Spritzen mit dem Schampussprudel

Für meine Kolumne FRAGEN SIE FRAU ANDREA in Falter 46/2015 zum 10.11.2015

Liebe Frau Andrea,
warum dienen spritzende Champagnerflaschen bei den Sigerehrungen von Autorennen als sportlich-männliches Triumphritual? Ihre Expertise mit überschäumender Freude erwartend,
Hannes Schneller,
Wien, Hernals, per Email

Lieber Hannes,

junge dünne Männer in Rennfahreroveralls und Baseballerkappen tänzeln erschöpft auf getreppte Podien und ergeben sich tränenreich dem Pathos nationaler Hymnen. Falls sie am mittleren Podest stehen, das sie als Sieger ausweist, ziehen sie an unsichtbaren Hebeln und Notbremsen, recken Mittel- und Zeigefinger, ballen Fäuste und verziehen ihre Gesichter zu seltamen Grimassen. Sobald ihnen langbeinige Schönheiten oder alte Männer in Blazern Dünnblechpokale überreichen, küssen sie diese und stossen sie in die Luft. Zum Grand Finale dieses Ablaufs stellen sie die Gewinnerbecher ab und ergreifen eine (vorsorglich neben ihren Beinen aufgestellte) Großflasche Champagner. Diese schütteln sie, bis sich explosionsartig weisser Sprühregen ergiesst. Mit dem süssschäumenden Sprudel wird alles eingenässt, was ihnen begegnet. Konkurrenten, Funktionäre, Boxenluder, Fernsehleute, Publikum, Tribünenkulissen. Niemand, der dies je gesehen hat, wird verhehlen können, darin etwas anderes als einen Ejakulationsvorgang zu erblicken. “Erfunden” hat die Champagnerdusche der Schweizer Rennfahrer Jo Siffert anlässlich der Siegerehrung des 24-Stunden-Rennens von Le Mans im Jahr 1966. Gewinner-Schampus hatten Rennfahrer schon ewig bekommen, diesen aber gesittet mit Team und Freunden genossen. Sifferts Flasche, zu warm geworden, hatte sich selbst geöffnet und die Zuschauer eingeregnet. Für die Ritual-Verfestigung sorgte im Jahr darauf ein anderer: Der US-Amerikaner Dan Guerney stand nach seinem Sieg mit dem Siebenliter-Mark-IV-GT40 von Ford in Le Mans auf dem Podest: “Henry Ford war mit auf dem Podest, seine ganze Entourage, die Stimmung war ausgelassen, wir hatten Ferrari geschlagen. Der Moment war großartig – ich hab’s einfach laufen lassen.“ Waren früher diverse Schampusmarken in Gebrauch, werden heute bei Formel-1-Rennen ausschliessliche Jerobeams der Marke G.H. Mumm Cordon Rouge in Stellung gebracht. Zuckerwasser Marsch!

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