Gott und der Markt

Für meine Kolumne „Comandantina auf dem Kontrastblog.

Wir leben in einer säkularen Welt. Es regiert der Markt, der Kurs, die Rendite. Glaube kommt aus der Geschichte, Information ist Macht, Religion privat. Aber stimmen diese Befunde?

Das Wort Glaube kommt vom althochdeutschen ‘ga-loubjan’ und bedeutete einst soviel wie “vertrauen”. Sprachlich gesehen ist Glaube damit eng verwandt mit „Lob“. Noch heute werden Preise, Wettbewerbe, Stellen ausgelobt. Man vermutet, dass die Begriffskaskade, die zum Ausdruck “Glaube” geführt hat, im Wort für Laub entspringt und in der Frühzeit der indoeuropäischen Sprachen bedeutete, das Vieh mit Laubbüscheln anzulocken. Glaube wäre demnach jene Zutraulichkeit, die gefüttertes Vieh entwickelt. Beziehungsweise der Vorgang, diese Zutraulichkeit zu erwecken. Glaube ist damit ein Kommunikationsvorgang zwischen ungleichen Partnern.

Noch weiter gehen die Erkenntnisse über die physiologischen Grundlagen des Glaubens, präziser: Des Glaubenkönnes und des Glaubenwollens. Lange Zeit wunderten sich Ärzte, warum soviele Nonnen und Mönche an Schläfenlappenepilepsie erkrankten. Kam das vom Beten? Die Korrelation von Erleuchtung und Epilepsie war nicht erklärbar. Bis sich bei der Gehirnuntersuchung eines religiös unauffälligen Patienten ein seltsamer Effekt manifestierte. Wurde die Schläfenlappenregion des Patienten mit einer Sonde elektrisch stimuliert, berichtete dieser über tiefe Gefühle des Einseins mit Zeit und Raum, von Gottesnähe und hellem Licht. Das erinnerte an die Verzückungen, mit denen spirituell Erleuchtete von ihrer Begegnung mit dem “Höheren Wesen” berichteten. War nicht auch Paulus, der Chefideologe des frühen Christentums, Epileptiker gewesen? Ist “Erleuchtung” somit ein irreguläres neurologisches Feuerwerk im Schläfenlappen? Waren Buddha, Moses, Johannes, Jesus, Jean d’Arc Opfer von schrägen Vorgängen in den seitlichen Hirnregionen? Und ist der Glaube an den Markt nicht auch ein spiritueller Vorgang?

Ja sagt der US-Genetiker Dean Hamer. Er hat ein Gen namens ‚Vmat2‘ isoliert, das direkt für die spirituelle Empfänglichkeit verantwortlich sein soll. Träger dieses Proteins sollen für Erlebnisse zugänglich sein, die sie als mystische Erleuchtung erfahren. Ist Vmat2 die Stimme Gottes?

Warum aber blieb uns die Gabe der spirituelle Entrückung erhalten? Die Fähigkeit, zu Glauben, so Genetiker Hamer, hätte für unsere steinzeitlichen Vorfahren einen evolutionären Vorteil gehabt, und sei deswegen bis heute vererbt worden. Der biologische Mechanismus ist einfach: Spirituelle Menschen neigen zu grösserem Lebensglück und setzten mehr Kinder in die Welt als ihre atheistischen Brüder und Schwestern. Es wäre zu untersuchen, ob marktgläubige Aufsichtsräte und Manager in religiös konstituierten politischen Bewegungen mehr Nachwuchs in die Welt setzen als marktpessimistische Arbeiterkinder in solidarisch-säkularen Ideengemeinschaften. Die Alltagsempirie spricht für einen schlichten Befund: Wem es besser geht, kann das an seinen Nachwuchs vererben.

Zurück zum Glauben. Er hat (vorrangig) die protestantische Welt mit einer spirituellen Dimension ausgestattet, die da lautet: Wen Gott liebt (und wer Gott liebt), den stattet der Weltenherrscher mit Erfolg aus. Erfolg im materiellen Sinne. Erfolg, der sich in Kapital und Freiheit ausdrückt. Das British Empire, die Kompanien der Niederländer und die neuen Kolonien in Nordamerika haben diese Ideologie weltweit als hegemoniale Pantasie etabliert. Ein rezentes Beispiel gefällig? Trumps Erfolg bei religiösen Rechten ist Erbe der beschriebenen ideengeschichtlichen Mechanismen. Ein Milliardär kann nach bibeltreuer Ansicht nur gottgewollt reich sein. Der Umkehrschluss ist bitter wirksam. Armut ist in kapitalistisch-religiöser Sicht Ausdruck von Gottesferne, ja Strafe duch den „Allmächtigen“. Auch hier ist das so, wengleich der Katholizismus komplexere Erklärmodelle zur Verfügung stellt.

Zeit, die Welt, auch die unsrige hier, auf säkulare Beine zu stellen. Armut ist nicht gottgewollt, sondern reichengewollt.

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