Holt sie aus ihren Büros. Schickt sie nach Hause!

Kulturkommentar von Andrea Maria Dusl für Falter vom 10.12.2008
Hugo Portisch, Kasperl und Heinz Conrads, Edmund Sackbauer und die verirrte Sylvesterrakete, Nina Hagen und ihre Schamspalte, Kottan, Pilch und der böse Kaffeeautomat. Unser Gedächtnis hat mit Bildern zu tun. Bilder sind das Kapital der Erinnerung. Bewegte Bilder sind das gemeinsame Gedächtnis, auf das sich eine Gesellschaft einigen kann. Mann musste Mundl nicht mögen, um zu wissen, wer er war, was er repräsentierte, wofür er stand. Mundl, der goscherte Elektriker aus der Hasengasse war einer von uns. Ein Österreicher wie der Herr Karl, wie Kottan, wie Phettberg, wie Palfrader, wenn er im weissen Rock den vertrottelten Kaiser gibt. Bilder, bewegte Bilder schaffen Identität. Sie müssen nicht unsere persönliche Identität repräsentieren, es genügt, wenn sie abbilden, was zu unserer allernächsten Umgebung gehört. Unsere allernächste Umgebung ist das Land, in dem wir leben. Um das wiederzuerkennen, muss man weder patriotisch sein noch eingeboren. Auch ein türkischer Gastarbeiter konnte Mundl als landestypischen Archetypus indentifizieren. Oder der Botschafter von Australien. Um das Gedächtnis der Identität mit Bildern zu speisen, bedient sich das aufgeklärte Kollektiv der Bildermaschine. Auch Österreich hat solch eine Bildermaschine. Den Österreichischen Rundfunk, den O.R.F., den Oaff, wie er im Lande heisst. Diese Bildermaschine pfeift auf dem letzten Loch. Böse Zungen sagen, sie liegt im Sterben. Unsere Bildermaschine. Unser Erinnerungsmaschine. Arbeitet sie nicht mehr?
Unblumig haben die Gesetzemacher beschrieben, warum und wie die Bildermaschine arbeiten soll. Im ORF-Gesetz sehen sie für die Bildermaschine im Rahmen des Versorgungsauftrages unter anderem einen Bildungsauftrag vor. Der ORF ist seit 2001 eine Stiftung öffentlichen Rechts. Begünstigter der Stiftung ist die Allgemeinheit. Worin besteht die Begünstigung? In der Versorgung dieser Allgemeinheit mit Nachrichten, Unterhaltung und Bildung. Schon das Wort Bildung, gemeinhin auf Schule und universitäre Lehre reduziert, birgt den ganzen Reichtum dieses Auftrags: Bildung hat vor allem mit dem Bild zu tun, das wir uns von der Welt machen.
Der ORF hat vor einigen Tagen den Bankrott seines Kernauftrags erklärt. Ein internes Strategiepapier empfahl die Kündigung des Film/Fernsehabkommens. Der sperrige Titel bezeichnet einen Vertrag, den die Bildermaschine ORF 1981 mit dem Österreichischen Filminstitut zur Förderung von Spielfilmen abgeschlossen hat. Das Abkommen sieht vor, dass sich der ORF an der Finanzierung von Kinospielfilmen und Kinodokumentationen beteiligt. Nach einem öffentlichen Aufschrei scheint der ORF in dieser, für das Kinoschaffen des Landes lebensnotwendigen Frage einzulenken. In der Praxis gilt der Beitrag des ORF als dritte Säule in der heimischen Kinofilmförderung. Das war keine österreichische Erfindung. Alle europäischen Filmindustrien sind staatlich gefördert. Europa versteht die Filmförderung als eminenten Beitrag zur Schaffung nationaler und europäischer Identität. Wie die Förderung der Landwirtschaft. Oder die Förderung der Forschung. Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten der europäischen Länder zahlen ganz selbstverständlich in die nationalen Filmfördertöpfe ein. Per Gesetz. Was sie davon haben? Sie haben ein gutes Gewissen, weil sie, die Verursacher des Kinosterbens, einen kleinen Teil ihres Umsatzes an die Bildermacher zurückgeben. Und sie haben ein gutes Gefühl, weil sie die so finanzierten Filme im Fernsehen auswerten können. Gutes Gewissen und gutes Gefühl ist den österreichischen Fernsehmachern fremd. Gewissen ist ihnen fremd und Gefühl ist es auch. Es liegt ihnen nicht an der Schaffung von Identität. Sie halten Starmania für identitätsstiftend, amerikanische Vorabendserien und den Schpuat.
Sängerwettkämpfe, Malcolm und die Rennen der österreichischen Schneeathleten halte ich auch für wichtig. Aber sie bilden nicht. Sie bilden nicht ab. Sie unterhalten. Mundl bildet, Seidl bildet und Haneke, und sogar meine Filme machen das. Sie bilden die Realität ab. Sie sind gefilmte Identität. Wird das Zukunft nicht mehr so sein? Werden in Zukunft die Filme der österreichischen Bildermacher nicht einmal um 0 Uhr 35 gespielt werden? Werden sie nicht mehr gespielt werden? Und erst gar nicht mehr finanziert?
Liegt es an der Quote, dass hier so knieweich mit dem wichtigsten Kunstform unserer Zeit umgegangen wird? Es liegt nicht an der Quote. Österreichische Stoffe, Filme und Fernsehspiele, erzählt, inszeniert und gespielt von Filmemachern, die dieses Land abbilden, gehören zu den beliebtesten Programmen des ORF. Liegt es am sperrigen Image des österreichischen Films? Keineswegs, wie der enorme Erfolg der Standard-Hoanzl-Edition “Der österreichische Film” zeigt. Woran liegt es dann?
An einem Amalgam aus zynischer Verachtung, blauäugigem Desinteresse, grantelnder Saturiertheit und an simpler Arbeitsverweigerung. Arbeitsverweigerung? Ja, Arbeitsverweigerung. Denn wir, das Volk haben einen Auftrag gegeben. Die Allgemeinheit mit Bildung zu versorgen.
Holt sie aus ihren Büros. Schickt sie nach Hause, sage ich. Und setzt Bildermacher auf ihre Sessel. Bildermacher, die das Bildermachen lieben.

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