Schulden und Schuld

Für meine Kolumne „Comandantina auf dem Kontrastblog.

Sprechen wir von den Schulden (und dem damit verbundenen Narrativ des Makels.)

Schulden setzen sich zusammen aus dem geliehenen und noch nicht zurückgezahltem Geld und aus der Miete dieses Geldes, Zinsen genannt. Nach der vorherrschenden ökonomischen Glaubenslehre sind Zinsen kein Bereicherungsentgelt, sondern eine Vergütung für das Risiko des Geldleihers, das Geld nie mehr wiederzusehen. Die Höhe des Risikos, die Höhe der Zinsen also, bemisst sich aus der statistischen Wahrscheinlichkeit, dass das geliehene Geld verloren geht. In einer Welt, in der die Zinsen (also das Risikoentgelt) für Geldmiete, sagen wir einmal 10 Prozent betragen, sollte ein Gläubiger, damit rechnen müssen, durchschnittlich jedes zehnte Geldgeschäft abzuschreiben. Rechnen wir noch ein bisschen Gewinn dazu und Manipulationsunkosten, sollte in unserem Beispiel vielleicht jedes 11te oder 12te Geldverleihgeschäft in die Hose gehen dürfen. Und zwar komplett in die Hose: Totalverlust.

Das passiert aber nicht. Wesentlich weniger Geschäfte gehen schief, als dies die Zinsen vermuten liessen. Die Deutung von Zinsen als Risiko folgt nämlich keinem Naturgesetz, sondern pseudoreligiösen Dogmata, exekutiert in scheinmoralischen Bewertungsexzessen durch private Ratingagenturen. Schuld ist also vor allem Bewertung. Und Geldmiete nur eine von vielen Möglichkeiten, ökonomische Freiheiten zu verteilen. Schliesslich ließe sich ja auch eine Welt denken, in der reiche Gute weniger reichen Geld einfach zur Verfügung stellten, ja vielleicht sogar schenkten. Eine Gesellschaft wäre denkbar, die auf solidarischer Gemeinwohl aufbaut und nicht auf dem Paradigma einer von Misstrauen und Gier befeuerten Gewinnmaximierung.

Schulden mögen nur eingebildet oder eingeredet, ihre Effekte aber existieren und damit Krisen und ihre Auswirkungen. Was ist das aber, Schuld? Etymologisch gesehen kommt der Begriff vom althochdeutschen “syllen“, sollen. Die Schuld ist das Sollen. Die Instanz, die bestimmte, was getan werden sollte, hieß im Mittelalter Schultheiss, kurz Schulze.

Inhaltlich ist Schuld, das zu Sollende mit dem dem römisch-rechtlichen Begriff „obligatio“, der Verpflichtung, wörtlich: dem Auferlegten verknüpft. Was heute Schuld genannt wird, hiess ursprünglich „Sünde“. Auch in nichtreligiösem Zusammenhang. „Sünde“, im althochdeutschen noch „sunta“ ausgesprochen, ist abgeleitet von einem germanischen Rechtswort für “Schuld an einer Tat”. Es ist ein Abstraktum zu „sund“ (wahr, seiend), einem alten Partizip zu „Sein“. Die Schuld ist also eigentlich “das, was ist”. Und sie ist per se nicht schlecht.

Kommt doch aus der gleichen etymologischen Wurzeln ein ganz anderes, überaus positiv besetztes Wort: Gesund. Es kommt von einem indoeuropäischen „sunto“, „suento“ und bedeutet schlicht „gesund sein“. Das Seiende, das „sunde“, das Gesunde war also immer auch das Getane, die Tat. Von dieser Tat zur strafwürdigen Tat und von der zur Schuld waren es dann nur mehr kleine Schritte in Richtung „sunta“, Sünde, jenem germanischen Rechtsausdruck, den die Kirchensprache zur Übersetzung des lateinischen verwenden sollte. Auf abenteuerliche Weise, wurde also das indoeuropäische Sein, das Gesundsein während der langen Reise Richtung Westen zum Sündigen, zu Schuld – manifest geworden in Schulden. Moralisch gefesselt im Schuldgefühl.

In seiner kulturkritischen Monographie “Jenseits von Schuld und Gerechtigkeit“ führt der deutsch-amerikanische Philosoph Walter Arnold Kaufmann das Schuldgefühl ausschließlich auf die Angst vor Strafe zurück. Kaufmann entwickelt die Theorie, dass Schuldgefühle in der Kindheit erlernt werden, wenn Eltern und vergleichbare Autoritäten Verbote ohne nachvollziehbare Rechtfertigungen aussprechen und bei deren Nichtbefolgung mit Strafe drohen. Der Inhalt des Schuldgefühls ist für Kaufmann hauptsächlich die Angst vor Strafe angesichts der Verletzung eines zufälligen Gebots. Dies erkläre, dass manche Menschen wegen unbedeutender Kleinigkeiten in Schuld vergehen, während andere mit ruhigem Gewissen die größten Verbrechen verüben.

In der herrschenden Ökonomie, so liesse sich Kaufmanns Gedanken auf die wiederkehrende europäische Schuldenkrisen anwenden, treffen diese beiden Protagonisten in verheerender Weise aufeinander. Der zinsgeile, aber schuldunbewusste Gläubiger und der moralneurotische Schuldner, der sich gleich auch noch für einen Schuldigen hält, obwohl es sich doch eigentlich anders verhält.

Kaufmann nennt Schuldgefühle eine „ansteckende Krankheit, die die Befallenen schädigt und die in ihrer Nähe Lebenden gefährdet”. Die Befreiung von der Schuld kündige den Anbruch der Autonomie an.

Dies gilt für das Individuum wie für den Staat. Schulden sind keine Schuld.

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