Österreichs Tiere

Gelernte Östereicher verstehen sich in der Kunst, die Dinge zu verkehren. Aus Großem wird Kleines gemacht und aus Kleinem Grosses. Weltbewegendes erschüttert in Österreich niemand, der Sturm im eigenen Wasserglas indes wird für die Sintflut gehalten. Das Volk inszeniert diese Verhältnisse als Fragentheater. Ist die Welt noch Österreich oder Österreich schon die Welt? Ist das heimische Empörungsgewitter der Weltensturm? Um die Differenz zwischen „uns“ und „denen“ zu interpretieren, bedient sich das Land der menschlichen Kristallkugel. Zwischen Schicksal und dem kleinen Mann hat sich ein Spezifikum der Österreichischkeit herausgebildet: Der Bundesminister. Ein Wesen zwischen den Welten, ohmächtig, aber umtriebig, wortkarg, aber beredt, verloren, aber präsent. Ohne den Bundesminister läge das Land darnieder. Der Bundesminister ist das heimliche Gehirn Österreichs, zumindest hält er sich dafür. Er bewegt die Republik, richtet sie ein, denkt sie fort. Im Kleinen wie im ganz kleinen. Das Große ist dem Minister verwehrt. Als Pragmatiker der Selbststauchung hält er den Irrtum für eine Idee, den Mißgriff für eine Gelegenheit, das Versagen für einen Segen. Desinteresse wertet er als Zuspruch, Stillstand beflügelt ihn, nur Widerspruch kränkt ihn. In Maßen, denn der Bundesminister ist davon bald wieder genesen.

Wenn andere nach Kataklysmen darniederliegen, kraxelt der Bundesminister schon herum, sortiert Fehlendes und entwirft Existierendes. Wenn er plant, verrutschen dem Bundesminister die Dimensionen. Dann hält er Fläche für Raum, Umfang für Inhalt, Peripheres für zentral. Kurzum, der Bundesminister ist das Problem, für dessen Lösung er sich hält. Eine Gesellschaft depressiver Melancholiker kann dann in ihm schon den Messias sehen. Ein Irrtum, der beide Seiten aneinander zu fesseln vermag. Großes Leid befällt den Bundesminister selten. Als Optimismusakrobat ist der Umtreiber zudem von den Schatten der Selbstzweifel unbehelligt. Der Bundesminister ist leidenschaftlicher Schöpfer. Aus der Lücke macht er einen Infanten.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 18.3.2017.

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