Manieren 2.0

Brauchen wir eine neue Etikette für den Umgang im globalen Dorf? Andrea Maria Dusl hat Rat in Benimmbüchern für Technikjünger gesucht – und weiß nun, wie man moderne Kommunikationshürden elegant nimmt.

Andrea Maria Dusl für Der Standard/rondo vom 25.4.2008

Bam-Oida-Elmayer.jpgDer Grazer Bürgermeister will das Telefonieren in Straßenbahnen verbieten. Aus Stilgründen. Vor zwanzig Jahren hätte diese Meldung nur an einem 1. April Verbreitung gefunden. Alles hätte man sich in Straßenbahnen vorstellen können, sogar in Grazer, aber ein Ferngespräch wäre nicht dabei gewesen.
Mobile Kommunikation war vor 20 Jahren noch auf dunkle Mercedes-Limousinen, teure Yachten und militärische Kommandofahrzeuge beschränkt. Telefoniert wurde mit Telefonen. Das waren Geräte, von denen man einen Hörer abheben konnte. Sie waren mit Wänden verkabelt, in den Vorzimmern unserer Wohnungen aufgestellt oder an Straßenecken in kleinen Hütten installiert, die nach Toilette rochen.

Internet hätten 998 Promille der Österreicher mit einer Kindererziehungsanstalt assoziiert, und die Hälfte von ihnen hätte einen schweren Rechtschreibfehler bemerkt. 20 Jahre Kommunikationsevolution sind ins Land gegangen. Handygequassel in Grazer Straßenbahnen ist nicht nur möglich, es soll gar abgeschafft werden. Was sagt eigentlich der Stilratgeber dazu?

Benimmbücher gab es seit dem ausgehenden Mittelalter. Eines der ersten ist „De civilitate“ des Humanisten Erasmus von Rotterdam, das Basiswerk der Anstandsliteratur. Etikettefibeln späteren Datums sollten Bürger einen Umgang miteinander lehren, der auf der Imitation höfischer Sitten fußte. Als Ahnherr der Literatur über das gute Benehmen ist der Freiherr von Knigge als Synonym in die deutsche Sprache eingegangen. Dabei war Knigges 1788 erschienenes Werk „Über den Umgang mit Menschen“ nur als Aufklärungsschrift für Taktgefühl und Höflichkeit gedacht. Seine Erörterungen über den Umgang mit Älteren und Kindern, Ärzten und Jähzornigen, Schurken und sich selbst sollten vor Enttäuschungen bewahren. Das österreichische Pendant, „Der Elmayer“, Benimmbuch der legendären Wiener Tanzschule, hat über Jahrzehnte den Benimmkodex des bürgerlichen Österreich geregelt.

Ob man bei Konferenzen SMS-Nachrichten absetzen darf, in E-Mails mit Satzzeichen grimassieren, während der Busfahrt telefonieren oder, statt zu lachen, nur den Chatausdruck „lol“ (für: „laughing out loud“) verwenden darf, konnten und können weder Knigge noch Elmayer beantworten. Handys und Internet, mobile Kommunikation und Cyberspace sind Phänomene, auf die die alten Regeln nicht wirklich anwendbar sind. Oder doch?

Helmut A. Gansterer, profilierter Wirtschaftsjournalist, Automobil-Essayist und Edelfeder der Nation hat sich in seinem unlängst erschienenen Brevier „Darf man per E-Mail kondolieren?“ in ebenso souveräner wie kurzweiliger Form den unbeantworteten Etikette-Fragen der heutigen Zeit gestellt und gute Antworten auf neue Probleme gefunden.

Darf man sein Handy einen Tag lang abgedreht lassen? (Aber sicher.) Darf man per E-Mail kondolieren? (Der Wille steht für das Werk.) Darf man in Öffis das Handy benutzen? (Nur wenn man unter 30 ist.)

Gansterer darf bei aller Schrulligkeit als Apologet der Stilsicherheit betrachtet werden, er hat sich erst dem Schreiben am Laptop ergeben, als die Höllenmaschinen ausgereift und ihre Software absturzsicher war. Und jemand, der sich in Jaguars und Aston Martins wohlfühlt, kann kein falscher Ratgeber sein.

Ebenfalls im Bergwerk des guten Stils schürft der neue deutsche Essayband „Manieren 2.0. Stil im digitalen Zeitalter“. Der Autor, Adriano Sack, verdiente sich seine ersten Montblanc-Füllfedern bei Tempo, Die Woche und Der Spiegel. So sperrig und technoid der Titel daherschlittert, so vergnüglich und elegant beschreibt der gebürtige Kölner Stilfragen in einer Zeit der globalen Verrohung.

Darf man zugeben, am MAIDS (Mobile and Internet Deficit Syndrome) zu leiden? (Man darf.) Darf man sich selbst googeln (es führt nicht zu Knochenmarksschwund) und das auch öffentlich zugeben? (Ja.) Darf man die Plattensammlung auf den iPod auslagern? (Wenn man dadurch überhaupt wieder Musik hört: Ja.) Darf man die eigene Rufnummer unterdrücken? (Nein.), ein Guccihandy haben (Nein), vor 9 Uhr anrufen und nach 22 Uhr? (Nein). Darf man makeln? (Ja, aber nicht mehr als zweimal pro Telefonat.) Darf man ohne Handschrift durchs Leben gehen oder muss man zu Moleskine und Montblanc greifen? (Handschrift ja, Moleskine in Rot und Montblanc-Meisterstück).

Soll man bloggen oder sich mit einer Website unmöglich machen, die jahrelang „under construction“ verweilt? (Ausschließlich Ersteres.) Darf man aus der Wikipedia zitieren, oder muss es die Encyclopaedia Britannica sein? (Je nachdem.) Und soll es die 32-bändige Dünndruckausgabe sein, oder die handliche DVD. (Wenn schon, denn schon.)

Endgültige Antworten, die Polarität von Ja und Nein gibt es nicht mehr. Die Welt der Kommunikation ist zu komplex geworden. Erlaubt ist, was nicht stört. Und umgekehrt. Der Bürgermeister Siegfried Nagl will also den Grazern das Handyfonieren in der Straßenbahn verbieten. Auch die Stockholmer U-Bahn ist klingeltonfrei. Und in Tokio mahnt man mobile Quasselstrippen per Ansage. In München hingegen will man das Telefonieren in der U-Bahn wieder anschaffen. Nach einem brutalen Überfall auf einen Rentner in den bayerischen Hauptstadttunnels konnte niemand um Hilfe für das Opfer rufen, weil es kein Handynetz gab.


 

Andrea Maria Dusl ist Filmemacherin und Autorin, hat einen Moleskine-Block, eine Montblanc, ein Weblog (www.comandantina.com), aber keine Mobilbox. In der Grazer Straßenbahn wird sie in Zukunft in die hohle Hand telefonieren, und Kondolenz-E-Mails findet sie unelegant.

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