Wie ich 911 erlebte

Die Geschichte ist am 11.9.2001 passiert, vier Tage später habe ich sie aufgeschrieben. Jetzt, ein paar Tage vor dem Versuch der Bushisten, die Weltherrschaft abermals an sich zu reissen, habe ich sie im Paparazziforum (wo ich sie ursprünglich gepostet hatte) wiedergefunden. Und zufällig lief Hanibal Lecter gestern im Fernsehen. Genau wie damals, am 11. September.
Twin-Towers-Burning.jpg911 war sehr spooky für mich. Es ist Nachmitttag, ich Iiege gemütlich auf dem Bett und sehe den Film ‚Hanibal‘. Auf DVD. Da kann man vor und zurück, ohne die ruckelnden Effekte, die es auf VHS gibt. Ich stoppe. Die Szene zeigt, wie Hanibal Lecter die Schädelkappe des FBI-Agenten abhebt und man sein Gehirn drunter sieht.
Plötzlich läutet mein Handy. Meine Mutter ist dran und erzählt, ein Flugzeug sei ins World Trade Center geflogen. Auf ORF sei das als News-Ticker eingeblendet. Ich zappe auf CNN und sehe den rauchenden Nordturm. Das Loch zeichnet die Sihoutte eines Flugzeuges nach. Es sieht aus, wie ein billiger Matte-Effekt aus einem B-Movie.
Ich denke an das Empire State Building, dort ist 1942 bei Nebel ein kleiner Bomber hineingerast, der ein ähnliches, nur kleineres Loch angerichtet hat und 16 Menschen getötet hat. Ich denke an den Schrott, der zu Boden gestürzt ist und dort Menschen erschlagen hat. Ich denke an die Leute im Turm, die oberhalb der Einschlagstelle gefangen sind. Ich hoffe, sie können entkommen.
Ich rufe über Handy meinen besten Freund an, dann meine beste Freundin, dann wieder meine Mutter.
Zu diesem Zeitpunkt denkt CNN noch, ein Navigationsfehler hätte das Desaster ausgelöst.
Die zweite Maschine rast in das Gebäude. Ich bin fassungslos, weil ich denke, ‚was, die haben footage vom Flugzeugeinschlag? Das ist ja irre, die filmen einfach alles…..‘. Erst dann realisiere ich, dass ja ein Turm schon brennt. Es muss also eine zweite Maschine sein. Ich fasse es nicht.
Es ist so irreal, so ein Horror, dass ich komplett emotionalisiert bin. Wie können die durchsiebten Türme noch stehen?
Ich schalte irrtümlich auf den DVD-Kanal. Hanibal Lector schaut gerade in den abgesägten Kopf direkt auf das freiliegende Gehirn eines FBI-Agenten.
Ich sehe die brennenden Türme, telefoniere, sehe immer wieder die Bilder von den Einschlägen, höre, wie Menschen aus den Türmen springen, sehe Menschen, die sich in hunderten Meter Höhe an die silberfarbenen Aussenpfeiler des Turms klammern, auf Hilfe wartend. Ich denke, wo sind die Hubschrauber? Warum kommen keine Hubschrauber mit Löschwasser? Ich sehe den weissen Rauch, den der erste einstürzende Turm verursacht, fürchte um die Menschen, die da gerade sterben. Dann der zweite Turm, dessen Einsturz zu erwarten war. Ich denke an die Menschen auf der Strasse, die da unten gerade um ihr Leben laufen.
……….
Geschrieben am 15.09.2001, 11:02 für Tex Rubinowitz‘ und Christian Ankowitschs Höfliche Paparazzi

Was ich lese…

Atlanten, politische
Schwarten, Blogs.
Was man heutzutage
halt so alles liest.

GERADE EBEN bin ich übersiedelt.Meine allerpersönlichsten
Wertsachen hatten in einer Bananenkiste Platz.Meine Garderobe
in fünf Baumarkt-Kartons.Meine Bibliothek füllte 57 Profi-
Container. Irgendetwas mache ich falsch. Lese ich zu viel?
Wohnen Kobolde in meinem Haushalt, die über Nacht Bücher
anschleppen und heimlich auf Halde stapeln? Bin ich über ein
Raum-Zeit-Inkontinuum mit dem Hauptlager der Frankfurter
Buchmesse verbunden? Hab’ ich sie noch alle? Dass ich zu viel
lese: Soll ich das behaupten? Fünf Stunden Lesen täglich ist
doch nicht viel. Dass ich zu viel Bücher besitze, könnte schon
eher stimmen.Aber was lese ich? Versuchen wir mal, nicht zu lügen.
Im Bad liegt, schon leicht aufgeweicht,Heinz Fischers Retrospektive
der Ära Kreisky. Ein Schaumbad mit Broda, Firnberg,
Sinowatz, das hat schon was. In meinem Schlafzimmer
liegt irgendetwas Halbsaloppes,Coffee-Table-Fähiges über die
gallorömische Geschichte Pannoniens.Was genau in meinem
halbsaloppen Pannonicum steht,weiß ich nur in homöopathischer
Dosis.Nach zwei Minuten Coffee-Table-Halten nicke ich
ein. Ich gebe aber zu, dass ich in letzter Zeit häufig von La-Tène-
zeitlichen Eisen-Kultwagen träume, von keltischen Grabhügeln
und norischen Hüten. Neben meinem Sofa – es duckt
sich unter acht Laufmeter Bücherwand wie ein Biwak unter die
Eiger-Nordwand – liegen drei glimmende Lunten Noam
Chomskys. Die werden wohl bald detonieren. Wenn ich
Chomskys überdrüssig werde, lese ich den Online-Standard.
Erst lese ich jeden, aber auch wirklich jeden Artikel dort, dann
jedes Posting dazu.Verrückt, aber wahr. Auch den Spiegel, die
New York Times und Variety lese ich im Netz. Netz. Ein blödes
Bild. Das Netz sollte eigentlich Leseteich heißen. Rundherum
begrenzt vom sumpfigen Schilf der Onlineforen. Mit einer
schnuckeligen Zone voll blühender Seerosen. In der Mitte tief,
schwarz und unheimlich.Und auf einer Luftmatratze aus Google-
Ergebnissen paddle ich durch die Seerosen.Was ich noch lese?
Atlanten,Haustürprospekte,E-Mails, Bedienungsanleitungen,
Anruflisten, Blogs, Graffiti, Speisekarten, Drehbücher,
Türschilder,Untertitel und mehrmals täglich die Uhrzeit.
………. ………. ……….

…und was nicht.

Ich weiß gar nicht, was
ich nicht lese. Dafür
weiß ich, was ich alles
unnötig anlese.

MAL EHRLICH, wie soll ich wissen, was ich nicht lese? Müsste
ich das Nichtgelesene nicht zumindest angelesen haben, nicht
zumindest einen Zipfel seines literarischen Wesens verinnerlicht
haben, um zu wissen: Den Mist lese ich nicht weiter? Und
zählte das solcherart Angelesene nicht automatisch zum Schatz
des Gelesenen? Meinetwegen müsste die Spalte da drüben heißen:
„Absichtlich Gelesenes“. Für diese hier schlüge ich vor:
„An-, aber willentlich nicht Weitergelesenes“. Zugegeben, kein
zündender Titel. Einigen wir uns auf:„Was ich nicht weiterlese“.
Ich leide unter einer Aufmerksamkeitsstörung, zu deren
Symptomen die Unfähigkeit gehört,Romane zu lesen.Zwei Seiten,
drei,vielleicht fünf:Mehr schaffe ich nicht.Buchstaben verschwimmen
vor meinen Augen zu Brei,Bilder springen aus den
Seiten wie Popups aus dem Browser. Romane lesen ist Qual,
weil meine Fantasie dem Text Sporen gibt und mit mir durchgeht.
Ich habe nie den „Zauberberg“ gelesen, nie „Der Name der
Rose“, nie „Finnegans Wake“, nie den Kanon all dieser herrlichen
Autoren,deren Werke alle glücklich in sich spazieren tragen.
Drehbücher, Essays, Gedichte, Telefonbücher: kein Problem.
Aber Romane: njet.Meine Krankheit hat auch Gutes: Ich
spare viel Geld, weil ich nie auf Urlaub fahren muss. Denn wo
lesen wir Romane? Im Strandkorb in Ostmasuren, im Sonnendeckstuhl
auf Santorin und Kreta, auf der Swimmingpool-Liege
in Havanna.Gut auch, dass ich Harry Potter nicht einmal in
Zeiten größten literarischen Verdurstens lesen könnte.Wer sich
nach Magie sehnt, soll Aleister Crowley lesen und nicht die Geschichten
einer englischen Lehrerin.Ungelesen bleiben bei mir
auch Zeitungen. Die lese ich online. Das spart Nerven und,
wenn es mehr täten, auch Wälder. Kaffeehäuser, denen man
andichtet, sie seien traditionell Orte des Lesens, sind für Intrigen
da und nicht fürs Gratisstudium von NZZ, Süddeutscher
und FAZ. Sehr ungern lese ich Mahnschreiben und Rechnungen,
Einladungen zu kirchlichen Kulturveranstaltungen und
den Marketingzinnober, der mir die Mailbox verkleistert.
Kleingedrucktes und Amtsstübisches lese ich schon aus optischem
Unvermögen nicht.
© Andrea Maria Dusl 2004
Erschienen in Datum 5/2004

Barolo Forever

barolo-1.jpgManchmal kommt es anders, als man hofft. Nachfolger des aschfahlen Andreas Unterberger wurde sein aufbrausender Stellvertreter Michael Fleischhacker. Das ist insoferne unerfreulich, als man sich für den Sessel des Presse-Chefredakteurs Hoffnungen auf Christian Seiler machen durfte. Der ehemalige Chefredakteur des profil hatte sich schon blendend um die Geschicke des „TagiMagi“, des Magazins des schweizerischen Tages-Anzeiger, gekümmert. Auch das Chefbüro der Kulturzeitschrift du trug sein Türschild. Seit Februar verantwortet er bei der helvetischen Edelgazette Weltwoche die Bereiche Kultur und Gesellschaft. Alle diese hohen Posten konnten uns nicht von seiner Leidenschaft für das Verfassen der fadesten Kolumne der Welt erlösen: der Freizeit Kurier-Glosse „Hund & Herl“, der Abenteuer des Seilerhundes Barolo. Die Hoffnungen, ein Megastressjob beim Mutterschiff des Konservativismus könnte das Ende für die Schlabbertölenkolumne bedeuten, haben sich zerschlagen. Die Erlebnisse des Rotweinköters werden uns weiter die Wochenend-Wachheit rauben.
© Andrea Maria Dusl
Erschienen in Falter“ Nr. 40/04 vom 29.09.2004 Seite: 17

Good Medal is Gold Medal

Markus-Rogan.jpgKatie-Allen-2.jpgÖsterreichs Fernsehsportreporter haben das dicke Buch der olympischen Legenden erschöpft und dankbar wieder zugeklappt. Getragen waren die Spiele im „Mutterland des Sports“ vom pathetischen Tenor des Patriotismus. Dabei sein ist gut, besser aber ist gewinnen. Und gewinnen bei Olympia heißt Medaille.
Gleich zwei solcher Medaillen erschwamm uns der „sympathische“ Markus Rogan. Augenblicklich wurde er zum Held des Jahrhunderts ausgerufen.
Kaum hatte allerdings die ebenso “bescheidene” Beuteaustralierin Katie Allen Gold errungen, war es aus mit der Markus-Rogan-Heiligen-Verehrung.
Steinacher-Hagara.jpgUnd als dann waschechte Österreicher Gold ersegelten, verblasste auch diese Heldentat. Waschechtechtes Gold ist eben waschechtes Gold!
Und für den Fall, dass mal in einer Disziplin Medaillen ausser Reichweite heimischer Sportler liegen – der Regelfall also – gibt es für den waschechten Fernsehsportreporter immer noch Boxen. Tiefste, medaillenlose Zuneigung empfindet die österreichische Fernsehsportreportage seit Anbeginn ihres Wirkens eigentlich nur für das Boxen.
© Andrea Maria Dusl
Erschienen im „Falter“ Nr. 36/04 vom 01.09.2004 Seite: 16

911. Das Attentat unter kommerziellen Gesichtspunkten

War and Crime sell
18.09.2001, 15:22
Gepostet auf: Höfliche Paparazzi
Waffen- und Gasmaskenverkäufe steigen in USA nach Anschlägen. ‚Biologischer oder chemischer Angriff auf jeden Fall möglich‘ New York – Nach den Terror-Anschlägen in den USA sind in Nordamerika die Verkäufe von Schusswaffen, Gasmasken und Stichwesten stark angestiegen. ‚Wir können nicht einmal mit der Nachfrage nach Gasmasken Schritt halten‘, sagte Mike Wismer von dem Militärgütergeschäft Forest City Surplus am Montag in London im kanadischen Bundesstaat Ontario. Zurzeit verkaufe seine Firma mindestens 100 Gasmasken pro Tag, überwiegend über das Internet, die Meisten davon an US-Bürger. ‚Wir können nur hoffen, dass unsere Zulieferer mithalten können.‘ Eine Sprecherin der Handelskette Wal-Mart sagte, in den ersten zwei Tagen sei die Nachfrage nach Schusswaffen und Munition stark angestiegen, habe sich aber jetzt abgeflacht.
Nach den Angriffen suche er nach Gasmasken für sich, seine Kinder und seine Freunde, sagte Kenneth Frank, Anwalt und Besitzer einer Softwarefirma in Baltimore. ‚Der Zeitpunkt, um eine Gasmaske zu kaufen, ist bevor etwas passiert‘, sagte er. ‚Ein biologischer oder chemischer Angriff ist auf jeden Fall möglich und wenn das passiert, wird man keine Gasmaske mehr bekommen.‘ Er habe im Internet nach Masken gesucht und erwäge, ein israelisches Modell zu kaufen, das weniger als 25 Dollar (27,0 Euro/371 S) koste.
Der Börsenkurs des Waffenhändlers Sturm, Ruger & Co. stieg an der New Yorker Börse um 10,75 Prozent auf 10,30 Dollar. Die Firmenleitung teilte mit, sie wisse nicht, woher der Anstieg komme. Der Chef von Kejo Limited, Tony Tanner, sagte, er werde mit Nachfragen nach hochwertigen Gasmasken sowie schuss- und stichfesten Schutzwesten überschwemmt. ‚Einige dieser Anrufe kamen von Piloten‘, sagte er. Bis zum Tag der Anschläge habe Kejo seit Jahresanfang insgesamt fünf Gasmasken verkauft. Jetzt seien täglich Dutzende. ‚Es ist eine Tragödie. Aber wenn wir den Menschen mit diesen Gütern helfen können, würde ich mich gut fühlen.‘ (APA/Reuters)

Schulterschluss-Stadl

Als Werner Welzig nach stundenlangem Warten zur Wortmeldung zugelassen wurde, hatte sich die Marathonsendung zur Schieflage der Nation schon wie eine bleierne Decke über Fernsehösterreich gelegt. Auf der riesigen Monitorwand loderte das grafische Signet zur Sendung wie ein gigantisches rotweißrotes Kaminfeuer. Der Ort des politischen Geschehens sei das Parlament, zitierte der Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften den Oppositionschef Alfred Gusenbauer, der Ort des politischen Protests die Straße, die Orte der Wissenschaft Labor und Bibliothek. Was aber sei das Fernsehstudio? Und was diese nationale Sondersitzung? Es müsse doch ein neues Kompositum mit „Stadl“ zu finden sein, stichelte Werner Welzig eine sichtlich nach Contenance schnappende Gisela Hopfmüller. Die Anwesenden, monierte Welzig,seien Sprecher des Stückes, das hier aufgeführt werde, nur sei der Text nicht von ihnen. Mehr hatte es nicht gebraucht, um in Hopfmüller das dreigestrichene c der Kindergartentante anzuschlagen. Einer fehlte im Stadl: Der Jörgseibeiuns, der Bursche aller Aufregung, das einfache Mitglied.
© Andrea Maria Dusl
„Falter“ 12/00 vom 22.3.2000 Seite 20

Zur Sache

„Zur Sache“ ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Einst hatte der an Durchsetzungskraft nicht gerade darbende Peter Rabl das Moderatorenhandtuch geworfen. Unausgesprochen lagen Vorwürfe im Äther, ein Zeitungsherausgeber könne nicht glaubhaft den unabhängigen Gesprächsleiter geben. Trotz dieser Gerüchte verbiss sich die Redaktion in das Konzept, die „Zur Sache“-Moderatoren innerhalb der überschaubaren Szene österreichischer Chefredakteure zu requirieren. Und tapste in die Falle, dass gut schreiben und gut Redaktionen leiten nicht automatisch mit der Fähigkeit, gut „Zur Sache“ zu moderieren, korreliert. Selbst ein Titan der Schüchternheit wie Hermes Phettberg vermag eine Runde notorischer Interessenvertreter besser zu bändigen als ein scharfzüngiger, aber im bürgerlichen Kniggegestrüpp zappelnder Ronald Barazon. Die journalistische Kompetenz Margit Czöppans wiederum ging erst jüngst vor Westenthaler/Khol-Eildepeschen ein wie ein Wollpullover im Kochwaschgang. Die Zeit ist reif für eine Wiederbelebung des „Club 2“, der Mutter aller Talks. An den Kosten für eine neue Ledergarnitur kann es doch wohl nicht liegen.
©Andrea Maria Dusl
Erschienen im „Falter“ 11/00 vom 15.3.2000 Seite 18

Moik, Karl, Kiffen

Karl Moik hat eine goldene Nase für das, was beim Publikum gut ankommt. Karl Moik findet daher nicht nur an den Spatzen aus Kastelruth, den fidelen Klostertalern und Quintetten von der Nockalm ein gutes Haar, sondern sogar an einem notorisch Unmusikalischen eine ganze Frisur. Am persönlichen Freund, dem Jörgl, etwa: Was das Bierzelt verbindet, soll die Quote nicht trennen. Moderatoren vom Schlage eines Moik und eines Haider schwimmen halt nicht auf Nudelsuppen daher. Im letzten Musikantenstadl zeigte Moik dem Schweizer Publikum mit einem standartengroßen blauen Mascherl, wo das Herz eines anständigen Österreichers heute zu schlagen hat. Das aufrechte Herz blieb kurz stehen, als Quotenmillionär Stefan Raab im Seppelkostüm zu sichtlich nicht akkordiertem Playback durch die Halle hüpfte und Moik „voll am Arsch hatte“. „Der Karl, der Karl, der Moik, Moik, Moik, der kifft das schärfste Zeug, Zeug, Zeug“, skandierte der tv-Totalisator vor patschendem Publikum und führte damit den erfolgreichen Beweis, dass ein Stadlpublikum einfach alles mitmacht, sogar die mediale Hinrichtung ihres anständigen Karls.
© Andrea Maria Dusl
„Falter“ 10/00 vom 8.3.2000 Seite 16

Villacher Fasching

Es ist ein Land, das viel zu lachen hat, ein Land der messerscharfen Komik, ein Land der treffsicheren Pointe. Das sonnige Bundesland, das sich zwischen Osttirol und der südlichen Steiermark auffaltet wie eine riesiges Lachen, ist die Heimat des Villacher Fasching. Eines Faschings, der seinesgleichen sucht im närrischen Treiben der Welt. Alljährlich wird dieser Fasching, der „Villacher Fasching“, im Fernsehen gezeigt, ganz so wie es andere Kulturnationen mit den großen Emanationen ihrer Fasnächte tun. Der Villacher ist über die Jahrzehnte ja gerade zu „dem Fasching“ geworden. Der Kärntner Humor avancierte zur polternden Verdichtung des gesamtösterreichischen. Wenn Österreich eine Nation ist, „donn is Kaantn lei scho longe aane“. Das fernsehtaugliche Humorverständnis dieser kleinen Nation sieht schon in Steirern gefährliche Ausländer, versteht Frauen als parasitäre Halbmenschen und tritt Minderheiten nur in der Narrenkappe mit Witzen. Das Land unter der Führung des porschefarbenen Satyrs macht mir Angst. Wenn das der Humor der Kärntner ist, wie sieht dann ihr Ernst aus?
© Andrea Maria Dusl
„Falter“ 09/00 vom 1.3.2000 Seite 16

Experten für Chef-Deeskalation

Der Propagandaingenieur kochte vor Wut. Besonders heiße Flammen unter dem dünnen Kessel seiner Emotionen loderten in der „ZIB 2“, wo „einige Ideologen … aus tiefstem persönlichem Frust solche Stückerl drehen“. Dort sei eine „Verlautbarungsstelle für links“, empörte sich Peter Westenthaler fast wortgleich in profil und Format, „eine Kampfstelle gegen die neue Regierung. Da wird in fast jedem Bericht manipuliert.“ Eine Verschnaufpause für Westenthaler mag der ORF Sonntagvormittag nach der großen Demonstration vorgesehen haben: Unter der Leitung von Chefdeeskalationsexperten Prof. Paul Lendvai diskutierte eine karätige internationale Journalistenrunde eine mögliche Destabilisierung im „Herzen Europas“. So richtig auf 180 kam der FPÖ-Klubobmann dafür wieder während der sonntagabendlichen Diskussionsrunde „Zur Sache“ mit Red Fred Gusenbauer: Ein Westenthaler-Telefonat jagte das andere, Diskussionsleiterin Margit Czöppan fand sich in die Rolle eines Regierungslautsprechers gedrängt. Ein Gebot der Sendung lautet nämlich: „Richtigstellungen“ des politischen Gegners müssen live verlautbart werden.
© Andrea Maria Dusl
„Falter“ 08/00 vom 23.2.2000 Seite 24

Eskalation aller Orten

Kaum waren die Mitglieder der neuen Regierung unter dem Ballhausplatz durchgekrochen, begann sich eine gefährliche Eskalation über das Land zu breiten. Eskalation fand aller Orten statt: Am Ballhausplatz, vor dem Parlament, auf den Straßen der großen österreichischen Städte. Große Eskalationen fanden sich am Sonntag nach der Wende auch vor dem Haas-Haus ein. An ein eskalationsfreies Miteinander der Klubobleute war nicht zu denken. „Zur Sache“ wurde auf den Küniglberg verlegt, einige tausend Eskalateure folgten. Peter Westenthaler sah sich gezwungen, den Staatsmann im Simmeringer zu entdecken: „Wir müssen versuchen, de zu eskalieren.“ Eine Springflut der Deeskalation überschwemmte den ORF: „Es gibt keine Weisung, aber wir halten uns daran.“ Besondere Verdienste um die Deeskalation konstatieren wir bei Günther Ziesel, der seine Agenden als Pressestunde-Moderator mit denen eines Regierungssprechers zu verwechseln trachtete. Enorm auch das Aufgebot an Deeskalation im letzten „Zur Sache“: Oppositionspolitiker wurden aus Deeskalationsgründen erst gar nicht geladen.
© Andrea Maria Dusl
„Falter“ 07/00 vom 16.2.2000 Seite 21