Das Rätsel der Drei Punkte

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 21/2017 zum 24.5.2017.

Liebe Frau Andrea,
neulich habe ich in der U-Bahn einen, na ja, hart aussehenden Mann gesehen. Zernarbtes Gesicht, Zahnlücken und einen dicken Hals. Auf der Hand, zwischen Daumen und Zeigefinger hatte er drei Punkte tätowiert. Mein Freund sagt, das ist ein Unterwelt-Zeichen! Was sagen Sie?
Liebe Grüße,
Sabrina Kolaric, Wieden, per Facebookdirektnachricht

Liebe Sabrina,

nicht alle gefährlich Aussehenden sind Verbrecher und nicht alle Verbrecher sehen gefährlich aus. Auch Tätowierungen sind kein Distinktionsmerkmal zwischen Frankisten und Galerie mehr. (Mit diesen Ausdrücken bezeichnet das Millieu Unbescholtene einerseits und Angehörige der Unterwelt andererseits.) Zwar inkorporiert das Milieu auch freiwillige oder unfreiwillige Rotlicht-Sputniks und Unterwelt-Satelliten – Teilnehmer, Beobachter und Mitläufer werden „Trabant“, „Krawanzer“ oder schlicht „Krabbler“ genannt. Zur Galerie zählen sie nach einschlägigen Katalogisierungen nicht. Wurden sie doch noch nicht für die Verbrecherkartei (die Galerie) fotografiert. Ein Distinktionsmerkmal der Unterwelt ist jenseits aller Herkunfts- und Beteiligungsfragen die Sprache. Die Pülcher-Sprache, der Strizzi-Schmäh, die Huana-Red, kurz die „Kochema-Loschn“, die Gaunersprache. Sie verbindet die diversen Leuchtsterne, Planeten, Monde und Kometen im Rotlichtuniversum. Auf erforschten und unerforschten Bahnen bewegen sie sich umeinander. Galeristen wie Trabanten verbindet ein wichtiges seelisches Ausstattungsmerkmal: Das tiefe und innige Zugehörigkeitsgefühl. Das was die Italiener als Omertà beschreiben. Im Milieu, so die Selbstbezeichnung der Wiener Unterwelt, wird jemand, der schweigen kann, wenn es nötig ist, und reden, wem gegenüber es sich schickt, als „Hoida“ bezeichnet, als Halter. Als jemand, der hält. Dicht hält, hält, was er verspricht, aufhält, was sich Zutritt verschaffen will. Spätestens im Gefängnis (so sich ein Kuraufenthalt dort nicht vermeiden lässt) werden Novizen mit den drei Punkten des Genres vertraut gemacht, die in die Kehle zwischen Zeigefinger und Daumen der linken Hand tätowiert werden wollen und nicht weniger bedeuten als: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

Ein Gedanke zu „Das Rätsel der Drei Punkte“

  1. „Sebastian Kurz ist ein Auferstandener, der nie gekreuzigt wurde.“ Keine Sorge, die Kreuzigung kommt schon noch. Er ist ja kaum dreißig Jahre alt, also noch feucht hinter den Ohren. Bleibt also noch weitaus genügend Zeit für eine anständige, ausgiebige Kreuzigung.
    Mit freundlichen Grüßen aus New York City,
    Patrick McGuire

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert