Volkskundliches über den Ball

Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 5. Juli 2014.

Der deutsche Philosoph und Transzendentalbelletrist Odo Marquard hat sich in einer brillant argumentierten Eigenbekundung zur Fertigkeit der Inkompetenzkompensationskompentenz bekannt. Auch wenn hier ein Stuntman des Denkens große Akrobatik im Schreiben zeigt: Man sollte die Kraft und Gültigkeit der hier namhaft gemachten Eigenschaft nicht der Elfenbeintürmerei zeihen, steckt sie doch in vielen von uns. Inkompetenzkompensationskompentenz wird zu Hochzeiten des Weltfußballs regelmäßig und öffentlich abgerufen. So sitzen (oder liegen) während großer Fußballturniere Nichtfußballer vor den Kommentatormikrophonen des öffentlich-rechtlichen Staatsfunks, um uns zu berichten, was wir zeitgleich selbst sehen. Vorgänge auf dem Rasen. In ihren Vortrag streuen sie nationalistische Bonmots, Herrenwitzpartikel und die eine oder andere rasentechnische Pointe. Seit dem Jahrtausendereignis Córdoba (jeder Österreicher, jede Österreicherin zehrt von dieser Erinnerung) wird zudem der fußballkundliche Simultanbericht nicht gesprochen, sondern geschrien. Die Geschwindigkeit des Gesagten korreliert dabei mit der Ungenauigkeit des Beschriebenen. Die Reportagetechnik, die zum Einsatz kommt, wird dem Medium Fernsehen insofern nicht gerecht, als sie im Hörfunk entwickelt wurde, der bekannterweise ohne Bilder auskommen muss. Kompetenzloses Gefasel ist ein Radiospezifikum. Nur dort entwickelt es Zauber. Noch der größte in den Äther gelallte Unsinn ist wirklichkeitsnäher als das Nichthören der spezifischen Ereignisse. In schlichter Ahnung all dieser Zusammenhänge kompensieren die Kommentatoren des Landes (es sind überschaubar wenige) ihre Inkompetenz durch den öffentlichen Diskurs mit scheinbar Kompetenten – emeritierten Landesfußballern. Diese wissen zwar, wovon sie sprechen, vermögen dies aber nur in seltenen Fällen auch sprachlich auszudrücken. In direkter Konfrontation gewinnen die Kommentatoren als Kommentierende des Originalbefunds an scheinbarer Kompetenz. Fußballberichterstatter wissen zwar nicht, wovon sie sprechen, können dies aber einigermaßen gut ausdrücken. Inkompetenzkompensationskompentenz auf nationalem Weltniveau. Wir sollten dankbar sein für diese Showleistung.

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