Eingeladen, ausgeladen.

Ich bin übrigens schon zweimal von einer Talkshow im Staatsfunk wieder ausgeladen worden. „Terminschwierigkeiten“ sagten sie, und „wir melden uns wieder“. Hat niemand eine große Soliaktion draus gemacht. Ich übrigens auch nicht. Ich finde das ganz normal. Das Fernsehen gibt es, das Fernsehen nimmt es.

Hoch der Erste Mai!

Heute ist Erster Mai. Wegen Corona, diesem elendigen Vollschoitlvirus marschiere also nicht mit der Bezirksorganisation Alsergrund zum Wiener Rathaus. Niemand marschiert. Der 1. Mai findet an den Fenstern und in den Herzen statt.

💕 ❤️ Hoch der Erste Mai! Hoch die Internationale Solidarität! ❤️💕

Kein Erster Mai

Shut-Downs, Quarantänen und Zusammenkunftsverbote hemmen unser soziales Leben allerorten. Corona, die Königin der Viren macht auch vor der traditionellen Mai-Kundgebung der Wiener Sozialdemokratie nicht halt. Andrea Maria Dusl denkt für das STANDARD-Album über den rötesten Tag des Jahres nach. Heuer wird er nicht stattfinden.

Hier geht’s zum –> Artikel im Standard.

Welcher erste Mai mein erster Erster Mai war, kann ich nicht sagen. Die Sache ging aber schon früh los. Früh in meinem Leben und früh für einen Feiertag. Erst zog mich der Erste Mai ans Fenster, dann auf die Gasse und schließlich, mitmachend, auf den Rathausplatz. Ähnlich wie Weihnachten (leichtes Christkindgebimmel) und Ostern (Kirchturmgeläut) war der Erste Mai immer auch ein heftiges akkustisches Ereignis. Der erste Mai war nämlich laut. Blasmusikalisch laut. Das mag für Landkinder nichts außergewöhnliches sein, für die Kinder aus Wien war der Klang einer Musikkapelle etwas singuläres, an phonetischer Präsenz vergleichbar mit den Sounds, die aus den Lautsprecherwägen der Zirkusankündiger kam.

Am Schmettern der Kapelle konnte man die Marschierenden schon von weitem hören, und wer direkt an einer der Routen wohnte, konnte sie sehr bald auch sehen. Viele Menschen, junge und alte, die hinter Fahnen schritten, roten natürlich, vielen roten, und auch ein paar blauen (denen der Falken). Die Marschierenden trugen rote Jacken, rote Mützen, rote Schals, schwenkten rote Wimpel, und zogen rote Luftballons hinter sich her. Das war alles nicht sehr katholisch (die Blasmusik mal ausgenommen), aber insgesamt sehr wienerisch.

An ein Mitgehen dachte ich als Kind noch nicht, meine Eltern waren zwar Kreiskywähler, aber ganz dem bürgerlichen Habitus verpflichtet. Am Fenster standen wir dennoch und sahen den Maibewegten zu. Und weil ich ein Kind war, winkte ich. Die Vorbeigehenden winkten zurück (es kann auch umgekehrt gewesen sein). Das Statische und Kurze an meinen frühen Maiteilnahmen sollte ins Mobile und Längere kippen, als ich ein eigenes Fahrrad hatte, mit dem ich an Werktagen ja auch in die Schule fuhr.

So ein Fahrrad, das war stadtweit bekannt, konnte, sollte, musste man an einem Ersten Mai festlich schmücken, mit rotem Krepp, in die Räderspeichen geflochten, mit roten Fähnchen, an die Lenkstange gebunden. Zu diesem vexillaren Aufputz addierte sich ein einmaliges Element des ausdrücklich Erlaubten: Fahrräder durften dauergeklingelt werden an einem Ersten Mai. Das war schon sehr fein. Jahrelang bin ich also am Ersten Mai nicht mitmarschiert, sondern laut schellend mitgefahren. In der Seitenfahrbahn. Zwischen den Marschierenden herumzugurken, hätte sich niemand getraut, ich schon garnicht. Irgendwann, meist bei der Uni, hieß es dann absteigen, und in die Passivität geworfen, den Zügen auf der Ringstraße beim Vorbeimarschieren zuzusehen. Neidvoll, wie alle Zuseher großer Sachen. Im Gegensatz zum Blick aus dem Wohnungsfenster war das Danebenstehen schon fast ein Mitmachen.

Und dann irgendwann habe ich das Rad daheimgelassen. Habe das pünktliche Kommen des Leopoldstädter Zuges antizipiert, mich beim Nahen der Blasmusikklänge nach unten begeben, bin eiligen Schrittes die Gasse entlanggelaufen und habe mich eingereiht. Aber was war das für ein Einreihen? Es war ein zaghaftes, bescheidenes, ich kannte ja niemand, und niemand kannte mich. Es gab kein Hallo, kein Grüssdich, kein Freundschaft. Und dennoch war es etwas Selbstverständliches, und vielleicht sogar etwas Heiliges. Ich war also einfach da, in dieser hehren Sache. Ging mit, wieder am Rand natürlich, aber schon in der Hauptfahrbahn, im hinteren Drittel. Lernte das erlaubte Gehen auf unerlaubten Strecken. Und irgenwann, an einem anderen Maibeginnmorgen auch auch die Teilnahme am bisher Unbekannten. Lernte das Einfinden am Bezirkstreffpunkt, das langsamen Warten auf den Abmarschzeitpunkt, das Abgehen der ganze Route (Winkende in Fenstern!), das Größerwerden des Zuges (Radfahrende in den Seitenfahrbahnen! Mitmachbereite am Gehsteigrand!), das Warten an den großen Kreuzungen und schließlich den Einzug auf den Rathausplatz. Aber was war das Alles? Eine Demonstration? Ein Umzug? Eine Prozession? Für eine Prozession war es zu fröhlich (und zuwenig klerikal), für einen Umzug zu feierlich, und für eine Demonstration zu institutionell.

Von Außenstehenden, wohlwollenden wie übelwollenden, aber auch von neutralen Beobachtern wird der Sternmarsch aus den Bezirken und Sektionen Wiens zum Rathausplatz als Huldigung der Stadtspitze, der Gewerkschaft und (so der Fall) eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers verstanden. Wie wird das Ereignis medial und privatanekdotisch wahrgenommen? Auf massiv erhöhter Tribüne stehen Auserkorene, winken mit roten Taschentüchern und freuen sich über die Einziehenden. Das ganze wird als seltsame Parade verstanden, die Traditionen des Vorbeimarsches an der Ehrentribüne am Roten Platz (des Balkon des Leninmausoleums also) nacherzählt. Dabei ist es ganz anders. Auch Teilnehmende auf der Tribüne mögen das nicht in aller Konsequenz wissen.

Der Rathausplatz mag das Ziel sein, seinen Ausgang aber hat der Marsch weit draußen, in den Bezirken Wiens. Hier formiert sich die sozialdemokratische Basis, die Mitglieder und Bewegten von Sektionen, Organisationen, Vorfeldorganisationen, Verbänden, Fraktionen der SPÖ, in der Regel jener der Stadt. Unter Mitnahme ihrer Fahnen (meist alter), von Transparenten (auch kritischer) und anderen Sichtbarkeiten (Abzeichen, Fähnchen, rote Nelken) marschieren sie auf alten Routen Richtung Rathausplatz. Zu einem einzigen, oft vergessenen Zweck: Dem Rathaus, also der Obrigkeit, ihre Stärke zu zeigen. Gehuldigt wird nicht den dort Stehenden, sondern einzig einer Idee: Der Arbeiterbewegung und ihren Werten. Und so heißt der Erste-Mai-Aufmarsch der Sozialdemokratie Wiens auch „Demonstration“.

Sollte sich die Tribüne (oder ausgewählte Partizipierende dort) von den Zielen der Sozialdemokratie entfernt haben, wird das von der Basis sichtbar und hörbar kundgetan. Zugegeben, das geschah noch nicht so oft. Die gellenden Pfiffe und Buhrufe gegen Werner Faymann und seine Prätorianer waren, auch wenn das die Tribüne damals als verräterische Schmach wahrnehmen musste, ein Zeichen der Stärke der Sozialdemokratie, nicht eines der Schwäche.

Die schwachen Zeichen sitzen ohnedies wo anders. Des Mitmarschiens ungeübt oder müde sitzen ausgewählte Salonmarxisten mit schriftstellerischer, psychoanalytischer und sozialwissenschaftlicher Kompetenz, in Lautsprechernähe zum Rathausplatz. Mit Sonnebrillen und Seidenschals angetan fläzen sie in der Sonne der Café-Landtmann-Terrasse und lamentieren über die rhetorischen und inhaltlichen Defizite der Rathaus-Reden. Auch sie wissen um die Kraft der Rituale.

Diesen Ersten Mai werden keine Blasmusikkapellen vom Kommen der Bezirksroten künden, denn die Bezirksroten werden sich nicht am Treffpunkt eingefunden haben. Vielleicht wird jemand am Fenster stehen, aber da wird niemand vorbeimarschieren.

Die Bewegten und Lamentierer werden diesen Ersten Mai in großem Abstand voneinander verbringen, sich, so sie eines haben, im Home-Office einfinden, um allfälligen Live-Streams der Parteispitze lauschen. Sollten Pfeiferl vorbereitet worden sein, werden sich diese nicht zu einem Konzert verdichten, Unmut wird zu Wehmut werden. Dieser Erste Mai wird nicht sein wie sonst. Dieser erste Mai wird nicht stattfinden.

Mathematik-Matura

Comandantina-Nerd-Fact: Um durch die Mathematik-Matura des „realistischen Gymnasiums“ (wir hatten ultraviel Mathematik) zu kommen, habe ich JEDE Rechenaufgabe des Mathematik-Lehrbuches der 8ten durchgerechnet. JEDE. Es waren weit über tausend. Die Lösung musste stimmen, bevor ich die nächste Aufgabe rechnete. Dafür nahm ich mir schulfrei. Oft. Des Schulschwänzens beschuldigt, sagte ich wahrheitsgemäss, ich säße zuhause und rechnete. Die Lehrer glaubten mir das nicht. Sowas macht niemand, hieß es. Doch, ich. Erzähl keine Gschichteln, sagten sie.

DNA Test

Ich habe in den US of A eine DNA-Analyse von mir machen lassen (don’t try this at home!) und nach der bin ich zu 44% Hunter-Gatherer, zu 43% Farmer und zu 14% Metal Age Invader. Letzteres beruhigt und beunruhigt mich gleichzeitig.

Ethnisch (heikles Terrain) bin ich zu 99% Europäerin, zu 69% West- und Zentraleuropäerin, zu 26% Osteuropäerin und sehr seltsam: zu 4% Finnin. 

Als Cousins 3-5. Grades (niemand näherer) werden durchwegs mir völlig unbekannte Finnen, Schotten und Schweden gelistet. Nur einer ist dabei, den ich tatsächlich kenne. Keine Osteuropäer, keine Westeuropäer, keine Mitteleuropäer, keine Balkanos. Irgendwas stimmt da nicht. Es sei denn, ich wurde in der finnischen Botschaft in Paris ausgetauscht. Ich muss mal mit meinen Eltern sprechen. Leider sind sie schon tot.  

Ein paar Gedanken zur Sozialdemokratie

Die Sozialdemokratie muss sich auch vom Fetisch Kreisky befreien. Bei allen großen Errungenschaften dieses Mannes und dieser Zeit wird vergessen, dass sich damals im großen Schatten des Sonnenkönigs eine korrupte Bonzokratie installierte, der Moral so fremd war, wie die Ziele der Bewegung. Diese Leute hatten 120 Anzüge im Schrank und beheizte Villenzufahrten. Und da spreche ich noch nicht einmal von der Toscana-Fraktion oder den Porsche-Fahrern.

Kreisky zahlte einen hohen Preis für die Absolute. Er packte die FPÖ in Appeasement-Watte.

Dass er um sich Zwiebelschalen von wirklichen Experten scharte und Kunstschaffende und Denker befragte, so oft er konnte und öfter noch, hat indes keiner seiner NachfolgerInnen ins eigene sozialdemokratische Tun mitgenommen. Im Gegenteil.

Die bösartigsten FPÖ-Clowns wurden in der Hoffnung hofiert, ihre enttäuschte Klientel, den „Arbeiter“ zurückzubringen. Der aber hustet der SPÖ was, während hunderttausende viel härter Arbeitende und schlechter Gestellte ignoriert und bagatellisiert werden, weil sie mangels Staatsbürgerschaft gar nicht wahlberechtigt sind.

Weitere hunderttausende Prekäre und EPUs, ausgebeutet und sozial bedroht, werden als Bobos diffamiert, und den NEOS und der Kurzbande zugeschoben. Weil sie keine AK-Beiträge zahlen und gewerkschaftlich unbetreut sind, interessiert sich niemand für sie. Weil sie nicht dem klassischen Fetischbild des proletarischen Hacklers entsprechen.

Alleine mit diesen beiden Gruppen, den nichtwahlberechtigten Arbeitenden und den Einpersonenfabriken hätte die SPÖ eine satte Mehrheit.

All das habe ich hohen Entscheidungsträgern in der SPÖ schon nahegebracht. Ohne irgendeinen Erfolg.

Ich mache weiter.

Mein Jesus

Mein Jesus war ein guter Mann. Er wandelte über Wasser, machte Blinde sehend, Lahme stellte er auf die Füße und bei einem großen Fest verwandelte er Wasser in Wein. Ich hätte zwar Himbeersaft angeraten, aber Jesus war ein Erwachsener und Wein wohl für Seinesgleichen die bessere Wahl. Ich war rundum zufrieden mit Jesus, er war mein Freund Harvey. Sichtbar unsichtbar. Bereit mit dem Teufel zu streiten und dabei zu gewinnen. Mit Jesus an meiner Seite konnte mir nichts geschehen.

Dieses Glück sollte nachhaltige Erschütterung erfahren.

Benedikta hieß sie, Schwester Benedikta. Nicht Helga, nicht Roswitha, nicht Gertrud, nicht Inge. Benedikta, die Gebeneidete hieß sie, gebenedeit unter den Frauen. Benediktas hagerer Körper war von schwarzem Tuch verborgen. An ihrem Finger steckte ein goldener Ring. Schwester Benedikta war, wie ihre Mitschwestern auch, und wie wir bei wiederkehrender Gelegenheit expliziert bekamen, Ehefrau des Heilands, Jesu Christi, des Gottessohnes, des Auferstandenen. Jesus, mein Freund, war der Ehemann der Schwestern? Der Ehemann aller Schwestern. Goldene Ringe trugen sie alle. Welch Verrat an der Freundschaft mit mir. Benediktas goldener Ring war nicht bloß ein Ring, der Ring war das sanctum praeputium. Die Vorhaut Jesu, im kirchlichen Schamgefühl „heilige Tugend“ genannt. Das kostbar penile Gewebe war der Heiligen Katharina von Siena während einer Ekstase von Jesus persönlich geschenkt worden.

Jesu Ehering konnte man auch spüren. Wenn Schwester Benedikta Schläge austeilte, wegen Laufens am Gang, wegen verbotenen Flüsterns in der „stummen Pause“. Der goldene Ring, die Vorhaut Jesu, hart und kalt, hinterließ eine kurze Spur des metallischen Schmerzes, wenn Benediktas flache Hand, von hinten über unsere Hinterhäupter zog. Der erste dieser Schläge war der Moment, in dem ich Jesu Schmerz in mir spürte. Das Ostern aller Ostern. Die gesamte Passion. Und in einem, erst später verstandenen Moment der Klarheit fuhr da mein Jesus, mein guter Freund in den Himmel. Für immer. Andere hatten ihn verraten. Er blieb für mich verloren. Ich muss in meine Kindheit zurückreisen, um ihn zu finden. Das ist eine eigene Passion.

Andrea Maria Dusl. Essay für die Oster-Wochenendausgabe einer Österreichischen Tageszeitung. 20.4.2019. NICHT VERÖFFENTLICHT.

Vier Stunden gegen 12 Stunden – Demo am 30.6.2018

Comandantina ©Tano Bojankin
Comandantina ©Julya Rabinovich
Comandantina Fahne ©Andrea Quatember @AndreaQuatember
Comandantina und Julya Rabinovich. ©Sonja Kato-Mailath @sonjakato
Comandantina und Julya Rabinovich. ©Sonja Kato-Mailath @sonjakato