schwierig zu erlernen. Sag ich mal. Denn ich weiß das, Österreicher. Ich verdiene mittlerweile mein Geld damit, Euch Österreichern zu erzählen, wer Ihr seid und wie Eure Sprache geht.

Liebe Ungarn!

Liebe Ungarn, ich hoffe, Ihr habt es immer schön kuschelig in Eurem schönen Ungarn. Ab jetzt. Zuvor wart Ihr ja die Bussibären Europas. Geknechtet vom Kommunismus, davor gebeutelt von den bösen Osmanen und den noch böseren Habsburgern. Lauter furchtbare Okkupatoren und Verhinderer des guten Ungarntums. Horthy? Vergessen. Also wie gesagt, hoffentlich bleibt es immer schön locker bei Euch und pitschipatschi. Denn ab sofort seid ihr nicht mehr die Bussibären Europas, sondern die Orbánbären. Und Gulasch können wir übrigens auch kochen. Und die Ungarn, die bei uns sind, das sind die leiwanden Magyaren. Die stehen jetzt am Westbahnhof und helfen den Syren, die ihr auf Fitnessmärsche geschickt habt. Kann man das wieder gut machen? Aber sicher doch. Orbán und die Faschisten einfach abwählen. Projektname: Ungarn 2.0, Salamirevolution. Ende der Durchsage.


Postskriptum für Satireferne: Die ungarischen Zivilgesellschaftler, die sich gegen Rassismus stemmen und Flüchtlinge versorgen und lieb haben, aber schlecht gehört werden, weil die Porpagandamaschinerie über sie drüberfährt, sind gute Ungarn. Will sagen: Gute Menschen.

Alte Reflexe

Ich habe nachgedacht, warum so viele Menschen in Österreich Aversionen und Ressentiments gegen Asylsuchende aus Syrien hegen. Und warum die politische Agitation der FPÖ (und die Untätigkeit der Regierungsparteien) auf relativ breite Zustimmung in der Bevölkerung treffen. In der familiären Erinnerung der meisten Österreicher ist Krieg gleichbedeutend mit Generalmobilmachung. Kein Mann im „waffenfähigen“ Alter entkam der Nazi-Kriegsmaschinerie – egal ob freiwillig oder unfreiwillig.

In der Erinnerung der Österreicher ist der kriegsflüchtige junge Mann aber niemals ein „guter Mann“. Entweder ist er Desserteur, Feind, oder politisch/rassistisch Verfolgter. In der damaligen Ideologie (sie hallt nach) waren das Verbrecher. Waren das „hiesige“, waren es Fahnenflüchtige, Kameradenschweine, „Judenpack“, „Zigeunergesindel“. Den „guten“ Flüchtling sah man erst im Rückkehrer aus der Kriegsgefangenschaft, und in den Vertriebenen aus den Sudentengebieten (zumeist Frauen, Kinder und Alte, wenig jungen Männer allerdings). Weil der Großteil der syrischen und afghanische, tschetschenische und pakistanische Flüchtlinge von jungen Männern gestellt wird, werden diese alten Reflexe der hasserfüllten Ablehnung mobilisiert. Ungarn- noch Tschechoslowakeiflüchtlinge waren in der Wahrnehmung der Österreicher keine Kriegsflüchtlinge und damit relativ willkommen.

Strache (sein Großvater war Sudetenflüchtling) gehört nicht zufällig einer willkommenen Grupppe an. Er nimmt sich genealogisch als Vertriebener wahr. Als Guter also. Zusammengefasst: Es ist der junge männliche Zivilist, den die rechten Österreicher als „böse“ wahrnehmen.

Warum ich nicht zum Kanzlerfest gehe

Lieber Werner Faymann,

vielen Dank für die Einladung zum Kanzlerfest aka Sommerfest der SPÖ. Sehr nett, daß Deine Leute mich da auf eine Liste mit anderen Wichtigtuern gesetzt haben. Zur Sache. Ich will nicht kommen. Ich könnte. Aber ich will nicht. Ich kann nicht über Parkwege stolzieren und Hors-d’oeuvre von Silbertabletts naschen, und Smalltalk über Kunst und Kultur führen, wenn in Traiskirchen Menschen auf der Erde schlafen müssen, ihre Kinder auf eben dieser Erde zur Welt bringen müssen, wenn sie sich um Essen und Trinken so lange anstellen müssen, wie das verdammte Kanzlerfest dauern wird. Wenn Ärzten der Zugang zu Patienten verwehrt wird. Kann sein, dass ich jetzt nie wieder zu irgendeinem Kanzlerfest eingeladen werde (zum Kanzlerfest von Strache würde ich gewiss nicht eingeladen werden). Wenn das der Preis dafür ist, dass nie wieder Menschen am Boden schlafen müssen in Österreich, wäre das ein schöner Preis. (Mein Niewiedereingeladenwerden. Nicht die Kanzlerschaft des Kickltoys.) Also, habt es nicht schön dort, liebe Freunde. Und hoffentlich seid Ihr nicht viele. Heute.

Mit freundschaftlichen Grüßen, Deine Andrea Maria Dusl, Sozialdemokratin, Leopoldstadt.

Schuld und Schulden

Zeit für semiotische Bereinigung. Man möge Schuld und Schulden von einander trennen. Schulden sind keine Schuld. Die Deutschen und ihre Unterläufel, die Ösen, können mit diesem Gleichtlautbefund nur das falsche anfangen. Ich fordere das Ersetzen des Wortes „Schulden“ durch „Debten“ (via eng. debt) oder „Detten“ (via franz. dette). Griechenland hat große Debten, aber keine Schuld. „Die Schuld: héritage de la pensée allemande. En Allemand le mot dette, die Schuld, signifie aussi culpabilité, faute. Les penseurs allemands jouent de cette polysémie… de Nietzsche dénonçant le sentiment de culpabilité développé par le christianisme chez l’homme occidental; à Heidegger développant l’idée d’être, Dasein, consubstantiellement coupable de ses dettes; en passant par l’analyse de l’homme aux rats par Sigmund Freud.“