Paris

Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 21.11.2015.

Als die Mordbanden der Terrororganisation Daesh Paris unter Kalaschnikowfeuer nehmen, stehen keine Kameras bereit. Die Fernsehlichter gehen erst an, als die Attentate verübt sind. Wir sehen Elitepolizisten und Blaulicht, Absperrungen und Satellitenschüsseln, Kameras und Korrespondenten. Das Grauen des 13. November entsteht erst im Nachhinein, in der Vorstellung, es hat romanhafte Züge. Mit einer Ausnahme.

Als der Journalist Daniel Psenny, Journalist bei Le Monde, Schüsse hört, hält er das für den Soundtrack des Kriminalfilms, der gerade im Fernsehen läuft. Aber das Knallen ist zu laut, und es kommt von der Gasse unten. Psenny denkt erst an Feuerwerkskracher, hört Schreie und weitere Schüsse und sieht aus dem Fenster seiner Wohnung im zweiten Stock: Menschen laufen durch die enge Passage Saint-Pierre Amelot, fliehen zu Dutzenden aus den Notausgängen des Bataclan. Psenny hält sein Handy drauf und filmt.

Zwischen den Flüchtenden Langsamere: Sie schleifen Schwerverletzte oder Ermordete an blutigen Spuren in die Sicherheit des nächsten Häuservorsprungs. Ein Mann humpelt auf einem Bein. Der Terrorakt selbst ist nicht zu sehen, er vermittelt sich nur über seine Auswirkungen.

Eine junge Frau hängt an einem scharfkantigen Fenstersims im zweiten Stock des Konzertgebäudes. Jeden Moment werden ihre Kräfte nachlassen und sie in den fast sicheren Tod stürzen. Aber die junge Frau klammert sich, gegen jede Vernunft, gegen jede Hoffnung, weiter an das kalte Gesims. Sooft die Kamera sich von ihr abwendet, um Flüchtende und Verletzte zu filmen, erwarten wir ihr Fehlen. Ihren Sturz. Aber die Frau hängt weiter, als die Kamera sie wieder zeigt, an einer Hand manchmal nur. Hängt weiter an ihrem Leben. Minutenlang. Stundenlang. Jahrelang.

Und dann kommt eine Hand von oben. Ergreift die Finger der Hängenden. Verliert sie nicht. Gewinnt sie. Zieht sie ins Leben zurück. Diese Gerettete ist die Antwort auf alle Fragen. Diese Frau ist die Unvernunft, die Liebe, die Jugend, die Zuversicht und schliesslich: das Überleben. Diese Frau ist Paris.

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