Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 27/2014
Liebe Frau Andrea,
Wir sind kurzurlaubend an der himmelblauen Adria gestrandet und haben ein Identitätsproblem. Wie können wir vermeiden, hier unten für Österreicher gehalten zu werden, oder, was schlimmer wäre, für Deutsche. Und wofür sollte man uns idealerweise halten?
Mille grazie, cara dottoressa,
Jana Wehle, Hotel Diana, Grado, Italia
Liebe Jana,
die sprachliche Camouflage gehört zu den schwierigen, wenn auch lohnenden Aufgaben, die uns die Etikette stellt. Wir dürfen davon ausgehen, dass zumindest das Rezeptionspersonal des Hotels sich nicht in Unklarheit über die Nämlichkeit und Nationalität ihrer Gäste befindet. Keine Angst. Diese Leute sind geschult im Umgang mit der Befindlichkeit Kurzzeitentwurzelter. Man darf ihnen gegenüber durchaus ehrlich sein, ja wird dafür mit Diskretion belohnt. Alle anderen darf und soll man täuschen, schon aus Eigenschutz. Wer sollte man also nicht sein, beziehungsweise wofür sollte man nicht gehalten werden? Keineswegs wolle man in Gesprächen die starken Idiome Kärntens, der Steiermark oder Oberösterreichs durchscheinen lassen. Auch derbes Grazerisch und breites Wienerisch wären tunlichst zu vermeiden. Das Deutscheln (umgangssprachlich pieffkenieseln genannt) lässt sich kaum erfolgreich verhindern. Es lässt sich aber dämpfen. Etwa durch tunliches Leise- und Langsamsprechen. Mitteleuropäische Sprachbegabung vorausgesetzt, wäre als Idealposition dialektaler Verstellkunst ein Grafbobbyidiom anzusehen, wie es von Gregor von Rezzori selig oder Lotte Tobisch bekannt ist. Selbst bei falscher Ausführung wird man Sie für Senffabrikantenkinder oder Sprösslinge aus verarmtem russischem Großfürstenhaus halten. Auch eine Herkunft aus Santa Monica, der Upper Westside oder Washington Heights wird man Ihnen jederzeit gerne abnehmen. Wenn Sie eine Faible für Übertreibungen haben, rufen Sie den inneren André Heller auf, er wird Sie als Eleganz aus Hietzing ausweisen. Obacht ist dennoch angebracht. Radebrechen Sie nie italienisch! Radebrechen Sie deutsch! Eine italienische Färbung Ihrer Aussprache wird Ihnen jede Ehre machen. Auch die Einheimischen können Sie so besser verstehen. Geizen Sie nicht mit dem Ausrufen “Brachtvohl!” und “Grossahtig!” Und prägen Sie sich für Dankesdiskurse einen Satz aus Gold ein: “Molto gentile, carissimo/carissima!” www.comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina